Samstag, 6. Juli 1918
Fliegeralarm. Von Montag, den 8. Juli ab, wird der Fliegeralarm in Bonn anders geregelt. Die Kirchengeläute und die Dampfpfeifen fallen fort und der Alarm wird lediglich durch Sirenen und Signalbomben gegeben. Der wesentliche Unterschied gegenüber früher besteht in zwei Punkten:
1. Der Alarm wird sowohl am Tage als auch in der Nacht erfolgen. Bis jetzt fand nur am Tage eine Alarmierung statt. 2. Die Sirenen tönen nicht mehr während des ganzen Alarms, sondern nur bei Beginn und Ende desselben. Dies ist notwendig, um den Flugzeugabwehrbatterien die Möglichkeit des Abhorchens feindlicher Flugzeuge zu geben, was beim Tönen der Sirenen während der ganzen Dauer des Fliegeralarms unmöglich ist. Es ist dabei zu bedenken, daß die Sirenen von den Abhorcheinrichtungen außerordentlich weit zu vernehmen sind.
Der Fliegeralarm wird also von Montag an wie folgt gegeben:
Bei Beginn heulen die auf der Elisabethkirche, der Münsterkirche, der Stiftskirche und dem Elektrizitätswerk aufgestellten Sirenen zwei Minuten lang in auf- und absteigenden Tönen. 2. Von der Kaserne in der Ermekeilstraße, der Loekaserne und der Feuerwache in der Maxstraße werden kurz hintereinander zwei Signalbomben abgeschossen. 3. Die Straßenbahnwagen werden zum Halten gebracht.
Die Beendigung des Fliegeralarms wird wie folgt bekanntgegeben: 1 Die Sirenen erschallen in gleichmäßigen Tönen eine Minute lang. 2. Die Straßenbahnwagen fahren wieder an.
Um die Anlage hinsichtlich ihrer Betriebssicherheit dauernd zu beobachten, wird von Montag, 8. Juli, ab täglich abends 7 Uhr eine Minute lang dauerndes Sirenensignal gegeben. Es handelt sich also täglich um diese Zeit lediglich um eine Prüfung der Sirenen.
Um die Bevölkerung mit der neuen Alarmierung vertraut zu machen wird Montag, 8. Juli, abends 7 Uhr, der ganze Fliegeralarm einschließlich Abfeuern von Signalbomben als Probealarm durchgeführt. Es sei also besonders darauf hingewiesen, daß es sich an diesem Tage lediglich um einen Probealarm handelt. Die Bevölkerung wird gut tun, sich hierfür eingehend zu interessieren. [...]
Bei den letzten Fliegeralarmen war die Haltung der Bevölkerung durchaus ungenügend. Die Straßen werden noch immer nicht geräumt gehalten. Darauf muß aber unbedingt gedrungen werden, um Unglücksfälle zu verhüten. Eine lange Zeitdauer des Alarm darf diese Bestimmung unter keinen Umständen durchbrechen. Es ist Pflicht der Eltern und aller Erwachsenen, in erster Linie hierüber die Kinder zu belehren. Die Bevölkerung scheint die letzten Unglücksfälle, die sich in den Nachbarstädten ereigneten, schnell wieder vergessen zu haben, sonst wäre es nicht zu erklären, daß man derart leichtsinnig vorgeht. Es sei also noch einmal aufs dringendste davor gewarnt, nach Ertönen der Signale für Fliegeralarm auf die Straße zu gehen und keine Deckung zu suchen. [...]
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Zum Verbot des Brotverkaufs in Bonn. Wie bekannt, hat das städtische Lebensmittelamt notgedrungen die Verordnung erneut ergehen lassen müssen, daß Samstags und Sonntags kein Brot mehr für die kommende Woche von den Bäckern verkauft werden darf. Diese Verfügung, die auf die Erscheinung zurückzuführen ist, daß die Zahl der Verbraucher ständig wuchs, die mit ihrem Brot stark auf „Vorschuß“ lebte, hat in unserem Sprechsaal zu der Anregung geführt, daß man die Schwerarbeiter und Schwerstarbeiter, die Montags schon früh morgens zur Arbeit gehen müssen, von der an sich durch die Umstände gebotenen Bestimmung ausnehmen möchte. Herr Beigeordneter Piehl, der erfahrungsgemäß jeden gesunden Vorschlag gerne aufgreift, hat in dankenswerter Weise bestimmt, daß die Bäckereien auf die Zusatzkarten der Schwer- und Schwerstarbeiter wie bisher an den Samstagen und den Sonntagen bereits Brot für die kommende Woche abgeben dürfen. Der übrige Teil der Bevölkerung muß sich allerdings dem ergangenen Verbot fügen.
Eine Anzahl von Kaninchen und ein Paar Strümpfe hatte ein junger Mensch aus Honnef gestohlen. Er hat den Krieg in Rußland mitgemacht, ist dort verschüttet worden und gab auf alle Fragen des Vorsitzenden die Antwort, das wisse er nicht mehr. Nach dem Urteil eines Sachverständigen ist der Angeklagte nicht als geisteskrank zu betrachten. Er wurde von der Strafkammer als zurechnungsfähig angesehen und zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt, wovon drei Monate durch die Untersuchungshaft verbüßt erklärt wurden.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Betrifft Abgabe getragener Kleidungsstücke. Es ist in letzter Zeit soviel über die schlechte Bezahlung der abzuliefernden Anzüge für die Rüstungsindustrie geschrieben worden in der Annahme, daß der Munitionsarbeiter infolge seines horrenden Verdienstes eben mehr für die Anzüge bezahlen könnte wie vorgesehen. Dem entgegen muß ich denen, die da am lautesten schreien über die schlechte Bezahlung eines einzigen Anzuges, den sie abgeben, erwidern: Wie laut soll der Munitionsarbeiter schreien über die fortwährend ungenügende Bezahlung seiner täglichen Leistung? Ein Beispiel ist denen ja im Sprechsaal vorgeführt worden: ein anderes soll ihnen heute, und zwar von einem besser besoldeten Munitionsarbeiter entgegengehalten werden. Schreiber dieses arbeitet in Wahn mit einem tägl. Verdienste von 15 Mk. und ist bei seiner vierköpfigen Familie froh, daß er sich recht und schlecht durchschlägt, ohne dabei an aufzubezahlenden Anschaffungen auch nur denken zu können. Habt Ihr Schreier Euch mal die Arbeiter der erwähnten Industrie angesehen? Wie sie herumlaufen, gelb an Haut und Haaren, gelb an der Kleidung, oder blau im Gesicht infolge von Säurevergiftung? Ist das der vielgepriesene Munitionsarbeiter mit dem sehr, sehr hohen Lohn? Nein, schon allein des Aussehens wegen nicht weniger noch wegen der hohen Schädigung seiner Gesundheit, die die Einwirkung des Giftes auf ihn ausübt. Wo ist denn die Bezahlung für die teure Gesundheit? Wer gibt dem Arbeiter der chem. Industrie etwas in seinen Krankheitstagen und derer sind nicht wenige im Jahre? Etwa diejenigen, die da schreien wegen des Ausfalls von ein paar Mark für den zu schlecht bezahlten Anzug? Wenn wir darauf warten sollen, wären wir längst verhungert. Also laßt auch die Munitionsarbeiter mit dem sehr, sehr hohen Lohn in Ruh, es ist immer ein Häkchen dabei. Im Namen vieler Arbeiter der chem. Industrie: H. Schmitz
An den Urlauber E. Bl. Sie schreiben:
„Unsere Frauen opfern dem Vaterlande ihre Männer und Söhne, wogegen ein beträchtlicher Teil der Beamtenschaft noch kein Feldgrau am Leibe gehabt hat. Wenn diese Soldat werden mußten, so sind deren viele, die es nur für kurze Zeit waren.“ Diese Ihre Auffassung, die sich bei vielen Feldgrauen eingefressen haben mag, ist falsch. Fragen Sie einmal bei den Kommunalverwaltungen und in den staatlichen Aemtern an, wie viele Beamte im Felde stehen, wie viele gefallen oder verwundet sind. Sie werden dann vielleicht Ihre Bemerkungen bereuen. Und daß viele Beamte nur für kurze Zeit Soldat sind, ist ebenfalls falsch. Auch darüber können Sie an amtlicher Stelle eines Besseren belehrt werden. Ueberhaupt ist die Gegenüberstellung der Schützengrabenleute und der Männer in der Heimatarmee von Uebel. Es wird kein deutschfühlender Mensch zuhause ins Grab sinken, der nicht bis zum letzten Augenblick das Gefühl unverlöschlicher Dankbarkeit gegen unsere Männer im Felde in sich getragen hat. Aber umgekehrt haben viele Feldgrauen noch nicht richtig gelernt, über die Leistungen der Heimatarmee und ihre Nöte nachzudenken. Die Beamten und Angestellten in den staatlichen und kommunalen Verwaltungen und in unseren privaten industriellen und kaufmännischen Betrieben haben für die Aufrechterhaltung unseres deutschen Wirtschaftslebens ganz Außerordentliches geleistet, vielfach unter persönlichen Opfern, über deren Umfang vielleicht Herr Bl. keine Vorstellung hat. Die Teuerung der Lebenshaltung hat durch die Kriegszuschüsse keinen Ausgleich finden können, und so ist es gekommen, daß viele Beamte und Angestellte nicht nur ihre ersparten Guthaben völlig aufgezehrt haben, sondern auch noch größere Summen anleihen mußten, um das Gespenst der Unterernährung von ihrer Scholle fernzuhalten. Was würde der Urlauber Bl. nach dem Kriege machen, wenn die Beamten und Angestellten, die in der Heimat wirken, auch noch draußen im Felde gestanden hätten und die gesamte deutsche Volkswirtschaft verödet wäre? Die Männer der Heimatarmee wollen ihre Leistungen und Verdienste sicherlich nicht in ein gleiches Verhältnis rücken mit den Großtaten unserer Feldgrauen. Aber sie wollen sich andererseits nicht gefallen lassen, von einem Urlauber und einem etwaigen Gesinnungsgenossen über die Schulter angesehen zu werden: dazu sind die Opfer, die sie im Hinblick auf die erlittenen jahrelangen Entbehrungen und die vielfach kaum wieder einbringlichen finanziellen Einbußen erlitten haben und im wachsenden Maße erleiden, viel zu bitter. Wenn unsere Feldgrauen, was hoffentlich nicht mehr allzu lange dauert, wieder in die Heimat zurückkehren und am Aufbau unserer deutschen Volkswirtschaft wieder teilnehmen, dann mögen sie auch ein klein wenig Gerechtigkeitsgefühl gegen die zuhause Gebliebenen mitbringen, die im Kampfe mit der eigenen Existenz dazu beigetragen haben, daß unsere Feinde den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands trotz furchtbarster Anstrengungen nicht erzwingen konnte. Einer von der Heimatarmee.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)
Fliegeralarm. Heute Vormittag um 8 Uhr begann in Bonn Fliegeralarm; wann er aufgehört hat, kann man nicht sagen, da kein Einwohner etwas von einem Schlusszeichen bemerkt hat. Ueberhaupt war der ganze Alarm eine verunglückte Sache, da fast niemand sich um den Alarm kümmerte, da man nicht wußte, worum es sich eigentlich handelte. Der Grund hierfür liegt darin, daß man eine neue Art des Alarmierens eingeführt hatte, ohne daß diejenigen, für die der Alarm bestimmt ist, nämlich die Bevölkerung, darüber unterrichtet war. Glücklicherweise ist kein Angriff erfolgt, sonst hätte es z. B. auf dem Wochenmarkte eine ganz gewaltige Katastrophe geben können. Bei diesem einen äußerst unglücklichen Fehler aber blieb es nicht. Der zweite Fehler bestand darin, daß man nicht zu der alten Art des Alarms überging, nachdem man bemerkte, daß die Bevölkerung irregeleitet war. [...]
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)