Donnerstag, 21. November 1918
In der Dienstags-Sitzung des ABS-Rates teilte Beigeordneter Schulze mit, daß eine Bekanntmachung erlassen werden soll, wonach diejenigen Einwohner, die abgereist sind und ihre Häuser verschlossen halten, aufgefordert werden, die Häuser sofort zu öffnen und für die Einquartierung zur Verfügung zu stellen. Andernfalls würden sie behördlicherseits geöffnet und auf eigene Gefahr der Eigentümer mit Einquartierung belegt.
Oberbürgermeister Spiritus machte Mitteilung davon, daß ein großer Teil der Bürgerschaft gegen die ihnen zugewiesene Einquartierung Einspruch erhebe. Sicher sei, daß berechtigte Einsprüche wohlwollend geprüft werden sollen; ebenso sicher sei aber auch, daß unberechtigten Einsprüchen ganz entschieden entgegen getreten werde.
Die Truppendurchzüge nehmen immer noch das Interesse der Bonner Bürgerschaft in vollstem Maße in Anspruch. Kein Wunder auch, so viel Militär hat Bonn überhaupt noch nicht in seinen Mauern gesehen. Alle Waffengattungen sind vertreten; zu Fuß, zu Pferde, auf großen Lastautos kommen sie hier durch. Dazwischen rattert vom frühen Morgen bis zum späten Abend das unabsehbare Kriegsmaterial durch die Straßen. Seit einigen Tagen sind auch schon einige größere Gebäude, so die Universität, das städtischen Gymnasium, die Realschule usw. mit Truppen belegt. Vor diesen Gebäuden spielt sich oft ein rechtes Lagerleben ab. Da wird Wasser zu den dampfenden Feldküchen geschleppt, Holz herbeigeholt, Kleider ausgebürstet oder instand gesetzt und Stiefel geputzt; andere mühen sich ab, mit Seife und Pinsel den „Drahtverhau“, den sie aus dem Felde mitgebracht haben, fein säuberlich aus dem Gesicht zu entfernen. Da die meisten öffentlichen Gebäude, die für die Einquartierungszwecke freigegeben worden sind, Luftheizung und elektrische Beleuchtung haben, sind unsere Feldgrauen dort gut aufgehoben. Privatquartiere wurden bisher nur in wenigen Fällen in Anspruch genommen. Auf dem Schulhof des städtischen Gymnasiums, auf dem die Papierstrohsäcke an diejenigen Bürger unentgeltlich abgegeben werden, die für Einquartierung vorgemerkt sind, herrscht jetzt emsige Tätigkeit. In großen Haufen lagert dort das Stroh, das zum Füllen der Säcke verwandt wird. Jeder, der sich auf dem Einquartierungsamt mit einem „Bezugsschein“ versehen hat, bekommt dort auf dem Schulplatz die nötige Anzahl neue Säcke, die er dann aus den Strohvorräten selbst füllen muß. Dabei wird die Zeit nicht lang, denn bei dieser Arbeit, an der sich Groß und Klein beteiligt, geht es oft recht lustig zu. Auf allen Straßen und Plätzen begegnet man jetzt Leuten, die mit gefüllten Strohsäcken ihrem Heim zustreben. Wenn man auch nicht sicher ist, daß man schon heute oder morgen Einquartierung bekommt; besser ist besser. Wer weiß, wie lange der Vorrat an Strohsäcken reicht: 20.000 Stück sind bald vergriffen.
Die Jugend und der Truppendurchzug. Es ist herzerfreuend, wie unsere Bonner Bevölkerung und vor allem unsere Jugend die heimkehrenden Helden, die Beschützer unserer rheinischen Heimat, mit dankbarer Liebe und Begeisterung empfängt. Doch zu Auswüchsen und leichtsinnigem Gebahren halbwüchsiger Burschen und Mädchen muß immer wieder ein ernstes Mahnwort gesprochen werden. Das Aufsteigen der Jugend auf die Autos und Proviantwagen, auf Gespanne und Geschütze während der Fahrt, das Durchlaufen der geschlossenen Kolonnen hat bereits eine Reihe erheblicher Unglücksfälle zur Folge gehabt; über Unredlichkeiten und Diebstähle an den Feldküchen und Vorratswagen sind schon Klagen laut geworden; all zu freies Benehmen junger Mädchen ist schon unliebsam in Erscheinung getreten. Solche Fälle sind geeignet, auch die wohlerzogene Jugend zu gefährden und in üblen Ruf zu bringen. Leider fehlt in diesen Tagen die strenge Zucht der Schule, da die Unterbringung der Truppen ja allen andern Interessen voranstehen muß. Lehrer und Lehrerinnen haben die Verpflichtung gerne übernommen, in ihren Bezirken auch auf den Straßen nach dem Rechten zu sehen. Immerhin aber ist es strengste Elternpflicht, besonders in diesen Wochen ihre Kinder in Obhut zu halten, sie vor Ausschreitungen zu warnen und vor allem darauf zu achten, daß sie mit anbrechender Dunkelheit zu Hause sind. Aber auch tagsüber wird eine sorgfältige Familienerziehung die Jugend nicht ganz sich selbst überlassen. Gewiß lassen sich in jedem Hause bestimmte Zeiten festsetzen, in denen das Kind der Mutter, dem Vater, zur Hand geht und auch aus dem Unterrichtsgebiete der Schule bald diesen, bald jenen Stoff wiederholt übt und befestigt. Wie das erfolgreich geschehen kann, darüber geben die Lehrer gewiß recht gerne den besorgten Eltern nützliche Winke. Z.
Zentrumsversammlung. Unter gewaltigem Andrang fand gestern nachmittag im großen Saal des Bonner Bürger-Vereins eine Versammlung der Zentrumspartei statt. Es sprachen Kaplan Rembold, der die Riesenversammlung begrüßte, Professor Dr. Cardauns, Stadtverordneter Wellmann, Reichstagsabgeordneter Henry, Stadtverordneter Math. Schmitz und eine Reihe Diskussionsredner. Aus den mehrstündigen Verhandlungen ist als Kern festzuhalten, daß die Zentrumspartei den gegenwärtigen Machthabern auch weiterhin Ruhe und Ordnung zusagt, dagegen unbedingt verlangt, daß baldigst eine Nationalversammlung zur Festlegung der verfassungsmäßigen Rechte einberufen wird. Insbesondere protestiert die Zentrumspartei gegen eine Trennung von Kirche und Staat auf dem Wege der einfachen Diktatur des Herrn Adolf Hoffmann, des derzeitigen preußischen Kultusministers. Man werde sich in dieser Frage nur der Nationalversammlung beugen. Auch gekannten sich die Redner zu einem festen Zusammenhalt der Rheinlande am deutschen Vaterland. Willig wurde dabei anerkannt, daß auch unter den Männern der Sozialdemokratie viele sind, die mit dem Herzen die deutsche Sache vertreten und in eine Lostrennung der Rheinlande nicht willigen wollen. Reichstagsabgeordneter Henry betonte unter Hinweis auf eine Erklärung des Reichstagspräsidenten Fehrenbach, daß der Reichstag sich keineswegs für beseitigt betrachte. Redner kommt auf die Vorgänge bei der Umwälzung zu sprechen und erklärt, daß nach seiner Auffassung die Mehrheitsozialisten ernstlich bestrebt seien, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und dem Volke die Nationalversammlung zu geben. In diesem Streben wollten sie die Regierung unterstützen. Auch sie verlangten baldigst die Wahl zur Nationalversammlung, bei der die Mehrheit des Volkes über seine Zukunft entscheiden soll. Stadtverordneter Math. Schmitz machte besonders auf den Durchzug der 18. Armee aufmerksam, der in diesen Tagen erfolgt. Die damit verbundenen Einquartierungslasten möge man gerne tragen, da es sich nur um einen kleinen Dankeszoll an unsere Feldgrauen handele, die mit Leib und Leben unsere Westfront geschützt haben.
Eine Vertreterin des Katholischen Frauenbundes verwies auf die außerordentliche Bedeutung, die das erteilte Frauenwahlrecht für die Nationalversammlung besitze und teilte mit, daß am heutigen Donnerstag abend die sämtlichen Frauenvereine Bonns im Bürgervereinssaale zur Besprechung dieser Angelegenheit sich zusammenfinden würden.
Tödlicher Unfall. Die Unsitte vieler Knaben, sich an die hier durchfahrenden militärischen Fahrzeuge zu hängen oder auf ihnen eine Strecke weit mitzufahren, hat gestern nachmittag einen schweren Unfall zur Folge gehabt. Ein etwa achtjähriger Knabe aus der Adolfstraße wurde am Stiftsplatz von einem Lastwagen überfahren und so schwer verletzt, daß er heute morgen in der Klinik starb.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)