Sonntag, 30 August 1914
Die Hauptsammelstätte des Vaterländischen Frauen-Vereins Stadtkreis Bonn, in der Lese, bittet um Ueberweisung von Leinen, Stoffen, Wolle, und dergl., durch deren Verarbeitung bedürftigen Frauen und Mädchen Verdienst geschaffen werden soll.
In der Verlustliste Nr. 13 werden vom Landwehr-Regiment Nr. 65 in Koblenz als vermisst angegeben der Landwehrmann Joh. Roth aus Dransdorf, als verwundet der Wehrmann Joh. Pfaffenholz aus Meckenheim und der Wehrmann Joh. Schneider aus Oberwinter. Von dem Husaren-Regiment Nr. 7 in Bonn gibt die Verlustliste Nr. 13 den Vizewachtmeister Rud. Rendler als verwundet an.
Ein Zug Schwerverwundeter kam gestern Nachmittag hier an. Es wurden davon ungefähr 130 in hiesigen Lazaretten untergebracht, die übrigen nach Brühl weitertransportiert.
Ein Soldatenbrief. Von befreundeter Seite erhalten wir folgenden Brief eines jungen Bonners, der als Artillerist die Belagerung von Namur mitgemacht hat:
Vor Namur, 25. August
Liebe Eltern,
Schreibe Euch hier den versprochenen Brief. (...) Am schlimmsten ist die Zivilbevölkerung. Hier ist ein kleines Städtchen Ordenne [Andenne]. Von dort wurden wir und Infanterie stark beschossen. Natürlich wurden nun die Häuser gestürmt und die betr. Zivilisten gefangen und erschossen. Ebenso wurden die Läden ausgekauft und die Möbel in Ordnung gestellt, dann der ganze Kram angezündet. Im großem und ganzen schrecklich, wenn man die Toten alle sieht. Jetzt bin ich schon daran gewöhnt. Wir beköstigen uns hauptsächlich von Fleisch und Kartoffeln, welche wir vom Felde nehmen. Kühe usw. werden einfach geschlachtet und geteilt. (...)
[In Andenne wurden am 20. August von deutschen Truppen mehr als 200 Zivilisten hingerichtet und zahlreiche Gebäude niedergebrannt.]
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Im Lazarett. In der Beethovenhalle: sonst harmonische Offenbarungen auserlesener Musikfeste, rauschende Feste, helle Luft fröhlicher Stunden in jedem Winkel und jetzt – Schmerzlaute wundgeschossener Soldaten. Der große Saal, Bonns feierlichste Musikstätte, ist in ein Kriegslazarett umgewandelt. Reihe an Reihe stehen Betten mit verwundeten Soldaten: deutsche und französische. National-Unterschied wird nicht gemacht. Hier gilt einer wie der andere. Deutsche oder Franzosen, es sind Menschen, die für ihr Vaterland gekämpft und geblutet haben.
Es ist still hier, und nur ab und zu seufzt, stöhnt ein wunder Soldat auf seinem Lager. Graue Krankenschwestern gehen sanft, geräuschlos von Bett zu Bett, richten Kissen und Decken, reichen Durstlippen kühlen Trank und Speise. Aerzte in weißen Kitteln untersuchen mit gewissenhafter Sorgfalt die Wunden, lösen blutbefleckte Verbände, legen neue an, oder stehen leise beratend zusammen. Herber Jodoformgeruch durchzieht die Halle, vermischt mit süßlichem Duft letzter Sommer- und erster Herbstblumen, die freundliche Hände in reicher Fülle hier zusammentrugen. Für die Soldaten auf ihrem Schmerzenslager ein lieber Augenrichtpunkt. Rote Rosen, gelbe Sommerblumen, weiße Nelken, flammende Georginen und bunte Dahlien machen den Ernst des Bildes milder. Man versteht den Blick des Soldaten von den Betten zu den Blumen: in der Heimat im Frieden seines Hauses mögen vor seinem Fenster oder im kleinen Gärtchen auch solche Blumen sein und Frauenhände, die sie pflegen. Dieser Heimgedanke macht den Schmerz leichter, die Gedanken schwingender.
Die Augustsonne fällt schräg durch die Oberlichtfenster, wirft blinkende Lichter auf die Bett-Messingteile, die Geräte des Arztes und auf die Blumenschalen. Ueberall peinliche Sauberkeit. Kaum daß einige kleine Staubpünktchen in den schrägen Lichtbalken auf- und niedertanzen. Die Sonne scheint auf die vielen roten Franzosenkäppis, die über den Kopfenden der Betten an den Namentafeln der Verwundeten hängen. Aber auch ohne die Franzosenkäppis kennt man die Welschen. Der Typ weicht ab von unseren deutschen breitknochigen Soldatenantlitzen. Jene sind durchweg kleiner und haben, wie das Zola einmal treffend gesagt, „nervöse, zigarettendurchqualmte Soldatengesichter.“
Die hier liegen, sind durchweg schwerer mitgenommen; man sieht, die Unsrigen schießen gut. Stehen sie sich im Felde als Feind gegenüber: hier kennt man das Wort nicht. Ein kleiner schwarzer Franzose, dem das Geschoß den rechten Arm wegriß, will vergebens nach seinem Taschentuch greifen, das ihm zu Boden gefallen ist. Daneben ein baumlanger deutscher Grenadier, der selbst in Schmerz liegt, sieht das und hebt unter Anstrengung das Taschentuch des Franzmanns auf. „Da,“ meint er gutmütig. Der sagt leise: „Merci Monsieur“. Und immer wieder gehen graue Schwestern an den Reihen vorbei mit Trostworten und Linderung. Die Zeitung kommt und danach greifen sie hastig. In großer Druckschrift liest man von einem neuen Sieg deutscher Waffen an der Westgrenze. Und wieder beobachtet man: in den deutschen Augen ist frohbegeistertes Aufleuchten, heller Siegesjubel. Einer schlägt mit der gesunden Faust auf den Bettrand und sagt: „Wenn man doch wieder dabei wäre!“ Instinktiv fühlen die Franzosen, was die Augen der Deutschen heller macht, und einige drehen sich, so der Schmerz es erlaubt, auf die andere Seite.
Ueber der neuen Siegesfreude rückt wieder ein neuer Verwundetentransport an. Rote Kreuz-Leute mit Tragbahren, Soldaten der verschiedensten Waffengattungen, zerschossen, mit verschwitzten Kleidern, blutbefleckten Röcken und Verbänden. Aber auch sie umfängt bald die kühle Friedensstille der Lazaretthalle und gewaschen, gereinigt, verbunden und gestärkt liegen sie in den sauberen Betten und werden gehegt, gepflegt von den grauen Krankenschwestern. Bis die Wunden verheilt, haben Deutsche und Franzosen, die sich für ihr Vaterland schlugen, hier eine Stätte, die so gut ist, wie die, wo die Mutter für sie sorgte.
Und dem Beobachter geht der Gedanke durch den Kopf: Ob auch unsere deutschen Jungens, die zerschossen in Feindesland liegen, ebenso gut aufgehoben sind?
Ehe man die Halle verläßt, wirft man noch einen Blick auf die Habseligkeiten der Franzosen, die in einem abgeschlossenen Raum aufbewahrt liegen. Und da will einem das Kopfschütteln kommen. Wie können Soldaten mit diesem Plunder siegreich sein? Abgesehen von den Uniformstücken, die nichts, aber auch so gar nichts von deutscher „Däftigkeit“ haben, ist es das Schuhwerk und die Fußbekleidung, die das Minderwertige des französischen Soldatentums kenntlich macht. Da liegen zwischen den roten Hosen, blauen Jacken, Koppeln, Gamaschen eine Menge dünne bunte Florstrümpfe, wie die Damen sie tragen. Und mit diesen lila und grünen Söckchen sollen die Franzosen Tagemärsche machen! Die ganze Ausstattung mit Unterzeugen mutet an, wie aus einem Zigeuner- und nicht aus einem Soldatenlager. Dann denkt man mit Stolz und Freude an unsere Jungens und an ihre Ausrüstung, wie sie von Kopf bis zu Fuß ausgestattet sind, däftig, solid bis zum letzten Knopf.
Und dann weiß man, daß die Dinge ihren Lauf so nehmen müssen, wie sie sich bis jetzt mit geradezu mathematischer Sicherheit und Genauigkeit entwickelt haben.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Ihre königliche Hoheit, Frau Prinzessin Adolf zu Schaumburg-Lippe, besuchte gestern das Lazarett I sowie die Kliniken unter Führung von Geheimrat Schulze und Prof. Hoffmann. Vorgestern hatte sie den Verwundeten in der Beethovenhalle einen Besuch abgestattet. Als sie wieder auf die Straße trat, hatte sich eine größere Menschenmenge angesammelt, die gerade von den letzten Siegen an der Westgrenze erfahren hatte. Mit jubelnder Begeisterung und lauten Zurufen wurde die Prinzessin begrüßt.
Kindesaussetzung. Ein 21 Jahre altes Dienstmädchen aus Bonn war im Juli ds. Js. aus einer hiesigen Anstalt entlassen worden. Mit ihrem Kind kam es dann nach Köln und trieb sich in der Nähe der Andreaskirche umher. Einem dort stehenden Manne fiel das Mädchen durch sein scheues Wesen auf und er ging ihm eine Zeitlang in Begleitung eines Schutzmannes nach. Verschiedentlich machte das Mädchen den Versuch, das Kind irgendwo hinzulegen, es wurde aber immer durch Passanten gestört. So kam es schließlich auf die Straße Unter Sachsenhausen. Hier beobachteten die beiden Verfolger, wie das Mädchen in einen Torweg hineinging und bald nachher ohne das Kind wiederkam. Es sah sich schnell nach beiden Seiten um und wollte sich eiligst entfernen. Die Davoneilende wurde aber von dem Beamten zur Rede gestellt und zeigte nun auf Verlangen, wo sie das Kind hingelegt hatte. Es war hinter einen Flügel eines großen Tores geschoben worden. Nun hatte sich das Mädchen wegen Kindesaussetzung vor der Kölner Strafkammer zu verantworten. Es gab die Tat im allgemeinen zu und machte zu seiner Entschuldigung geltend, daß sie aus Not gehandelt habe. Das Gericht zog dies bei Feststellung der Strafe in Betracht und beließ es bei der geringst zulässigen Strafe von sechs Monaten Gefängnis.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)