Montag, 5. Oktober 1914
Festgenommen wurde ein früherer Fürsorgezögling, der in ein Ziegelhäuschen an der Kölner Chaussee eingebrochen war und einige hundert Mark, zwei Uhren und sonstige Gegenstände stahl. Auf dem Weg nach Köln wurde er in Brühl verhaftet.
Erbrochen wurde ein Schaufenster der Buchhandlung Plaß auf dem Münsterplatz und der Inhalt gestohlen. Die Täter, zwei zwölfjährige Knaben, wurden festgenommen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Ein Kriegsgefangener schreibt aus York in England, daß er und noch eine ganze Anzahl Bekannte im Lager von York-Castle untergebracht seien. Die Behandlung und das Essen seien gut. Er habe fünf Pfund an Körpergewicht zugenommen. Die Gefangenen könnten sich alles aus der Stadt besorgen und spielten Schach und Skat von früh bis spät.
Keine „internationalen“ Schlafwagen mehr. Die seitherige Internationale Schlafwagengesellschaft lässt eben an ihren Wagen das Wort „Internationale“ durch „Deutsche“ ersetzen.
Warnung. Die Verunglückungen oder gar Todesfälle, hervorgerufen durch Flaschenmissbrauch und Flaschenverwechslung häufen sich. Die Ursache ist wohl darin zu suchen, daß Flaschen, die nur zur Aufnahme von Wein, Bier, Spirituosen, Selterswasser usw. dienen sollen, mit gesundheitsschädlichen Flüssigkeiten gefüllt werden. Zur Verhütung solcher Unglücksfälle wird daher das Publikum dringen davor gewarnt, Flaschen, die nur zur Aufnahme von flüssigen Nahrungs- und Genußmitteln bestimmt sind, mit anderen Flüssigkeiten zu füllen.
Kriegshumor. Ein Bonner Sänger, der bei einem der letzten Gefechte in Frankreich verwundet wurde und hier seine Genesung abwartet, wird von einigen Sangesbrüdern mit Beschlag belegt und zu einem Glas Bier eingeladen. Von allen Seiten wird er gefragt, wie und wo er zu seiner Verwundung gekommen sei. „Ja,“ meinte er, „was ist da viel zu erzählen; wir liegen nachts im Schützengraben, mein Hauptmann liegt neben mir. Es war noch zwischen Tag und Dunkel, da gings auf einmal Bum, Bum! „Donnerletsch, was sinn die Franzose avve hück pünktlich,“ sage ich, on lure ens op de Uhr. Et wore grad halleve Sechs! Minge Hauptmann laach us vollem Hals. Ich lure ens üvve de Grave, ön ze senn, woher die Schöß komme, on paaf, do hann ich ene setze! Dat es alles.“
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Sendungen von Liebesgaben. Täglich findet man den Notschrei um Zusendung von Tabak, Wollsachen, Zeitungen usw. an unsere Truppen im Felde. Jeder tut was er kann, um der Not unserer Soldaten zu steuern. Aber wo bleiben denn viele dieser Liebesgaben? Hunderte derartige Klagen hört man. Schreiberin hat seit Ausbruch des Krieges 120 Zigaretten, sechs mal Schokolade, eine Taschenlampe und vier Ersatz-Batterien gesandt, alles sehr gut verpackt und vorschriftsmäßig frankiert, aber noch nichts von alledem ist angekommen. Fast mit jeder Post kommen Anfragen aus dem Felde, geschrieben im schwersten Granat- und Schrapnellfeuer: Warum schreibt Ihr nicht? Ich bat Euch doch, schickt mir etwas zum Rauchen, sendet mir eine Taschenlampe, etwas Schokolade usw. Habt Ihr mich denn schon ganz vergessen? Gerne will ich Euch alles wieder gut machen, wenn ich nach Hause kommen sollte usw. Das tut weh, wenn man alles gemacht hat, um die Seinen im Felde zufrieden zu stellen. Unter diesen Umständen wird wohl bald eine Entmutigung zum Geben die Folge sein. Hoffentlich wird diesem Uebelstande bald gesteuert, denn unsere Soldaten im Westen wie im Osten werden mit größerem Mut kämpfen, wenn sie wissen, daß die Verbindungen mit ihren zurückgelassenen Lieben nicht abgeschnitten sind. Eine traurige Mutter.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)
Auf der Wahner Heide.
Jahraus, jahrein, das ganze Jahr hindurch herrscht auf der Wahner Heide, richtiger im Barackenlager Wahner Heide, reges militärisches Leben und Treiben. Ein großer Teil der Artillerie, die im westlichen Deutschland in Garnison steht, hält hier ihre Schießübungen; zieht das eine Regiment ab, rückt ein anderes auf dem Fuße nach. In endloser Kette reicht eine Truppe der anderen kameradschaftlich die Bruderhand. Seit 40 und mehr Jahren ist dies so.
Da dröhnt auf einmal in diese festgefügte, jahrzehntelange Regel der gellende Ton der Kriegstrompete. Der Krieg, auf den alle die vielen Jahrgänge sich hier vorbereitet, ruft zu ernstem blutigem Streit. Auch der Krieg leerte das Lager nicht: in ununterbrochenem Strome sind hier Truppen ein- und ausgezogen in diesen wenigen Wochen. Aber er brachte etwas neues: die Früchte unserer siegreichen Kämpfe in Feindesland, Gefangene. Schon die ersten Kriegswochen brachten sie; jetzt liegen tausende hier, Belgier, Engländer und Franzosen.
Das Lager wird in seiner ganzen Länge von dem uralten Verkehrswege, dem rechtsrheinischen Mauspfade durchzogen, den die Lagerverwaltung zu einer breiten, mit mehreren Baumreihen bestandenen prächtigen Straße ausgebaut hat. Westlich dieser Straße liegen die Mannschaftsbaracken, die jetzt bis zum letzten Platz mit jungen Soldaten, die hier noch zum Krieg vorbereitet werden, und mit Landwehr und Landsturm belegt sind, die „Schildwach stehen und Patrouille gehen“. Nördlich der Lagerstraße erheben sich die Dienstgebäude, die Offizierswohnungen, die Post und das Lazarett, und hinter dieser Gebäudereihe liegen die Unterkunftsräume der Gefangenen. Durch die Gatter und Zäune sieht man die Rothosen hin- und hergehen. Doppelte und dreifache Posten stehen mit geladenen Gewehren umher und Patrouillen gehen zu dreien die breite Lagergasse auf und ab, im Arm das scharf geladene Gewehr. Niemand darf stehen bleiben.
Hin und wieder zieht ein Trupp Gefangener, die von Soldaten und Bürgern, auch vielen Frauen, die ihre hier liegenden Männer besuchten, stark belebte Straße hinab. Hier ihrer acht, die zum Arbeitsdienst bei irgend einem Bauer der Nachbarschaft geführt werden. Mittelgroße Leute sinds; an den dunkelblauen Hosen tragen sie breite rote Streifen, kurze blaue Jacken und die blauen Käppis kennzeichnen sie als französische Artilleristen. Einer von ihnen hat sicher die Fünfzig überschritten; sein Käppi sitzt auf eisgrauen Haaren. – Dort kommen ihrer drei gezogen; zwei Rothosen in kurzen Arbeitsjacken und rotem Käppi: Infanteristen. Zwischen ihnen marschiert ein baumlanger Araber in schmutzigem Leinenanzug; die Beine sind bis zu den Knien mit Wickelgamaschen umzogen; auf dem Kopfe sitzt keck eine hellblaue bootartige Mütze. – Da rollt eine Art Geschäftswagen vorbei; er kommt aus dem Lazarett. Auf dem Bocke sitzt ein schuhloser Franzos im langen Mantel, roten Hosen und seinen weißen Strümpfen. Den Arm trägt in der Binde und Schmerz durchzuckt sein dunkles bartumrahmtes Gesicht. An ihn lehnt sich ein dunkel gekleideter Artillerist mit verbundenem Kopfe. Auf dem Boden des Wagens sitzen, angelehnt an die niederen Wagenwände, wohl zwanzig verwundete Belgier, deren Köpfe derart verbunden sind, daß nur Augen und Nasen zu sehen sind. Dunkle Mäntel verdecken die Glieder. Kaum ist der traurige Transport vorüber, so zieht aus einer Nebengasse ein Trupp von einigen hundert Franzosen heraus. Infanterie und Artillerie, Turkos und Spahis und einige Zivilgefangene in bunter Reihe. Unter nicht zu starker Eskorte wandern sie den Mauspfad hinauf; in den Händen, auf den Schultern Aexte, Beile und Spaten, auf die Heide und in den Wald zur Arbeit. Der Sand des Weges wirbelt unter ihren Tritten auf und zieht als lange Fahne hinter ihnen her. Wie roter Mohn leuchten die Hosen der Infanteristen aus der Staubwolke und zwischen den grünen Kiefernwänden des Weges noch weithin, als die grau montierten Begleitmannschaften schon längst dem Auge unsichtbar geworden.
Eine eigentümliche Rolle spielen die gefangenen Engländer hier. Sie werden gewissermaßen als Burschen unserer Leute verwendet; morgens reinigen sie deren Baracken und den Tag über sieht man sie in allen Ecken und Winkeln mit dem Besen in der Hand die Gassen und Straßen des Lagers kehren. Die man zu Gesicht bekommt, sind bartlose Menschen von Mittelgröße und unbestimmbaren Alter. Ihre Monturen sind sehr vorzüglich von Stoff und von einer Farbe, die man mit froschgrün-gelb bezeichnen möchte. Mit den kurzen Schoßjacken, ohne jeden sichtbaren Knopf oder Abzeichen und den alltäglichen Schirmmützen hielt man sie für Touristen, wenn ihnen nicht die geladene Flinte auf dem Fuße folgte. Sitzen sie am Straßenrand, oder fegen in einer Straße, so übersieht man sie vielfach, so gut passen sich ihre Uniformen der Umgebung an. Die Burschen treten sehr keck und selbstbewusst auf und sind von unseren Leuten nicht so gelitten wie die Franzosen.
Kurz vor Forsthaus Grengel liegt die Arbeitsstätte der Gefangenen, die sich bis zur alten Kölnerstraße erstreckt, die hier den Mauspfad kreuzt. Hier arbeiten sie nach Anweisungen von Beamten und ihrer Vorgesetzten, und diese Arbeit ist in mehr denn einer Hinsicht sehr interessant. Die Leute arbeiten vor allen Dingen ganz gemächlich, genau so, wie unsere zum Arbeitsdienst kommandierten Soldaten. Die einen fällen die beindicken Kiefern, andere hauen die Aeste ab und wieder andere schleppen das Holz auf Haufen. Die Säger sind meist Artilleristen; man sieht, es schlägt so etwas in ihr Handwerk, den Batterie- und Schanzbau. Und hier fallen die vielen alten Leute, besonders bei der Artillerie auf; es sind nicht wenige Fünfzigjährige darunter. Sie sollten nur zur Besetzung der eingenommenen Festungen herangezogen werden, wurden dann aber vom Schicksal ereilt, in die wie ein Donnerwetter über sie hereingebrochenen Schlachten verwickelt und gefangen. Bei der Infanterie sind die Leute durchweg jünger.
Mit gemächlicher Gleichgültigkeit arbeiten die Gefangenen; mit weiten langsamen Schritten schleppen sie Stämme und Aeste bei Seite, wie Leute, die noch viele, viele Zeit vor sich haben. Unter ihnen tragen einige rote Armbinden; es sind Dolmetscher, die unsere Sprache verstehen. Die Ordnung wird von einigen Korporalen, einem von der Artillerie und einem Infanteristen und einem Sergeant-Major der Artillerie aufrecht gehalten und man muß sagen, diese Vorgesetzten haben ihre Leute in der Hand. Besonders der alte Sergeant-Major, ein Rang, der unserem Feldwebel entspricht. In der Hand hat er ein kleines Stöckchen, wohl nur um etwas in der Hand zu haben; damit winkt und dazwischen schreit er seine Kommandoworte unter die bunte Gesellschaft, und die folgt lautlos den Anweisungen. Die Korporale zeichnet eine schmale Goldtresse am Käppi und eine breite Quertrsse am linken Unterärmel aus. Der Sergeant-Major trägt neben der Käppitresse einen mächtigen Goldtressenwinkel auf dem Unterarm.
Die Gefangenen machen den Eindruck von Menschen, die sich nach großer Not geborgen fühlen. Die einen rauchen ihr kurzes Pfeifchen, andere drehen sich gemütlich eine Zigarette und brennen sie bei einem Kameraden an. Die meisten sind im Besitze von Uhren, die im Lederarmband oder in der Hosentasche an dünner Kette getragen werden. Die Monturen sind bei allen hier arbeitenden Leuten noch in vorzüglichem Zustande; man sieht, daß sehr gute Stoffe, gute Wolle und dauerhafte Farbe dazu verwandt worden sind. Auch das empfindliche rote Tuch der Hosen und Käppis hat sich recht gut gehalten. Zu bedenken ist allerdings, daß die Gefangenen aus der Festung Maubeuge stammen und die Uniformen vom eigentlichen Felddienst wenig mitgenommen wurden. Viele tragen unter der Hose auf dem Hemde die bei den Franzosen herkömmliche Leibbinde gegen Erkältungen des Unterleibes. Wie auch unsere Soldaten tragen alle eine Halsbinde, hier von dünnen blauen Stoff. Wenige haben den weiten schweren Mantel an; die meisten arbeiten in kurzen Jacken oder eigentümlichen Schoßröcken, ähnlich unseren Waffenröcken. Keinem fehlen die Ledergamaschen; bei dem einen sind sie hoch und steif, bei anderen kurz und schmiegsam.
Ein eigentümliches buntes Gewimmel herrscht auf dieser Gefangenen-Arbeitsstätte. Mit dem Halbdunkel des Waldes mischt sich die leuchtende Farbe der seltsamen Uniformen, dem Rotbraun der Kiefern, und dem grauen Sandboden. Die Sägen kreischen, Axtschlag hallt und fremde Laute schwirren daher. Da blitzt es von fernher den Waldweg herauf; Helme und Büchsen funkeln im Sonnenlicht. Ein Bataillon Jungmannschaften zieht vorbei. Da verhalten die Fremdlinge die Arbeit und schauen und staunen und schütteln die Köpfe. Die ferne Heimat voller Feinde, das Land, das sie in endlos scheinender Bahnfahrt durchzogen, noch voller Soldaten und unzählig wie der Sand der Heide auch hier die Krieger der Deutschen! Seufzend bücken sie sich zur Arbeit nieder.
Auf der Höhe des abgeholzten Hügels aber reckt bald hier bald dort sich einer der Gefangenen und wirft bange sehnsüchtige Blicke über die weiten Wälder, das weite flache Land, über den Strom nach der Abendsonne, die im Westen hinter großen Stadt mit den Riesentürmen ihres Domes versinkt. Dort liegt die Heimat. Rot malt die Sonne den Abendhimmel; blutrot. Ein Sinnbild! Ahnung! Werden noch Ströme von Blut fließen, bevor die Sehnsucht gestillt werden kann!
Abenddunkel überzieht die Wald- und Heidehügel des großen Schießplatzes. Da schallen Kommandos; die Gefangenen richten sich auf, recken die müden Glieder und ordnen sich zum Zuge. Mit hängenden Köpfen, müden langen Schritten ziehen sie den Baracken zu.
In den Lagergasse schreiten die Schildwachen auf und ab. Vor den Baracken stehen unsere Soldaten, alt und jung zu Hauf und besprechen leis und ernst den fernen Krieg.
(Bonner General-Anzeiger)