Mittwoch, 20. Juni 1917

    

Aus dem städtischen Lebensmittelamt. In der letzten Zeit sind wiederholt Klagen über die von der Stadt ausgegebene Marmelade eingegangen. Diese Marmelade wird durch die zuständige Reichsstelle geliefert, sie wird als „Kriegsmus“ bezeichnet. Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß es sich um kein besseres Erzeugnis handelt, sondern um richtige „Kriegsware“, die wahrscheinlich aus Rüben unter Zusatz von Früchten hergestellt ist. Die Einwohnerschaft wird gebeten, das Kriegsmus etwas nachsichtig zu beurteilen und sich damit zu trösten, daß bei einer guten Obsternte voraussichtlich bald bessere Marmeladen auf den Markt kommen werden. Das Lebensmittelamt ist gerade nach dieser Richtung hin eifrig bemüht. Man kann sich das jetzige Kriegsmus übrigens etwas schmackhafter machen, indem man es mit gekochtem Rhabarber vermischt.
   Die Belieferung der Stadt Bonn mit Kartoffeln aus den Außenbezirken ist vollständig zum Stillstand gekommen. Es werden infolgedessen von nächster Woche ab voraussichtlich nur noch drei Pfund Kartoffeln an die Bevölkerung im allgemeinen und weitere drei Pfund an die Schwerarbeiter ausgegeben werden können. Als Ersatz für die an fünf Pfund fehlenden Pfunde treten je 70 Gramm Mehl, so daß also jeder drei Pfund Kartoffeln und 140 Gramm Mehl erhält. Hoffentlich dauert diese Einschränkung nur kurze Zeit, denn es ist zu erwarten, daß die ersten Frühkartoffeln noch Ende dieses Monats verkauft werden können.
   Ebenso wird in der nächsten Zeit die Fleischausgabe eingeschränkt, und zwar insofern, als auf die Reichsfleischkarte nicht mehr wöchentlich 250 Gramm, sondern nur 150 Gr. Fleisch (einschl. Wurst) gegeben werden. Das sog. Brotersatzfleisch wird nach wie vor in der unverringerten Menge, 250 Gramm auf den Kopf, ausgegeben. […]
   Die Gemüseversorgung ist trotz der scharfen behördlichen Regelung noch immer nicht gut. Es kommen auch noch hin und wieder Ueberschreitungen der Höchstpreise vor. Das Lebensmittelamt hat daher Frauen als Aufsichtsbeamte angenommen und wird rücksichtslos gegen Uebertretungen einschreiten. Die Gemüsebauern mögen sich also vorsehen, denn auf Verfehlungen stehen sehr hohe Strafen. Leider wird noch immer viel zu viel Gemüse nach auswärts verladen. Das ist um so unerklärlicher, als der Düsseldorfer Regierungsbezirk durchweg niedrigere Höchstpreise hat als der Kölner, es läßt sich nur so erklären, daß bei dem nach auswärts gehandelten Gemüse die Höchstpreise nicht eingehalten werden. […]

Ein neuer Kriegsausschuß. Durch das Kriegsamt, Abteilung für Volksernährungsfragen, ist ein Kriegsausschuß für Sammel- und Hilfsdienst gebildet worden, für den in allen Orten besondere Ortsausschüsse bestellt werden. In Bonn ist für diesen Zweck der freiwillige Hilfsausschuß und als Leiter Herr Dr. Krantz bestimmt worden. Der Ausschuß für Sammel- und Hilfsdienst soll alle Sammeltätigkeit zusammenfassen.

Beschlagnahme der Türklinken usw. Am 20. Juni tritt eine neue Bekanntmachung über Beschlagnahme und freiwillige Ablieferung von Einrichtungsgegenständen aus Kupfer und Kupferlegierungen in Kraft. Betroffen wird eine große Anzahl von Gegenständen, die zur Einrichtung von Häusern, Wohnungen, Geschäftsräumen, Bahnwagen, Kraftwagen, Schiffen usw. gehören. Die Ablieferung der beschlagnahmten Gegenstände erfolgt zunächst freiwillig. […]

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

      

Fahrt Bonner Kinder in die Sommerfrische. In der vorigen Woche wurden 173 Kinder der evang. Gemeinde in zwei Transporten nach Thüringen in die Sommerfrische gebracht. In Sonderwagen, durch welche ein Umsteigen vermieden wurde, ging die Fahrt über Frankfurt, Bebra, Eisenach und Weißenfels nach Zeitz.
   In rührend herzlich-einfacher Weise ging in Zeitz die Uebernahme der Kinder durch die Thüringer Pflegeeltern vor sich und zahlreiche Wagen führten bald die Bonner Jugend in die verschiedensten Auen des freundlichen Thüringer Landes.

Der Bonner Wochenmarkt war gestern nicht besonders gut beschickt. An Grüngemüse war hauptsächlich Wirsing, Rübstiel, Schneidgemüse und Knollengemüse vorhanden. Kopfsalat, der in der letzten Zeit größtenteils geschossen ist, sowie hiesiger und Mainzer Spargel war nur ganz wenig zu haben, ebenfalls Erdbeeren, unreife Stachelbeeren und Kirschen. […] Außerdem waren u. a. noch Gurken, Blumenkohl, grüne Erbsen, dicke Bohnen, Kohlrabien und Möhrchen in geringen Mengen zu haben. Der Verkauf war durchweg sehr flott, besonders in Gemüse und Obst. Um 9½ Uhr war das vorhandene Gemüse und Obst, sowie Spargel und Salat schon fast vollständig ausverkauft.
   Auch der Großmarkt auf dem Stiftsplatz hatte in fast allen Marktprodukten bei weitem nicht so große Zufuhren wie in der vergangenen Woche. […] Der Verkauf war sehr flott und der Markt um 7½ Uhr früh schon wieder fast vollständig geräumt.
   Der städtische Verkauf auf dem Wochenmarkt hatte wieder recht regen Zuspruch, besonders in Fischen und Gemüse. […]

Schöne Ernteaussichten! In Ergänzung unseres gestrigen Berichtes vom Wochenmarkt wird uns noch geschrieben: Als im Frühjahr die Jungmannschaft der hiesigen höheren Schulen mobil machte, um den Landwirten des Stadt- und Landkreises Bonn zu helfen, hat mancher in gut patriarchalischer Auffassung davon eine Besserung der im Vorjahre nicht immer erfreulichen Bonner Marktverhältnisse erwartet. Vorsichtigere lehnten das ab, aber niemand konnte voraussehen, was wir jetzt auf dem Markte erhalten. Der Bedarf ist reichlich gedeckt, Obst und Frühgemüse, zumal Erbsen sind vorhanden, werden feilgehalten. Will man zu amtlich festgesetzten Preisen kaufen, so wird dies bei Kirschen und Erbsen abgelehnt. Ebenso wenn ein Unvorsichtiger ein kleines Mehrangebot macht. Ich werde doch nicht die Polizei herausfordern, wird geantwortet. Bleibt also nur übrig, daß die Verkäufe ein „Höchstgebot“ erwarten, dafür geben sie schließlich ihre Ware ab. Die Preisfrage ist amtlich geregelt, die Bedarfsfrage dank der Witterung in Ordnung. Aber es bleibt eine dritte Frage: Sollen die zahlreichen Bonner Bürger, die auf ein festes Einkommen angewiesen sind, sich schon jetzt zu Beginn des Sommers dieser Willkür fügen? Dann wird es wie Hohn klingen: Schöne Ernteaussichten!

Der Unfug dauert an. Heute (Mittwoch) früh wurde auf dem Bonner Wochenmarkt abermals von unseren Hausfrauen beobachtet, daß die Marktfrauen ihre Ware, die sie auf den Markt gebracht hatten, als „verkauft“ erklärten. Unter anderem wurde mit diesem Trick der Rhabarber für gute Kunden aufbewahrt. Diesen Unfug muß unter allen Umständen ein Ende gemacht werden. Die Bonner Hausfrauen sollten sich darüber einig sein, daß sie keinen Pfennig über den Höchstpreis zahlen und sich nicht heimlich gegenseitig überbieten. Nur dann ist es möglich, geordnete Zustände auf unserem Wochenmarkt herbeizuführen. Die Höchstpreise sind, wie wiederholt sei, ausreichend bemessen. Unsere besser situierten Hausfrauen begehen also ein Unrecht an der übrigen Bevölkerung, wenn sie höhere Preise bieten. Man sollte nicht nur die Marktfrauen, sondern auch die Bürgerinnen bestrafen, die derart unpatriotisch handeln.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)