Montag, 25. November 1918
Während der feindlichen Besetzung Vereins- und Versammlungsfreiheit. Herr Dr. Brüggemann teilt uns mit, daß er heute morgen folgendes Telegramm des Staatssekretärs Erzberger erhalten hat: Linksrheinischer Bevölkerung ist Erörterung innerpolitischer Fragen während Besetzung gewährleistet.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Die gestrige Volksversammlung im vollbesetzten großen Saale des Bürgervereins gestaltete sich zu einer imposanten Kundgebung liberal und demokratisch gesinnter Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt im Sinne des republikanischen Gedankens. Als Vertreter der fortschrittlichen Volkspartei sprach Herr Stadtsekretär Holstenberg aus Düsseldorf. Er gab einen Ueberblick über die großen politischen Umwälzungen unserer Tage, die zur Abschüttelung der Diktatur Ludendorffs geführt haben und die bürgerlichen Parteien zu einer Neuordnung ihres Programms zwingen, da das alte Programm nicht mehr in die neue Zeit hineinpaßt. Wir haben ein gewaltigen Trümmerfeld vor uns, für dessen Aufräumung wir so bald als möglich Sorge tragen müssen. Deshalb brauchen wir vor allem die baldige Einberufung der Nationalversammlung, ohne die es keinen Frieden gibt. [...]
Alsdann legte im Namen der demokratischen Vereinigung Herr Johannes Scherer den Standpunkt seiner Partei gegenüber dem republikanischen Gedanken dar, indem er sich ohne Einschränkung auf den Boden der sozialen Republik stellte. Anstatt des bisherigen Mehrheitswahlrechts forderte er das sogenannte Verhältniswahlrecht, das auch die Minderheiten zu Worte kommen läßt und als notwendige Vorbedingung dazu eine neue gerechte Verteilung der Wahlkreise. Weiterhin trat er für eine gesunde Bodenreform ein, die der Sozialisierung der industriellen Betriebe voranzugehen habe, eine radikale Abschaffung der Familienstammgüter, an deren Stelle Kriegerheimstätten zu treten berufen seien; nur auf diesem Wege könne die als Lohndrücker wirkende „industrielle Reservearmee“ beseitigt werden.
Kernige und packende, oft von Beifallsstürmen unterbrochene Worte fand hierauf Herr Geheimrat Landsberg von der Bonner Universität als Vertreter des nationalliberalen Gedankens. Am Schlusse seiner Ausführungen formulierte er folgende Sätze, die von den Erschienenen genehmigt wurden:
„1. Die am 24. November tagende, von liberalen und demokratischen Ordnungsfreunden einberufene Volksversammlung faßt folgende Beschlüsse:
Sie stellt sich auf den Boden der demokratisch-republikanischen Staatform und verurteilt alle kommunistisch-bolschewistischen Treibereien.
2. Sie fordert im Namen der Gerechtigkeit und zur Sicherung eines baldigen Friedens die schleunige Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung und befürchtet von ihrer weiteren Hinauszögerung Anarchie, Reichsverfall und gewaltsames Eingreifen unserer Feinde.
3. Diese beiden Beschlüsse sollen als öffentliche Kundgebung der Reichsregierung und der Presse übermittelt werden.
4. In Bonn soll die Wahl zur Nationalversammlung von allen liberalen und demokratischen Parteigruppen gemeinsam vorbereitet werden
5. Die Volksversammlung betraut mit dem Auftrage hierzu den von ihr gebildeten Wahlvorbereitungsausschuß; der Ausschuß erhält das Recht zur Zuwahl.“
[...]
Als Vorsitzender eröffnete und schloß die Versammlung Herr Dr. Krantz, nachdem er die Namen der Vertrauensmänner für die Wahlvorbereitung ausgegeben und von den Versammelten die allgemeine Zustimmung hierzu erhalten hatte.
Unsere Menschenverluste im Weltkrieg.
Nach einer privaten Bearbeitung der deutschen Verlustlisten bis zum 24. Oktober 1918 beträgt unser Gesamtverlust
1,611,104 an Toten,
3,683,143 an Verwundeten,
772,522 an Vermißten;
6,066,769 insgesamt
(Nach Abzug der Gefangenen verbleiben tatsächlich noch 151,248 Vermißte, von denen die meisten tot sein dürften. Die Gesamtzahl der Toten wird unter Hinzurechnung der noch nicht berücksichtigten Verlustlisten auf rund 2 Millionen geschätzt.)
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Universität. Folgende Bekanntmachung ist an verschiedenen schwarzen Brettern der Universität zu lesen: Auf meine Anfrage an die Waffenstillstandskommission, ob auch diejenigen in Bonn immatrikulierten Studierenden, die ihren Wohnsitz im Sinne des Rechts nicht im linksrheinischen Gebiet haben, als „Einwohner“ im Sinne des Abschnitts 6 der Waffenstillstandsbedingungen gelten, und damit ungefährdet in Bonn bleiben können, habe ich soeben folgende Antwort erhalten: „Telegramm: Rektor Zitelmann Bonn. „Alle dort immatrikulierten Studenten können ruhig dort bleiben. Staatssekretär Erzberger.“ Der Rektor Zitelmann.“
„Was ist nur vorgegangen in der Heimat? Wir haben seit Wochen keine Zeitungen mehr gelesen!“ Diese Frage kann man des Oefteren von unseren tapferen heimkehrenden Frontsoldaten hören. Ueberreicht daher den nach Aufklärung suchenden Kriegern die von Euch gelesene Deutsche Reichs-Zeitung, nicht nur solche von heute und gestern, sondern auch die in den letzten Wochen erschienenen, damit sie über die Vorgänge im Vaterland der Wahrheit gemäß unterrichtet werden.
Die Uniform als Zivilrock. Wegen Mangels an Zivilkleidern werden die Mannschaften ersucht, Militäranzüge weiter zu tragen. Der militärische Stand fällt fort, wenn die militärischen Abzeichen abgenommen und die Knöpfe durch Zivilknöpfe ersetzt werden. Vollends ist aber der Charakter der Uniform genommen, wenn ein anderer Kragen aufgesetzt wird. Das versteht jeder Schneider und er kann in dieser Richtung auch die besten Ratschläge geben. Auf alle Fälle ist bei dem Mangel an Zivilkleidern nicht darauf zu rechnen, daß nun sofort alle aus dem Heeresdienst Entlassenen einen Zivilanzug erhalten. Das kann sich bei der Schnelligkeit, mit der die Demobilisierung eingeleitet werden muß, erst allmählich vollziehen. Das möge man bedenken und nicht mit allzu unmöglichen Forderungen an die städtische Verwaltung oder andere Dienststellen herantreten. Nur eine völlig geordnete Abgabe kann jedem zu seinem Recht verhelfen. In erster Linie sorge aber jeder aus dem Heeresdienst Entlassene, daß er auch die richtigen Entlaßpapiere besitzt, denn sonst kann es ihm blühen, daß er von den Besatzungstruppen interniert wird, weil er sein Ausscheiden aus dem Heeresdienst nicht nachweisen kann.
Der Einquartierungsausschuß macht wiederholt darauf aufmerksam, daß die Einquartierung ohne Verpflegung erfolgt. Der sich etwa auf Quartierzetteln gedruckt oder handschriftlich vorfindende Vermerk „mit Verpflegung“ ist ungültig.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)