Sonntag, 15. September 1918
Lazarettzug K.1. Der Ausschuß des Bonner Lazarettzuges sieht sich von neuem genötigt, den Wohltätigkeitssinn der Bonner Bürgerschaft aufzurufen und neue reichliche Spenden zu erbitten. Wie schon im Bericht über den Monat Juli ausgeführt wurde, haben sich die Ausgaben für alle Gegenstände gegenüber denen des vorigen Jahres auf etwa das doppelte erhöht. Und soll nicht der Lazarettzug jetzt nach fast vierjähriger Tätigkeit seine heuet besonders wichtige Tätigkeit einstellen. So müssen ihm neue erhebliche Mittel zufließen. [...] Die Verwundeten wurden von der 113. Fahrt nach Neudietendorf, Rudolfstadt und Jena gebracht.
Zur Milderung der Fettnot. Am meisten leidet unsere Ernährung durch die Fettnot. Sie zu mildern muß von ungeheurer Bedeutung für das ganze Volk sein. Der große Blütenreichtum unserer Laubbäume in diesem Frühjahr ist bekannt. Unsere Eichen und Buchen tragen gegenwärtig eine Befruchtung, wie sie kaum alle 100 Jahre vorkommt, und zwar ohne Unterschied des Alters, 60jährige Buchenstämme wollen unter der Last ihrer Früchte brechen, genau wie Jungholz oder alte Bäume. Die Frucht der Buche (Ecker oder Bucheln) enthält über 28 Prozent Fett, das als gutes Oel bekannt ist und in der Hauptsache aus oleinsaurem Glyzerin besteht, wenig Palmetin und Stearin enthält, also auch schwer ranzig wird. Es gibt Buchen, die gegenwärtig 8 bis 10 Kilo Eckern tragen. Die Oelausbeute hält sich so um 20 Prozent. Man kann also ermessen, was bei unserem Buchenbestand von 650.000 Hektar an Oel gewonnen werden kann.
Die Bucheckernsammlung, die jetzt bald beginnt, wird durch die Kriegswirtschaftsämter mit Hilfe der Schulen, ähnlich wie beim Laubsammeln, durchgeführt. Für die öffentlichen Sammlungen sind die Staats- und Privatwälder freigegeben. [...]
Fleischgerichte in Wirtschaften. Die Provinzialfleischstelle für die Rheinprovinz warnt die Inhaber von Gastwirtschaften und Hotelbetrieben nochmals vor der markenfreien Abgabe von Fleisch und der ungenügenden Entwertung der Fleischmarken und weist gleichzeitig darauf hin, daß Dienstags und Freitags Fleisch, Fleischwaren und Speisen, die ganz oder teilweise aus Fleisch bestehen, nicht an Verbraucher verabfolgt werden dürfen. Nachdem zahlreiche Beschwerden über die Mißstände eingegangen sind, hat die Provinzialfleischstelle Ueberwachungspersonen für die ganze Provinz mit dem Auftrage angestellt, jeden Zuwiderhandlungsfall der Gastwirte und Hoteliers zur Anzeige zu bringen, worauf die Schließung des Betriebes auf längere Zeit oder sogar dauernd unnachsichtlich erfolgen wird. Die scharfen Maßnahmen sind im Interesse der Schonung unserer Viehbestände unbedingt geboten.
Wochenkalender der Bonner Frauenvereine.
Hauswirtschaftliche Kriegshilfe. Anmeldungen zu Schuhkursen werden entgegen genommen in der früheren Flickschusterei (Universität, Am Hof 1). Daselbst bietet die Kleiderberatung (Neues aus Altem) jeden Mittwoch von 3 bis 6 Uhr Gelegenheit, unter sachverständiger Leitung Anfertigungen und Aenderungen an Kleidern vorzunehmen.
In der hauswirtschaftlichen Beratungsstelle (Städt. Sammelstelle, Am Hof) sind außer vielen kriegsgemäßen Kochrezepten und Angaben über Selbstanfertigung von Kochkisten auch neue Merkblätter über bargeldloses Zahlen zu haben. Die Chamottsteine (zum Backen in der Kochkiste) sind bei Frau Vogel Fürstenstraße zu kaufen.
In der städtischen Sammelstelle ist eine Annahme von gebrauchten Möbeln und sonstigem Hausrat eingerichtet worden, um unbemittelten Brautpaaren die Gründung ihres Hausstandes zu erleichtern. Alle wohlhabenden Familien sind herzlich gebeten aus ihren reichen Beständen beizusteuern und diese zeitgemäße Einrichtung wirksam zu unterstützen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Auch eine Kriegserscheinung. In den ersten Sperrsitzreihen des Operettentheaters gabs am Freitag abend eine kleine Sensation. Während der Pause verbreitete sich plötzlich ein Duft, der weder von Patchouly, Moschuß oder Kölnischem Wasser herrühren konnte. Einer sah den anderen an: man schnupperte in der Luft umher, suchte auf der Erde, aber nichts war zu entdecken, was diesen unangenehmen Geruch hervorgerufen haben könnte. Schließlich kam eine ältere Dame der Sache auf den Grund: sie wies auf zwei Arbeiterinnen, die in der ersten Reihe, direkt hinter dem Orchester saßen und herzhaft in ihre Butterbrote mit – Limburger Käse bissen. Allgemeine Entrüstung, über deren Berechtigung man geteilter Meinung sein kann. Worte, wie Rücksichtslosigkeit, mangelndes Taktgefühl, schlechte Kinderstube usw. flogen an die Adresse der beiden Mädchen, die sich aber den Appetit nicht verderben ließen und ruhig weiter aßen. Als der Vorhang hochging, war der „üble Geruch“ so weit verflüchtigt, daß sich auch allgemach die Aufregung wieder legte.
Der Wunsch nach wasserdichtem Schuhwerk drängt sich besonders lebhaft in dieser Zeit auf, wo der Herbst mit seiner Feuchtigkeit herannaht. Jeder möchte gern Leder- statt Ersatzsohlen haben. Aber die harte Kriegsnotwendigkeit zwingt uns zu der Einsicht, daß in erster Linie unsere Soldaten mit bestem Lederzeug ins Feld geschickt werden müssen. Für die Heimat bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die emsige Arbeit der deutschen Technik hat einen Ausweg aus der Sohlennot gefunden. Es sind bereits Ersatzsohlen aus Sperrholz und Lederabfällen im Verkehr, die in Wärme und Wasserdichtigkeit den Ledersohlen nichts nachgeben und auf denen man bequem und weich gehen kann. Zum Ausbessern der Schuhe wende man sich am besten an einen Schuhmacher, der geschickt mit Holzsohlen fertig werden kann. Die in den Lehrwerkstätten in Berlin ausgebildeten Schuhmacher haben die Kenntnis der Verarbeitungsweise der Ersatzsohlen auch an ihre Fachgenossen in der Heimat weitergegeben und verarbeiten die Holzsohlen nunmehr ebenso zuverlässig wie die Ledersohlen. Also Vertrauen gefaßt zu den Kriegssohlen! Wer sie trägt, ist vor nassen und kalten Füßen geschützt.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Zur Gründung von ländlichen Arbeitsheimen für sittlich gefährdete Mädchen und Frauen.
Der Krieg hat zahlreiche junge Mädchen und Frauen aus der Familie hinaus in die Munitionsarbeit geführt, wo sie vielen unvermeidbaren Gefahren ausgesetzt sind. Es ist zu befürchten, daß bei eintretendem Mangel an gleich hoch gelohnter Beschäftigung, insbesondere die noch jugendlichen Arbeiterinnen den Städten zuströmen und dort körperlich und geistig zugrunde gehen.
In dankenswerter Weise hat der Provinzial-Ausschuß der Rheinprovinz in einer Sitzung vom 25. Juni d. J. es übernommen, weibliche Jugendliche, die noch nicht vorbestraft, der Landespolizei übergeben werden, nicht wie früher lediglich dem Arbeitshause Brauweiler zuzuführen, sondern dieselben, in geeigneten Fällen, mit Hilfe der Fürsorge-Vereine, auch in anderen Erziehungsanstalten unterzubringen.
Vor dem Gerichte werden Mädchen, welche mit bewilligtem Strafaufschub wegen eines Vergehens verurteilt sind, wenn sie in der eigenen Familie gefährdet erscheinen, den Fürsorge-Vereinen zur Unterbringung übergeben.
Durch das langjährige Fehlen des Vaters in der Familie und weil oft die Mutter gezwungen ist, außerhalb des Hauses für den Unterhalt der Familie zu arbeiten und die Kinder sich selbst überlassen bleiben, nimmt die Zügellosigkeit der Jugendlichen in erschreckendem Maße zu.
In all diesen Fällen gilt es einzugreifen, die Zufluchtshäuser und klösterlichen Anstalten der Städte sind aber überfüllt; deshalb müssen diese Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden. Durch Aufenthalt in freier Luft, bei Landarbeit und geregelter Lebensweise, mit ernst erziehlicher Einwirkung sollen die vielfach auch körperlich geschädigten jugendlichen Arbeiterinnen an Leib und Seele wieder gesunden.
Die evang. Rhein.-Westf. Frauenhilfe und die kath. Fürsorge-Vereine vom Rheinlande und Westfalen haben es auf Anregung der Rhein.-Westf. Gefängnis-Gesellschaft übernommen, in beiden Provinzen je ein katholisches und ein evangelisches ländliches Arbeitsheim zu errichten.
Die Spitzen der geistlichen und weltlichen Behörden sind einem Ehrenausschusse für die Gründung beigetreten. Um für dieses Liebeswerk die notwendigen Mittel zu beschaffen, hat der Staatskommissar für Kriegswohlfahrtspflege die Genehmigung zu einer einmaligen Sammlung erteilt. [...] Es handelt sich, deutsches Blut vor dem Verderben zu bewahren zum Besten der Volkskraft. [...]
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)