Montag, 7. Januar 1918

     

Anzeige im General-Anzeiger vom 7. Januar 1918Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Hänisch sprach gestern nachmittag im Volkshause an der Sandkaule über den „Kampf um den Frieden und um das neue Preußen“. Er führte etwa aus: Die Versuche, das Friedenswerk von Brest-Likowsk zu zerstören, gehen in erster Linie von England aus. Aber auch gewisse Kreise in Deutschland gefährden mit ihrem Geschrei nach der Einverleibung Kurlands Litauens sowie gegen die Selbständigkeit Polens den deutsch-russischen Verständigungsfrieden. Es wäre aber dummes Zeug, zu glauben, daß nach einem so gewaltigen Erdbeben die früheren Grenzen wieder hergestellt werden könnten. Es ist durchaus verständlich, daß das deutsche Volk wünscht, für den Verlust von Kiautschau und vielleicht auch der Südseeinseln durch ein einheitliches deutsches Kolonialreich in Afrika entschädigt zu werden, das unsere Rohstoffeinfuhr sichert. Man kann auch vernünftig darüber reden, ob es wünschenswert ist, für unsere überschüssige Volkskraft in den bisher russischen Gebieten neues Siedlungsland zu bekommen. Auch auf dem Balkan kann der frühere Zustand nicht wiederhergestellt werden; Serbien muß einen freien Zugang zum Meer haben. Bulgarien muß seine mazedonischen Stammesgenossen mit sich vereinigen. Alle solche Veränderungen sollen aber auf dem Wege der friedlichen Verständigung erfolgen, nicht dadurch, daß eine Partei der anderen restlos ihren Willen aufzwingt. Keine der kriegsführenden Mächtegruppen wird die andere jemals völlig niederzwingen können, es muß also schließlich doch einmal zu einer Verständigung kommen; warum soll da diese Verständigung nicht heute schon möglich sein? Auch wir Sozialdemokraten lehnen einen Frieden ab, der gegen die deutsche Ehre geht, die Selbständigkeit des Reiches antastet oder auch nur einen Fetzen Landes von unserem Reiche abreißt; der Friede muß die wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit Deutschlands unbedingt gewährleisten. Eine dauernde Verständigung mit Rußland ist für den Weltfrieden viel wichtiger, als wenn wir unsere Grenzen im Osten ein paar Kilometer weiter vorschieben würden. Wenn wir den Frieden im Osten erst haben, dann kommen die anderen Staaten von selbst nach. Der Krieg hat überall die gewaltigsten Umgestaltungen hervorgerufen. Die gelbe Gefahr, vor der der Kaiser vor 20 Jahren warnte, ist zur Tatsache geworden. London ist endgültig nicht mehr der Bankier der Welt, das ist jetzt Neuyork. Der Krieg hat dem Nationalismus im alten Sinne das Grab gegraben, nach dem Kriege wird einem englisch-amerikanischen Imperium ein mitteleuropäisches Imperium, dem hoffentlich auch das russische Reich angehört gegenüberstehen. Nikolaus II. kann sich jetzt schon selbst der Schönheiten Sibiriens freuen, während die von der Polizei aller Länder verfolgten Lenin und Trotzki mit unseren Regierungen verhandeln. England, das vor dem Kriege konservativste Land, führt das Frauenwahlrecht ein. Auch wir stehen schon mitten in dem Umgestaltungsprozeß. Es werden der Kohlebergbau verstaatlicht, Elektrizität, Tabak und viele andere Dinge monopolisiert werden müssen, um die riesigen Steuern aufzubringen, das Reich wird die Rohstoffe einführen und verteilen müssen, es wird der größte Unternehmer sein. Wir kommen also in einen Uebergangszustand zwischen Kapitalismus und Sozialismus hinein, und es wird Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften sein, die Entwicklung zum Sozialismus bewußt weiter zu treiben. Der Reichskanzler hört über jeden Schritt die Parteiführer, bei der Ernennung der Minister hat sich das Bild geändert, kurz die Demokratie marschiert. [...] (Auf den Inhalt der Rede kommen wir noch zurück.)

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

     

Die deutsche Vaterlandspartei hielt gestern im Bürgerverein eine gut besuchte Mitgliederversammlung ab. Geheimrat Lietzmann begrüßte einleitend die Erschienenen und gab als Grund der Zusammenkunft die inzwischen bekanntgewordenen Friedensbedingungen an. Viele würden zu dieser Weihnachtsbescherung ingrimmig aufbegehrt haben. Die Gefahr sei unheimlich nahe gerückt, daß unser siegreiches Schiff noch kurz vor dem Hafen scheitere. Redner erklärte, wenig Vertrauen zu den führenden Männern in dieser wichtigsten Wendung der Kriegsgeschichte zu haben. „Ja, wenn wir einen Bismarck hätten, oder wenn Hindenburg sage: „Habt Vertrauen“ dann wolle er sich wohl bescheiden. So aber bange er vor dem Kommenden. Doch wolle die Vaterlandspartei, trotz schwerer Bedenken, einstweilen von einer grundsätzlichen Kundgebung absehen.
    Pfarrer D. Weber legte dann in längeren interessanten Ausführungen dar, wofür das deutsche Volk in diesem Kriege leide und kämpfe. Für Recht, für Ehre, für unsere Freiheit, unser Eigentum, für unsere ganze Zukunft. Dem Riesen England sei es eingefallen, uns zu drücken, vom Weltmarkt zu verdrängen, uns klein zu machen. Das dürften wir uns nicht gefallen lassen. Wir brauchten die Welt zum wirtschaftlichen und völkischen Leben. Um den uns zukommenden Platz an der Sonne hätten wir zu kämpfen. Dafür müßten wir uns durchhungern und durchkämpfen bis zum glücklichen Ende. In diesem Kriege müsse England ein für allemal niedergerungen werden, sonst sei es um unser Vaterland geschehen. Ueberall seien die Engländer noch als Störenfriede aufgetreten, wie sie jetzt die Störer des Weltfriedens gewesen. „Wir kämpfen um die Befreiung unserer Brüder im Osten, in Kurland, Livland; wir kämpfen für die Freiheit der Vlamen; wir kämpfen um unsere Zukunft und nach dem Worte Hindenburgs um unseren Sieg!“
     Die deutsche Vaterlandspartei will in den nächsten Wochen eine ganze Reihe aufklärender Vorträge veranstalten, um in die breiten Massen das Verständnis für Deutschlands Notwendigkeit zu tragen und um unserer Regierung daran einen starken Rückhalt zu geben.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

Bonner Stadttheater! Wir möchten die Kassenverwaltung darauf aufmerksam machen, sich doch etwas mehr um den Kartenverkauf kümmern zu wollen. Man stellt sich frühmorgens auf, um seine Karten zu erhalten. Ist nun der erste Schwarm eingelassen, so heißt es: „Alles ausverkauft!“ Dabei sind erste einige Personen abgefertigt. Nun haben wir beobachtet, wie einige Personen bis zu 10 Karten erhalten und nun für die anderen nichts mehr übrig bleibt wie „Galerie“ oder im besten Falle „Parterre“. Wie kommt das? Wir möchten doch höflichst bitten, auch hier wie in Köln einen geregelten Verkauf einzuführen. Einige Theaterfreunde, die niemals Karten bekommen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)

    

Vom Rhein. In der vergangenen Woche ist der Wasserstand des Rheines bei im allgemeinen kalten Frostwetter andauern zurückgegangen. Da vorerst noch keine Aussicht auf Wasserzuwachs besteht, ist mit einer baldigen Belebung der Schiffahrt nicht zu rechnen, auch wenn bei Eintritt von Tauwetter der Verkehr nicht mehr durch das Treibeis behindert werden sollte. Die Schiffer sind denn auch bei der Annahme von Reisen sehr zurückhaltend. Die Kahnmieten rheinaufwärts sind beträchtlich gestiegen. In den Ruhrhäfen liegt eine große Anzahl beladener Schiffe mit Kohlen für den Mittel- und Oberrhein, die besseres Fahrwasser abwarten. Die auf der Reise befindlichen Kähne müssen durchweg geleichtert werden. Die Arbeiten gehen bei dem niedrigen Wasserstand nur langsam voran. Viele Schiffe sind auf Grund geraten. Infolge der Stockung in der Schiffahrt macht sich am Oberrhein bereits empfindlicher Kohlenmangel bemerkbar.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)