Am 28. Juni 1914 wurden der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajewo von einem serbischen Attentäter ermordet. Am nächsten Tag berichtete die Bonner Presse in großer Aufmachung auf den Titelseiten von dem Anschlag. Dieses Ereignis und seine Folgen beherrschten auch in den ersten Juliwochen die Schlagzeilen der Bonner Lokalzeitungen. Von Befürchtungen, dass dieser Anschlag zu einem europäischen Konflikt führen könnte, war in der Presse zunächst nicht die Rede. In Bonn ging der Alltag davon völlig unbeeindruckt weiter, wie eine Auswahl aus den lokalen Nachrichten zeigt:
Mittwoch, 1. Juli 1914
Von der Universität: Heute abend 6 Uhr treten die ordentlichen und etatsmäßig außerordentlichen Professoren zusammen, um den Rektor und die Dekane für das Studienjahr 1914/1915 zu wählen.
Auf der Gronauwiese wird heute und morgen abend die pyrotechnische Riesenschau „Der Brand von Moskau 1812“ vorgeführt. ... Es wird die brennende Stadt Moskau durch Riesentransparente; d.h. gewaltige lichtdurchlässige Figurenreihen, dargestellt, die in Verbindung mit einer farbenprächtigen bengalischen Beleuchtung die Illusion auf höchste steigern. Während des „Brandes von Moskau“ wird ein großes Feuerwerk abgebrannt.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Der Tambour-Major vom hiesigen Infanterie-Bataillon war am 20. April von zwei jungen Leuten durch dumme Bemerkungen beleidigt worden. Die beiden hatten mit Bezug auf den Tambour-Major gesagt, „jetzt wollen wir den Langen einmal versauen.“ Dann hatten sie verschiedene beleidigende Äußerungen gemacht, die sie gestern vor dem Schöffengericht, wo sie sich wegen Beleidigung zu verantworten hatten, nicht getan haben wollten. Das Urteil lautete gegen jeden der Angeklagten auf eine Geldstrafe von 25 Mark.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Oberbürgermeister Spiritus hat heute seinen Sommerurlaub angetreten. Er reist in den badischen Schwarzwald.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Donnerstag, 2. Juli 1914
Am 30. Juni beging der Alldeutsche Verband sein Sommerfest in der Villa Friede in Mehlem. In seiner Festrede betonte Dr. Rosemund:
„Wohl aber wissen wir dieses, daß die Gefahren, die uns umdreuen, infolge des Todes von Oesterreichs Thronfolger sich vermehren und uns näher rücken. Und wir wissen ganz bestimmt auch dieses, daß von dem von solchen Krisen durchzuckten Oesterreich uns keine Hilfe kommen kann, daß wir allein abwehren müssen, was uns bedroht. ... Wir müssen wie mit Waffen uns auch im Geiste rüsten, müssen uns die sittlichen Kräfte wahren, die unserem Volkstum eigen sind, und überall, wo wir mitzuwirken es vermögen, daran mitarbeiten, daß solches geschieht. Ausgerüstet mit der vortrefflichen kriegerischen Wehr und mit der alten Kraft der Hingabe an das Vaterland werden wir dann siegreich alle Gefahren überwinden, die uns auf unserem Schicksalswege drohen. ...“
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Einen Hitzschlag erlitt gestern mittag kurz vor 3 Uhr auf der Kasernenstraße eine Frau, die ihr Kind zur Klinik bringen wollte. Ein junger Mann alarmierte sofort die Feuerwehr, die die Frau zur Klinik brachte.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Das Kriegsgericht der 15. Division trat gestern vormittag in der Infanteriekaserne zusammen. Der Musketier F. von der 5. Kompagnie des Inf.-Reg. Nr. 160 hatte sich wegen unerlaubter Entfernung zu verantworten. Er war im Juli 1910 in Aachen für das Inf.-Reg. Nr. 99 in Zabern ausgehoben worden, hatte sich aber schon vorher bei einer Glasfabrik in Mexiko verpflichtet und reiste kurze Zeit nach der Aushebung nach Mexiko. Vor einigen Monaten, als die politischen Wirren ihm den Aufenthalt in Mexiko unangenehm machten, kehrte er nach Deutschland zurück und stellte sich in Aachen dem Bezirkskommando. Er wurde dann sofort beim Bonner Infanterie-Bataillon eingestellt. Das Kriegsgericht berücksichtigte, daß der Angeklagte von der mexikanischen Fabrik schon Geld bekommen und von dem Gelde einen Teil verbraucht hatte, so daß er, wenn er nicht hingegangen wäre, wegen Unterschlagung hätte verfolgt werden können, es verurteilte ihn zu der Geringststrafe von 43 Tagen Gefängnis. – Der Unteroffizier der Reserve B., der bis 13. Juni d. J. der 5. Kompagnie des Inf.-Reg. Nr. 160 angehört hatte, mußte sich wegen Ungehorsams, Unterschlagung und Anstiftung zum Ungehorsam verantworten. Der 22jährige Unteroffizier hatte sich im vorigen Winter mit den Rekruten seiner Korporalschaft photographieren lassen und entgegen dem bestehenden Verbot ohne Einwilligung seines Kompagnieschefs das Geld für die Bilder in Teilbeträgen eingesammelt, die eingesammelten 38 Mark aber nicht an den Photographen abgeführt, sondern unterschlagen. Als der Photograph die Sache angezeigt hatte und der Unteroffizier verhaftet worden war, hatte er der Arresthaus-Ordonanz einen Kassiber zur Besorgung an einen Kapitulanten gegeben und den Kapitulanten darin erbeten, für ihn günstig auszusagen. Das Urteil lautete auf vier Wochen, drei Tage Mittelarrest und Degradation. – Der Musketier H. der 8. Kompagnie des Inf.-Reg. Nr. 100, der schon einmal im Jahre 1912 wegen Fahnenflucht zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt und in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzt worden war, hatte am 15. Dezember v. J. wiederum seinen Truppenteil verlassen. Er hatte sich einen Tag in der Familie eines ihm bekannten Mädchens in Bonn aufgehalten, mit bürgerlicher Kleidung versehen und war dann nach Luxemburg gefahren, wo er schon vor seinem Dienstantritt elf Jahre gelebt hatte. Er wurde in Luxemburg zur Verbüßung einer schon früher gegen ihn erkannten Strafe verhaftet und später ausgewiesen. Nachdem er noch eine Reise nach Paris gemacht, kehrte er nach Bonn zurück und wurde hier auf Veranlassung eines Mannes, dessen Stiefel er bei seiner Flucht nach Luxemburg angezogen hatte, verhaftet. Bei der Festnahme gab er dem Kriminalbeamten zunächst einen falschen Namen an. Im Militärgewahrsam zeigte er sich mehrfach widerspenstig. Das Kriegsgericht verurteilte den Musketier wegen Fahnenflucht im ersten Rückfalle, Preisgabe von Dienstgegenständen, Beharrens im Ungehorsam in drei Fällen und Gebrauchs eines falschen Namens zu einem Jahre vier Monaten Gefängnis und einer Woche Haft, es erkannte auch erneut auf Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes. – Zu der ersten und dritten Verhandlung waren 40 Einjährige als Zuhörer kommandiert. Der zweiten Verhandlung durften sie nicht beiwohnen, da es sich mit der Disziplin nicht verträgt, daß Untergebene Gerichtsverhandlungen gegen Vorgesetzte beiwohnen.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Freitag, 3. Juli 1914
Ein eigenartiges Feuerwerk bot sich gestern abend den Besuchern des Rheines, insesondere der Gronau dar. Auf der Festwiese ragten dunkle – anscheinend wahllos aufgestellte – Gerüstbauten empor, die in den Umrißlinien Dächer, Türme, Bastionen, Häuser erkennen ließen. Als die Dunkelheit kam, flammte plötzlich ein Flämmchen an einer Hausreihe auf. Das Flämmchen kroch hurtig weiter, fand reiche Nahrung, und nicht lange, so zuckten und züngelten rote und weiße Flammen an allen Ecken und Gassen „Moskaus" auf. „Der Brand von Moskau 1812" wurde im Feuerwerk dargestellt. Mit einigem Aufwand von Phantasie vermochte sich das staunende Publikum diesen schauerlichsten aller Riesenbrände vorzustellen. Es prasselte und knatterte, und Rauch und Flammen stiegen aus sinkenden Trümmern in den Nachthimmel, der, um das Schauspiel noch effektvoller zu machen. Seinen dunkelsten Samtmantel umgeworfen hatte. Dazwischen stiegen Raketen auf, und rotes und grünes Licht beleuchtete das in Asche zerfallene „Moskau", überragt von den dunklen Konturen unserer heimischen sieben Berge.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
„Hitzefrei“. Zum ersten Male in diesem Sommer mußte heute nachmittag der Unterricht in den städtischen Volksschulen der Hitze wegen ausfallen.
Die Juli-Hitze und ihre Folgen. Das Thermometer ist im Laufe des heutigen Mittags bis auf 38 Grad in der Sonne und 28 im Schatten gestiegen. Aus allen Gegenden wird von Hitzschlägen und von Todesfällen beim Baden in offenen Gewässern berichtet. Auch in England und Frankreich herrscht seit mehreren tagen eine Hitzewelle, die an die Hitze des Sommers 1911 erinnert.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Samstag, 4. Juli 1914
Beim Herannahen der Ferienzeit sei wieder darauf aufmerksam gemacht, daß alle Schreiben an Behörden in der Aufschrift stets nur an die Behörde selbst, nicht an den Vorsteher oder ein Mitglied gerichtet werden sollen, z.B. „an das Königliche Landgericht, an den Herrn Landgerichtspräsidenten“. Durch Hinzufügen des Namens bei Aufschriften entstehen bei Abwesenheit der betreffenden Herren durch Liegenbleiben oder Nachsenden solcher Briefe leicht Verzögerungen und Nachteile für die Absender, für welche die Behörden und ihre Beamten nicht verantwortlich sind.
Feriensonderzüge mit ermäßigten Fahrpreisen verkehren auch in diesem Jahre wieder von den Hauptstationen Westdeutschlands nach Süd- und Norddeutschland.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Schußverletzung. Beim unvorsichtigen Umgehen mit einem Revolver schoß sich ein 17jähriger Schuhmacherlehrling aus Burgbrohl in die linke Hand. Der Verletzte fand zur Entfernung der Kugel Aufnahme in der Klinik.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Angenehme Abkühlung von der Tropenhitze der letzten Tage brachten gestern nachmittag mehrere Gewitter, die bis in den späten Abend mit erfrischenden Regenschauern über das Rheintal und die Eifel- und Westerwaldhöhen niedergingen. ..
Fußball. Morgen (Sonntag) nachmittag 5 Uhr treffen sich auf dem Adolfsplatze die 1. Mannschaft des hiesigen Fußballklubs Borussia und die Fußball-Mannschaft der Bonner 160er Infanteristen. Da beide Mannschaften über gute Kräfte verfügen, steht ein spannender Kampf bevor. Die Militär-Mannschaft konnte noch vor 14 Tagen gegen den hiesigen Fußballklub Normannia mit 6:0 gewinnen.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Sonntag, 5. Juli 1914
In der Stadthalle findet heute ein Militärkonzert statt.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Städtische Straßenbahn. Nach dem Vorbild von Köln, Berlin und anderen Städten hat die Verwaltung unserer städtischen Straßenbahnen nun auch dem weiblichen Geschlecht, das mit ungeschützten Hutnadeln die Straßenbahn benutzt, den Krieg erklärt. Vom 15. Juli ab wird jedes weibliche Wesen, das mit ungeschützter Hutnadel einen Bonner Straßenbahnwagen besteigt, von den Schaffnern unerbittlich von der Fahrt zurückgewiesen.
Für das Promenadenkonzert in der Poppelsdorfer Allee am Sonntag, 5. Juli, vormittags ½ 12 – ½ 1 Uhr, das von der Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 160 ausgeführt wird, ist folgendes Programm vorgesehen: 1. „An Bord der Deutschland", Marsch von Starke, 2. Ouvertüre z. Op. „Freischütz" von Weber, 3. Chor der Friedensboten a. d. Op. „Rienzi" von Wagner; 4. Fantasie a.d. Oper „CavalleriaRusticana" von Mascagni; 5. „Geschichten aus dem Wiener Wald" von Strauß.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Montag, 6. Juli 1914
Am 6. Juli sicherte das Deutsche Reich Österreich-Ungarn unbedingte Bündnistreue zu.
Warnung: Wir werden um Aufnahme des Folgenden ersucht: Die kaiserlichen Konsularbehörden in Frankreich werden in weitgehendem Umfange mit Vermittlungsanträgen Deutscher Erzieherinnen, Kinderfräulein und weiblichen Dienstboten befasst, die sich durch ungerechte Behandlung seitens ihrer französischen Dienstherrschaft beschwert fühlen. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Der Bonner Lehrerverein unternahm am Samstag nachmittag seinen diesjährigen Sommerausflug. Zahlreiche Damen und Herren des Vereins sowie deren Angehörige und Freunde hatten sich eingefunden. Um ½ 3 ging die Fahrt mit dem „Rheingold“ rheinaufwärts bis Rolandseck. Nach dem Kaffee wurde ein Aufstieg zu dem neuen Freiligrath-Denkmal unternommen. Hier belehrte ein kurzer Vortrag die Teilnehmer über die Entstehung des Denkmals, sowie die Verdienste des Dichters um die dortige Gegend. Ein Teil nahm den Aufstieg noch bis zum Rolandsbogen. Zwar benachteiligte das trübe Wetter den Ausflug etwas, aber die Stimmung litt nicht darunter. Bis zur Abfahrt der „Rheingold“ um ½ 10 wurde bei Erdbeerbowle dem Tanze gehuldigt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Vereinsnachrichten“)
Dienstag, 7. Juli 1914
Ein Serbe Popovich, der seit einigen Wochen in Bonn weilt, wird in der Zuschrift eines hiesigen Hochschullehrers an die Reichspost [Tageszeitung] in Wien mit der Mordtat in Sarajewo in Verbindung gebracht. Popovich, der sehr einflußreiche Verwandte und Freunde in Serbien besitze, habe vor der Mordtat geäußert, der österreichische Thronfolger werde den Kaiser keine zwei Jahre überleben, man werde sehen, was geschehe. Von der Mordtat habe er am gleichen Nachmittage über Paris telegraphische Nachricht erhalten. Popovich wird polizeilich überwacht.
Auskunfts- und Rechtsschutzstelle für Frauen. Man schreibt uns: Die Auskunfts- und Rechtsschutzstelle für Frauen empfiehlt Frauen, die Kummer und Sorge daheim haben, sei es, weil ihnen der Mann nicht genügend von seinem Verdienste zum Betreiben des Haushalts gibt, sei es, weil sie sonstigen Zwist haben, in die Sprechstunde zu kommen, um sich dort auszusprechen. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Auch die DRZ bringt die Popovich-Story in großer Aufmachung. Sie druckt ganzen Brief - erschienen am 4. Juli in der Wiener Reichspost - ab und stellt in der Einleitung die "serbischen Rachepläne" als bewiesen dar :
Eine Serbe, der in Bonn wohnt, hatte von den serbischen Racheplänen gegen den ermordeten Thronfolger von Österreich seit langem Kenntnis. ....
In dem Brief werden u.a. folgende Anschuldigungen gegen Popovich erhoben:
Als die Nachricht über den Erfolg [des Attentats] eingetroffen war, fuhr er mit triumphierenden Lächeln durch die Stadt und feierte den Abend über in einem serbischen Kreise.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Schwere Ausschreitungen verübten am Sonntag abend zwei Männer, die mit einer Frauensperson nachts spät in eine Wirtschaft an der Sternstraße gekommen waren. Zwischen den dreien entstand ein Wortwechsel wegen eines Schnapses, und als der Wirt den Streit schlichten wollte, griffen ihn alle drei Personen an. Der Streit setzte sich auf der Straße fort, und mehrere Polizeibeamte mußten zur Hilfe herbeigeholt werden. Der Wirt erlitt erhebliche Verletzungen.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Mittwoch, 8. Juli 1914
Nach einem Bescheide des Generalkommandos des 8. Armeekorps sollen innerhalb des Bereiches dieses Korps Gesuche von Saisonarbeitern um Verlegung der Aushebung in die Monate Januar und Februar nach Möglichkeit Berücksichtigung finden.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst, die auf dem sogen. Künstler-Paragraphen der Wehrordnung beruht, kann außer den Schülern der staatlichen oder staatliche unterstützten Baugewerkschulen und kunstgewerblichen Unterrichtsanstalten auch den Schülern der staatlichen oder staatlich unterstützten Fachschulen für Maschinenbau, für Textil- und Eisenindustrie und der Handwerkerschulen gewährt werden. Die Schüler dieser Anstalten können auf Grund besonderer hervorragender gewerblicher oder kunstgewerblicher Leistungen zu der erleichterten Prüfung zugelassen werden.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Donnerstag, 9. Juli 1914
Bei diesjährigen Herbstübungen des 8. Armeekorps, die dem Kaisermanöver vorausgehen, finden in der Hauptsache rechts und links vom Rhein in der Gegend von Kempenich, Sinzig bis Mayen-Münstereifel und Dierdorf bis Wallmerod und Montabaur im Unterwesterwaldkreise statt, so daß sich die Truppenkörper auf Urmitz zurückziehen können, wo die Kaiserparade des 8. Korps stattfindet. Das Bonner Königshusaren-Regiment rückt am 28. August zu den Herbstübungen aus, das Infantrie-Regt. 160 am 31. August, ... Das Kaisermanöver findet in der Zeit vom 14. bis 18. September statt, es dauert also fünf Tage.
Herr Popovich, der, wie wir berichtet haben, in einer Zuschrift aus Bonn an die Wiener Reichspost mit der Mordtat in Sarajewo in Verbindung gebracht wurde, hat gestern unsere Redaktion besucht. Er versicherte uns, er habe keine einflußreichen Verwandten in Serbien. Er habe nicht vor der Mordtat geäußert, der österreichische Thronfolger werde den Kaiser keine zwei Jahre überleben, sondern er habe seine Überzeugung ausgesprochen, daß es nicht in allzu ferner Zeit zu einem Krieg kommen werde. Herr P. will vor allem nicht durch ein besonderes Telegramm über Paris schon am Sonntag nachmittag von der Mordtat benachrichtigt worden sein. Er habe von dem Mord erst abends erfahren.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Der serbische Student Popovich war auch bei DRZ-Redaktion und bestreitet Vorwürfe gegen ihn. Ergänzend zum Bericht der „Bonner Zeitung“ stellt er fest:
... Den Abend habe er nicht in einem serbischen Kreise verbracht; es gebe in Bonn überhaupt keinen serbischen Kreis. Außer ihm wohne nur noch ein einziger Serbe hier. ... Und endlich werde er von der Bonner Polizei auch nicht beobachtet. Der Verfasser der Zuschrift möge den Mut haben, seine Behauptungen mit seinem Namen zu veröffentlichen. ...
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Der Flottenverein Jungdeutschland wird am kommenden Samstag und Sonntag, den 11. und 12. Juli in Bonn, dem Gründungsort des Vereins und dem Sitze seines Präsidiums, unter der Schutzherrschaft der Frau Prinzessin Adolf zu Schaumburg-Lippe, sein 10jähriges Bestehen feiern. Seine Exzellenz der Herr Großadmiral von Koester, der Präsident des Deutschen Flottenvereins, ferner neben anderen Vertretern des Deutschen Flottenvereins Herr Oberstleutnant Graham als Vertreter des 1. Vorsitzenden des Jungdeutschlandbundes des Generalfeldmarschalls Freiherrn von der Goltz und andere Bundesvertreter, schließlich Vertreter der Marine- und anderer Behörden, wie befreundeter Vereine werden an den Festlichkeiten teilnehmen.
Nach einem außerordentlichen Vertretertag, der die aus ganz Deutschland zugereisten Vertreter in Vereinsangelegenheiten zusammenführt, wird der Verein in den Sälen der Lese ein Fest für seine Bonner und auswärtigen Mitglieder abhalten. Daß der Flottenverein Jungdeutschland sich nicht einseitig betätigt, beweist das rege Interesse, das er dem Sporte entgegenbringt und das in dem großen Sportfeste am Sonntag in der Gronau zum Ausdruck kommt. Eine von ihm vor der Gronau veranstaltete Schülerregatta wird neben den Bonner Schülerrudervereinen zahlreiche auswärtige Boote vom Rhein und Main am Start sehen; und auch für die auf den Gronauwiesen stattfindenden leichtathletischen Wettkämpfe sind zahlreiche Meldungen eingetroffen, sodaß man den Kämpfen mit Spannung entgegensieht.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Zwetschgen und Pflaumen, stellenweise auch Reineklauden und Mirabellen, stellen überall in unsrer Gegend eine recht gesegnete Ernte in Aussicht. Allenthalben hängen die Äste voll der schönsten Früchte.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Freitag, 10. Juli 1914
Konservative Vereinigung: In der Monatsversammlung der Konservativen Vereinigung, die am Mittwoch abend im Hotel du Nord stattfand, wies Landrichter Dr. Kaufmann auf zwei Vorgänge der letzten Zeit hin: den Elberfelder Mordprozeß gegen Frl. Wilden und Dr. Nolte, und die Mordtat von Serajewo (sic). Beide seien außerordentlich bedenkliche Zeichen der Zeit. Der Mord in Serajewo zeige, wohin es führt, wenn die Autorität planmäßig untergraben werde. Gegen die innere Verderbtheit in unserem Volke und gegen die von der Regierung geduldete Wühlerei der Sozialdemokraten gelte es, laut Einspruch zu erheben. ...
Zu den Behauptungen des Serben Popovich, daß die von uns wiedergegebenen Darstellungen der Wiener Reichspost unrichtig seien, schreibt uns Herr Professor Dr. Rudolf Henle: „Meine Darstellung in der Nr. 808 der Reichspost halte ich aufrecht. Die Urheberschaft war durch die Eingangsworte für alle Beteiligten zweifelsfrei bezeichnet."
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Samstag, 11. Juli 1914
Flottenverein Jung-Deutschland: Seit gestern sind in der Lese fleißige Zimmermannshände tätig, um die Festsäle für das 10. Stiftungsfest des Flottenvereins würdig vorzubereiten. Die jungen Vorstandsdamen des Vereins sind eifrig am Werke, dem Saal mit bunten Flaggen und frischem Tannengrün einen festlich-frohen Schmuck zu geben. Besonders sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß beim Gartenfest um 6 Uhr auf der Treppe eine photographische Aufnahme aller Teilnehmer stattfindet.
Der Deutsche Flottenverein, Kreis und Ortsgruppe Bonn ladet seine Mitglieder zur Teilnahme am 10. Stiftungsfest des Flottenvereins Jungdeutschland am morgigen Sonntag abend in die Stadthalle ein.
Studienreise: Am 3. August tritt Professor Dr. Hagemann, Vorsteher des tierphysiologischen Instituts der Landwirtschaftlichen Akademie Bonn Poppelsdorf, mit etwa 25 Teilnehmern eine 14tägige Studienreise über Belgien nach England an, um dort die landwirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere die Tierzucht zu studieren.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Student und Kaufmann. In der Nacht zum 24. April nach 3 Uhr wurden zwei angetrunkene Studenten einer nichtschlagenden Verbindung in der Vivatsgasse von einem hiesigen Kaufmann überholt. Hierbei hörte er, wie ein Student sagte: „Soll ich dem mal ins Gesicht spucken?“ Der Kaufmann drehte sich um, um die Studenten, die in Couleur gingen, wegen dieses Ausdrucks zur Rede zu stellen. Daraufhin wurde er von den Studenten „Sie Kommis,“ „Junger Mann vom Tietz“ tituliert. Der Kaufmann ging auf die Studenten zu und bat um ihre Namen. Statt dessen wurde ihm die Antwort [gegeben]: „Sie geben ja doch keine Satisfaktion.“ Der Kaufmann erwiderte, daß sie sich als Mitglieder nichtschlagenden Studentenverbindung schämen möchten, von Satisfaktion zu reden. Während dieser Auseinandersetzung kam man bis zur Sternstraße am Eingang des Friedrichplatzes. Hier gebrauchte der Student W. die Äußerung: „Jetzt sollen Sie einmal einen gedienten Mann kennen lernen.“ Er gab seinem Kommilitonen das Coleurband, ging auf den Kaufmann zu und schlug mit seinem Spazierstock auf ihn ein. Der Kaufmann setzte sich energisch zur Wehr und versetzte dem Studenten einige kräftige Stockhiebe über den Kopf. Der Student warf nunmehr seinen Stock weg, unterlief den Kaufmann und warf ihn zu Boden. Bei diesem Fall zog sich der Kaufmann eine Knieverletzung zu und rief: „Ich habe ein Bein gebrochen!“ Daraufhin bemerkte W.: „Wenn jemand Haue bezieht, will jeder ein Bein gebrochen haben.“ Dann liefen die Studenten davon. Tatsächlich hatte der Kaufmann eine Kniescheibenverletzung davongetragen und mußte von der Feuerwehr auf der Tragbahre zur Klinik und von dort in seine Wohnung gebracht werden. Die Verletzung war so erheblich, daß er fünf Wochen zu Bett liegen und eine Woche das Zimmer hüten mußte. Auch jetzt ist die Verletzung noch nicht geheilt. Nach Aussage eines Arztes läßt sich nicht feststellen, was die Verletzung später für Folgen haben wird.
Der Hauptbeteiligte, der Student W., hatte sich gestern wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Schöffengericht zu verantworten. ... Mit Rücksicht auf den noch zu erwartenden Zivilprozeß, in dem über die Entschädigungsfrage besonders zu entscheiden ist, erkannte das Gericht auf eine Geldstrafe von 200 Mark.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Sonntag, 12. Juli 1914
Großadmiral von Köster ist gestern in Bonn eingetroffen, um an den Feierlichkeiten zum 10jährigen Bestehen des Flottenvereins Jungdeutschland teilzunehmen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Ein großes abendliches Feuerwerk wird am Mittwoch abend am Rheinufer abgebrannt werden. Bei dieser Gelegenheit wird das eigens für die Werkbundausstellung gebaute Vergnügungs- und Festschiff „Delphin“ unserer Stadt einen Besuch abstatten. Die Ankunft dieses Festschiffes, das einer mittelalterlichen Staatsgaleere nachgebildet ist, und dessen Bug ein großer goldener Delphin schmückt, wird 6 Uhr abends an der Josefstraße erfolgen. Nach Aufnahme von Reisenden fährt das Schiff nach Königswinter und Remagen und zurück. Um 11 Uhr abends ist eine zweite Fahrt vorgesehen. Das Festschiff zeigt eine märchenhafte Beleuchtung. Grüne und rote Lichtgirlanden rufen schöne Farbeneffekte hervor. Auch ist eine Korsofahrt illuminierter Motorboote vorgesehen. Zu diesem Schauspiel auf dem Rhein kommt rechts- und linksrheinisch das bunte Feuerwerk hinzu. In den Rheinhotels sowohl in Bonn als auch in Beuel finden Militärkonzerte statt, so daß sich also den Bonnern, und auch den mit Sicherheit zu erwartenden Fremden, die sich das effektvolle Schauspiel nicht entgehen lassen wollen, bei einigermaßen guter Witterung ein schöner Sommerabend am Rhein darbieten wird.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Montag, 13. Juli 1914
Zwei Militärflugzeuge kreisten am Samstag abend zwischen 7 und 8 Uhr in geringer Höhe über unserer Stadt. Ein Doppeldecker zog mehrere Schleifen über Bonn und nahm alsdann seine Richtung nach Meckenheim. Mittlerweile surrte ein Eindecker heran, der seinen Kurs nach Wahn nahm. Kaum war der Eindecker den Blicken verschwunden, als ein zweiter Doppeldecker aus derselben Richtung kam und schließlich nach mehreren Schleifenfahrten ebenfalls am Abendhimmel verschwand.
...
Der Musketier Josef Horst von der 7. Kompagnie des hiesigen Infantrie-Bataillons, der am Freitag nachmittag einem Hitzschlag erlegen war, wurde gestern mit vollen militärischen Ehren in seiner Heimat Rheinbach zu Grabe getragen. Die 7. Kompagnie war vollzählig mit ihrem Hauptmann und zwei Offizieren an der Spitze, die Regimentsmusik und ein Teil der 5. Kompagnie erschienen, und geleiteten den toten Kameraden zum Friedhof. Von Rheinbacher Vereinen nahmen an dem Begräbnis der Kriegerverein, die Jünglings-Kongregation, der Turnverein, der Junggesellen- und Postverein und der Kirchenchor teil. Der ganze Leichenwagen war mit Kränzen bedeckt. Zwei besonders kostbare Kränze wurden von den Soldaten getragen. Neben dem Leichenwagen schritten weißgekleidete Mädchen mit Kerzen in den Händen. Weiter gaben ein großer Teil Rheinbacher Bürger dem Sarge das Geleite, und tausende Menschen füllten die Straßen, die zum Friedhof führen. Ein solches Begräbnis hat Rheinbach noch nicht erlebt. Der verstorbene Soldat war der Sohn des Rheinbacher Ackerers Heinrich Horst. Der Tod ereilte ihn nach einem gutüberstandenen Übungsmarsch, als die Mannschaften um zwei Uhr in die Kaserne einrückten. Der Verstorbene konnte noch mit hl. Sterbesakramenten versehen werden, ehe er verschied. Er war ein tüchtiger, allgemein geachteter Soldat.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Eine Uhr mit Kette wurde gestern mittag beim Militärkonzert in der Poppelsdorfer Allee einer jungen Dame gestohlen. Der Dieb ist unerkannt entkommen.
Unter den Kirmesleuten, die jetzt in Poppelsdorf ihre Buden und Karussels aufgeschlagen haben, verhaftete die Kriminalpolizei einen seit 1911 steckbrieflich verfolgten Spitzbuben.
Ein Mann, der sich unter Obdachlosen befand, wurde von der Polizei wegen Landstreicherei festgenommen.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Dienstag, 14. Juli 1914
Vaterländische Festspiele. Die Vorbereitungen zu den am Sonntag, den 19. Juli stattfindenden vaterländischen Festspielen sind bei allen teilnehmenden Vereinen in vollem Gange. Die Begeisterung und das Verständnis für alle Arten von Leibesübungen ist in den letzten Jahren, wie überall in deutschen Landen, auch in Bonn stark gewachsen. Die Zahl der aufmerksamen Zuschauer bei diesen sportlichen Kämpfen nimmt erfreulicherweise ständig zu. Die Wettkämpfe selbst werden immer spannender und die Leistungen besser.
Alle Mühen und Vorbereitungen, aber auch nachher alle Festfreude gelten dem Wohle des deutschen Vaterlandes. Dieser ausgesprochene hohe Zweck erhebt unsere „Vaterländischen Festspiele“ über andere Veranstaltungen ähnlicher Art. Der Festausschuß hat bisher keine Mittel gescheut, um die jährlichen Feste in der Gronau würdig und doch echt volkstümlich zu gestalten. Darum sind sie von Jahr zu Jahr schöner und abwechslungsreicher geworden. Die Zahl der Teilnehmer ist ständig gestiegen. Auch in diesem Jahre wird der Verlauf der Festspiele bei dem vielseitigen Turn- und Sportleben Bonns wieder viel Kraft, Frische und rheinischen Frohsinn entwickeln.
Als schönstes Sinnbild vaterländischen Verdienstes winkt den Siegern in den Wettkämpfen der schlichte Eichenkranz. Daneben kommen zu dauernder Erinnerung für die ersten Sieger Ehrenurkunden zur Verteilung. Ferner stehen noch drei Wanderpreise: ein Jugendbanner, die Schmidt-Plakette und der Kutsche-Ehrenschild zur Verfügung. Endlich werden zum ersten Male vier Kaiser Wilhelm-Plaketten vergeben für leichtathletische Uebungen.
Alles in allem winkt also reicher Lohn dem, der seine Leistungen in zäher Ausdauer und Willenskraft für die Festspiele vorbereitet hat. Hoffen wir, daß das Wetter hold bleibt, damit auch in diesem Jahre die Veranstaltungen in der Gronau allen Bonnern und den vielen Freunden, die zum Besuche kommen, als ein herrliches vaterländisches Fest in Erinnerung bleibt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Das Vorlesungsverzeichnis für das nächste Wintersemester der hiesigen Universität und der landwirtschaftlichen Akademie ist erschienen. Für Hörer aller Fakultäten werden lesen: Prof. Tillmann: Der Apostel Paulus und die Anfänge des Christentums; Prof. Schiefferdecker: Urgeschichte der Menschen und Menschenrassen; (…) Prof. Neumann: Tropenhygiene und Tropenkrankheiten; (…) Dr. Selz: Psychologie im Rechts- und Wirtschaftsleben; Dr. Hammacher: Nietzsche; Prof. Gausinetz: Le théatre de Molière; (…) Dr. Graebner: Völkerkunde der deutschen Schutzgebiete; (…) Prof. Pohlig: Eiszeit und Urgeschichte des Menschen (…) Dr. Bally: Allgemeine Vererbungslehre. Ferner werden u.a. lesen (...) in der juristischen Fakultät: Dr. Coenders: Psychologie des Verbrechens und des Strafvollzuges; Prof. Goetz: Geschichte und Recht des deutsch-russischen Handels im Mittelalter (...)
Die Poppelsdorfer Kirmes hat in diesem Jahre infolge des herrlichen Sommerwetters einen Andrang, wie seit langem nicht mehr. In den Spätnachmittagstunden – in den ersten Nachmittagsstunden ist die Hitze gar zu drückend – schiebt sich eine kaum durchdringende Menschenmenge durch die Budenstraßen. Die Wirtshäuser sind überfüllt und verzapfen wahre Ströme an Getränken.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Mittwoch, 15. Juli 1914
Die Geschäftsferien beginnen am heutigen 15. Juli und dauern bis 15. September. Am hiesigen Landgericht wird für die Zeit der Gerichtsferien eine Ferien-Zivilkammer und eine Ferienkammer für Handelssachen gebildet. ... Für die Strafsachen wird eine Ferien-Strafkammer gebildet. ...
Auf den französischen Kriegsgräbern des Alten Friedhofs hat am gestrigen französischen Nationalfeste eine Abordnung aus Köln einen Lorbeerkranz mit blau-weiß-roter Schleife niedergelegt.
Im Viktoria-Theater an der Gangolfstraße wird zurzeit allstündlich außer anderen Nummern ein wissenschaftlich fesselnder Film „Im Krater des Vesuv" vorgeführt.
Mit großem Befremden haben die Väter der Schüler des „Städtischen Gymnasiums" zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die Leitung dieses Instituts es nicht für angemessen hielt, ihren Zöglingen bei einer Durchschnittstemperatur von 28 – 30 Grad Celsius Hitzeferien zu erteilen, während doch an anderen, an allen anderen Schulen am gleichen Tage von dieser Einrichtung Gebrauch gemacht wurde.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Donnerstag, 16. Juli 1914
Pünktlich vor dem Beginn des Julimonates ist diesmal wieder ein Hitzesommer über Deutschland und den größten Teil Europas gekommen, der in mancher Hinsicht an die große Wärme- und Dürreperiode des Jahres 1911 erinnert. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Die Hundstage haben gestern ihren Anfang genommen. Allgemein nennt man die Tage vom 15. Juli bis 15. August die Hundstage. Sie führen ihren Namen daher, daß mit ihrem Beginn der Hundstern oder der Sirius die Stelle des Horizonts einnimmt, an dem die Sonne aufgeht. Die Hundstage zeichnen sich meistenteils durch reichliche Gewitterneigungen aus. Hypokrates, der griechische Arzt, will außerdem festgestellt haben, daß in diesen Tagen die größte Anzahl Gallenkrankheiten des ganzen Jahres zu verzeichnen sind. Ob der Mann Recht hat, mag dahingestellt bleiben.
Redet man im Gegensatz zu der „Hundekälte“ nunmehr von einer hundsmäßigen oder einer Bullenhitze, so mag dem von der Hitze betroffenen Mitteleuropäer angeraten werden, sich nicht allzusehr über die Hitze zu beklagen. Schließlich ist der Sommer ja dafür da. Am besten nimmt man die Sache von der humoristischen Seite, und da hat man ja bei seinen lieben Mitmenschen Gelegenheit genug, Beobachten über die Wirkungen der Hitze auf das jeweilige Temperament anzustellen. ...
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Aus der Frauenwelt.
Im Saale der Frau Witwe Tönnes fand die erste Versammlung der Mitglieder des Katholischen Frauenbundes im Bezirk Poppelsdorf statt. Der Zweigverein Bonn hat sich im letzten Jahre namentlich infolge der Volkspropaganda ungeahnt schnell ausgebreitet. Er wuchs in dieser kurzen Zeit von etwa 500 auf 1500 Mitglieder, hat also 1000 neue Mitglieder gewonnen. Dieses Wachstum beweist mehr als alles andere die Zugkraft der Idee eines Zusammenschlusses aller katholischen Frauen zum Zwecke einer gründlichen Einführung in alle Aufgaben der Gegenwart, die ja auch das Leben der Frau mannigfach beeinflußt und verändert. Eben dieser Schulung dienen die Veranstaltungen des K. F. B. , sowohl die großen gemeinsamen Versammlungen als auch die Vorträge innerhalb der einzelnen Bezirke, deren der Bonner Zweigverein 6, bezw. 7 eingerichtet hat.
In der 1. Bezirksversammlung in Poppelsdorf sprach Frl. Oberlehrerin Weber aus Köln über „Frauenarbeiten und Frauenziele“. Die Rednerin legte dar, daß eine Schulung der Frauen für die Pflichten und Aufgaben der Gegenwart heute dringend notwendig sei. Die Erscheinungen der Zeit reichen mit 1000 Fäden hinein in den Wirkungskreis der Frau. Steigerung der Preise für die Lebensmittel, Versicherungen, Wahlen, Steuerzettel etc. etc. stellen sie immer wieder vor die Fragen: „Warum? Wozu?“ Die denkende Frau verlangt Aufklärung in all diesen Dingen. Wenn wir sie ihr nicht geben, so wird sie ihr von anderer Seite zuteil; denn eben diese Fragen geben der Sozialdemokratie willkommenen Anlaß, ihre verhetzenden und verbitternden Ideen auch in unsere Frauenwelt hineinzutragen, und ihr den Frieden, der doch das Glück der Familie einzig begründet, zu rauben. Wenn wir sehen, wie Scharen unserer Mitschwestern dieser Partei anheimfallen, dann ist es unsere heilige Pflicht, zuzugreifen und nicht zu zögern, damit uns nicht das niederschmetternde Wort „Zu spät!“ entgegenschallt, das so oft unser bestes Wollen zunichte macht. Es ist leichter, 100 Menschen für das Gute gewinnen und begeistern, als nur einen Verlorenen zurückführen. Zum Schlusse ermahnte die Rednerin zum Beitritt und zur Mitarbeit im K. F. B. Ihre Wort fanden bei den Anwesenden volles Verständnis und bereitwillige Aufnahme. Der schöne Erfolg des Abends gibt allen den Ausblick auf eine weitere Entfaltung des Bezirks, der nun schon auf 146 Mitglieder angewachsen ist. Anmeldungen zum Beitritt in den Katholischen Frauenbund werden stets gerne entgegengenommen in der „Stellenvermittlung des K. F. B.“, Martinstraße 3.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Vereins-Nachrichten“)
Freitag, 17. Juli 1914
Rekrutenfürsorge in Bonn. Mit Rücksicht auf die guten Erfolge der Vorjahre hat sich auch in diesem Jahre wieder ein Ausschuß gebildet, der in der uneigennützigsten Weise sich der Ausgehobenen annehmen will, damit diese jungen Leute beim Eintritt zum Truppenteil für den Anfang mit dem Ungewohnten ihrer neuen Umgebung vertraut sind. Die Ausgehobenen in Bonn waren kürzlich zur ersten Versammlung eingeladen. Es waren aber von den 550 Rekruten nur 220 erschienen. Es liegt im Interesse der angehenden Rekruten selbst, wenn sie sich an diesen Veranstaltungen beteiligen.
Das Abkochen im Walde ist strafbar. Wanderer, jung und alt, seien daran erinnert, daß das Abkochen im Walde nicht statthaft ist. ... Die Förster sind angewiesen, dem Verbot des Feueranzündens nachdrücklich Geltung zu verschaffen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Die Roggenernte hat ihren Anfang genommen, nachdem die Gerste zum Teil schon eingescheuert ist. Wenn man anfangs befürchtete, daß bei der schlechten Blütezeit der Körnerertrag nur gering ausfallen würde, so hat man sich doch darin geirrt. Die Ähren sind voller Körner und vollkommen ausgebildet. Das Stroh hat auch eine außerordentlich schöne Höhe erreicht. Der Weizen verspricht auch eine gute Ernte. Das meiste Heu ist auch unter Dach und Fach. Der letztgemähte Klee ist in recht gutem Zustande eingebracht worden, während das im Regen gelegene Heu an Qualität eingebüßt hat.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Samstag, 18. Juli 1914
Das Varieté-Theater Sonne hat sich für sein zweites Juliprogramm gute Kräfte gesichert. U.a. treten auf der brasilianische „Ausbrecher-König" Harry Marion, ferner eine Verwandlungstänzerin, Gesangs- und Tanzkünstler, die Soubretten Betty Wink und Frieda Röhr sowie der Napoleon-Darsteller Hoppkens.
Gegen die Modetorheit der hohen Hacken bei den Damenschuhen zieht Gertrud Köhner (Paris) zu Gericht. Eine ungraziöse und unbequeme Mode will auch jetzt im Sommer nicht weichen: die der hohen Hacken, und man kann das immer erstaunlichere Phänomen feststellen, daß die Frauen von Jahr zu Jahr größer werden. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Rekruten-Fürsorge. Am kommenden Sonntag versammeln sich wieder vormittags punkt 10 Uhr die Rekruten im Exerzierhaus der hiesigen Infanterie-Kaserne, um unter Anleitung von aktiven Unteroffizieren körperliche Uebungen vorzunehmen, welche als Vorbereitung für den späteren Dienst von großem Nutzen sind. Hoffentlich wird die Beteiligung noch weiter zunehmen. Pflicht der Eltern ist es, ihre ausgehobenen Söhne zu diesen Uebungen hinzusenden.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Prinz und Prinzessin Schaumburg sind heute morgen 7 3/4 Uhr nach Norderney abgereist.
In der Stadthalle findet morgen (Sonntag nachmittag) Militärkonzert statt.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Sonntag, 19. Juli 1914
Vaterländische Festspiele. Am heutigen Sonntage feiert unsere Vaterstadt Bonn wieder ihre vaterländischen Festspiele. Auf Anregung des Vereins für Körperpflege in Volk und Schule im Jahre 1908 ins Leben gerufen, wird sich das schöne Fest auf der Wiese, in den Anlagen, auf der Terrasse und in der Halle der Gronau sowie auf dem Rheinstrom zum siebenten Male wiederholen. Anfangs waren es nur 16 Vereine, die sich im friedlichen Wettkampf maßen; heute sind es über 60. Diese Zahl ist einerseits ein Zeichen, wie sehr diese jährlich wiederkehrende Veranstaltung allenthalben Anklang gefunden hat, andererseits zeigt sie aber auch den hohen Stand des turnerischen und sportlichen Lebens unserer Vaterstadt. Bonn kann stolz sein auf diese vaterländischen Festspiele, mit denen es, was Leistungen und Beteiligung anbetrifft, hinter anderen rheinischen Städten nicht zurücksteht. Tausende von Zuschauern haben in den letzten Jahren den Festspielen beigewohnt. Und so wird es auch heute wieder sein. Wo gibt es noch eine Familie, deren Vater, Tochter oder Sohn nicht irgendwie an den Spielen beteiligt ist? Das ist ja auch der Zweck dieser Festspiele, daß jung und alt zu ihnen gehören, daß alle ohne Ausnahme in einträchtiger Freude, die Sorgen des Alltags hinter sich lassend, ein Fest feiern, welches dem geliebten Vaterlande gilt. Frauenturnabteilungen, Vereine der Athleten, Turner und Schüler nehmen an den Festspielen teil und der Bonner Männer-Gesang-Verein „Apollo“ wird das Fest durch seine Lieder verschönern. Die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz hat sich dankenswerter Weise auch wieder der guten Sache zur Verfügung gestellt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Die Vaterländischen Festspiele. Unsere Vaterstadt Bonn feiert wieder ihre vaterländischen Festspiele. (…) Tausende von Zuschauern haben in den letzten Jahren den Festspielen beigewohnt. Und so wird es auch heute wieder sein. Wo gibt es noch eine Familie, deren Vater, Tochter oder Sohn nicht irgendwie an den Spielen beteiligt ist? Das ist ja auch gerade der Zweck dieser Festspiele, daß jung und alt zu ihnen gehören, daß alle ohne Ausnahme in einträchtiger Freude, die Sorgen des Alltags hinter sich lassend, ein Fest feiern, welches dem geliebten Vaterlande gilt. Deutschland in der Welt voran! So soll es jetzt und künftig heißen. Sehnige Jünglinge, aus denen stahlharte Männer werden, unverzärtelte, gesunde Jungfrauen, die Deutschlands Mütter werden sollen, die brauchen wir und die erziehen wir nicht daheim hinter dem Ofen, sondern draußen auf grünem, sonnigen Plan. So steckt hinter unsern vaterländischen Festspielen nicht harmlose Spielerei, sondern der hochsinnige Gedanke, dem Vaterlande auch im Gewande der Freude und des Friedens zu dienen.
Unsere Husaren sind in vergangener Nacht um 1 Uhr aus Elsenborn wieder hier eingetroffen. Mit dem Gesang froher Soldatenlieder taten sie den friedlich schlafenden Bonnern ihre Ankunft kund.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Montag, 20. Juli 1914
Etwa seit Mitte des Monats verschwindet das Thema "Sarajewo" allmählich aus den Schlagzeilen. Stärker als mit der drohender Kriegsgefahr beschäftigen sich die Bonner Zeitungen mit dem Prozeß gegen Frau Caillaux, der am 20. Juli im Pariser Justizpalast begann. Frau Caillaux wurde beschuldigt ,Herrn Calmette, Direktor der Pariser Zeitung „Le Figaro", in seinem Büro mit einer Pistole tödlich verletzt zu haben. Calmette hatte in seiner Zeitung den Politiker Caillaux massiv angegriffen, aber auch die Liebesbriefe, die die noch verheiratete spätere Frau Caillaux an ihren Liebhaber, eben jenen Politiker, geschrieben hatte, veröffentlicht. Bis zu ihrem Freispruch am 29. Juli des Jahres war der Prozeß gegen Frau Caillaux Gegenstand ausführlicher Berichterstattung, der bisweilen mehr Raum gegeben wurde als den Nachrichten über die politische Lage in Serbien und Österreich-Ungarn. In Berliner amtlichen Kreisen, so berichtet die Bonner Zeitung am 20. Juli, rechne man jedoch mit einer kriegerischen Auseinandersetzung, hoffe aber auf eine „Lokalisierung des Konflikts".
Steckbrieflich gesucht wird von hier aus die 41-jährige Näherin Elisabeth Neuenhäuser wegen Diebstahl im Rückfalle.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Der Artillerie-Verein Bonn veranstaltete gestern nachmittag in den Gartenanlagen der Restauration Hülsmann zu Ippendorf ein Sommerfest, an dem etwa 500 Mitglieder mit ihren Familien teilnahmen. Der Vorsitzende, Kamerad Henden, begrüßte die alten Schwarzkragen und deren Angehörige recht herzlich und wünschte allen frohe Stunden. Für die Kinder war in ausgiebiger Weise durch Unterhaltungsspiele gesorgt. Bei einer Polonaise durch die Anlagen wurden die Kleinen mit Fahnen und Süßigkeiten beschenkt. Für die Großen waren Schießbuden usw. errichtet. Ein Trompeterkorps sowie die Sänger des katholischen Gesellenvereins sorgten für die musikalische Unterhaltung. Bei Eintritt der Dunkelheit begaben sich die Teilnehmer bei Lampionbeleuchtung zurück nach Bonn, wo im Hähnchen eine fröhliche Nachsitzung abgehalten wurde.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Wichtig für Auslandsreisende. Deutsche Reisende sind wiederholt im Auslande in große Unannehmlichkeiten geraten, weil ihnen die dort bestehenden Waffenverbote nicht bekannt waren oder weil sie sich über ihre Person nicht genügend ausweisen konnten. Es kann darum nicht dringend genug geraten werden, sich vor Antritt einer Auslandsreise mit einem Reisepaß zu versehen, mit dem man sich als deutscher Reichsangehöriger ausweisen und somit erforderlichenfalls den Schutz des nächsten deutschen Konsulats in Anspruch nehmen kann. Nähere Auskunft über die im Auslande bestehenden Waffenverbote erteilen die mit der Ausstellung von Reisepässen betrauten Behörden.
Allgemeines Aufsehen erregten dieser Tage in unserer Stadt zwei jugendliche Neger aus Kamerun, die in Postuniform von Haus zu Haus Telegramme abgaben. In denselben wurde auf das neue Nahrungsmittel „Melban“ (Das Mehl der Banane) aufmerksam gemacht. Den Sitten ihrer Heimat entsprechend sind die Neger trotz ihrer 17 und 19 Lenze schon verheiratet und haben Frau und Kind zu Hause zurückgelassen, um sich bei uns nützlich zu machen. Der jüngere der beiden Neger hat in Kamerun die deutsche Schule besucht und versteht es, sich in unserer Sprache geläufig auszudrücken.
Die Vaterländischen Festspiele haben gestern in den Gronauanlagen und auf dem Rhein zum siebenten Male stattgefunden. (…) Um 2 ½ Uhr nachmittags versammelten sich die Vereine auf dem Arndtplatz und marschierten um 3 Uhr in einem langen Festzug mit Musik am Rhein vorbei zur Gronau. Dort angekommen, hielt der Vorsitzende der Vaterländischen Festspiele, Herr Beigeordneter Dr. v. Gartzen folgende Ansprache:
„Mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen sind wir wieder hinausgezogen zum friedlichen Streit auf der weiten Au und den Wogen des Rheins. Hurtige Jünglinge und kraftvolle Männer treten wieder hinaus auf den Plan zum selbstlosen Kampf um den schlichten Kranz. Männer und Frauen, Knaben und Jünglinge aus allen Kreisen der Stadt, doch einig im Streben nach dem gemeinsamen Ziel: durch zielbewußte Leibesübungen ein wehrhaft Geschlecht zu erziehen.
Männer voll Arbeitslust und Arbeitskraft und, wenn es nottut, zum Schutze von Heim und Herd; furchtlos und treu, wenn auch die Wetterwolken drohen im Osten und Westen. Und sollte einst Feindeshand das zu zerstören wagen, was lange Friedensarbeit gebaut, dann werden auch Bonna’s Krieger kraftvoll sich um ihren Kaiser scharen, zu schützen der Väter stolzes Erbe; freudig bereit, zu siegen und zu sterben für ihr Vaterland und für ihren Kaiser, in dessen Sinne wir alle arbeiten an der Erstarkung unseres Volkes, der uns allen ein leuchtendes Vorbild selbstloser Hingabe und freudiger Arbeitskraft ist. Und wie alljährlich eilen wir auch heute zu den Endkämpfen, begeistert durch den Ruf: Unser Kaiser und König: Hurra!“
Hurra! Hurra! Hurra! Und „Heil Dir im Siegerkranz“ brauste es aus vielen hundert jungen Kehlen über den Rhein.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Dienstag, 21. Juli 1914
Am gestrigen Geburtstage Sr. Durchlaucht des Prinzen Adolf zu Schaumburg Lippe waren die öffentlichen Gebäude unserer Stadt beflaggt. Es gingen zahlreiche Glückwünsche von hier nach Norderney.
Beim Vornamen. Weshalb werden in zahlreichen Geschäften die weiblichen Angestellten beim Vornamen gerufen, während dies beim männlichen Personal selbstverständlich nicht der Fall ist? Es wird niemandem einfallen, einen Verkäufer oder einen Buchhalter „Herr Karl!", „Herr Xaver!" zu rufen, aber selbst hochbejahrte weibliche Angestellte werden in sehr vielen Geschäften „Fräulein Anna!", „Fräulein Clara!" usw. genannt. Es ist zweifellos, daß dieser seltsame Unterschied, der da zwischen weiblichem und männlichem Personal gemacht wird, zu den zahlreichen Ursachen gehört, die den Verkäuferinnen-Beruf bei den Töchtern aus besseren Familien vielfach in Misskredit gebracht haben, denn das Rufen beim Vornamen hat etwas herabwürdigendes und dabei auch etwas vertraulich intimes. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Der König der Ausbrecher , Harry Morton, von dem bekannt geworden war, daß er, an Händen und Füßen gefesselt, von einem Motorboot in den Rhein springen und sich unter Wasser seiner Fesseln entledigen werde, hatte gestern nachmittag eine riesige Menschenmenge an den Rhein gelockt. Mittlerweile war aber auch bekannt geworden, daß die Polizei eine derartige Schaustellung untersagen werde. Tatsächlich bemerkte man unter den vielen Zuschauern eine Anzahl Polizei- und Kriminalbeamte, die gewillt waren, den „Ausbrecher-König“, falls er trotz des Verbots den „Todessprung“ wagen sollte, dingfest zu machen. Mittlerweile aber war Harry Morton, der „König der Ausbrecher“ längst heimlicherweise auf einem Boot bis Königswinter gefahren und kam nun kurz nach 5 Uhr an Bord eines Motorbootes in langsamer Fahrt auf Bonn zu. „Wird er in den Rhein springen oder nicht?“ Das war die Frage. Das Publikum stellte sich auf die Fußspitzen, auf die Bänke, Gitter und Landungsbrücken. Kurz vor der Köln-Düsseldorfer Landesbrücke schwang sich Morton im Badekostüm behende auf das Oberdeck und sprang gefesselt ins Wasser. Im Augenblick hatte er sich seiner Fesseln entledigt, schüttelte wie ein Pudel das Wasser ab und ließ sich unter dem Beifall des Publikums noch mehrere Male fesseln. Auch dann gelang es ihm in kurzer Zeit, unter Wasser freizukommen. Das Publikum, das für derartige Schaustellungen gern und dankbar zu haben ist, ließ es an Beifall nicht fehlen. Kurze Zeit darauf sah man Harry Morton, den „Ausbrecher-König“, überlegen lächelnd, im Straßenanzug durch Rheinpromenade schlendern und nach Gebühr „bewundern“ lassen.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Ein Studenten-Umzug. Die katholische Studenten-Verbindung „Bavaria“ veranstaltete heute morgen anläßlich ihres 70jährigen Stiftungsfestes einen großen Umzug durch die Straßen der Stadt. An der Spitze des Zuges ritt das Trompetenkorps des hiesigen Husarenregiments in historischen Uniformen mit den Farben der Bavaria. Hoch zu Roß folgten die Chargierten mit dem blau-weiß-hellblauen Banner. Dann folgten in unabsehbarem Zuge Wagen, geschmückt mit den Farben der Verbindung. In ihnen hatten die Alten-Herren, Inaktive, Aktive und Vertreter auswärtiger Kartellverbindungen je zu zweien Platz genommen. Blumengeschmückte Dogcarts, von Bavarenfüchsen selbst gelenkt, beschlossen die Wagenreihe.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Rekruten-Fürsorge. Sonntag morgen 11 Uhr traten in dem Exerzierschuppen der hiesigen Infanteriekaserne 242 Rekruten an, um teilzunehmen an der Erlernung der ersten militärischen Uebungen. Erfreulicherweise hatten sich wiederum 20 Mann mehr eingefunden als das letztemal, auch einige Einj.-Freiwillige und mehrere Rekruten der benachbarten Ortschaften waren erschienen.
Die jungen Rekruten wurden in mehrere Abteilungen eingeteilt und dann erlernten sie Freiübungen: Rollen der Hände, der Füße, des Kopfes, der Arme usw.; es folgten Körperübungen mit ausgestreckten Armen, Bewegungen in Kolonnen: Abschwenken und Marschieren in Gruppen, wobei das Hauptgewicht auf ungezwungene, körperliche Haltung gelegt wurde. Nach dieser Übung sammelte der Vorsitzende, Herr Klutmann, das „Ganze“ und richtete einige Worte an die Rekruten. Redner forderte die jungen Leute auf, alle ihre Kameraden zur Rekrutenfürsorge einzuladen.
Am Dienstag, den 28. Juli abends 8 ½ Uhr ist Versammlung in der Germaniahalle und Vortrag über das Thema: Notwendigkeit der Dienstpflicht und der Wehrpflicht; den Sonntag nach dem Vortrag sind Bewegungsübungen im Gelände auf dem Venusberg, Rückmarsch mit der Regimentsmusik zum Kaiserdenkmal, dortselbst Ansprache und Kaiserhoch.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Mittwoch, 22. Juli 1914
Für die Zeit der großen Schulferien, d.h. vom 5. August bis einschließlich 9. September d.J., werden auf den Stationen des Direktionsbezirkes Köln für die Dauer der Ferien gültige, sogenannte Ferien-Stamm- und Nebenkarten 1. – 3. Klasse unter den für die gewöhnlichen Monats- und Nebenkarten geltenden Bedingungen ausgegeben.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Zu einem großen Menschenauflauf kam es in der Nacht von Sonntag auf Montag auf dem Friedrichplatz. Mitglieder eines Vereins vom Vorgebirge erwarteten die Vorgebirgsbahn und vertrieben sich mittlerweile die Zeit mit Musik und Gesang. Als ein Polizeibeamter um Ruhe ersuchte, wurde er von einigen Mitgliedern in höhnischer und beleidigender Weise angegriffen. Erst als noch einige Beamte hinzukamen, gelang es, die Namen der Hauptruhestörer festzustellen.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Donnerstag, 23. Juli 1914
Auf der Titelseite der Bonner Zeitung wird die Frage gestellt: „Droht der Weltkrieg?". Aber immer noch ist für den Kommentator eine „friedliche Beilegung der bevorstehenden österreichisch-serbischen Auseinandersetzung [...] die wahrscheinlichste." Vom 20. bis 23. Juli hielten sich der französische Präsident Poincaré und sein Ministerpräsident Viviani in Petersburg auf und sicherten dem Zaren die französische Bündnistreue zu. Die Bonner Presse berichtete ausführlich über diesen Staatsbesuch.
Universität: Die Feier des Gedächtnisses an den Stifter der Universität, König Friedrich Wilhelm III. findet, wie alle Jahre, am 3. August vormittags 11 Uhr in der Aula statt. ... Die Korporationen werden ersucht, wegen Raummangels sich nur durch je einen Chargierten mit Fahne vertreten zu lassen.
Eine Schwimmübung der Bonner Husaren findet am Montag morgen um 8 Uhr bei Mondorf statt. Der Rhein wird in seiner ganzen Breite von den Pferden, die von in Booten sitzenden Husaren am Zügel geführt werden, durchschwommen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Noch gut abgelaufen. Auf der Brückenstraße kam gestern abend ein jugendlicher Radfahrer, der ein etwa 10jähriges Mädchen mit aufs Rad genommen hatte, auf den Schienen der Straßenbahn zu Fall. Während der junge Mann in weitem Bogen weggeschleudert wurde, blieb das Mädchen, zwischen dem Rade eingeklemmt, auf den Schienen liegen. Dem Führer eines Straßenbahnwagens gelang es im letzten Augenblick, den Wagen kurz vor der Unfallstelle zum Halten zu bringen. Mehrere Zeugen des Vorfalles schrien vor Bestürzung laut auf, da sie das Ueberfahrenwerden des Mädchens für unvermeidlich hielten.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Freitag, 24. Juli 1914
Am 23. Juli hatte Österreich-Ungarn ein auf 24 Stunden befristetes Ultimatum an Serbien gestellt. Darin wurde die Bekämpfung jeder gegen Österreich-Ungarn gerichtete Propaganda sowie die gerichtliche Untersuchung des Attentats unter Beteiligung österreichischer Beamter gefordert. Die Bonner Presse hält sich mit der Einschätzung der durch das Ultimatum grundlegend veränderten Situation zurück. Die Reichszeitung berichtet allerdings, Berliner Regierungskreise gingen davon aus, „daß Oesterreich wohl mit Serbien allein seine Sache regeln werde, falls eine zweite Macht Oesterreich in den Rücken fallen werde oder auf Oesterreich einen Druck ausüben sollte, Deutschland mit seiner ganzen Macht und bis zu den äußersten Konsequenzen hinter seinen Verbündeten stehen werde."
Desinfektion durch Plätteisen: Es dürfte unsere Hausfrauen interessieren, daß neuerdings in einem bakteriologischen Laboratorium Versuche angestellt wurden, welche ergeben haben, daß das Plätten der Wäsche in sehr hohem Maße desinfiziert. Zur Abtötung der krankheitserregenden Bakterien genügen meist schon Temperaturen von 140 Grad. Ein Gasplätteisen hat aber eine Temperatur, die zwischen 200 und 400 Grad schwankt. Indem nun das heiße Plätteisen über die Wäsche fährt, finden die etwa noch durch den Waschprozeß nicht getöteten Bakterien den Tod. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
In den Schmuckanlagen am Hohenzollernplatz stehen die Magnolien zum zweiten Mal in diesem Jahr in voller Blüte.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Mittwoch, 25. Juli 1914
Schutz der Nerven. Die Tägl. Rundsch. schreibt: Es besteht die Absicht, im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung des Betriebes von Singspielhallen auch die Möglichkeit eines Einschreitens der preußischen Behörden gegen die Belästigungen der Nachbarschaft durch Musikautomaten und Orchesterkonzerte zu schaffen. ...
Die Bonner Liedertafel veranstaltet Sonntag, 2. August, in der Beethovenhalle ein Konzert, in dem das Programm der am 15. August beginnenden Konzertreise des Vereins nach Süddeutschland aufgeführt werden wird.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz Bonn hält am Sonntag nachmittag auf dem Adolfplatz ihre diesjährige große Uebung ab. Schon in früher Morgenstunde wird von Kolonnenmitgliedern ein Notlazarett für 14 Verwundete errichtet. Zu der Uebung ist auch die Wesselinger Sanitätskolonne mit herangezogen, und man wird sich ein Bild machen können, wie schon in Friedenszeiten für etwaige Verwundete gesorgt wird.
Fahrraddiebstähle und kein Ende. Die Fälle, daß unbewacht stehende Fahrräder gestohlen werden, mehren sich. Den Bemühungen unserer Kriminalpolizei ist es in der letzten Zeit verschiedentlich geglückt, Fahrraddiebe festzunehmen. Gestern wurde wiederum ein junger Arbeiter von einem Kriminalbeamten darüber abgefaßt, wie er sich am Bonnertalweg ein Fahrrad aneignen wollte. Ferner wurde ein 26jähriger Aushilfskellner festgenommen, der im Verdacht steht, ebenfalls ein Fahrrad gestohlen zu haben. Den Herren Dieben wird es – wie man täglich auf der Post und sonstigen öffentlichen Gebäuden beobachten kann – allzu leicht gemacht. Die Fahrräder bleiben sorglos ohne Sicherung auf der Straße stehen, und es dauert mitunter geraume Zeit, ehe die Eigentümer ihr Rad wieder an sich nehmen. Im Interesse der Radbesitzer liegt es, wenn sie ihre Räder besser beobachten oder aber mit einer Sicherung versehen.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Sonntag, 26. Juli 1914
Am Tag zuvor hatte Russland Serbien seine Unterstützung zugesagt. Die serbische Regierung hatte darauf hin als Antwort auf das österreichische Ultimatum erklärt, es sehe durch dessen Forderungen seine Souveränitätsrechte verletzt, und hatte die Teilmobilmachung ausgerufen. Österreich-Ungarn hatte darauf mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und ebenfalls mit Teilmobilmachung reagiert.
Am Wochenende fanden in vielen deutschen Städten patriotische Kundgebungen, aber auch von Sozialdemokraten organisierte Friedensdemonstrationen statt. Das deutsche Kaiserpaar brach seine Sommerreise ab und kehrte nach Berlin zurück.
Die Bonner Zeitung kommentierte auf der Titelseite: „Wenn Serbien die österreichischen Forderungen ablehnt, steht der Krieg unmittelbar bevor. Die Mächte werden versuchen, diesen Krieg zu lokalisieren."
Von der Universität: In der juristischen Fakultät promovieren am 1. August Fräulein Gerta Zündorf aus Bonn und Referendar Bruno Bockmühl aus Barmen zu Doktoren beider Rechte.
Moderne Heizwasserbeschaffung: Dank der Aufklärung ärztlicher Kreise wird der Hygiene des täglichen Lebens von den weitesten Bevölkerungsschichten immer mehr Beachtung geschenkt. Schon früher war es ein geflügeltes Wort, daß der Kulturstand eines Volkes nach seinem Verbrauch an Seife gekennzeichnet werden kann, und in der Tat ist nichts so geeignet, die Gesundheit zu erhalten und zu festigen und Krankheiten zu verhüten, als große Sauberkeit des Körpers, der Kleidung und der Wohnräume. Die bequeme und möglichst billige Beschaffung heißen Wassers dürfte besonders geeignet sein, diese Bestrebungen zu unterstützen. ...
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Eine große Radauszene spielte sich vor kurzem nach einem Tanzvergnügen in Endenich ab. In einem Hause der Frongasse war von jungen Leuten eine Fensterscheibe zertrümmert worden. Als der Besitzer die jungen Leute zur Rede stellte, fielen einige über ihn her und verprügelten ihn. Fünf Personen wurden zur Anzeige gebracht. Drei von ihnen wurden am Samstag vom Schöffengericht wegen Körperverletzung und ruhestörenden Lärms zu einer Geldstrafe von je 15 Mark verurteilt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Montag, 27. Juli 1914
Noch bevor am 28. Juli die offizielle Kriegserklärung Österreichs an Serbien erfolgt, ist der Krieg für die Bonner Presse schon ein Faktum. Die Reichszeitung titelt „Der Krieg zwischen Oesterreich und Serbien", der General-Anzeiger lapidar „Krieg" und die Bonner Zeitung etwas zurückhaltender „An der Schwelle des Krieges".
Wie man in Bonn die österreichisch-serbischen Meldungen aufnahm. Der österreichisch-serbische Konflikt, der die Welt in Aufregung hält, hat auch in unserer Stadt große Spannung hervorgerufen, die durch die letzten Nachrichten noch gesteigert wurde. Ohne Zweifel, man stand vor wichtigen Ereignissen, deren Tragweite man ahnen, aber noch nicht voraussehen konnte. Von 6 Uhr abends ab (dem Zeitpunkt des Eintreffens der Antwortnote an Österreich) sammelte sich das Publikum vor unserer Geschäftsstelle an der Bahnhofstraße. Die Menschenmenge vergrößerte sich zusehends. Mit fieberhafter Spannung erwartete man das Eintreffen weiterer Nachrichten. Das Telephon rasselte ununterbrochen. Zeitweise klingelte es auf vier Leitungen zu gleicher Zeit. Nicht allein aus Bonn kamen Anrufe, sondern aus unserm ganzen Verbreitungsbezirk und darüber hinaus. Inzwischen wurde das erste Extrablatt herausgegeben. Danach hatte es den Anschein, als ob Serbien den österreichischen Forderungen nachkommen würde. Das Extrablatt wurde verhältnismäßig kühl entgegengenommen. Nach den Mienen und Äußerungen des Publikums schien es sogar, als ob man etwas enttäuscht sei und etwas ganz anderes erwartet habe. Inzwischen aber hatte uns der Draht ganz andere Nachrichten übermittelt. Danach hatte Serbien eine ungenügende Antwort auf die österreichische Note erteilt, die diplomatischen Beziehungen waren abgebrochen und die Mobilisierung bekannt gemacht worden.
Das Publikum hatte sich in immer größerer Menge vor unserer Geschäftsstelle angesammelt. Damen und Herren, die unsere Expedition aufsuchen wollten, hatten Mühe, durchzukommen. Die fieberhafte Spannung wuchs, als bekannt wurde, daß ein zweites Extrablatt gedruckt werde. Als dann die ersten schmalen Extrablätter zur Austeilung kamen, war das Gedränge beängstigend. Die obere Bahnhofstraße war trotz des grauen Regenhimmels dicht mit Menschen besetzt, die die Extrablätter hastig an sich nahmen. Begeisterte Hochrufe erschollen. Es war, als ob die plötzliche – wenn auch verhängnisvollere – Wendung der Dinge sympathischer und befriedigender aufgenommen werde. „So ist’s recht, so muß es kommen, endlich mal Klarheit!“ So schwirrten die Meinungen durcheinander. Nicht allein von jüngeren Leuten, sondern auch von gereiften Männern aus allen Kreisen wurde dieser Meinung Ausdruck gegeben. Es gab natürlich auch Leute, die den Kopf schüttelten und von schwerer Zeit redeten. Dazwischen wurde „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen und Hochrufe ausgebracht. Um die Extrablätter schneller zur Verteilung zu bringen, wurden die Blätter packweise vom ersten Stockwerk unserer Geschäftsstelle herab geworfen.
Der Straßenverkehr war überaus lebhaft. Überall bildeten sich Gruppen, die, unser Extrablatt in der Hand, eifrig diskutierten. In den Wirtschaften war bis spät in die Nacht hinein reges Leben. Die Ereignisse mussten besprochen werden, ans Nachhausegehen dachte so leicht keiner. Auf dem Kaiserplatz veranstalteten Studenten vor dem Kaiser Wilhelm-Denkmal eine patriotische Kundgebung. Unsere Telephonleitungen wurden bis spät in die Nacht hinein in Anspruch genommen.
Aus allem aber hörte man die herzliche Brüderschaft, die Sympathie, die uns mit Österreich verbindet und das „Einigsein“ mit seinen Schritten wohltuend heraus.
In den Kreisen der Bürgerschaft äußerte sich am gestrigen Sonntag nach der Kenntnisnahme unserer Sonderausgaben eine Stimmung, wie sie sich ähnlich 1870 bei der Kriegserklärung gegen Frankreich kundgab. Der alte von Loe, der nachmalige Generalfeldmarschall, der 1870 unseren Königshusaren ein tapferes Vorbild war, erzählte in seinen Erinnerungsblättern mit besonderer Vorliebe von jenen ernst-erhebenden Bonner Tagen vor dem 70er Feldzug, wo unsere akademische Jugend sich mit heller Begeisterung freiwillig den Regimentern einreihte und mit den jungen Gelehrten darin wetteiferte, die von den Lehrstühlen und aus den Kliniken eilten, um der Sache des Vaterlandes ihre Kräfte zu leihen. Und auch in der übrigen Bürgerschaft Bonns lohte damals die Begeisterung hoch auf, als nach der denkwürdigen Szene zu Ems die Kriegswürfel gefallen waren und aus allen Ständen und Berufen die waffenfähigen Söhne zu den Fahnen eilten. Noch ist es heute nicht so weit, noch haben die Kanonen nicht gesprochen. Aber was sich beispielsweise gestern in der Poppelsdorfer Allee abspielte, wo die Menge nach den Klängen des Trompeterkorps, eben der alten „Lehm ops“, die „Wacht am Rhein“, das Preußenlied und die österreichische Nationalhymne sang, war ein würdiger Auftakt für die Stimmung, die uns erfüllen muß, wenn wir uns als Bonner unserer Väter würdig zeigen wollen.
Nicht minder erhebend wirkte es, als eine große Schar von Studenten vor das Haus des Universitätsrektors Geheimrat Schulte und vor die Villa unseres Herrn Oberbürgermeisters Spiritus zog, um hier ebenso wie vor dem Kaiser Wilhelm-Denkmal und dem Arndt-Denkmal und auf dem Markte Kundgebungen zu veranstalten, die von einer patriotischen Begeisterung unserer Jugend Zeugnis ablegten. Auch in den öffentlichen Lokalen zeigte sich eine österreich-freundliche, bundesbrüderliche Stimmung.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Vaterländische Kundgebungen fanden am Samstag und am Sonntag wie in anderen Städten auch in Bonn statt. Samstag abend zogen nach dem Bekanntwerden der Nachricht, daß Serbien die österreichische Note ungenügend beantwortet habe, Gruppen durch die Straßen und sangen die deutsche und österreichische Nationalhymne sowie die Wacht am Rhein. Eine Anzahl von Studenten zog vor das Kaiser-Wilhelm-Denkmal, andere zogen vor die Wohnung des Universitätsrektors, Geheimrat Schulte, der eine kurze Ansprache an die Studenten hielt. Auch bei dem gestrigen Promenadenkonzert in der Poppelsdorfer Allee kam es zu begeisterten patriotischen Kundgebungen.
Städtisches Gymnasium: Der Literarische Verein am Städtischen Gymnasium veranstaltetMittwoch Nachmittag ½ 7 in der Aula einen Unterhaltungsabend.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Die Kriegsnachrichten halten ganz Bonn seit Samstag abend in Aufregung und Spannung. In der Nacht zum Sonntag wurden die Straßen nicht leer, die größeren Gasthäuser waren bis zum Morgen geöffnet und von nichts anderem wurde gesprochen, als von den Nachrichten aus Wien und Budapest, die die Extrablätter der Zeitungen verbreitet hatten. Vor dem Hause der Deutschen Reichszeitung warteten am Samstag abend bis spät in die Nacht und den gestrigen ganzen Tag eine nach Hunderten zählende Menschenmenge auf die neuesten Depeschen. An vielen Stellen kam in patriotischen Liedern die allgemeine Sympathie für Oesterreich zum Ausdruck. In der Sonntagnacht wurde in den Gasthäusern und auf der Straße die deutsche und österreichische Nationalhymne und „Die Wacht am Rhein“ gesungen. Eine große Anzahl Studenten zog zum Kaiser-Denkmal und zum alten Zoll. Einer der Studenten hielt am Kaiser-Denkmal eine Rede, die in ein Hoch auf den deutschen und den österreichischen Kaiser ausklang, auf dem alten Zoll sangen die Studenten das Arndt’sche Freiheitslied: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte. Später zogen sie auch vor die Wohnung des Universitätsrektors. Auf die Ansprache eines Studenten erwiderte der Rektor mit einer kurzen Rede.
Auch bei dem Promenadenkonzert, das jeden Sonntag in der Poppelsdorfer Allee von einer Militärkapelle ausgeführt wird, kam es gestern mittag zu begeisterten patriotischen Kundgebungen. Als die Musik zum Schlusse „Heil Dir im Siegerkranz“ spielte, sangen viele Hundert mit und als die Nationalhymne geendet, brach die Menge spontan, wie aus einem Munde in eine dreifaches Hoch auf den Kaiser aus.
In Siegburg mußte die Pionierkapelle, die im „Herrengarten“ ein Konzert gegeben hatte, auf Wunsch der Zuhörer zum Marktplatz ziehen. Hunderte folgten ihr in langem Zuge und sangen zu den Klängen der Musik die österreichische Nationalhymne „Gotte erhalte Franz den Kaiser“ und „Die Wacht am Rhein“.
Auch in der vergangenen Nacht war es in den Straßen Bonns lebhafter als sonst. Gewitterschwüle liegt in der Luft, jeder spürt, daß ein großes Ereignis der Weltgeschichte seinen Anfang genommen hat.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Dienstag, d. 28. Juli
Angesichts der zunehmenden internationalen Spannungen kündigt der Bonner General-Anzeiger an, ab sofort neben der mittags erscheinenden Hauptausgabe bereits morgens um etwa 9 Uhr ein Extrablatt für den Straßenverkauf herauszugeben, um das Nachrichtenbedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen.
In Erwartung der Kriegsdepeschen. Fast jede Minute läuteten auch heute noch die Telephone unserer Redaktion. Privatleute, Geschäfte, Cafés, alles will wissen, wie sich die Lage gestaltet hat. Die Kriegsgefahr bildet überall das ausschließliche Unterhaltungsthema. Ueberall nervöse Aufregung, die sich auslösen muß, wenn stundenlange Ungewißheit den Menschen in Atem hält. Vor den Schaufenstern unserer Geschäftsstelle, auf den Plätzen und Straßen stehen die Passanten mit den neuen Ausgaben der Zeitungen in der Hand und das große Ereignis und seine möglichen Folgen für Deutschland lebhaft besprechend.
Ein schönes militärisches Schauspiel. Drei kriegsstarke Schwadronen der Bonner Königshusaren überschwammen heute morgen mit ihren Pferden bei Mondorf den Rhein. – Daß die gegenwärtige kriegsdrohende Zeit das Interesse an militärischen Uebungen gemehrt und vertieft hat, ward dadurch besonders ersichtlich, daß hunderte von Menschen sich eingefunden hatten, den interessanten Vorgängen zuzuschauen. (…) Die Uebung, die fast den ganzen Vormittag in Anspruch nahm, verlief sehr gut, ohne jeglichen Zwischenfall – nicht gerechnet, daß einige Reiter beim Aufsitzen vom Nachen aus mit dem Wasser in nähere Berührung kamen, zum Gaudium der Kameraden und Zuschauer. Es war eine Freude, dem kriegerisch anmutenden Treiben zuzusehen, dem sachgemäßen, zielbewußsten Handeln und Zufassen der Soldaten, dem mutigen Schwimmen der Pferde, die trotz aller Wellen ruhig und sicher neben den Kähnen dem Ufer zustrebten. Und so hat diese Uebung der Husaren wieder den militärischen Ausspruch bewiesen, daß es für die Soldaten nur Hindernisse gibt, damit sie überwunden werden.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Etwa 80 österreichisch-ungarische Staatsangehörige, die in Bonn und in den Nachbarorten wohnten, sind gestern dem Aufrufe des Generalkonsuls folgend, in ihre Heimat abgereist, um sich der Militärbehörde zu stellen.
Zur Beruhigung der Bürger, welche durch Guthaben bei der städtischen Sparkasse beteiligt sind, diene der Hinweis darauf, daß die Sparkassengelder als Privateigentum nach staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen vor dem Zugriff jeder Staatsgewalt im Krieg und Frieden geschützt sind, somit dauernd die größte Sicherheit bieten. Selbstverständlich würde auch im Falle einer Mobilmachung der Betrieb der Sparkasse aufrechterhalten bleiben.
Diese Bekanntmachung des Oberbürgermeisters von Köln verdient auch in Bonn veröffentlicht zu werden; denn es ist gestern ein wahrer Ansturm auf die Bonner städtische Sparkasse unternommen worden. Wenn es wirklich zu einem Kriege käme, an dem sich auch Deutschland beteiligen müßte (was aber nach der Lage der Dinge so gut wie ausgeschlossen ist), werden Geld und Wertsachen auf der städtischen Sparkasse sicherer aufbewahrt, als zu Hause.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Ippendorf, 27. Juli. Am Sonntag wurde im Lokale des Herrn Wilhelm Hülsmann ein Spielverein zur Förderung des Fußballs und der Leichtathletik gegründet. Dem Verein traten 18 Mitglieder bei.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Aus der Umgegend“)
Der Gestellungsbefehl der österreichischen Armee, der in den Tageszeitungen bekannt gegeben wurde, hat zur Folge gehabt, daß von Bonn aus im Laufe des gestrigen Tages etwa 130 österreichische Reservisten über Köln nach Österreich befördert wurden. ...
Falsches Gerücht. In der vergangenen Nacht war in Bonn und der weiteren Umgebung das Gerücht verbreitet, daß der deutsche Botschafter in Paris Frhr. von Schoen, ermordet worden sei. Große Menschenansammlungen fanden deshalb vor unserem Geschäftslokal statt und fortgesetzt erfolgten telephonische Anfragen. Als wir auf Grund genauer Feststellungen bei den Telegraphenbureaus durch Anschlag am Fenster kundgaben, daß es sich um ein unbegründetes Gerücht handle, wurde dies begreiflicherweise mit stürmischen Jubel begrüßt, und sichtlich beruhigt zerstreute sich das Publikum.
An der Rheinbrücke wurde gestern gegen Abend von einem Kriminalbeamten ein Automobil angehalten, in dem sich drei Herren befanden. Der Beamte ließ sich die Ausweispapiere der Insassen vorzeigen und fuhr zusammen mit den Herren nach der Polizeiwache. Wie es heißt, soll es sich um Herren aus Frankreich gehandelt haben, die bei der Fahrt von Beuel nach Bonn photographische Aufnahmen von der Rheinbrücke gemacht haben. Ob es sich um einen Fall von Spionage handelt, konnten wir auf unsere Anfrage bei der Polizei nicht ermitteln.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Konservative Vereinigung: Zu einer erhebenden nationalen Feier gestaltete sich das als Sommerfest geplante Fest der Konservativen Vereinigung, das Sonntag bei sehr zahlreicher Beteiligung in der Beethovenhalle stattfand. ... Dann nahm der geschäftsführende Vorsitzende, Landrichter a.D. Dr. Kaufmann das Wort zu einer Begrüßungsansprache. Er erinnerte an die ernste politische Lage. Ein Weltkrieg, bei dem ungeheure wirtschaftliche und ideelle Werte auf dem Spiel stehen, bedrohe uns. Die Entscheidung hänge von Russland ab, wenn es den Krieg wolle, werde Deutschland seinem Bundesbruder in unerschütterlicher Treue zur Seite stehen. Der Krieg, wenn er kommt, werde ein gerechter Krieg sein, denn es gelte, die germanische Art in Europa zu verteidigen. ... Gott schütze uns, damit der Rhein, den das Haus Hohenzollern jetzt 100 Jahre freigehalten habe, auch fernerhin deutsch bleibe.
Eine Mahnung zur Besonnenheit erlässt der Kölner Oberbürgermeister als Vorsitzender des Sparkassenvorstandes. Zur Beruhigung der bei der Städtischen Sparkasse durch Guthaben beteiligten Bürgerschaft diene der Hinweis darauf, daß die Sparkassengelder als Privateigentum nach staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen vor dem Zugriff jeder Staatsgewalt in Krieg und Frieden geschützt sind, somit dauernd die größte Sicherheit bieten. Selbstverständlich würde auch im Falle einer Mobilmachung der Betrieb der Sparkasse aufrecht erhalten bleiben. Um einem etwaigen unüberlegten Andrang des Publikums auf Auszahlung des Guthabens vorzubeugen, wird für alle Rückforderungen von mehr als 1000 Mark die Innehaltung der satzungsmäßigen Kündigungsfrist bis auf weiteres beansprucht werden.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“
Mittwoch, 29. Juli 1914
Am Tag zuvor, am 28. Juli, hatte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt.
In der Sternstraße wurde heute morgen ein Mann, der in die Lektüre eines Extrablattes über den österreichisch-serbischen Krieg vertieft war, von der elektrischen Straßenbahn angefahren und zu Boden geworfen. Auf ein Haar wären ihm die Räder über beide Beine gegangen.
Im Kriegsfalle sind Geld und Wertsachen bei der Sparkasse sicherer aufgehoben, als zu Hause, haben wir heute morgen schon betont, weil ängstliche Gemüter gestern ihre ganzen Spareinlagen aus Besorgnis, sie würden beim Ausbruch eines Krieges vom Staat beschlagnahmt, von der städtischen Sparkasse abgehoben haben. Von genau unterrichteter Seite erhalten wir dazu noch folgende Zuschrift:
Es ist wirklich albern, sich wegen der Sparguthaben selbst zu Kriegszeiten irgendwelche Gedanken zu machen. Nirgendwo sind die Spargelder besser aufgehoben und geschützt als gerade auf den Sparkassen. (…) Weitverbreitet ist die irrige Annahme, daß dem Staate im Falle eines Krieges das Recht zustehe, die in Sparkassen ruhenden privaten Gelder mit Beschlag zu belegen. Demgegenüber sei betont, daß diese Gelder auf Grund gesetzlicher Bestimmung, an die auch der Staat gebunden ist, unantastbar sind. Auch vor dem Feinde ist das Geld sicher; denn der vornehmliche Grundsatz des Völkerrechtes ist der, daß Privateigentum unverletzlich ist. (…) Allen Sparern kann daher nur empfohlen werden, das Geld ruhig auf der Sparkasse zu lassen, zumal für im Hause aufbewahrtes Geld große Gefahr des Verlustes besteht. Diebe und Feuer gefährden es, während es in den Sparkassengewölben sicher ruht und Zinsen bringt.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Mahnung zur Besonnenheit. Fast die gesamte deutsche Presse richtet an die Geschäftswelt und an die Kapitalisten den Appell, unbedingt Ruhe und kühlen Kopf zu bewahren und sich von übereilten Schritten zurückzuhalten, sowohl hinsichtlich der Effektenkäufe als auch der Depotabhebungen.
Telegrammverkehr. Wegen großer Anhäufung der Telegramme nach Oesterreich-Ungarn, den Balkanstaaten und Russland erleiden die Telegramme dorthin Verzögerungen.
Das Bonner Pfadfinderkorps wird nächsten Sonntag im großen Saale des Bonner Bürgervereins das wunderhübsche Lustspiel K. Gutzkows „Zopf und Schwert“ zur Aufführung bringen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“
Aufgeregte Stimmung herrschte gestern wieder in der ganzen Bevölkerung. Das Ausbleiben von positiven Nachrichten über den Stand der Dinge, allerlei wilde Gerüchte über Ermordung deutscher Diplomaten, deutsche Mobilisierung usw. ließen niemand zur Ruhe kommen. Hauptsächlich vor dem Geschäftslokale des General-Anzeigers staute sich besonders in den Abendstunden eine gewaltige Menschenmasse. Von der Ecke Martingasse bis zum Bahnhof war ein Verkehr namentlich in den Abendstunden kaum zu bewerkstelligen. Selbst als die Redaktion die letzte Depesche gegen 12 Uhr herausgab und ausdrücklich erklärte, weitere Nachrichten seien jetzt nicht mehr zu erwarten, wollten nur wenige von einem Nachhausegehen etwas. Die Depesche wurde von einigen stimmbegabten Leuten vorgelesen und mit etwas gedämpften Hurra begrüßt. Sie enthielt nämlich eine etwas beruhigende Mitteilung über die russische Mobilisierung. Es ist charakteristisch für die zur Zeit herrschende Volksstimmung, daß man lieber von Krieg gehört hätte. Ein altes Mütterchen, das in den ersten Reihen stand und wohl einen Sohn bei den Fahnen oder im Aufgebot wußte, hatte sich in die erste Reihe gedrängt. Sie wollte die ganze Nacht dableiben, auch wenn keine weiteren Nachrichten kämen, schlafen könne sie ja doch nicht!
Die Studentenschaft veranstaltete im Laufe des Tages einen Demonstrationszug zum Rektor der Universität. In den Cafés und Restaurants herrschte bis in die späte Nacht lebhaftes Treiben. Patriotische Lieder wurden gesungen und Hochrufe auf Kaiser Wilhelm und Kaiser Franz Josef ausgebracht.
Vorsichtsmaßregeln. Die Ahrbrücke zwischen Sinzig und Remagen wird zurzeit von Eisenbahnbeamten mit Karabinern bewacht. Ebenfalls sind Posten an den Bahnübergängen aufgestellt. Durchkommende Automobile werden visitiert.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Gassenpolitiker
Auch Bonn hat, wie die anderen großen Städten (sic), in diesen Tagen seine Gassenpolitiker. Nicht nur im Kaffee und im Bierhaus.; auch in der Gasse wird politisiert. Deutschnationale Ladenjünglinge und deutschvereinliche Studenten produzieren ‚Patriotismus’ mit Kehlen und Lippen auf Straßen und Plätzen. Bis tief in die Nacht dauert der Radau. Sinnlos brüllen sie durcheinander: wer will des Stromes Hüter sein, ich bin ein Preuße, Deutschland über alles. Die Herrschen, die sich hier mit großem Unverstand als die Hüter des Stromes ausschreien und mit der Lungenkraft eines Jahrmarktausrufers der ganzen Welt bekannt geben wollen, daß sie Preußen sind und daß ihnen Deutschland über alles geht, haben natürlich keine Ahnung, was ein Krieg bedeutet, den sie mit frevlem Leichtsinn herbeizuwünschen scheinen. Vermutlich würde ein großer Teil sich zu Muttern zurückwünschen, wenn die Flinten wirklich einmal losgingen und sie im Kugelregen ständen, wenn Garanten unter ihnen platzten und zerfetzte Gliedmaßen umherfliegen und Gehirne ihnen ins Gesicht spritzen; wenn rings die Greuel der Verwüstung sich häuften und am Boden elend die Verstümmelten sich wälzten und schrien. Das ist Krieg, meine jungen Herren! (...)
Die ganze Welt weiß schon, daß wir uns nichts bieten lassen wollen, wir brauchen es nicht erst hinaus zu schreien. Die Polizei sollte im allgemeinen Interesse Demonstrationen, wie sie gegenwärtig in der Dunkelheit auf Straßen und Plätzen verübt werden, untersagen und, wenn fruchtlos, wie jede andere Ruhestörung behandeln. Leider aber hat hier die Polizei bisher versagt. Einer ihrer Beamten hat sich sogar an einem Abend emporheben und auf Schultern tragen lassen und Ansprachen an die Kehlen- und Lippen"patrioten" gehalten. Es soll hier nicht untersucht werden, ob der Polizeibeamte zu einem derartigen Hervortreten berechtigt war. Doch muß hervorgehoben werden, daß derartige Zungenübungen nicht im Interesse des Friedens liegen. Jeder hier zufällig anwesende Ausländer muß eine merkwürdige Meinung von unsern jungen Leuten und unserer Polizei erhalten. Das Gemeingefährliche der unangebrachten Demonstrationen hat man in Berlin auch bereits eingesehen. Gegen die Umzüge ist ein direktes Verbot erlassen worden, was man hoffentlich hier nicht unbeachtet läßt.
Der Straßenlärm wird allerdings durch die marktschreierische Aufmachung unserer beiden Annoncenblätter geradezu gefördert. Beide überbieten einander in ihrem papierenen „Patriotismus". Der General-Anzeiger erzählt täglich, was sich vor ihrer Geschäftsstelle abspielt. Montag stellte sie tiefsinnige Betrachtungen an über die Begeisterung, die damals, nach der französischen Kriegserklärung, hier in Bonn herrschte, und der jetzigen, die nach den ersten Nachrichten über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien ausbrach. Nach der Schilderung des Hauptannoncenblattes für Bonn und Umgegend herrschte unter den Vielen, die seine Geschäftsstelle umlagerte, eine geradezu perverse Neugier. Die ersten Nachrichten, die eine friedliche Beilegung des Zwistes erwarten ließ, sollen die Wartenden enttäuscht haben, während die späteren Meldungen mit großer Befriedigung aufgenommen worden sein sollen. Die Aeußerungen des Publikums vor dem General-Anzeiger lassen, wie erzählt wird, allerdings die Deutung zu, es freue sich über den Ausbruch der Feindseligkeiten, die so ungeheuer schwere Folgen für ganz Europa haben können. Aber diese gedankenlosen Gaffer repräsentieren nicht die Bonner Bevölkerung, die in ihrer überwiegenden Mehrheit den Ernst des Augenblicks würdigt und die kindischen Demonstrationen der Urteilsunfähigen vor den Zeitungen und in den Gassen bedauern muß. Das sollten die Redaktionen unserer weitverbreiteten Annoncenblätter ernstlich beachten und alles vermeiden, was der ungesunden, eklen, geradezu gefährlichen Sensationslust der Gassen- und Kaffee- und Bierhauspolitiker Vorschub leistet.
(Volksmund, aus einem mit „Urban“ gezeichneten Artikel)
Donnerstag, 30. Juli 1914
Am 29. Juli hatte Russland die Teilmobilmachung ausgerufen. Die Bonner Zeitung meldet auf Seite 1: „Die drohende Kriegsgefahr macht sich besonders auch in den Sommerfrischen und Badeorten bemerkbar. Viele Gäste verkürzen ihren Aufenthalt draußen und reisen ab." Die Reichszeitung beruhigt ihre Leserschaft mit der Feststellung: „Alle Staaten scheinen endlich einzusehen, daß ein europäischer Krieg Dreiverband gegen Dreibund die grauenhaftesten Folgen haben würde und daß der Ruhm, den der Sieger vielleicht dabei davontragen würde, in absolut keinem Verhältnisse zu den Opfern stehen würde, welche der Krieg seinem eigenen Lande auferlegt."
Der General-Anzeiger kündigt einen erweiterten Nachrichtendienst an, solange die politische Krise anhalte. Die auswärtigen Korrespondenten seien angewiesen, „zweimal abends eine Information über die diplomatische Lage und die wichtigsten Ereignisse auf dem Drahtwege zu übermitteln". Die Bürger könnten so auch noch am Abend informiert werden. Eine kurze „letzte Depesche“ werde vor 23 Uhr an der Geschäftsstelle in der Bahnhofstraße ausgegeben.
Ruhig Blut! Diese Mahnung scheint mit Rücksicht auf die Vorgänge, die jeder gestern abend und in der letzten Nacht zu beobachten Gelegenheit hatte, angebracht zu sein. Wer ohne Voreingenommenheit den Gang der Verhältnisse verfolgt und dabei objektiv bleibt, hat keinen Grund, die Ruhe zu verlieren. Vaterländische Begeisterung ist gewiß sehr lobenswert, aber sie darf einer rechtfertigenden Grundlage nicht entbehren und muß sich vor allen Dingen in den richtigen Grenzen halten. Was aber in der letzten Nacht, zum größten Teil von halbwüchsigen Burschen, die einen über den Durst getrunken hatten, in einigen Straßen in der Nähe des Bahnhofes alles an Radau veranstaltet wurde, kann nimmermehr für sich den Namen „patriotische Begeisterung“ in Anspruch nehmen, sondern ist ein Auswuchs, der nicht entschieden genug bekämpft werden kann. Es ist zu bedauern, daß ein Teil jener Stimmungen, aus denen derartige Auswüchse entstehen, auf Nachrichten zurückzuführen sind, die sensationssüchtige Blätter verbreiten, Nachrichten, die bald von anderer Stelle widerrufen werden. Es empfiehlt sich gerade in solchen Zeiten, sich an die Meldungen der Blätter zu halten, die man als besonnen kennen gelernt hat und denen die Ruhe ein unerlässliches Gut geworden ist, die sie den klaren Blick nicht verlieren läßt. Sodann greife man auch nicht jedes Gerücht auf, das oft auch boshafter Weise in Umlauf gesetzt wird, und erzähle es als bare Münze weiter. Ruhiges Blut tut in solchen Zeiten mehr not als alles andere.
Die internationale Bahnstrecke auf der linken Seite des Rheines wird seit einigen Tagen an den Unterführungen und Uebergängen durch Posten bewacht. Kraftwagen und Fuhrwerke, die verdächtig sind, werden untersucht.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Zu Ruhe und Besonnenheit ermahnt die Ortsgruppen Bonn des Hansabundes die Bürgerschaft. Jeder möge in seinem Kreise dahin wirken, daß die politische Lage mit der Ruhe und Besonnenheit betrachtet werde, die mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und militärische Bereitschaft Deutschlands auch beim Eintreten schwerer Ereignisse am Platze sei. Insbesondere macht die Ortgruppe darauf aufmerksam, daß das unnötige Abheben von Spargeldern die Lage nur verschärfen würde. Übereilte finanzielle Maßnahmen können weder dem Interesse der Gesamtheit, noch dem einzelnen dienen.
Die Eröffnung der Jagd ist vom Bezirksausschuß in Köln wie folgt festgesetzt worden: für Birk-, Hasel-, Fasanenhähne und –hennen für den 30. September 1914, für Rebhühner, Wachteln und schottische Moorhühner für die Kreise Bergheim, Bonn Stadt und Land, Euskirchen, Köln Stadt und Land, Rheinbach, Sieg und Köln-Mühlheim auf den 25. August 1914. ... Die Schonzeit für Rehkälber wird auf das ganze Jahr 1914 ausgedehnt, ....
Im Rheinhotel Dreesen in Godesberg findet am heutigen Donnerstag abend ein großes Sommerfest mit Konzert, Tanz und bei günstigem Wetter italienischer Nacht auf dem Rhein statt.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Militärische Vorsichtsmaßnahmen. Unserer gestrigen Meldung tragen wir noch nach, daß auch die Bonner Rheinbrücke und die Viktoriabrücke seit gestern abend militärisch besetzt sind. Nicht allein im oberen und mittleren Rheingebiet, sondern auch im Saargebiet werden seit gestern alle Eisenbahnwege und Brücken scharf bewacht. Vornehmlich richtet sich das Augenmerk der militärischen Behörden auf die zahlreichen Eisenbahn-Tunnels, die auf der Strecke Aachen-Trier gebaut sind; sie werden besonders scharf bewacht.
Den ganzen Tag über kamen gestern Militär-Sonderzüge hier durch, die die Truppen von den einzelnen Uebungsplätzen nach ihren Stammorten zurückbrachten. Es handelt sich jedoch hierbei nicht um eine ungewöhnliche Maßnahme. Beim Passieren unserer Stadt brachen die Soldaten jedesmal in Hurrarufe aus, die von dem zahlreichen Publikum, das sich auf der Bahnhofstraße angesammelt hatte, erwidert wurden.
Krieg und Jugend. Welche Vorstellungen sich die Jugend vom Kriegführen macht, zeigt nachstehende ergötzliche Szene: Eine Anzahl Jungen, alle „bis an die Zähne bewaffnet“, betrat zum Spiel den „Kriegsschauplatz“: Tannenbusch. Hier teilten sie sich in zwei Kolonnen: „Österreicher“ und „Serben“. Nachdem sie sich auf einen gewissen Abstand von einander getrennt, nahmen sie Kampfstellung ein. Auf einen Pfiff begann der Vormarsch der „Truppen“. Vorsichtig, hinter Bäumen Deckung suchend, dann wieder platt auf dem Boden liegend und auf allen Vieren kriechend, so kam der „Feind“ einander näher. Allgemeine Spannung lag auf den Gesichtern. Da, auf einen Wink des Anführers springt die Truppe plötzlich auf und mit Hurra und gezücktem Säbel geht es auf den Gegner. Letzterer sah sich überrumpelt, geriet ins Wanken und floh bis auf den Anführer, welcher sich tapfer verteidigte. Aber er war der Uebermacht nicht gewachsen und bald lag er als Gefangener am Boden. „Dat gilt net“, protestierte er laut und schimpfte weidlich auf seine Untergebenen, die davongelaufen waren und sich nach und nach wieder einfanden. „Ihr seid doch Serbe, ihr könnt doch net gewenne“, sagte der gefangene Hauptmann – es waren nämlich die „Österreicher“, die in die Flucht geschlagen waren – „datt wär me doch zo domm; et wird noch emol von vüre angefange, die Schofsköpp han net opgepaßt.“ Die siegreichen „Serben“ wollten das natürlich nicht gelten lassen, aber in der Hoffnung, nochmals einen Sieg zu erringen, waren sie mit dem „Von-vüre-anfangen“ schließlich einverstanden. Diesmal kam es jedoch anders. Die „Serben“ bekamen Haue und mit viel Geschrei und Hurra konnten die „Österreicher“ ihren Sieg proklamieren. Nun war man zufrieden, denn so war die Sache in Ordnung.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Alles in die Garnisonen! Daß die in die Heimat beurlaubten Truppen gestern telegraphisch in ihre Garnisonen gerufen worden sind, bericheten wir schon in der Vorabend-Ausgabe. Auch die Regimenter, die in Elsenborn, Wesel und in der Senne jetzt größere Uebungen hatten, mußten die Uebungen abbrechen und in ihre Standorte einrücken. Gestern nachmittag fuhren mehrere Militär-Sonderzüge mit Koblenzer und Trierer Artillerie- und Infanteriemannschaften rheinaufwärts an Bonn vorbei. Die polizeiliche Bewachung der Unterführungen und Uebergänge der linksrheinischen Staatseisenbahn hat den Zweck, möglicherweise beabsichtitgte Störungen des Eisenbahnkörpers zu verhüten. Auch die Viktoriabrücke wird bewacht.
In der vergangenen Nacht zog eine große Menschenmenge unter Vorantritt des B.M.G.V. „Apollo“, patriotische Lieder singend, durch die Hauptstraßen der Stadt. Kurz nach Mitternacht versammelten sie sich vor dem Kaiserdenkmal. Der „Apollo“ trug mehrere vaterländische Lieder vor, der Vorsitzende des Vereins hielt eine Ansprache, die mit einem Hoch auf die drei verbündeten Fürsten schloß, die Menge sang dann „Heil Dir im Siegerkranz“, „Die Wacht am Rhein“ und „Deutschland über alles“. Die patriotischen Motive solcher Kundgebungen sollen anerkannt werden. Wir sind aber der Meinung, daß man angesichts des ungeheuren, folgenschweren Ernstes der politischen Lage mehr im Interesse des Vaterlandes handelt, wenn man Kundgebungen für den Frieden, statt Kriegsdemonstrationen veranstaltet. Die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine Ztg.“ schreibt in ihrer gestrigen Abend-Ausgabe: „Die kaiserliche Regierung teilt den Wunsch (Rußlands) auf Erhaltung friedlicher Beziehung und hofft, daß das deutsche Volk dies durch eine maßvolle Haltung unterstützt.“ Man entspricht also nicht dem Wunsche der Regierung, wenn man die Massen in Straßenkundgebungen für den Krieg begeistert.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Freitag, 31. Juli 1914
Am 30. Juli hatte Russland mit der Generalmobilmachung begonnen. In der Bonner Presse erwartet man nun die Mobilisierung des deutschen Heeres. Die Bonner Zeitung titelt „Auf des Messers Schneide", die Reichszeitung „Die Entscheidung steht unmittelbar bevor".
Die Rheinbrücke wird seit gestern abend 11 Uhr militärisch bewacht. Mannschaften des Infanterie-Bataillons stehen an beiden Seiten der Brücke mit scharfgeladenen Gewehren und begleiten jedes Fuhrwerk bis auf die andere Rheinseite. Die Brenner der Gaslaternen sind abgenommen worden, sodaß die Brücke nachts unbeleuchtet ist. Auf der Fahrbahn zwischen den Zahlhäuschen hat man schwere, eiserne Doppel-Tore angebracht, die jetzt zwar noch nicht geschlossen werden. Niemand darf auf der Brücke stehen bleiben.
Auf dem Dach des städtischen Gymnasiums steht eine starke Beobachtungsmannschaft, die mit Fernrohren bewaffnet, Ausschau über die Umgebung hält, wahrscheinlich um zu alarmieren, wenn ein feindliches Flugzeug in Sicht kommen sollte.
Die Kriegsunruhen haben eine panikartige Flucht der Kurgäste in den Bädern, sowie in den Sommerfrischen zur Folge. In Königswinter, das (wie wir berichteten) in diesem Sommer eine Rekord-Saison hatte, stehen Pensionen leer. Auch Honnef, Rhöndorf, Godesberg, nicht zuletzt Bonn selbst, hat unter der gespannten auswärtigen Lage sehr zu leiden.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Das Bonner Straßenbild, das schon in den letzten Tagen der politischen Krise sehr viel lebhafter bewegt war als sonst, hatte gestern alle Anzeichen einer starken allgemeinen Erregung. Kein Wunder. Als in den ersten Morgenstunden bekannt wurde, daß militärische Maßnahmen zur Bewachung der Rheinbrücke getroffen seien, mußte auch dem gemächlichsten Phlegmatiker der blutig schwere Ernst und die nahe Gefahr dieser Tage klar werden. Die Leute strömten in großen Mengen zur Brückenstraße, um das ungewohnte Bild der militärisch besetzten Rheinbrücke zu sehen. Überall fanden sich Gruppen zusammen und immer wieder wurde die politische Lage besprochen. Die Erregung stieg aufs Höchste, als kurz nach 6 Uhr durch die Extrablätter bekannt wurde, daß Russland seine Mobilmachung vervollständige. Was wird nun geschehen? Diese Frage stand in vielen Gesichtern zu lesen. Eine Frage an die Zukunft, die vielleicht schon in der nächsten Stunde in eine harte und schwere Gewißheit verwandelt sein könnte. Und eine bange Frage für alle, die sich über den Ernst dieses Tages nicht leichtfertig hinwegtäuschen. Vielen hilft der gute Humor und das leichte Blut des Rheinländers über das Schwere und Bange dieses Tages hinweg. Im Allgemeinen aber ist die Stimmung ernst. Ernst, aber gewiß nicht niedergeschlagen, und Gott sei Dank so froh, wie man sein darf, wenn man mit gutem Gewissen und festem Vertrauen zu seiner eigenen Kraft einer schweren Entscheidung entgegengeht.
Eine erhebende patriotische Kundgebung fand in der Nacht zum gestrigen Donnerstagum die zwölfte Stunde auf dem Kaiserplatz statt. Vom Dreikaisersaal aus, wo er zur Probe und zu einem kleinen Feste versammelt war, zog der Bonner Männer-Gesangverein Apollo in geschlossenem Zuge und unter Absingen patriotischer Lieder nach dem Kaiserdenkmal. Auf dem Weg über Remigiusstraße, Münsterplatz, Post- und Bahnhofstraße schlossen sich Hunderte von Passanten dem Zuge an, sodaß eine mehrere tausendköpfige Menge das Kaiserdenkmal umgab. Nach einem Gesangsvortrag des Apollo hielt dessen Vorsitzender, Landrichter Dr. Kaufmann, eine Ansprache. Er wies darauf hin, daß unser österreichisch-ungarisches Brudervolk im gerechten Kampfe stehe gegen einen frechen Störenfried, daß in diesem Kampfe Oesterreich auch deutsche Interessen, ja die Interessen der Zivilisation vertrete, .... In den Nöten der jetzigen schweren Weltlage blicke das deutsche Volk vol Liebe und Vertrauen auf seinen Kaiser, der der sicherste Hort des Friedens, aber zugleich auch der beste und berufenste Wahrer der Ehre und Würde des Reiches sei. ... Nach dem Absingen der Nationalhymne und der Wacht am Rhein ging die Versammlung in gehobener nationaler Stimmung auseinander. ... Es ist aber auch gut, wenn man draußen erfährt, wie das deutsche Volk trotz allem entschlossen ist, Blut und Leben für die Ehre Deutschlands einzusetzen.
Sie mögen sich schämen! Am Mittwoch in später Abendstunde stimmten in einer hiesigen Wirtschaft einige junge Leute, die den gebildeten Ständen angehörten, des süßen Weines voll, die Marseillaise an. Es waren keine Ausländer, es waren Deutsche die das taten! Der Stellvertreter des Wirtes schritt sofort ein und untersagte den jungen Leuten ihr unsagbar klägliches Beginnen. Sie mögen sich schämen!
Stadthalle: Das heutige, Freitag, Nachmittag in der Stadthalle stattfindende städtische Abonnementskonzert wird ausgeführt von der Musikkapelle der Bonner Königshusaren unter Leitung des Obermusikmeisters Bielefeld.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Die Rheinbrücke, die, wie bereits gestern kurz berichtet, seit Mittwoch abend 11 Uhr bewacht wird, war gestern den ganzen Tag über von dichten Menschenmengen umlagert. Gestern morgen wurden an der Bonner und der Beueler Seite schwere eiserne Abschlußtore angebracht und die telephonische Verbindung zwischen der Rheinbrücke und dem nahebei gelegenen Gebäude des städtischen Gymnasiums hergestellt, in dem die Ablösungsmannschaften untergebracht sind. Die Verproviantierung der Soldaten geschieht durch fahrbare Küchen. Eine eiserne Kette, die durch vier Mann gehalten wird, sperrt den größten Teil der Fahrbahn ab. Sämtliche Personenfuhrwerke werden einer scharfen Kontrolle unterzogen; die Insassen müssen vor der Brücke das Gefährt verlassen, während ein Soldat es besteigt und bis an das jenseitige Ufer mitfährt. Die Fahrgäste müssen den Weg über die Brücke zu Fuß zurücklegen. Die über die Brücke fahrenden Wagen der elektrischen Straßenbahnen wurden gestern gleich nach Abfahrt geschlossen. Niemand durfte sich auf dem Vorder- und Hinterperron aufhalten. Stehenbleiben auf der Brücke ist verboten. Die Brücke bleibt nachts jetzt bis auf ein Signallicht für durchfahrende Schiffe unbeleuchtet. Die Brennkörper der Straßenlaternen sind abgeschraubt. Von dieser Verordnung schienen drei Frauen, die sich gestern morgen auf der Brücke begegneten, nichts zu wissen. Sie unterhielten sich angelegentlichst über die Lage und blieben dabei mitten auf dem Fußgängerbankett stehen. Ein Offizier machten einen Wachhabenden auf die eifrig diskutierenden Frauen aufmerksam, u. als der Soldat ihnen in militärischem Ton „Weitergehen, nicht stehen bleiben“ zuflüsterte, stoben die Drei mit einem Aufschrei erschreckt auseinander. Eine Lachsalve begleitete die Frauen, die mit hochroten Köpfen das Weite suchten.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Es ist in Berlin ein Ultimatum beschlossen worden, so heißt es in den aufgeregten Gruppen, die ein gestern abend massenhaft verbreitetes Extrablatt einer hiesigen Zeitung studiert hatten. Der Inhalt desselben lautet:
„Berlin 30. Juli. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen (das weiß jedes Kind, D.R.) aber es ist begründete Annahme (!) vorhanden, daß keine 24 Stunden ins Land gehen werden, bis daß man weiß, ob Frieden ober Krieg. Der Störenfried ist einzig und allein Rußland. Es scheint (!), daß der Zar sich von der panslawistischen Klicke hat fortreißen lassen. Jedenfalls schreitet die russische Mobilisierung vorwärts (das weiß jeder schon seit gestern. D. Red.) Man nimmt an (!), daß in dem heute in Berlin stattgefundenen Staatsrat eine Art Ultimatum an Rußland beschlossen worden ist. In Paris herrscht wenig Kriegsstimmung, eher eine ängstliche Aufgeregtheit. England scheint (!) sachte von Rußland abzurücken.“
„Begründete Annahme“, „Es scheint“, „Man nimmt an“, „England scheint“. Wenn man mit solchen „es scheint“ und “man nimmt an“ sein Renommé als „gut unterrichtet“ begründen will, wäre es besser, daß dieses in einer Weise geschähe, die unserem Mittelstand und unsern Arbeitern nicht einen so enormen Schaden zufügte. Handwerker und Geschäftsleute erhalten nämlich auf Grund dieser Alarmnachrichten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt und dem Arbeiter borgt man keinen Pfennig mehr. Wenn man nun einmal den Drang in sich verspürt, „Es scheint“-Extrablätter herauszugeben, so wäre es besser, daß man denselben in gegenteiligem Sinne, der übrigens der Wahrheit bedeutend näher kommen würde, verwertete. Eine solche „Es scheint“-Nachricht wäre nämlich die, daß Rußland, da es Serbien nicht helfen will, durch seine Mobilmachungen einen Druck auf Oesterreich versucht, damit dieses den Bogen gegen Serbien nicht zu straff spannt.
Eine Folge der Alarmnachrichten. Als ein ganz neuer eigenartiger Sport wird zur Zeit versucht, den Wirten und Ladenbesitzern die kleinsten Beträge von 10-15 Pfennig mit einem 50-Markschein zu zahlen, um Silbergeld heraus zu erhalten. Bei vielen Geschäftsleuten ist durch diese Zahlungsart der Vorrat an kleinerem Geld ganz erschöpft, so daß sie dem Patrioten, der so wenig Vertrauen in Deutschlands Zahlungsfähigkeit setzt, die Zigarre oder das Glas Bier schenken müssen. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß auch das silberne 5-Markstück nur einen Silberwert von 2 Mark besitzt und daß für unser Papiergeld die Deckung in Gold bei der Reichsbank besteht.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)