Donnerstag, 5. September 1918
Die höheren Milchpreise, die wir vorgestern mitgeteilt haben, sind schon am 1. September in Kraft getreten.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Die Gaseinschränkung der Verbraucher. Das Oberbürgermeisteramt teilt mit: Infolge ausreichender Kohlen-Belieferung des städtischen Gaswerkes konnte die nächtliche Gassperre bis auf weiteres aufgehoben werden. Um Irrtümer vorzubeugen, wird darauf hingewiesen, daß die Aufhebung der Gassperre nicht auch die Aufhebung der Gaseinschränkung bedeute. Auch weiterhin muß sparsamst mit dem Gasverbrauch umgegangen werden; die von dem Reichs-Kommissar für die Kohlen-Verteilung z. Zt. angeordnete Gaseinschränkung bleibt bestehen. Nach wie vor dürfen also nur die gleichen Gasmengen wie im Kalenderjahr 1916 verbraucht werden. Für Mehrverbrauch tritt das Aufgeld von 50 Pfg. für jeden Kubikmeter ein, das vierteljährlich für 3 Monate zusammengerechnet erhoben wird.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Flaumachen.
Von C. Hauptmann.
Eine ganz ungewöhnliche Menge von Eingesandt ist uns seit Sonntag in Betreff der städtischen Kohlenverordnung zugegangen. Wir veröffentlichen deshalb eine derselben für alle übrigen. Es heißt darin:
„Im vorigen Winter habe ich von der Stadt nicht die mir zustehende Kohlenmenge rechtzeitig erhalten können, so daß ich jämmerlich frieren mußte. Ich war genötigt, meine Speisen auf dem Gasofen zuzubereiten, dafür strafte mich die Stadt mit einer empfindlich hohen Geldstrafe. Das Gas war überdies so schlecht, daß man viel mehr verbrauchen mußte, wie vorher. Wer verdient da Strafe, die Stadt oder ich?
Durch Schaden klug gemacht, suchte ich im Laufe des Sommers an Briketts zu kommen. Davon war Ueberfluß, man konnte sie nur nicht transportieren. Dadurch gelang es mir, nach und nach eine kleinere Quantität Briketts zusammen zu bringen, allerdings mit hohen Kosten, die ich auf mich nahm, um von der Stadt Bonn im Winter nicht wieder bestraft zu werden, wenn sie mir keine Kohlen liefern konnte. Nun las ich heute folgende Verordnung:
„Wer Brennstoffe besitzt, ist verpflichtet, die Art und Menge des eingelagerten Brennstoffes bei der Anmeldung zur Kundenliste anzugeben.
Wer verschweigt, daß er Brennstoffe eingelagert hat oder die Menge unrichtig angibt, wird gemäß § 5 dieser Verordnung in Strafe genommen. Außerdem können die Brennstoffmengen, welche über die nach §§ 4 und 5 der Verordnung vom 26. April 1918 zustehenden Mengen hinausgehen, auf Kosten des Betreffenden weggenommen und der allgemeinen Verwendung zugeführt werden.
Die Angestellten und Beauftragten der Ortskohlenstelle sowie die Polizeiverwaltung sind berechtigt, alle Räume, insbesondere die Keller, jederzeit zu betreten, um den Bestand an Brennstoffen festzustellen. Alle Räume, in welchen Brennstoffe lagern, sind dabei vorzuzeigen und evtl. ist dem Prüfer jede Auskunft über Brennstoffe zu geben. Für ausreichende Beleuchtung der Räume ist Sorge zu tragen.
Die ausreichende Beleuchtung soll wahrscheinlich zur Ueberschreitung der Gasmenge mit darauffolgender Strafe führen.
Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Bekanntmachung und gegen die Vorschriften und Anordnungen, welche vom Oberbürgermeister auf Grund dieser Verordnung noch zu erlassen sind, werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 10.000 Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft. Ferner kann auf Einziehung der Brennstoffe erkannt werden, auf die sich die Zuwiderhandlung bezieht, ohne Unterschied, ob sie dem Täter gehören oder nicht.“
Nun wären diese Strafen verständlich, wenn ein Kohlenhamster die Allgemeinheit dadurch schädigte. Aber das ist gar nicht der Fall, die mangelnde Transportgelegenheit ist nur die Ursache, daß wir hier in Bonn nicht mehr Briketts haben. Ich nütze also der Allgemeinheit, wenn ich mir für den Winter Brennstoff beschaffe, ich kann dann besser auf die städtischen warten oder komme auch durch, wenn ich ihre nicht erhalte. Die Konsequenz dieser Verordnung ist doch nur die, daß umgekehrt die Herren Stadtverordneten bestraft werden müssen, wenn sie mir die versprochenen Kohlen nicht liefern. Strafen ist allerdings sehr leicht, dazu gehören gar keine Kenntnisse. Die Stadtverordneten sollten aber einmal darüber nachdenken, welchen Erfolg eine solche Verordnung hat. Der ärgste Flaumacher ist nicht im Stande, eine so unheilvolle Stimmung zu erzeugen, wie eine solche Verordnung.“
Soweit die Zuschrift, die ungefähr denselben Inhalt wie die übrigen besitzt. In allen wird betont, daß es unbegreiflich sei, daß bei den gegenwärtigen Zuständen solche Verordnungen zu Stande kommen, die nur zu sehr dazu geeignet sind, jede patriotische Stimmung zu töten.
„Es ist sehr hübsch, wenn unsere Stadtverordneten,“ heißt es in einem anderen Eingesandt, patriotische Reden an der Arndteiche halten und mit Orden für ihre patriotische Tätigkeit während des Krieges geschmückt werden, aber darauf paßt die Kohlenverordnung wie eine Faust auf ein Auge. Sie waren im vorigen Winter nicht fähig, uns genügend Kohlen zu liefern, sie wollen jetzt ihre Fähigkeit im Strafen zeigen.“
Was hier gesagt wird, ist klar genug und leider richtig. Im ganzen Reich macht sich übrigens die Empörung Luft über das, was der Bureaukratismus bei uns verbricht, den man als unseren Feind im eigenen Land bezeichnet. […]
Vor einigen Wochen war von einem fleißigen Manne – er muß Sinn für Satire haben oder auch ein Bureaukrat sein – festgestellt worden, daß wir seit Kriegsbeginn mit über 38.000 Bestimmungen, Verfügungen und ähnlichem bedacht worden sind. Das spricht tatsächlich Bände! […]
Die Kehrseite bilden aber die Organe, deren Zahl natürlich die Märchenziffer von 38.000 weit überschreitet, die berufen worden sind, oder sich berufen fühlen, die Bestimmungen zur Ausführung zu bringen. Viele tun es, um ihre Existenzberechtigung nachzuweisen. Hier setzen der Bureaukratismus, die Schikane, der Dünkel ein, und zwar auch bei der Ausführung der wenigen tatsächlich notwendigen Kriegsbestimmungen, wie bei der Rationierung der Lebensmittel, bei einem Teil des Bezugsscheinwesens und anderen. Die Kriegsbestimmungen haben es mit sich gebracht, daß eine Unzahl gar nicht dazu geeigneter Menschen sich als Vorgesetzte ihrer Mitbürger betrachten und aufspielen. […]
Unsere Staatsbehörden sollten sich indessen klar darüber sein, daß diese Schikanen, die zur Vergiftung der allgemeinen Stimmung führen, unterbunden werden müssen. Das sind Dinge, die in die Mappe „Eilt“ gehören. Es ist zunächst zweierlei nötig. Einmal die Prüfung, wieviele der 38.000 Kriegsbestimmungen fortfallen können. Sagen wir einmal rund 37.900. Von dem so freiwerdenden Personal könnte die zweite Forderung erfüllt werden, nämlich die ausführenden kleinen Beamten und Beamtinnen bei ihrem Verkehr mit dem Publikum unter schärfste Aufsicht zu stellen und jede Schikane rücksichtslos zu unterdrücken. Dabei käme für die Armee ganz automatisch ein schöner bonus heraus: von dem dann noch freibleibenden Personal könnte eine stattliche Armee aufgestellt werden. Sie könnte ihr Mütchen am Feinde kühlen, die Heimat würde von Plagegeistern befreit, die Stimmung im Lande um 100 Prozent gehoben werden. Das wäre immerhin schon ein Erfolg.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Leitartikel)