Sonntag, 1. August 1915
Die höheren Lehranstalten hat der Oberpräsident der Rheinprovinz im Namen des Provinzialschulkollegiums angewiesen, bei dem bevorstehenden Schulschluß, der mit dem Jahrestage der Mobilmachung ungefähr zusammenfällt, Schüler und Schülerinnen auf den Ernst und die Bedeutung des ersten Kriegsjahres hinzuweisen Auch die Lehrer und Lehrerinnen an Volksschulen werden ersucht, am Schulschluß oder soweit die Ferien begonnen haben, bei Wiederaufnahme des Unterrichtes in gleicher Weise des ersten Kriegsjahres zu gedenken.
Die Universität Bonn im ersten Kriegsjahre.
Die Chronik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität für das Rechnungsjahr 1914 ist soeben erschienen. Sei beginnt mit einem Vorwort „Die Universität Bonn im ersten Kriegsjahre, in dem der Rektor des Vorjahres, Herr Geheimrat Schulte, und der jetzige Rektor, Herr Geheimrat Landsberg, die Einwirkungen des Krieges auf das Bonner Universitätsleben darlegen.
Die politische Spannung, die seit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers eingetreten war, machte sich bald auch im Universitätsleben bemerklich. (...) In der wachsenden Erregung traten die großen und kleineren Stiftungsfeste akademischer Korporationen, die ja mit Vorliebe in den Monat Juli verlegt werden, zurück. Ausländische Studierende, die nun zu unsern Feinden gehören, verließen Bonn, vielfach unter lebhaftem Bedauern der drohenden Zukunft. Die Erregung wuchs mit jedem Tage, bis plötzlich am Freitag, den 24. Juli, die österreichische Forderung an Serbien den Ernst der Lage verschärft zeigte. Wie einst im Jahre 1870 sich die Bonner Studentenschaft in den entscheidenden Tagen zu ihrem Rektor begeben hatte, so veranlaßten spät in der Nacht eingetroffene Nachrichten am Samstag, den 25., und am Dienstag, den 28., einen Teil der patriotisch bewegten Studentenschaft, der auf die Nachrichten gewartet hatte, in ernster patriotischer Haltung Lieder singend vor die weit von dem Mittelpunkte der Stadt liegende Wohnung des Rektors zu ziehen.
Durch die vaterländischen Lieder schon geweckt, erschien er auf dem Balkon und gemahnte die Studenten an das Vorbild von 1870 und dankte für die ausgesprochene Opferwilligkeit. Ein Hoch auf den Kaiser und der Gesang: „Deutschland, Deutschland über alles“ schloß die unvorbereitete nächtliche weihevolle Feier. (...)
Um den Studenten die Heimkehr zu den Ihrigen vor einer etwaigen Einberufung zu den Waffen zu ermöglichen, wurden schon am Freitag, den 31. Juli, die Abtestierungen der Vorlesungen und die Aushändigung der Exmatrikeln begonnen und großenteils erledigt. Schon bevor am folgenden Tag die Anordnung der Mobilmachung in die deutschen Lande erging, hatten viele Studierende sich bei den Truppenteilen zum freiwilligen Dienste gemeldet. In den nächsten Tagen drängten sie sich dann auf die Regimentsbüros Bonns, der Rheinlande und der Heimatprovinzen. An diesem edelsten Aufgebote von Volkstreue und Vaterlandsliebe, das die Geschichte kennt, hat auch die Bonner Studentenschaft herrlichen Anteil. Körperliche Mängel, Rücksichten auf den eigenen Lebensweg, auf die Familie, alle andern Bedenken verschwanden vor dem Willen, dem Vaterlande in dem Kampfe um sein Sein und sein Recht zu dienen und dafür alles einzusetzen. Viele Studenten wanderten von Regiment zu Regiment, um vielleicht beim vierten, fünften als Kriegsfreiwillige angenommen zu werden. Ein sehr erheblicher Teil der Dozenten, der Assistenten, der Beamten und der Unterbeamten eilte zu den Fahnen, so daß oft nur mühselig der Ferienbetrieb einzelner Institute aufrecht erhalten werden konnte. (...)
Bei Beginn des Krieges standen 53 Studierende als Einjährigfreiwillige unter den Waffen, zu ihnen gesellten sich an Gedienten 109 Offiziere und Offizierstellvertreter, 51 Unteroffiziere und Sanitätsunteroffiziere, dazu einige ältere immatrikulierte Offiziere, darunter ein Oberst, der beim Generalstabe wieder einrückte, endlich 20 Militärbeamte. Als Kriegsfreiwillige waren 1193 eingestellt worden, 346 waren angenommen worden, mußten aber noch warten. Bei den Organisationen des Roten Kreuzes wirkten 155, als untauglich waren 394 freiwillig sich Meldende befunden worden.
Von den Räumen der Universität und ihrer Institute dienen sehr viele den Kriegszwecken. Ueber die medizinischen Kliniken ist besonders zu berichten. Im Hauptgebäude wurde schon in den ersten Tagen der Mobilmachung das am Alten Zoll belegene Auditorium maximum, später noch eine Reihe anderer Räume, wiederruflich der Stadt für Lebensmittelmagazine, Büroräume u. dgl. Zur Verfügung gestellt. Am 5. August erhielt der Rektor die Mitteilung, daß das ganze Hauptgebäude westlich des Kuratoriums von einer Etappeninspektion unmittelbar belegt werden werde. 3 Stunden später waren schon 20 Arbeiter damit beschäftigt die Bänke abzuschrauben, bald waren Telegraphenarbeiter am Werke und ein paar Tage später wurden in den Wandelgängen um den Universitätshof Stangenhölzer angebracht, um eintretenden Falls Pferde daran zu befestigen, was sich jedoch nicht als nötig erwies. Ein lebhaftes militärisches Treiben herrschte nun in den Räumen des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes. Eine Wache am Haupteingang und ein Posten an dem südwestlichen Eingange sicherten den Verkehr, seitens der Universität und der Etappeninspektion wurden Passierscheine ausgegeben, die auch der Rektor bei sich trug. Inmitten des Hofes war die Kriegskasse der 2. Armee (v. Bülow) aufgefahren, in manchen Räumen waren schnell Magazine angelegt worden, so war im kunsthistorischen Institute ein großes Stiefelmagazin untergebracht, das geschichtliche Seminar war eine Kleiderkammer geworden. Die letzten Lager der Etappeninspektion wurden Anfang Oktober geräumt. Nach den alten Abmachungen mit der Militärbehörde mußten am 7. Mobilmachungstage eine Anzahl Räume des Hauptgebäudes für ein Lazarett zur Verfügung stehen. Es ist mehrfach darüber verhandelt worden und schließlich waren für ein großes Lazarett die Hörsäle des ersten Stockwerkes bestimmt, die einen gesonderten Eingang würden erhalten können. Doch verzichtete alsdann die Königliche Militärmedizinalbehörde ganz auf diese Räume. (Fortsetzung folgt.)
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Mobil! Heute jährt der Tag zum erstenmal, an dem das inhaltsschwere Wort durch die Lande flog. Seit der Mordtat von Sarajewo am Nachmittage des Peter und Paul-Tages wußte man, daß schwere Zeiten heranzogen, daß der Krieg hinter den Bergen halte. Im Laufe des Juli wurde dann viel vom Segen des Friedens gesprochen und geschrieben; aber dem Frieden traute keiner mehr. So kam unter dem hin und hergezerrten Frieden und dem Kriegsgerede die letzte Juliwoche heran. Daß Rußland und seine Bundesgenossen den Serben die Stange hielten, wußte man; daß Deutschland im Notfalle den Oesterreichern beispringen würde, war sicher. So lag denn auf allen Gesichtern die bange Frage: Wie entwickelt sich dieser Streit?
Es begannen die aufregenden Tage, in denen die ganze Stadt nach neuen Nachrichten fieberte. Alles andere Interesse war verschwunden. Frage und Gegenfrage ging nur auf Krieg. Das Geschäftshaus des General-Anzeigers sah jene denkwürdigen Bürger-Ansammlungen, die Kopf an Kopf die breite Bahnhofstraße von einem Ende bis zum anderen füllte. In rascher Folge kamen hier die Sonderblätter heraus, die genau den Stand des politischen Barometers anzeigten; bald sprach freudige Hoffnung auf Frieden aus ihnen, bald malten sie ernst den Krieg an die Wand. Je weniger Klarheit die Telegramme aus Berlin brachten, umsomehr wuchsen Erregung und Spannung. Tag und Nacht wichen die Ansammlungen nicht, war die Geschäftsstelle unseres Blattes von Tausenden belagert. Tag und Nacht flatterten neben den ordentlichen Ausgaben der Zeitung die letzten Nachrichten unter die draußen Harrenden. Vielen wurde ein brausendes Hurra zuteil.
Neben den Depeschen aber sprachen eine ganze Anzahl seltsamer Zeichen und Maßregeln, daß unsere Regierung, wenn sie auch nicht alle Hoffnung auf Frieden fallen gelassen hatte, so doch äußerste Vorsicht in allen Dingen treffen mußte. In der Nacht zum Mittwoch wurde der Bahnbewachungsdienst innerhalb der ganzen Stadt und weiterhin auf der ganzen Rheinstrecke und den linksrheinischen Bahnen eingerichtet. Ganz unauffällig standen da an den Unterführungen, an Brücken, Bachdurchlässen, Bahnbeamte, die einen Karabiner im Arm hielten. Auf den großen Brücken schritten bewaffnete Beamte auf und ab. Mitseltsamen Staunen und Kopfschütteln betrachteten die Bürger diese außergewöhnlichen Wächter. In der Nacht zum Donnerstag wurde dann auch die Rheinbrücke militärisch durch ein Wachkommando unserer 160er besetzt. Die eisernen Sperrtore wurden eingehangen und der Verkehr einer scharfen Kontrolle unterzogen.
Auch im wirtschaftlichen Leben tauchten Zeichen auf, die auf den nahen Krieg hinwiesen. Eine ganze Reihe von Nahrungsmitteln wurden auf einmal knapp oder stiegen im Preise. Von wohlhabenden Bürgern hörte man, daß sie enorme Bestellungen von Haushaltungswaren gemacht hatten und das Allerseltsamste war, daß auf einmal alles Kleingeld aus dem Verkehr verschwunden war. Große Geldstücke, besonders Papierscheine, Zehn- und Zwanzigmarkscheine, konnte man gar nicht mehr gewechselt bekommen. Geschäftsleute borgten lieber halbwegs Bekannten, ehe sie auf einen 50 Mark-Schein oder gar 100-Mark-Schein herausgaben.
Am Freitag den 31. Juli wurde über das ganze Reichsgebiet der Kriegszustand erklärt. Dies war ein Vorgeschmack der Mobilmachung. Eine ganze Anzahl Reserve- und Landwehrleute wurden hierdurch zu den Waffen gerufen. Sie übernahmen den ausgiebigen Schutz der Bahnen und Brücken. Die Bewachung wurde militärisch organisiert. Die Bahnschutzbeamten wurden von regelrechten Militärposten abgelöst. Seit diesem Tage wurde auch die Unterführung an der Poppelsdorfer Allee gesperrt.
Die Ereignisse waren soweit gediehen, und die Aufregung unter der Bürgerschaft so groß, daß diese fast nur noch auf der Straße lebte, sich vor dem General-Anzeiger sammelte. Alles erwartete den Mobilmachungs-Befehl: aber so bedrohlich auch die Nachrichten aus Rußland und Frankreich lauteten, zwei lange, bange Tage gingen noch dahin. Die Aufregung und Spannung der Bürgerschaft war auf einem Höhepunkt angelangt, der die wildesten Gerüchte auftauchen ließ. In dieser Stunde wurde das Spionenfieber geboren, von dem nicht viel Rühmliches gesagt werden kann. Wo sich nur einer verdächtig machte, wollten Hunderte ihn festnehmen. Aus diesem Anlaß sah sich neben anderen Straßen auch die Rathausgasse füllen mit dichten Menschenmassen. Wenige Menschen mögen in Bonn noch ihrer regelrechten Arbeit in diesen Tagen nachgegangen sein.
So kam der Samstag Nachmittag heran. 5 Uhr war’s, da läutete der Telegraph, und er brachte – endlich die Erlösung. Der Kaiser hatte die Mobilmachung des gesamten Heeres und der Flotte angeordnet. Das Gerücht war der amtlichen Nachricht schon Stunden vorausgeeilt. In den dichten Menschenmassen vor dem Geschäftshause des General-Anzeigers summte und surrte es wie in einem Bienenkorb. Aufgeregte Gespräche wurden laut, Schreie und Rufe ertönten, wurden beantwortet und unterdrückt, und als dann doch das inhaltsschwere Wort „Mobil!“ in unzähligen Sonderblättern unter die Bürger flatterte, ging ein einziger Schrei der Erlösung durch die Tausende und Abertausende. Hurrarufe durchbrausten die Luft. War’s ein Jubel-, ein Freudenschrei? – Es war der Schrei der Erlösung. Der unerträgliche Druck, die ungeheure Spannung war von den Menschen genommen. Nun hatte man Gewißheit; mag es sonst kommen, wie es will. Der Kaiser hatte befohlen, das Land war mobil. Der erste Mobilmachungstag war der 2. August.
Da ging ein seltsam Zünden durch das weite deutsche Reich. Ein Volk stand auf, reckte und dehnte sich und schwang seine Waffen. Keiner wußte damals, wie stark dieses Volk; vielleicht im eigenen Lande wußte man’s nicht. Wenn die Feinde es gewußt, sie hätten den Frieden dieses Volkes nie gestört.
Am Samstag abend ward die Mobilmachung befohlen, um Mitternacht rückten schon unsere Husaren aus. Im Dunkel der Nacht zogen sie durch die Straßen, Reiterlieder erklangen, kling, kling, tönten die Eisen der Pferde auf den Steinen. Im Morgengrauen rollten sie schon auf den eisernen Wegen dem Feinde entgegen. Das Volk war aufgestanden.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Verwundeten-Fürsorge. Am Freitag nachmittag erfreute die Drammersche Töchterschule durch ihren Besuch die verwundeten Soldaten der Kieferabteilung am Römerplatz. Durch herrlichen Gesang und Gedichtvorträge erfreuen sie die Herzen der armen Krieger. Besonderen Beifall und Heiterkeit erregte das lustige Stückchen „Alte und neue Welt“. In reichlicher Weise wurden die Soldaten beschenkt mit Süßigkeiten, Rauchwerk und Wein. Alle Soldaten sprachen den lieben kleinen Damen ihren herzlichsten Dank aus und freuen sich auf ein baldiges Wiedersehen.
Ein Handelskursus für Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren soll für die Zeit vom 10. September 1915 bis zum 1. August 1916 an der Städtischen Kaufmännischen Fortbildungsschule abgehalten werden. Der Kursus bezweckt, Frauen mit allen erforderlichen kaufmännischen Kenntnissen betraut zu machen, sodaß sie befähigt sind, als Gehilfinnen in kaufmännischen Bureaus Verwendung zu finden.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)