Dienstag, 9. Januar 1917
Vom städtischen Lebensmittelamt. Die als Ersatz für die leider nicht genügend vorhandenen Kartoffeln verfügbaren Steckrüben werden von den Verbrauchern fast gar nicht gekauft. Die Hausfrauen sollten aber die Rüben, so lange sie gut sind, nicht verschmähen und sie, wenn sie sie nicht frisch verbrauchen wollen, trocknen, in den Monaten März bis Mai, wenn es altes Gemüse nicht mehr und neues noch nicht gibt, werden die getrockneten Rüben gewiß gut zu verwerten sein.
Die Klagen über die schlechte Beschaffenheit der Kartoffeln lassen immer mehr nach. Die schlechten pommerschen Kartoffeln, die natürlich zuerst aufgebracht werden mußten, gehen zu Ende, es kommen die eingelagerten besseren Knollen aus der Provinz Sachsen an die Reihe.
Das Kriegsernährungsamt hat den Städten geraten, Lieferungsverträge über Frühgemüse und Frühkartoffeln so zeitig wie möglich ab zuschließen. Die Stadt Bonn versucht jetzt schon, in Endenich und am Vorgebirge sich Frühgemüse zu sichern, sie setzt dabei voraus, daß der Landkreis Bonn auch die Ausfuhr gestatten wird. Lieferungsverträge über Frühkartoffeln gedenkt die Stadt einstweilen nicht abzuschließen, weil für dieses Gebiet die Reichs- und Provinzialkartoffelstelle da sind.
Der Schleichhandel mit Butter, Fett, Fleisch, Eiern usw. nimmt immer mehr zu. Wenn die Käufer sich durch die hohen Preise – bis zu 10 M. für das Pfund Butter – nicht abschrecken zu lassen brauchen, so sollten sie doch daran denken, daß sie sich an der Allgemeinheit und damit am Vaterland versündigen. Die Grenzaufsicht ist jetzt so scharf, daß so gut wie nichts mehr geschmuggelt werden kann, die angebotenen Waren sind vielmehr gute deutsche Erzeugnisse, und die im Schleichhandel verkauften Mengen werden der weniger gutgestellten Bevölkerung, die nicht so hohe Preise anlegen, den Fettgenuß aber zumeist noch schlechter entbehren kann als die wohlhabenden Kreise, entzogen.
Die Eierversorgung soll in der nächsten Zeit etwas anders geregelt werden. Die der Stadt zur Verfügung stehenden Mengen reichen nicht für die ganze Bevölkerung aus, es wird daher die auf die Lebensmittelkarte aufgedruckte Zahl (1 bis 4) wieder Gültigkeit bekommen und bestimmt werden,d aß in einer Woche Nr. 1, in der folgenden Woche Nr. 2 usw. Eier bekommt.
Die Teilnehmerzahl der Kriegsküchen ist andauernd verhältnismäßig gering. Auch die gestern neu eröffnete Kriegsküche an der Maxstraße (die Küche im Fuhrpark ist Sonntag geschlossen worden) hat keine nennenswerte Steigerung gebracht. Es essen nur etwa 4000 Einwohner täglich bei der Stadt zu Mittag.
Nach der neuen Bundesratsverordnung muß die Stadt nun auch den Althandel mit Kleidern, Wäsche und Schuhwaren übernehmen. Die Althändler dürfen schon jetzt keine getragenen Kleidungsstücke und Schuhe mehr ankaufen, bis Ende Februar müssen sie ihre Betriebe ganz schließen. Eine städtische Annahmestelle wird in diesen Tagen im Hause Stockenstraße 3 eingerichtet, dort werden die Sachen, nachdem sie gereinigt und keimfrei gemacht worden sind, auch verkauft werden.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Vaterländischer Hilfsdienst. Die Bezirkskommandos haben unter Mithilfe der Polizeibehörden Listen derjenigen Personen aufzustellen, die bei den Musterungen, Nachuntersuchungen, kommissarischen und anderen ärztlichen Untersuchungen für dauernd oder zeitig kriegsunbrauchbar befunden, bezw. nach ihrer Einstellung als dauernd oder zeitig kriegsunbrauchbar entlassen worden sind. Diese Personen, werden, sofern sie im vaterländischen Hilfsdienst im Sinne des § 2 des Gesetzes vom 5.12.16 noch nicht tätig sind, demnächst vom Bezirkskommando aufgefordert, sich bei den hierfür in Betracht kommenden Stellen ungesäumt um Nachsuchung von Arbeit zu melden.
Freiwilliger Hilfsdienst für Frauen und Mädchen. Voraussichtlich wird schon Mitte Januar in einem Saal an der Burbacherstraße zu Kessenich eine Werkstätte eingerichtet, in der Frauen und Mädchen die aus den Königl. Werken in Siegburg gelieferten Teile auf ihre Genauigkeit prüfen. Durch diese Maßnahme wird den Bonner Frauen und Mädchen die Arbeitsgelegenheit erleichtert. Wahrscheinlich wird noch in nächster Zeit eine ähnliche Werkstätte in einem anderen Stadtteil eingerichtet werden.
Der Freiwillige Hilfsausschuß hat auf Veranlassung der Vaterländischen Vereinigungen 1500 Weihnachtspakete ins Feld geschickt. Bisher sind von unseren Feldgrauen für die Spenden über 800 Dankschreiben eingelaufen. [...]
Lichtspiele im Stern. Wie wir vor längerer Zeit berichtet haben, ist in Berlin die „Militärische Film-Photostelle“ unter Leitung des Oberstleutnant von Hart, des Majors Steuer und des Hauptmanns von Schroeder errichtet worden, die, zerfallend in zwei Abteilungen, Inland, Ausland, die Propaganda für den Ruhm der deutschen Waffen und für die Ehre des deutschen Namens planmäßig in die Hand genommen hat. Die „Militärische Film-Photostelle“ gibt ihrerseits diese Filme an unsere Filmfirmen ab, und so kann man von heute ab in den Lichtspielen den Siegeszug Mackensens durch die Dobrudscha in Originalaufnahmen sehen.
Welches Unheil durch Kartenlegen angerichtet werden kann, beweist ein Fall, welcher sich in unserer Stadt zutrug. In einer hiesigen Wirtschaft zertrümmerte gestern ein 32jähriges Mädchen verschiedene Fensterscheiben. Als Grund zu ihrem Handeln gab sie an, sie habe häufig einen Kartenleger aufgesucht und dieser habe ihr gesagt, daß Scherben Glück bringen. Später stellte sich dann heraus, daß die Angaben des Mädchens der Wahrheit entsprechen. Ein ärztlicher Gutachter stellte fest, daß ihr Gemütszustand dadurch, daß sie häufig einen Kartenleger aufsuchte, derart beeinflußt war, daß sie in eine Irrenanstalt überführt werden mußte. Der Kartenleger, deren Adresse von der Polizei festgestellt wurde, sieht seiner Bestrafung entgegen.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Lebensmittelamt. Ich wollte mir am Sonntag früh um 9 Uhr den Rest der mir für die vergangene Woche zustehenden Kartoffeln besorgen, wurde aber in verschiedenen Geschäften – obgleich Kartoffeln vorrätig waren – mit meiner Karte abgewiesen, weil „die Stadt angeordnet hat, daß die aufgeklebten Kartoffelkarten Sonntags früh vor 10 Uhr von den Geschäftsleuten bei der Lebensmittelverwaltung abzuliefern sind“. Damit sind also die Karten glatt einen Tag zu früh unbrauchbar geworden. Warum? Kurz vor Weihnachten mußte ich, da ich in der Woche verreist war, am Samstag meine Marmelade abholen. Da die betreffende Nummer der Lebensmittelkarte für diesen Samstag noch galt, war ich sehr unangenehm überrascht, als man mir in allen Geschäften, in denen ich fragte, erklärte, „heute gilt die Nummer nicht mehr“. Warum? Für mein heranwachsendes Töchterchen hatte ich ein Viertel Zusatzbrot beantragt und nach Vorlegung des Geburtsscheines auch bewilligt bekommen. Ein diesbezüglicher Vermerk wurde sowohl in meinem Kartenumschlag als auch in der großen, am Lebensmittelamt geführten Liste eingetragen. Zu Beginn des neuen Monats gehe ich zum Lebensmittelamt, um die Karte für Januar zu erbitten. Obgleich mein Umschlag und die Liste am Amt den Nachweis gaben, daß ich die Karte schon ein Mal erhalten hatte, wurde ich abgewiesen mit der Begründung, der Geburtsschein müsse jedesmal wieder vorgelegt werden. Also marschierte ich heim und trete eine Stunde später mit dem begehrten Schein wieder an, worauf ich die Brotkarte erhalte. Nochmals: Warum wird dem Publikum das Durchhalten so unnötig schwer gemacht? Eine Hausfrau.
Honigwucher. Nachdem monatelang kein Honig zu haben war, erscheinen jetzt in Bonner Geschäften Gläser des Bienenzuchtvereins der Rheinprovinz, die früher etwa 1,20 Mk. kosteten, zum Preise von 4,50 Mk. Man kann kaum annehmen, daß die Bienen höheren Lohn fordern. Auch scheint uns selbst die geringe Honigernte des Vorjahres eine beinahe vierfache Preiserhöhung nicht zu rechtfertigen. Offenbar ist der Honig zurückgehalten worden, und soll jetzt bei dem Mangel an Aufstrichmitteln ein einträgliches Wuchergeschäft ermöglichen. Man wird sich den Bienenzuchtverein für die Zukunft merken müssen. P.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)
Volkshochschulkurse. Herr Professor Dr. Kippenberger wird heute abend 9 Uhr in der Aula des hiesigen städtischen Gymnasiums eine 10stündige Vorlesungsreihe über „Die Chemie als Bundesgenossen im Weltkriege“ eröffnen. Der Vortragende wird die hervorragende Rolle, welche die chemische Wissenschaft und ihre Anwendung in dem gegenwärtigen Weltkriege spielt, in eingehender Weise unter Vorführung von Lichtbildern und Experimenten zur Darstellung bringen. U. a. wird er über die wichtigsten Betriebsstoffe für Luftschifffahrt und Kraftfahrzeuge sprechen, wird die hauptsächlichen Sprengstoffe schildern und den Kampf mit Gasen erörtern. Auch die große Bedeutung, welche die Chemie auf dem Gebiete der Erzeugung vegetabilischer Nahrung, sowie der Ersatzwaren in Handel und Verkehr besitzt, wird einer eingehenden Besprechung unterzogen werden. Die Vorlesungsgebühr beträgt für Minderbemittelte 1,30 Mark, für andere Personen 4 Mark für die ganze Vorlesungsreihe.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)