Freitag, 4. Juni 1915
Die gestrige Fronleichnamsprozession fand, vom schönsten Frühlingswetter begünstigt, in der üblichen Weise statt. Die Beteiligung war groß. Unter den Teilnehmern waren besonders zahlreiche Soldaten in feldgrauer und bunter Uniform, unter ihnen auch Verwundete.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Im städtischen Fleischverkaufslokal an der Rathausgasse war am letzten Dienstag ein solch großer Andrang, daß die Türen aus den Riegeln gedrückt wurden und die Käuferinnen sich derart massenweise in den Verkaufsraum drängten, daß es nicht möglich war, auch nur einen Kunden zu bedienen. Da halfen keine guten Worte und kein Zurvernunftreden, die Menge drückte von draußen immer mehr nach, so daß schließlich die Verkaufstische gegen die Wand geschoben wurden, wodurch die ehrenamtlichen Verkäufer – zwei wohlbeleibte Herren – in eine sehr gequetschte Lage gerieten. Als alles Zureden nichts half, rief man nach der Polizei; da aber kein Beamter zur Verfügung war, erbat man vom Rathaus Hilfe. Ein Beigeordneter erschien jetzt und versuchte die sich stauende Menge zur Vernunft zu bringen – jedoch ohne Erfolg. Als dann nach einiger Zeit doch ein Polizeibeamter auf der Bildfläche erschien und mit den Frauen einmal gehörig Plattbönnsch redete, gab’s Luft. Die in Unordnung geratenen Verkaufstische wurden wieder in Reih und Glied gestellt, die Türen verrammelt und dann konnte der ordnungsgemäße Betrieb von statten gehen. Im übrigen wurden an diesem Morgen solche große Mengen an Schinken, Speck und Dauerwurst umgesetzt, daß auch der Vorrat, den man vorsorglich schon für den morgigen Samstag aufgestapelt hatte, mitverkauft wurde. Das hat aber nichts zu sagen, denn die Stadt hat sich so gut vorgesehen, daß voraussichtlich noch ein dritter Verkaufstag in der Woche eingelegt werden wird.
Die gestrige Fronleichnamsprozession wies eine Beteiligung auf, wie Bonn sie noch nicht gesehen hat. Bei schönstem Wetter und hellem Sonnenschein zog die schier unabsehbare Teilnehmerschar gegen ½9 Uhr vom Münsterplatz aus durch die im reichsten Schmuck prangenden Straßen der Altstadt, die gleichfalls von einer nach tausenden zählenden Zuschauermenge umsäumt waren. Der feierliche Umzug bot durch die verschiedenen Korporationen und Vereinen mit ihren Fahnen und den weißgekleideten Mädchen ein farbenprächtiges Bild. Unsere katholische Studentenschaft war nur mit vier Fahnen vertreten und auch die Beteiligung der Studenten war in Anbetracht der Kriegszeit naturgemäß sehr gering. Dafür waren aber die Soldaten unsrer Garnison – und zwar zum ersten Mal – ungemein zahlreich in der Prozession vertreten. Die katholischen Mannschaften des 1. und 2. Rekruten-Depots, Abordnungen unseres Husaren-Regiments und des Artillerie-Regiments, Landsturmleute, und viele Soldaten der Verwundeten-Kompagnie sowie zahlreiche Sanitätsmannschaften beteiligten sich an dem Umzuge. Ungemein packend war der Anblick der vielen Verwundeten, die trotz ihrer Kopfverletzungen, der Arm- und Beinschüsse den über zwei Stunden währenden Umzug bis zum Schluß mitmachten. Unsern Geldgrauen war auch beim Einzug der Prozession auf dem Münsterplatz, der kurz vor 11 Uhr unter feierlichem Glockengeläute vor sich ging, der Ehrenplatz um den reichgeschmückten Altar vorbehalten. Nach Spendung des sakramentalen Segens löste sich die Prozession, die sich als eine großartige Kundgebung katholischen Glaubens darbot, wieder auf.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Die Fronleichnamsprozession zog gestern unter einem wunderbar klaren Junihimmel mit Beten und Gesängen und mit der ganzen farbenschönen Pracht der Fahnen, Gewänder, Symbole und Kultgegenstände, die in der katholischen Kirche der Gottesverehrung dienen, durch die feierlich geschmückten Straßen und über die Plätze der Stadt. Ungeheuer groß war die Zahl der Beteiligung. In den Reihen der katholischen Männervereine und Gesellschaften und besonders bei den Vertretern der katholischen Studentenkorporationen machte sich der Krieg zwar bemerkbar. Dafür aber übertraf die Beteiligung der katholischen Frauen Bonns wohl das Doppelte der früheren Jahre. Aber das war es nicht, was der diesjährigen Fronleichnamsprozession einen besonders eindrucksvollen Charakter gab. Das war vielmehr die fast unzählige Menge der Soldaten und verwundeten Krieger, die mit mehreren Offizieren in dem feierlichen Zuge ging. Zuerst schritten die katholischen Mannschaften des Rekruten-Depots, dann die Mannschaften des Ersatzbataillons mit Einschluß der Verwundeten-Kompagnie, ihnen folgte eine große Anzahl Verwundeter, die sich noch in den Lazaretten in ärztlicher Behandlung befinden, Kopf und Arme noch in der weißen Binde und das Gesicht mit den ehrenvollen Abzeichen heißer Schlachten bedeckt. Dahinter kamen eine Abordnung des Husarenregiments, der Landsturm, die Eisenbahner und die Sanitätsmannschaften. Es mögen einschließlich der freiwilligen Sanitäter einige Tausend gewesen sein, die das militärische Element der Prozession bildeten. Ein großartiges, unvergeßliches Bild, das sich jedem aus der unzähligen Menge, die das gewaltige Schauspiel vom Schrittweg aus an sich vorbeiziehen ließ, tief ins Herz prägen mußte. Inbrünstiger und zahlreicher als am gestrigen Fronleichnamstage sind wohl selten die Gebete der Menschen zu Gott gestiegen.
In unserer skeptischen und pessimistischen Welt hat es immer und gibt es – trotz allem - auch heute noch Leute, die dieser Art der Gottesverehrung und Anbetung, diesem lauten und öffentlichen Glaubensbekenntnis der Katholiken kein Verständnis entgegenzubringen vermögen. Vielleicht begreifen sie es nun besser unter dem Eindruck dieses großen welterschütternden Krieges, der uns alle die gleiche Sehnsucht, die gleichen heißen Wünsche und Gebete an den Lenker der Schlachten erweckt hat.
Blumenschmuck für unsere Lazarette. Der Frühling ist eingezogen, die Gärten prangen im schönsten Blumenschmuck; es ist eine Lust, jeden einzelnen Garten zu betrachten, überall Blütenpracht in bunter Fülle. Da ist sicher die dringende Bitte am Platze: Gebt von eurem Ueberfluß den verwundeten Kriegern in den Lazaretten. Gerade der Bedauernswerten, die jetzt nur einen Blick durchs Fenster auf all die Lenzespracht da draußen werfen können, entbehren Blumen aufs schmerzlichste. Darum: Tragt Blumen in die Lazarette!
„Ernste sittliche Frauenpflichten“. Heute abend 8½ Uhr soll im Dreikaisersaal Frau Dr. Wegscheider von ernsten sittlichen Frauenpflichten reden. Dazu zwingt die Not der Zeit. Den Frauen ist die Hut der Jugend, ihnen ist die Pflege des neuen Geschlechtes anvertraut. Und nie sah das deutsche Volk mit größerer Erwartung auf die Kommenden als jetzt, wo es so viel der Besten unter den Lebenden verloren hat. An den Frauen, die der Krieg verschont hat, ist es, ihren Dank dem Vaterlande darzubringen durch doppelten Eifer. Hüterinnen der Sittlichkeit zu sein, das sei ihre heilige mütterliche Aufgabe.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)