Donnerstag, 30. Juli 1914
Am 29. Juli hatte Russland die Teilmobilmachung ausgerufen. Die Bonner Zeitung meldet auf Seite 1: „Die drohende Kriegsgefahr macht sich besonders auch in den Sommerfrischen und Badeorten bemerkbar. Viele Gäste verkürzen ihren Aufenthalt draußen und reisen ab." Die Reichszeitung beruhigt ihre Leserschaft mit der Feststellung: „Alle Staaten scheinen endlich einzusehen, daß ein europäischer Krieg Dreiverband gegen Dreibund die grauenhaftesten Folgen haben würde und daß der Ruhm, den der Sieger vielleicht dabei davontragen würde, in absolut keinem Verhältnisse zu den Opfern stehen würde, welche der Krieg seinem eigenen Lande auferlegt."
Der General-Anzeiger kündigt einen erweiterten Nachrichtendienst an, solange die politische Krise anhalte. Die auswärtigen Korrespondenten seien angewiesen, „zweimal abends eine Information über die diplomatische Lage und die wichtigsten Ereignisse auf dem Drahtwege zu übermitteln". Die Bürger könnten so auch noch am Abend informiert werden. Eine kurze „letzte Depesche“ werde vor 23 Uhr an der Geschäftsstelle in der Bahnhofstraße ausgegeben.
Ruhig Blut! Diese Mahnung scheint mit Rücksicht auf die Vorgänge, die jeder gestern abend und in der letzten Nacht zu beobachten Gelegenheit hatte, angebracht zu sein. Wer ohne Voreingenommenheit den Gang der Verhältnisse verfolgt und dabei objektiv bleibt, hat keinen Grund, die Ruhe zu verlieren. Vaterländische Begeisterung ist gewiß sehr lobenswert, aber sie darf einer rechtfertigenden Grundlage nicht entbehren und muß sich vor allen Dingen in den richtigen Grenzen halten. Was aber in der letzten Nacht, zum größten Teil von halbwüchsigen Burschen, die einen über den Durst getrunken hatten, in einigen Straßen in der Nähe des Bahnhofes alles an Radau veranstaltet wurde, kann nimmermehr für sich den Namen „patriotische Begeisterung“ in Anspruch nehmen, sondern ist ein Auswuchs, der nicht entschieden genug bekämpft werden kann. Es ist zu bedauern, daß ein Teil jener Stimmungen, aus denen derartige Auswüchse entstehen, auf Nachrichten zurückzuführen sind, die sensationssüchtige Blätter verbreiten, Nachrichten, die bald von anderer Stelle widerrufen werden. Es empfiehlt sich gerade in solchen Zeiten, sich an die Meldungen der Blätter zu halten, die man als besonnen kennen gelernt hat und denen die Ruhe ein unerlässliches Gut geworden ist, die sie den klaren Blick nicht verlieren läßt. Sodann greife man auch nicht jedes Gerücht auf, das oft auch boshafter Weise in Umlauf gesetzt wird, und erzähle es als bare Münze weiter. Ruhiges Blut tut in solchen Zeiten mehr not als alles andere.
Die internationale Bahnstrecke auf der linken Seite des Rheines wird seit einigen Tagen an den Unterführungen und Uebergängen durch Posten bewacht. Kraftwagen und Fuhrwerke, die verdächtig sind, werden untersucht.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Zu Ruhe und Besonnenheit ermahnt die Ortsgruppen Bonn des Hansabundes die Bürgerschaft. Jeder möge in seinem Kreise dahin wirken, daß die politische Lage mit der Ruhe und Besonnenheit betrachtet werde, die mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und militärische Bereitschaft Deutschlands auch beim Eintreten schwerer Ereignisse am Platze sei. Insbesondere macht die Ortgruppe darauf aufmerksam, daß das unnötige Abheben von Spargeldern die Lage nur verschärfen würde. Übereilte finanzielle Maßnahmen können weder dem Interesse der Gesamtheit, noch dem einzelnen dienen.
Die Eröffnung der Jagd ist vom Bezirksausschuß in Köln wie folgt festgesetzt worden: für Birk-, Hasel-, Fasanenhähne und –hennen für den 30. September 1914, für Rebhühner, Wachteln und schottische Moorhühner für die Kreise Bergheim, Bonn Stadt und Land, Euskirchen, Köln Stadt und Land, Rheinbach, Sieg und Köln-Mühlheim auf den 25. August 1914. ... Die Schonzeit für Rehkälber wird auf das ganze Jahr 1914 ausgedehnt, ....
Im Rheinhotel Dreesen in Godesberg findet am heutigen Donnerstag abend ein großes Sommerfest mit Konzert, Tanz und bei günstigem Wetter italienischer Nacht auf dem Rhein statt.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Militärische Vorsichtsmaßnahmen. Unserer gestrigen Meldung tragen wir noch nach, daß auch die Bonner Rheinbrücke und die Viktoriabrücke seit gestern abend militärisch besetzt sind. Nicht allein im oberen und mittleren Rheingebiet, sondern auch im Saargebiet werden seit gestern alle Eisenbahnwege und Brücken scharf bewacht. Vornehmlich richtet sich das Augenmerk der militärischen Behörden auf die zahlreichen Eisenbahn-Tunnels, die auf der Strecke Aachen-Trier gebaut sind; sie werden besonders scharf bewacht.
Den ganzen Tag über kamen gestern Militär-Sonderzüge hier durch, die die Truppen von den einzelnen Uebungsplätzen nach ihren Stammorten zurückbrachten. Es handelt sich jedoch hierbei nicht um eine ungewöhnliche Maßnahme. Beim Passieren unserer Stadt brachen die Soldaten jedesmal in Hurrarufe aus, die von dem zahlreichen Publikum, das sich auf der Bahnhofstraße angesammelt hatte, erwidert wurden.
Krieg und Jugend. Welche Vorstellungen sich die Jugend vom Kriegführen macht, zeigt nachstehende ergötzliche Szene: Eine Anzahl Jungen, alle „bis an die Zähne bewaffnet“, betrat zum Spiel den „Kriegsschauplatz“: Tannenbusch. Hier teilten sie sich in zwei Kolonnen: „Österreicher“ und „Serben“. Nachdem sie sich auf einen gewissen Abstand von einander getrennt, nahmen sie Kampfstellung ein. Auf einen Pfiff begann der Vormarsch der „Truppen“. Vorsichtig, hinter Bäumen Deckung suchend, dann wieder platt auf dem Boden liegend und auf allen Vieren kriechend, so kam der „Feind“ einander näher. Allgemeine Spannung lag auf den Gesichtern. Da, auf einen Wink des Anführers springt die Truppe plötzlich auf und mit Hurra und gezücktem Säbel geht es auf den Gegner. Letzterer sah sich überrumpelt, geriet ins Wanken und floh bis auf den Anführer, welcher sich tapfer verteidigte. Aber er war der Uebermacht nicht gewachsen und bald lag er als Gefangener am Boden. „Dat gilt net“, protestierte er laut und schimpfte weidlich auf seine Untergebenen, die davongelaufen waren und sich nach und nach wieder einfanden. „Ihr seid doch Serbe, ihr könnt doch net gewenne“, sagte der gefangene Hauptmann – es waren nämlich die „Österreicher“, die in die Flucht geschlagen waren – „datt wär me doch zo domm; et wird noch emol von vüre angefange, die Schofsköpp han net opgepaßt.“ Die siegreichen „Serben“ wollten das natürlich nicht gelten lassen, aber in der Hoffnung, nochmals einen Sieg zu erringen, waren sie mit dem „Von-vüre-anfangen“ schließlich einverstanden. Diesmal kam es jedoch anders. Die „Serben“ bekamen Haue und mit viel Geschrei und Hurra konnten die „Österreicher“ ihren Sieg proklamieren. Nun war man zufrieden, denn so war die Sache in Ordnung.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Alles in die Garnisonen! Daß die in die Heimat beurlaubten Truppen gestern telegraphisch in ihre Garnisonen gerufen worden sind, bericheten wir schon in der Vorabend-Ausgabe. Auch die Regimenter, die in Elsenborn, Wesel und in der Senne jetzt größere Uebungen hatten, mußten die Uebungen abbrechen und in ihre Standorte einrücken. Gestern nachmittag fuhren mehrere Militär-Sonderzüge mit Koblenzer und Trierer Artillerie- und Infanteriemannschaften rheinaufwärts an Bonn vorbei. Die polizeiliche Bewachung der Unterführungen und Uebergänge der linksrheinischen Staatseisenbahn hat den Zweck, möglicherweise beabsichtitgte Störungen des Eisenbahnkörpers zu verhüten. Auch die Viktoriabrücke wird bewacht.
In der vergangenen Nacht zog eine große Menschenmenge unter Vorantritt des B.M.G.V. „Apollo“, patriotische Lieder singend, durch die Hauptstraßen der Stadt. Kurz nach Mitternacht versammelten sie sich vor dem Kaiserdenkmal. Der „Apollo“ trug mehrere vaterländische Lieder vor, der Vorsitzende des Vereins hielt eine Ansprache, die mit einem Hoch auf die drei verbündeten Fürsten schloß, die Menge sang dann „Heil Dir im Siegerkranz“, „Die Wacht am Rhein“ und „Deutschland über alles“. Die patriotischen Motive solcher Kundgebungen sollen anerkannt werden. Wir sind aber der Meinung, daß man angesichts des ungeheuren, folgenschweren Ernstes der politischen Lage mehr im Interesse des Vaterlandes handelt, wenn man Kundgebungen für den Frieden, statt Kriegsdemonstrationen veranstaltet. Die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine Ztg.“ schreibt in ihrer gestrigen Abend-Ausgabe: „Die kaiserliche Regierung teilt den Wunsch (Rußlands) auf Erhaltung friedlicher Beziehung und hofft, daß das deutsche Volk dies durch eine maßvolle Haltung unterstützt.“ Man entspricht also nicht dem Wunsche der Regierung, wenn man die Massen in Straßenkundgebungen für den Krieg begeistert.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)