Donnerstag, 10. Juni 1915
Notreifeprüfung und Entlassungsfeier am Städt. Gymnasium und Realgymnasium.
Montag und Dienstag fand am Städt. Gymnasium und Realgymnasium die vom Kultusministerium für Juni angesetzte Notreifeprüfung statt. Außer 16 Oberprimanern, die als Kriegsfreiwillige ins Heer eintreten, unterzogen sich ihr 16 bei Kriegsausbruch aus Unterprima abgegangene, jetzt im Feld stehende Schüler. Von der Front aus Ost und West waren alle rechtzeitig eingetroffen. Sämtlichen Prüflingen konnte das Reifezeugnis zuerkannt werden. – Wegen des zur Zeit kurz bemessenen Urlaubs der jugendlichen Krieger fand die Entlassungsfeier schon am Mittwoch ½ 12 Uhr in der Aula statt. Nach einem einleitenden Vortrag des Schülerorchesters folgte ein flottes Chorlied „Frisch in den Kampf“. Mehrere Schüler trugen vom Geist der Stunde getragene Gedichte vor. Direktor Dr. Riepmann richtete Worte des Abschieds an die Abiturienten. Eine solche Notreifeprüfung, wie sie in diesen Tagen an unseren höheren Schulen stattgefunden habe, stehe beispiellos dar in der Geschichte des höheren Schulwesens. Außer den Abiturienten treten noch 8 Unterprimaner, 4 Obersekundaner und 10 Untersekundaner als Freiwillige ins Heer ein. Die Lehrer und Schüler, die das Städt. Gymnasium und Realgymnasium dem Vaterland zum heiligen Kampfe gestellt habe, bildeten eine gute halbe kriegsstarke Kompagnie. Die Bedenken, die sich vom nationalökonomischen Standpunkt gegen eine solche starke Heranziehung der gebildeten Stände ergäben, würden zerstreut durch die Notwendigkeit, daß die alte deutsche Wehrhaftigkeit erhalten, ja gesteigert werden müsse. Der Chor schloß die Feier mit zwei frischen Kriegsliedern.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Wehrbund. Die Leitung des Wehrbundes hatte am verflossenen Sonntag als Uebung das Aufsuchen eines Schützengrabens aufgestellt, der im Wald zwischen der Waldau und dem Annaberge an versteckter Stelle ausgehoben worden war. Nach erfolgreicher Erledigung der Aufgabe zogen die Abteilungen zu den auf dem Exerzierplatze angelegten Schützengräben. Hier hielt Herr Hauptmann Glißner, der an den Kämpfen im Westen teilgenommen hat, einen Vortrag über die Schützengräben, wie sie nach den gewonnenen Erfahrungen im Felde angelegt worden sind. Der Vortrag, der mit herzlichem Dank entgegengenommen wurde, gab nicht nur ein anschauliches Bild der genannten Anlagen, sondern auch in seiner lebendigen Schilderung eine Darstellung der an Anstrengungen und opferfreudigen Hingabe reichen Tätigkeit unserer mutigen Feldgrauen. Für den kommenden Sonntag ist ein Begegnungsgefecht auf dem Venusberg in Aussicht genommen. In Vorbreitung sind ein Marsch nach Köln zur Besichtigung des dortigen Pionierübungsplatzes und eine Uebung an der Sieg, bei der eine Brücke geschlagen werden soll. Die Schwimmübungen haben nun auch begonnen. Sie finden Sonntags im Freibad statt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Ein erfrischender Gewitterregen brachte gestern nachmittag Menschen, Tieren und Pflanzen die längst ersehnte Erquickung. Auf den Feldern und in den Gärten sog die trockene Erde das Wasser gierig ein. Neues Leben stieg in die schon wachstumsmüde gewordenen Halme und Aeste und Pflanzen jeder Art, die gereinigte Luft spendete am Abend wohltuende Kühlung. Obwohl der Regen über eine Viertelstunde lang „wie mit Eimern“ goß und dann noch etwa eine halbe Stunde in dünnen Fäden aus den Wolken kam, sind die Wünsche der Landwirte und Gärtner noch lange nicht befriedigt. „So einen Landregen von 3 oder 4 Tagen könnten wir brauchen“, sagen die Landleute.
Erntehilfe während der Ferien. Bei der diesjährigen Ernte wird der Mangel an geeigneten Arbeitskräften unvergleichlich schwerer empfunden, als im vorigen Jahre. Jeder einigermaßen wehrfähige Knecht steht jetzt unter den Fahnen, und städtische Arbeitslose finden jetzt in den Städten selbst passende Verdienstmöglichkeiten. So wird also die Hilfe unseres Jungvolkes auf dem Lande doppelt willkommen sein. Während des verflossenen Jahres hat sich die Hilfsbereitschaft unseres Jungvolkes unvermindert erhalten, es brauchen ihm nur neue Richtungen und Wege gewiesen werden. Der kräftige und noch nicht wehrfähige Teil unserer Schuljugend sehnt sich nach einer Gelegenheit, sich gewinnbringend für des Vaterlandes Wohl einzusetzen. Wenn also erneut der Aufruf an unser Jungvolk ergeht, sich schon zu rüsten, um wohlvorbereitet während der Ferien wieder zu ernster Landarbeit hinauszuziehen, dann wird kein rechter deutscher Junge zurückstehen wollen. Mancher Sekundaner wird begeistert aufspringen, die Jacke ausziehen, die Hemdsärmel aufrollen und durch entsprechende Gebärden seine Eltern davon überzeugen suchen, daß er fähig ist, kräftig mit in die Speichen zu greifen. Doch darf die Sache nicht überhastet werden. Mit freudiger Begeisterung ist es nicht getan; man darf die Arbeit, die auf dem Lande erwartet wird, nicht unterschätzen. Wohlvorbereitet, theoretisch wie praktisch, müssen unsere jugendlichen Hilfskräfte dieses Jahr hinausziehen, denn es fehlt diesmal nicht an Zeit zu gründlicher Vorbereitung. Sicher finden sich Sachkundige bereit, die zur Hilfeleistung sich Meldenden an einigen Abenden theoretisch mit den Erfordernissen der Erntearbeit bekannt zu machen. In den Turnstunden könnten praktische Uebungen gemacht werden. Zu ordentlicher, planmäßiger Durchführung dieses Hilfswerkes tut eine großzügige, weitverzweigte Organisation not, die schleunigst geschaffen werden muß. Vor allem wäre darauf zu achten, daß nur solche jungen Leute aufs Land hinaus geschickt werden, die zu arbeiten ernstlich bereit und nicht etwa nur auf eine kostenlose Sommerfrische lüstern sind.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)