Montag, 8. Oktober 1917
Deutschlands Finanzlage in Gegenwart und Zukunft. Ueber diese Aufgabe sprach Samstag abend Bankdirektor Steinberg in dem neuen großen Hörsaal in der Universität vor einer großen Zuhörerschaft. Der Vortragende erwähnte einleitend die jüngsten großen Erfolge unserer Kämpfer in Ostgalizien, Kurland und Flandern sowie unserer Unterseeboote. [...]
Ein Volk, in dem ein solcher Heldengeist wohnt, kann hoffnungsfreudig und vertrauensvoll in die Zukunft blicken. Voraussetzung ist allerdings, daß auch die Heimat bis aufs äußerste ihre Schuldigkeit tut in dem Kampfe, der doch allein zu ihrem Schutz ausgefochten wird. Der Redner schilderte dann unsere günstige wirtschaftliche Lage: unser Nationalvermögen, das unter Berücksichtigung des verringerten Geldwertes auf 450 Milliarden Mark zu schätzen ist, die Arbeitsfreudigkeit, Erfindungsgabe und Anpassungsfähigkeit des deutschen Volkes, seine wissenschaftliche Schulung und Organisationskunst, die zur Volksernährung ausreichenden Ernteerträge, die Bodenschätze und vor allem die Steuerkraft, um darzulegen, auf wie starken und sicheren Grundlagen unsere Staatsfinanzen beruhen und wie grundlos sich die Befürchtungen erweisen dürften, die hie und da mangels genügender Sachkenntnis gehegt werden. [...] Wir müssen aber vor allem bedenken, was für uns auf dem Spiele steht. Wir kämpfen für unser Dasein und unsere Zukunft. All der Heldenmut unserer siegreichen Heere würde vergeblich sein, wenn unsere gebefreudige Hand erlahmen und wir zögern würden, die Mittel bereitzustellen, die die unerläßliche Voraussetzung bilden für die Beschaffung von Wehr und Waffen. Einen ehrenvollen Frieden erlangen wir niemals durch versöhnliches Entgegenkommen, sondern nur durch kraftvolle, achtungsgebietende Leistungen vor und hinter der Front. Unsere Kameraden und Brüder an der Front haben diese Leistungen in einer Weise vollbracht, daß ein großes Staunen über den ganzen Erdball geht. Niemals vermögen wir hinter der Front, es ihnen gleich zu tun, wohl aber können wir durch ein achtungsgebietendes Zeichnungsergebnis der 7. Kriegsanleihe aufs Neue beweisen, daß auch unsere Finanzkraft ungeschmälert ist. Der Redner schloß mit den Worten des Kaisers: Wir kennen unsere Kraft und sind entschlossen, sie zu gebrauchen. – Die zahlreichen Zuhörer bekundeten ihre Zustimmung zu den fesselnden Ausführungen durch lebhaften Beifall.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Eine kräftige Sprache. Der Reichsverband Deutscher Obst- und Gemüsehändler veröffentlicht in seinem Vereinsorgan durch seinen Geschäftsführer Neubaur die folgenden Vorwürfe gegen das Groß-Berliner Publikum: „Wir haben gerade in Berlin das widerwärtigste, unleidlichste und rücksichtsloseste Publikum; ein Publikum, bei dem die größten und ärgsten Flegel und Krakeeler nicht etwa in den Kreisen der Unterschichten, sondern gerade in den mittleren und besseren Bevölkerungskreisen zu finden sind. Gerade diese Klassen sind es, die es an Rücksicht auf die im Krieg geschaffenen Verhältnisse fehlen lassen, die in ihren Ansprüchen während der Kriegszeit maßlos und geradezu ekelhaft anspruchsvoll sind und von denen der keineswegs auf Rosen gebettete Kleinhändler regelmäßig den Eindruck einer ausgesuchten Schikane gewinnt. Es kommt hinzu, daß gerade derartige Käufer-Kanaillen das Recht zu haben glauben, an jedem Kleinhändler ihre dreckigen Stiefel abzuwischen, als ob die bestehenden Verordnungen nur gegen die Kleinhändler erlassen worden sind.“
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Katholischer Meisterverein. Am verflossenen Mittwoch hielt der kath. Meisterverein im katholischen Gesellenhause seine erste Winterversammlung ab. [...] hielt Herr Parteisekretär Hensen einen sehr interessanten Vortrag über das Thema: „Das neue Vaterland“. Seine nicht parteipolitisch gehaltenen Ausführungen behandelten zunächst die sog. Neuorientierung im Reiche, im preußischen Staate und in der Selbstverwaltung, wobei deren Vor- und Nachteile allseitig beleuchtet wurden. Im zweiten Teil des Vortrages kamen die verheerenden Wirkungen des Krieges auf die Zukunft des Handwerks zur Erörterung. Das Handwerk steht da vielfach vor Ruinen. Jedoch darf es nicht verzagen, sondern muß, wirksam unterstützt durch Reichs- und Staatshilfe, durch eigene Kraft sich seine Zukunft neu aufzubauen suchen. Die Mittel und Wege dazu gab der Herr Redner näher an. Der gehaltvolle Vortrag fand ungeteilte Aufmerksamkeit und stärksten Beifall. In der Aussprache wurden die Ausführungen des Herrn Redners noch in manchen Punkten ergänzt.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)