Dienstag, 20. März 1917

     

Mit der Gemüseversorgung der Städte Bonn und Köln beschäftigte sich Samstag eine vom Regierungspräsidenten einberufene Besprechung der Vertreter der Stadt- und Landkreise Bonn und Köln im Kölner Regierungsgebäude. Beigeordneter Piehl berichtete dabei über die auch in Bonn bestehende Gemüsenot. Sofort nach der Einführung der Richtpreise habe man eine lebhafte Abwanderung von Gemüse nach auswärts feststellen können, so daß seit Monaten der Bonner Gemüsemarkt verödet und meist nur Auslandsgemüse von der Reichsstelle vorhanden ist. Man hat verschiedene Mittel angewendet, um Aenderungen zu schaffen. Da die Bauern, anstatt auf den Wochenmarkt zu kommen, das Gemüse an den Torstraßen für die die Industriegebiete, sogar für Berlin und Breslau absetzen, erließ man eine Polizeiverordnung, nach der Gemüse nur an bestimmten Plätzen gehandelt werden durfte, um eine bessere Uebersicht zu gewinnen. Für Zwischenhändler wurden Ausweise vorgeschrieben und die Händler verpflichtet, das Gemüse zunächst der Stadt anzubieten. Alle diese Maßnahmen haben nichts genützt, weil eben die Kontrolle der Gemüsebauern zu schwierig ist. Unter der Hand wird in Bonn Gemüse zu enormen Preisen weiterverkauft, beispielsweise Spinat nach Barmen für 90 Pfg. Eine ganze Reihe von Uebertretungen hat man der Staatsanwaltschaft unterbreitet. Man erklärt sich infolgedessen in Bonn für machtlos und erblickt einen Ausweg nur in einem Ausfuhrverbot für den Regierungsbezirk. Landrat Geheimrat v. Nell betonte die Schwierigkeiten, den Gemüsehandel zu überwachen. Eine Reihe von Händlern hat von alters her Niederlassungen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet; sie kauft im Landkreise das Gemüse auf und schickt es unter der eignen Adresse an ihre Handelsniederlassung in Düsseldorf, Essen usw., um es dort zu den unbeschränkten Preisen, die dort gelten, abzusetzen. Es läßt sich nicht in einzelnen Fällen feststellen, ob die Erzeuger sich den Richtpreis oder darüber hinaus haben bezahlen lassen. Das jetzige System der beschränkten Richtpreise wird von der Verwaltung des Landkreises Bonn für vollständig unzureichend erklärt; man glaubt, daß man mit Erfolg nur arbeiten könne, wenn sich ein größeres Richtpreisgebiet ermöglichen lasse. Bedauert wird im Landkreise noch, daß die Bauern zu den höhern Preisen vielfach von den Verbrauchern selbst verführt werden; wie es heißt, sind im rheinisch-westfälischen Industriegebiet an Gemüse bis zu 400 Prozent verdient worden; der kleine Erzeuger bekomme in der Tat meist nicht mehr als den Richtpreis. Der Kölner Beigeordnete Adenauer meinte dazu, es lasse sich doch leicht nachweisen, in wieweit die Landwirtschaft die Richtpreise überschreite. Alles Gemüse, das mit der Bahn nach auswärts verschickt werde, sei über Preis verkauft worden, denn sonst würde es nicht in die entferntesten Gegenden versandt, wo man eben die ungeheuern Preise zahle. Bei derartigen Mißständen dürfe man es den Städten nicht verargen, wenn sie zur Selbsthilfe schreiten, und so habe denn auch die Verwaltung von Köln in der Nacht auf Samstag 23 Waggons Gemüse beschlagnahmt, das von auswärtigen Händlern im Landkreise Bonn aufgekauft worden war, um zu 60 bis 65 Mark der Zentner nach entfernten Gebieten versandt zu werden. Auch der Landrat des Kreise Köln-Land, Minten, hielt die jetzigen Zustände für unhaltbar. – Die Besprechung hat die Unzulänglichkeit der jetzigen Gemüseversorgung ergeben. Es darf wohl erwartet werden, daß der Regierungspräsident eingreifen wird, damit außer Köln auch Bonn wieder ausreichend mit preiswertem Gemüse versorgt wird.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

     

Zur Gemüseknappheit. Die Gemüsebauern haben ihre Drohung vom Samstag, nicht mehr auf den Bonner Wochenmarkt zu kommen, wahr gemacht. Gestern Montag morgen war nur eine einzige Marktfrau vom Lande mit etwa 30 Pfund Spinat erschienen. Natürlich wurde dieser Verkaufsstand sofort von einer großen Anzahl kauflustiger Hausfrauen umlagert und in kürzester Zeit war der knappe Vorrat ausverkauft. Die Stadthalf so gut es ging aus, aber viel war es auch nicht, was abgegeben werden konnte. Was nützen da alle Landfrauentage, Aufrufe und Versamlungen, die den Landbewohnern klar zu machen versuchen, daß es vaterländische Pflicht ist, die Erzeugnisse mit einem angemessenen Gewinn abzugeben. Hoffentlich wird der Beschluß, der am Samstag in Köln gefaßt worden ist, alles, was unter Umgehung des Höchstpreise von auswärts aufgekauft wird, zu beschlagnahmen, auch mit allen Mitteln durchgeführt. Wenn die auswärtigen Händler sehen, daß sie bei dem Schleichhandel nicht auf ihre Rechnung kommen und bei jeder beschlagnahmten Sendung mehrere hundert Mark zulegen, dann werden auch wir hoffentlich wieder Gemüse zu annehmbaren Preisen erhalten können.

Den Lebensmittelfahrten, die oft einen außergewöhnlichen Verkehr nach den Dörfern bringen, schenken auch jetzt noch draußen die Gendarmen ihr Augenmerk und häufig wird zur Beschlagnahme gehamsterter Lebensmittel geschritten. Damit wird ein bedenklicher Weg beschritten in Fällen, wo eine arme Kriegerfrau z. B. von Verwandten oder Bekannten auf dem Lande etwas Kartoffeln oder Gemüse erhalten hat. Das sind kleine Mengen, die der Erzeuger gewiß ohne Schaden für den eigenen Haushalt wie für die Allgemeinheit abgeben kann. Leider kommt es aber auch vielfach vor, daß bessergestellte Stadtbewohner auf dem Lande zu den höchsten Preisen alles Erreichbare zusammenkaufen, um nur selbst keine Entbehrungen erleiden zu müssen. So sollen für Eier 80 Pfg. für das Stück geboten und bezahlt worden sein. Dagegen muß man entschieden Front machen. Es steht eine Regelung der Eierversorgung durch die Landesstelle für Nahrungsmittel und Eier bevor, wobei eine schärfere Kontrolle vorgesehen ist. Den Bauern wird aufgegeben, von jedem Huhn jährlich eine bestimmte Menge von Eiern (etwa 30 Stück) abzuliefern, sodaß die Lieferungen an die Städte wieder reichlicher werden dürften.

Die Stadt als Trödler. Seit einigen Monaten entfaltet die Stadtverwaltung eine rege Tätigkeit bei dem Erwerb und der Ausbesserung getragener Kleidungs- und Wäschestücke, sowie Schuhwaren. Sie ist hierbei von dem Bestreben geleitet, sich für die Bedürfnisse der breiten Bevölkerungskreise einen Vorrat brauchbarer und billiger Bekleidungsgegenstände zuzulegen. Auch hier wieder ist die Stadt zum „Mädchen für alles“ geworden, ein neuer, umfangreicher Geschäftsbetrieb hat sich ihrer Verwaltung angegliedert.
   Die Annahmestelle für alte Sachen befindet sich bekanntlich Stockenstraße Nr. 3. Da den Althändlern der Handel mit alten Sachen verboten ist, kommt sie allein für die Entgegennahme alter Sachen in Betracht. Alles, was an Kleidungstücken, Wäsche, Schuhwaren und Uniformstücken in den Haushaltungen irgendwie entbehrlich erscheint, soll dieser Annahmestelle zugeführt werden. Hier wird jedes Stück durch einen unparteiischen Fachmann abgeschätzt und der so festgestellte Kaufpreis sofort ausbezahlt. Schuhwaren werden in jeder Gestalt angenommen, auch wenn sie noch so abgetragen und zerrissen sind. Für Kleidungs- und Wäschestücke kann nur dann ein Entgelt gewährt werden, wenn sie durch Ausbesserung wieder in gebrauchsfähigen Zustand versetzt werden können. Auf Wunsch wird, soweit dies zulässig ist, eine Abgabebescheinigung erteilt, die den Kauf neuer Luxusschuhe und hochwertiger Kleider ermöglicht.
   Die Preise für die Sachen richten sich in erster Linie danach, in welchem Umfange die gelieferten Gegenstände für die Allgemeinheit verwendbar sind. So gilt ein feiner Gehrock oder Frackanzug weniger als ein solider Anzug oder Mantel, ein Damenluxuskleid weniger, als ein gutes Jackenkleid. Besonders wünschenswert erscheint es im vaterländischen Interesse, wenn die Bürgerschaft in weitgehendem Maße die alten Sachen unentgeltlich zur Verfügung stellt. Hierdurch wird die Stadt in die Lage gesetzt, im Interesse der weniger bemittelten Kreise die Verkaufspreise der Sachen recht niedrig anzusetzen. Besonders sei noch hervorgehoben, daß auf mündliche, telefonische oder schriftliche Bestellung die Sachen durch Boten abgeholt werden.
   Nachdem die Sachen in dem mütterlichen Schoße der Annahmestelle gelandet sind, werden sie zunächst einer liebevollen Säuberung unterzogen. Sie wandern in luftige Desinfektionsräume, wo sie Dämpfen von 40 Prozent Formalinlösung ausgesetzt, einige Tage ein beschauliches Dasein führen. Hierdurch werden alle Krankheitskeime und alles Ungeziefer so gründlich vernichtet, daß selbst der größte Vorsichtsrat diese Sachen unbedenklich seiner Garderobe einverleiben kann. Die wenigsten Sachen sind aber nach dieser Prozedur verkaufsfähig, weitaus an den meisten sind noch mehr oder minder große Reparaturen vorzunehmen. Dies geschieht durch kaufmännisch geschulte Kräfte, zum Teil in eigener Werkstatt des Bekleidungsamtes. Wenn die Sachen dann wieder aus der Arbeitsstätte zurückkommen, sehen sie häufig „wie neu“ aus und so „proper“ aus, daß sie gar nicht wieder zu erkennen sind.
   Die Sachen werden dann in die luftige Verkaufsstelle am Münsterplatz geschafft und dort aufgestellt oder auf Bügel gereiht. Vorläufig ist es allerdings den Bürgerinnen und Bürgern noch nicht vergönnt, diese stattliche Kleiderversammlung zu besichtigen und sich ein Stück nach ihrem Herzen – aber nur auf Bezugsschein! – zu erstehen. Erst muß ein solcher Vorrat vorhanden sein, daß alle berechtigten Wünsche befriedigt werden können. Voraussichtlich wird man aber in kürzester Zeit zur Eröffnung schreiten können.
   Man sieht also, die Stadt Bonn ist unter die Trödler gegangen! Und doch nicht ganz! – Denn verdient wird bei diesem Geschäft keinen Pfennig. Die Annahme- und Verkaufsstelle sind gemeinnützige Veranstaltungen, die wichtige soziale Aufgaben zu erfüllen haben. Es wird daher auf eine verständnisvolle und recht ausgedehnte Unterstützung der Allgemeinheit, insbesondere der wohlhabenden Kreise, gerechnet.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

       

Zur Gemüseversorgung. Was wir am vergangenen Samstag als Vermutung ausgesprochen haben, ist eingetreten. Auch nicht ein einziger Korb mit Gemüse war heute morgen auf dem Wochenmarkte zu sehen. Die Gemüsezüchter haben ihre Drohung vom Samstag wahr gemacht, daß sie in Zukunft zu den Richtpreisen überhaupt kein Gemüse nach Bonn brächten. An dieser Tatsache ändert auch wiederum eine lange Besprechung nichts, die am Samstag in Köln zwischen Vertretern der Stadt- und Landkreise Köln und Bonn über die Gemüseversorgung stattgefunden hat, und in der eine Reihe von Vorschlägen gemacht wurden, die sich aber zum Teil selbst schon unter einander widersprachen. Wir nehmen daher auch nur von der Versammlung Notiz und dem guten Willen der Teilnehmer zu helfen. Vorerst wird es schon bei dem guten Willen bleiben müssen, denn wie die Sachlage heute noch liegt, wird wohl keiner der gemachten Vorschläge zum Ziele führen. Bei der Gemüseversorgung darf man einmal nicht einseitig den Standpunkt des Konsumenten vertreten, sondern man muß auch mit der Ansicht der Gemüsezüchter rechnen, selbst wenn die Ansicht dieser Gruppe nach der Meinung der anderen Gruppe verkehrt ist. Die Gemüsezüchter sind doch diejenigen, auf welche es in erster Linie ankommt. Daher hätte man in jeder Versammlung in Köln auch einmal die Ansichten der Gemüsezüchter zu der Frage hören müssen. Alle gesetzlichen Maßnahmen, die nicht auch in genügender Weise Rücksicht auf die nehmen, welche sie in erster Linie treffen, sondern nur auf die, denen sie zugute kommen sollen, verfehlen ihren Zweck. Anderseits wäre es verkehrt, nur die genügende Versorgung gerade der Städte ins Auge zu fassen, die nun einmal mitten im Gemüseland sitzen oder daran grenzen und nach dem in Wirklichkeit aber nicht zutreffenden Worte eines Kölner Blattes in Gemüse schwelgen. Auch die anderen abgelegenen Großstädte, die auf unser Gemüse angewiesen sind, müssen berücksichtigt werden; das verlangt das Wohl des Großen und Ganzen. Wenn daher Köln einfach 23 Waggon Gemüse , die für Berlin und andere Großstädte bestimmt waren, auf der Durchreise in Köln für seine alleinigen Interessen beschlagnahmt, so dürfte das eine Gewaltmaßregel bedeuten, die zwar Köln zugute kommt, anderseits aber den allgemeinen Interessen schadet und keineswegs zu einer Lösung der Frage beitragen kann. Den richtigen Weg wird man nur dann finden, wenn man, wie gesagt, die Allgemeinheit im Auge behält und die Gemüsebauern berücksichtigt, soweit dies angängig ist. Das könnte, um nur einen Weg anzudeuten, vielleicht mit einem beschränkten Ausfuhrverbot bei angemessenen Preisen möglich sein; die Polizei allein macht es nie.
   Zum Schlusse sei uns gestattet, noch auf eine Ursache der Gemüseknappheit hinzuweisen, an der unsere Gemüsezüchter nicht schuld sind, das ist das Ausbleiben des Frühgemüses aus dem Auslande.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)