Der Gebirgskrieg in den Vogesen.
Ein weiteres Mal reiste die Bonner Geschichtswerkstatt auf Spurensuche nach Frankreich. Das Ziel der Fahrt vom 8. bis zum 11. September 2016 war die Vogesenfront, die aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage besonders im Kriegsjahr1915 heftig umkämpft war.
Zuvor: Noch einmal Verdun
Zunächst aber legten wir einen Stopp bei Verdun ein, jenem Ort, der wie kein anderer die Schrecken des Großen Krieges symbolisiert und der im Mittelpunkt unserer Exkursion im Sommer 2011 stand (vgl. Exkursionsbericht „Nach Verdun!“) Anlässlich der 100jährigen Wiederkehr des Schlachtbeginns am 21. Februar 1916 ist das Beinhaus von Douaumont mit den sterblichen Überresten von über 130.000 französischen und deutschen Soldaten aufwändig restauriert worden und in hellem Grau von Weitem sichtbar. Selbst die Kreuze auf den 16.000 schnurgerade ausgerichteten Gräbern erstrahlen im frischen Weiß.
Der Grund für unseren zweiten Besuch war das neugestaltete Mémorial de Verdun, eines der größten Museen zum Ersten Weltkrieg. Der ursprüngliche Bau war am 17. September 1967 an der Stelle eingeweiht worden, an der sich der Bahnhof von Fleury-Devant-Douaumont befand. Bis hierher waren die Deutschen im Sommer 1916 vorgedrungen. „Seine Architektur erinnert an eine Festung: Die große Fassade ist eine Art Bollwerk; die Treppe und die Terrasse vor dem Eingang bilden eine Art Zugbrücke; die Kuppel auf dem Dach ähnelt denen der Festungen Douaument und Vaux. Aber abgesehen von der Symbolik ist da dieser ausgewogene, schlichte Bau“, schreibt Xavier Pierson in seinem Nachwort im Katalog zur neu konzipierten Ausstellung „In der Schlacht. Verdun 1916“ (Paris 2016).
Die Zahl der Exponate war zunächst gering: „Erinnerungsstücke, die von den Überlebenden wie Reliquien zusammengetragen wurden. [...] Im Laufe der Jahre ging eine Flut von Schenkungen im Mémorial ein, die Exponate türmten sich in den Schaukästen, manchmal ohne Logik“, fährt Pierson fort. Wiederholt wurden Umgestaltungen als notwendig erachtet, die einen Rückgang der Besucherzahlen indes nicht aufhalten konnten. Als Ursache für diese Entwicklung nahm man „die veraltete und unangemessene museale Inszenierung“ an. Ziel einer neuen Konzeption war, dass „diese Exponate in einen pädagogischen Rundgang eingegliedert werden, auf dem der Besucher Entdeckungen macht und einen Lernprozess durchläuft“.
Dieses Konzept war in Ansätzen schon bei unserem Besuch vor fünf Jahren realisiert, zur Wiedereröffnung 2016 aber vervollkommnet worden. Im Rahmen des Projekts „Wiedergeburt des Mémorial“ wurde das alte Gebäude in zweijährigen Bauarbeiten aufgestockt, und es erhielt seitliche sowie frontale Anbauten, sodass die Ausstellungsfläche verdoppelt werden konnte. Von der Seite aus wurde ein neuer Zugang über eine untere Etage geschaffen, von der aus die Besucher den Hauptbau betreten. In rund 30, teils chronologisch, teils thematisch geordneten Kapiteln werden sie auf zwei Ausstellungsebenen durch die eindrucksvollen und vielseitigen Exponate sowie die szenischen Darstellungen mit den Schrecken des Stellungskriegs konfrontiert und anhand unterschiedlicher, zum Teil audiovisueller Medien detailliert über die Hintergründe informiert.
Im Mittelpunkt der Besichtigung steht weiterhin die szenische Darstellung des Schlachtfeldes im Jahr 1916, das von der zweiten Ausstellungsebene aus der Vogelperspektive einzusehen ist. LKWs und Geschütze der Nachschubstraße „Voie sacrée“ zeigen, wie die Logistik der Schlacht organisiert war. Es geht aber nicht nur um den Kampf, sondern auch um das Alltagsleben an der Front und in der Etappe („Essen und Geselligkeit“), um den Postverkehr, den Brief als „dünnes Bindeglied“ mit der Heimat („Ein Brief!“), um die Auswirkungen des Kriegs auf das Leben in der Heimat („Der Krieg zieht in die Haushalte ein“), den ersehnten „Fronturlaub“, um einige Beispiele zu nennen. Von der neu angelegten Dachterrasse aus blickt man von Weitem auf das Beinhaus und das Gräberfeld. Räumlichkeiten auf dieser Ebene bieten darüber Platz für Sonderausstellungen. Zur Zeit unseres Besuchs wurde dort der Prozess des Museumsbaus dokumentiert. Die zahlreichen Besucher des Museums selbst an einem Wochentag lassen vermuten, dass das neue Konzept erfolgreich ist.
Die Auswirkungen des Kriegs sind heute noch zu spüren, wie sich im Rahmen der Bauarbeiten für das neue Museum zeigte: „Die Minenräumaktion vor Beginn der Erdarbeiten förderte täglich Geschosse, Granaten und Munition aller Art zutage, man stieß aber auch auf französische und deutsche Soldaten. An drei verschiedenen Stellen fand man fünf Skelette; keines konnte identifiziert werden. Es wurden noch scharfe Geschosse, 200 Granaten und tausende Patronen ausgegraben, auch eine ganze Menge Eisenschrott aus dem früheren Bahnhof von Fleury, an dessen Stelle das Mémorial errichtet wurde.“ („In der Schlacht“, S. 144) Neben dem neuen Museum in Meaux, das wir auf unserer Fahrt an die Marne besuchten, hat uns diese Schau am stärksten beeindruckt, wenngleich die Beschallung durch die verschiedenen Medien bisweilen die Konzentration auf das Lesen der Texte etwas erschwert.
Der Krieg in den Vogesen
Zur Vorgeschichte
Mit dem Vertrag von Frankfurt, der am 10. Mai 1871 den Vorfrieden von Versailles nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieg bestätigte, fiel das bis dahin französische Elsass-Lothringen an das neugegründete Deutsche Reich. Mit dem Kriegseintritt am 4. August 1914 erhielt die französische Armee unverzüglich den Befehl, das Elsass zurückzuerobern. Wichtige Städte wie Colmar und Mühlhausen wurden eingenommen, aber nur kurze Zeit später aus strategischen Gründen wieder geräumt. Darüber hinaus wurden die meisten der in den Vogesen liegenden Divisionen abgezogen und nach Nordfrankreich bzw. Flandern zur Abwehr der deutschen Invasion eingesetzt.
Nach französischen Erfolgen nördlich von Paris, dem „Wunder an der Marne“ (vgl. Exkursionsbericht „Auf Umwegen an die Marne“), versuchte das französische Oberkommando, die Offensive im Elsass wieder aufzunehmen. Vorstöße am Hartmannsweilerkopf blieben erfolglos, sodass ein neues Angriffsziel ins Visier genommen wurde.
„Das ist der Lingekopf!“
Männer, die im Schlamm der Gräben festsitzen, die nur langsam vorankommend durch die unerkenntlichen Körper der Todesopfer des Vortages hindurchziehen, die am Stacheldraht hängengeblieben sind, die durch Gas blind geworden sind, die von den Flammenwerfern verbrannt worden sind, die vom Granatenhagel erschlagen worden sind, die von den Granaten zerrissen worden sind, die von Maschinengewehren durchlöchert worden sind, die sich einer nach dem anderen im Nebel verloren haben, die von der Sonne zu Tode gegerbt worden sind oder den harten Bedingungen des Vogesenwinters nicht standhalten konnten – erst 18, 19 oder 20 Jahre alt gewesen sind.
(Aus: Das Drama des Lingekopfes. Von A. Durlewanger. Mémorial du Linge )
Der Lingekopf ist ein fast 1.000 Meter hoher Gebirgsstock in den Vogesen westlich von Colmar und nahe des Städtchens Munster, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs zunächst überhaupt keine Rolle spielte. Nach Misserfolgen bei der Einnahme des Hartmannsweilerkopfes erteilte General Joffre am 25. Januar 1915 den Befehl, ein neues Angriffsziel festzulegen, das französischen Gebirgsjägereinheiten weiter nördlich die Beherrschung der Berghöhen garantieren sollte, aber auch dort kamen ihnen bayrische Landwehrregimenter zuvor, die in unwegsamem Gebirge im harten Winter bei Kälte, Schnee und Nebel gut befestigte Stellungen errichteten.
Alsbald verfestigte sich so die Front auf dem unwegsamen Vogesenkamm, die die dort kämpfenden Soldaten vor ganz neue Herausforderungen stellte, war sie doch die einzige, die durch einen Gebirgszug auf damals deutschem wie französischem Boden verlief. Von insgesamt 11 Erinnerungsorten, die markante Schauplätze entlang der Vogesenfront zwischen La Chapelotte im Norden und dem Kilomètre Zéro an der Schweizer Grenze thematisieren, ist der Lingekopf neben dem Hartmannsweilerkopf an hervorragender Stelle zu nennen. (Zur Vogesenfrontlinie und den Erinnerungsorten: www.front-vosges-14-18.eu)
„Im April 1915 bestehen die deutschen Befestigungen aus einem vollständigen Netz von Schützengräben, Unterständen, Laufgräben, die am Kamm entlanglaufen. In regelmäßigen Abständen stehen mit Zementsäcken und Steinen umgürtete Feldschanzen, ebenso betonierte Bunker, die eine Decke aus Eisenbahnschienen (bis zu sechs Schienen) aufweisen. Das gesamte Gelände vor den Stacheldrahtverhauen wird vom Maschinengewehrfeuer abgefegt.“ So beschreibt Armand Durlewanger in der Broschüre „Der Lingekopf 1915“ die Situation.
Dennoch begannen die Franzosen am 20. Juli 1915 aus den am Hang gelegenen Stellungen heraus erneut mit einem Angriff, der in den kommenden Tagen inmitten von Nebel, Regen und Schlamm mit deutschen Gegenangriffen beantwortet wurde. Es folgte bis in den Herbst hinein Angriff auf Gegenangriff in extrem unwegsamem Gelände – die Spitze des Lingekopfes wechselte mehrfach zwischen deutscher und französischer Hand. Französische Gebirgsjägerbataillone rannten unentwegt gegen die deutschen Schützengräben an, die anfangs noch gut im dichten Wald verborgen waren. Deutsche Offensiven wurden mit Gasbomben und – lange vor Ypern – mit Flammenwerfern unterstützt, bis die Front nach dem letzten vergeblichen deutschen Angriff am 16. Oktober 1915 erstarrte. Um noch einmal Armand Durlewanger zu zitieren: „Beiderseits schanzen sich die Gegner fest ein. Man begnügt sich mit täglichen Handstreichen und Artillerieduellen verschiedener Stärke. Die Franzosen kleben noch am Lingekopf, haben aber dessen Kamm auf der ganzen Länge verloren.“ Die „Kriegshölle“ die am Lingekopf 17.000 Männer das Leben gekostet hat, ohne dass eine Seite einen Vorteil gehabt hätte, flammte nun am Hartmannsweilerkopf wieder auf.
1921 wurde das Schlachtfeld des Lingekopfes zur Gedenkstelle erklärt. Nachdem es zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten war, wurde es Ende der 1960er Jahre neu entdeckt: 1967 soll Armand Durlewanger, Autor der mehrfach zitierten Broschüre, hier einem alten Mann in Begleitung seiner Enkel begegnet sein, der sich als ehemaliger Kämpfer zu erkennen gab und mit Tränen in den Augen den Verfall des Areals, auf dem so viele Männer ihr Leben verloren hatten, beklagte. Durlewangers Engagement ist es zu verdanken, dass im Rahmen einer von ihm angeregten „Opération du Souvenir“ Rodungs- und Renovierungsarbeiten vorgenommen wurden, sodass 1968 – 50 Jahre nach Kriegsende – das Gelände für Besucher zugänglich gemacht werden konnte. Das ehemalige Schlachtfeld steht heute unter französischem Denkmalschutz und vermittelt einen Eindruck von den erbitterten Kämpfen in überaus unwegsamer Landschaft: die sehr gut erhaltene bzw. rekonstruierte Struktur des Schützengrabensystems der bayrischen Landwehr-Regimenter einerseits und Überreste der Anlagen französischer Gebirgsjäger-Einheiten im unbefestigten Erdreich andererseits – oft nur wenige Meter von einander getrennt. Immer wieder tauchen weiße Kreuze an den Stellen auf, an denen Skelette exhumiert wurden. Seit kurzem informieren Tafeln an 16 wichtigen Punkten des ehemaligen Schlachtfelds die Besucher.
1981 wurde ein kleines Museum am Rande der Schützengräben errichtet, die der Besucher heute durchlaufen kann. Das Museum der Gedenkstätte des Lingekopfes „Musée Mémorial du Linge“ wurde im Frühjahr 2015 nach umfangreichen Umbauarbeiten und Erweiterungen wieder eröffnet. Im Zentrum steht der Nachbau eines deutschen Schützengrabens, der sowohl vom unteren Stockwerk als auch vom oberen Stockwerk sozusagen aus der Vogelperspektive zu betrachten ist. Zahlreiche Ausstellungsvitrinen zeigen verschiedene persönliche Gegenstände französischer und deutscher Soldaten, die auf dem ehemaligen Schlachtfeld aufgefunden wurden. Darüber hinaus gibt es Soldatenpuppen in unterschiedlichen, den Jahreszeiten angepassten Uniformen, Nachbauten von Unterständen, Sanitätsstationen, Modelle des Schlachtfeldes, der Transportmöglichkeiten, Fotos, Landkarten und einen Film, allerdings nur in französischer Sprache. Das atmet trotz Modernisierungsmaßnahmen immer noch ein wenig den Geist der frühen 1980er Jahre, in denen das Museum entstanden ist, was im Zeitalter der durchgestylten modernen Museen durchaus seinen Reiz hat. Ich möchte eine Schau dieser Art nicht missen!
Die Gedenkstätte am Lingekopf ist darüber hinaus Ausgangspunkt für kürzere und längere Rundgänge und Wanderungen in landschaftlich reizvoller Umgebung mit weiten Ausblicken in die Ebene.
Abschließend besuchten wir die nahe gelegenen Soldatenfriedhöfe: Der französische Friedhof von Wettstein, auch Jägerfriedhof oder Friedhof Le Linge genannt, wurde 1939 eingeweiht und 1965 komplett renoviert. Hier liegen 3.600 Soldaten dieses Frontabschnitts begraben. Die Nekropole wird überragt von einem riesigen Granitkreuz mit der Inschrift „Pax“. Zu seinen Füßen liegt eine Bronzefigur, die einen gefallenen französischen Gebirgsjäger darstellt.
Der deutsche Soldatenfriedhof Hohrod am Bärenstall wurde nach dem Ersten Weltkrieg von den französischen Militärbehörden angelegt. Sie nahmen nach Kriegsende die Bergung von Gefallenen vor, die während des Krieges provisorisch in den 23 umliegenden Gemeinden begraben worden waren. Die Überreste von 2.438 Soldaten wurden hier beigesetzt.
Am Hartmannsweilerkopf
Vom Hartmannsweilerkopf, kurz HWK, von den Franzosen Vieil Armand genannt, haben viele Deutsche wahrscheinlich zum ersten Mal gehört, als die Staatsoberhäupter Deutschlands und Frankreichs, Gauck und Hollande, sich am 3. August 2014 hier zum Gedenken trafen. Eigens für diesen Staatsakt wurde das 1932 eingeweihte Mahnmal mit seiner unterirdischen Krypta restauriert und im Eingangsbereich die Namen der deutschen Regimenter den französischen hinzugefügt, die hier im Ersten Weltkrieg kämpften.
Gauck und Hollande legten darüber hinaus den Grundstein für ein „Historial“, ein deutsch-französisches Museum und Besucherzentrum, das über das Kriegsgeschehen vor 100 Jahren umfassend informieren soll. Als wir am 11. September 2016 dort eintrafen, konnten wir lediglich einen Blick auf den Rohbau werfen. Das neue Museum soll im Jahr 2017 eröffnet werden.
Was spielte sich hier auf einer Höhe von mehr als 900 Metern in den Kriegsjahren ab? Gerd Krumeich, Historiker und Mitglied einer internationalen Wissenschaftlergruppe, die das erwähnte Museum plant, fasst zusammen: „Für mich ist der Hartmannsweilerkopf die absurdeste Geschichte des Ersten Weltkriegs. Gut. Krieg ist immer irgendwie absurd. Aber gegen Verdun anzurennen und Verdun zu nehmen, an der Somme den Durchbruch zu schaffen, das konnte alles strategische Konsequenzen haben. Aber am Hartmannsweilerkopf konnte passieren was wollte, das hatte überhaupt keine Konsequenzen.“ (Deutschlandradio Kultur 3.7.2014)
Das Plateau des Hartmannsweilerkopfes galt zu Kriegsbeginn als strategische Schlüsselposition in den Südvogesen. Für die Franzosen wurde es zunächst als wichtiger Beobachtungsposten der Artillerie betrachtet, von dem aus das Feuer auf die Eisenbahnlinie Colmar-Mulhouse gelenkt werden sollte. Denn von hier aus bietet sich ein weiter Blick über die tief unten liegenden elsässische Ebene. Dieser Plan spielte aber schon bald keine Rolle mehr, zumal die französische Artillerie kaum die Reichweite hatte, um dieses Ziel zu realisieren. Es ging bald um die Höhe an sich, die immer wieder abwechselnd von deutschen und französischen Truppen erobert wurde: Die Franzosen konnten den Berg nie vollständig erobern; die Deutschen konnten die Franzosen nie vom Berg vertreiben.
Die erbittertsten Gefechte fanden im Jahr 1915 statt, insbesondere nachdem die Front am Lingekopf erstarrt war. Die französischen Gebirgsjäger und die „Diables Rouges“ des Infanterieregiments 152 standen dem 1915 aufgestellten deutschen Alpenkorps gegenüber. Dass diese Einheiten hier zum Einsatz kamen, zeigt, welche Herausforderungen der Kampf in den Vogesen mit sich brachte, der völlig andere und neue Techniken erforderlich machte als an anderen Frontabschnitten und von den Soldaten eine Anpassung an äußerst raue klimatische Verhältnisse, insbesondere in Herbst und Winter, verlangte. Esel und Maultiere wurden benutzt, um Material und Verpflegung in die Höhe zu bringen. Drahtseilbahnen wurden errichtet, um den Transport zu erleichtern. Der Wald verschwand im Feuersturm; die gegnerischen Stellungen wurden sichtbar. Schwere Flammen- und Minenwerfer wurden von deutscher Seite eingesetzt, gegen die französische Maschinengewehre nichts ausrichten konnten. Tunnel wurden angelegt, aber das unterirdische Wegesystem barg auch Gefahren, denn im Laufe der Zeit kam es zunehmend zu Einstürzen. Die Franzosen mussten sich hingegen praktisch deckungslos an den steilen Gebirgshängen unterhalb eines gut verschanzten Gegners festklammern.
Wie viele Soldaten hier getötet wurden? Die Opferzahlen schwanken. Die neue Publikation „Hartmannsweilerkopf 1914-1918“ nennt 30.000 französische und deutsche Soldaten, die hier starben. Rund 30.000 weitere seien verwundet worden oder in Kriegsgefangenschaft geraten. In der deutsch-französischen Wanderausstellung "Menschen im Krieg. 1914-1918 am Oberrhein" heißt es: „Von den insgesamt 150.000 Soldaten, die am Hartmannsweilerkopf kämpften, sind etwa 25.000 gefallen.“ Die hohen Opferzahlen auf kleinstem Raum trugen dem Hartmannsweilerkopf auch die Namen „Menschenfresserberg“ bzw. „Mangeur d’hommes“ oder „Montagne de la Mort“ ein.
Was erwartet den Besucher am Hartmannsweilerkopf? Zunächst einmal das bereits erwähnte bombastische Monument, an dem die beiden Staatoberhäupter ihre Kränze niederlegten - eine der vier offiziellen nationalen Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs in Frankreich. Neben Douaument bei Verdun, Dormans an der Marne und Notre Dame de Lorette im Artois kommt ihm damit der Status eines bedeutenden Gedenkortes zu. Er wurde 1932 vom Präsidenten der Republik, Albert Lebrun, feierlich eingeweiht und in den letzten Jahren umfassend restauriert. An den Wänden der Krypta befinden sich je ein katholischer, ein protestantischer und ein jüdischer Altar. Sie umrahmen einen bronzenen Schild mit der Aufschrift „Patrie“ in der Mitte des rundes Raumes, unter dem die Überreste von Tausenden unbekannten Soldaten beigesetzt sind. Auf dem Platz, der die Krypta bedeckt, steht - über breite Treppen erreichbar - ein sogenannter „Altar für das Vaterland“, der mit den Wappen der Städte versehen ist, die zu seiner Finanzierung beigetragen sind. Dahinter erstreckt sich ein Soldatenfriedhof mit 1264 Gräbern französischer Gefallener.
Der Friedhof ist Ausgangspunkt für einen gut ausgeschilderten, 2014 fertiggestellten Rundgang über eine Strecke von 4,5 Kilometern Länge mit einer ersten Schleife in der Gefechtszone, einer zweiten in der von den Deutschen gehaltenen Zone. Von hier aus kann man zu einem Mahnmal auf dem Gipfel gelangen. 45 dreisprachige und mit historischen Fotos bebilderte Tafeln geben Informationen zu den noch sichtbaren Überresten der Schützengräben, der Tunnel, der unterirdischen Waffenplätze, der Forts, der Unterstände und beschreiben das (Über-)leben auf dem Hartmannsweilerkopf, geben aber auch Erläuterungen zu Landschaft und Natur. Die Texte werden ergänzt durch Daten, die Aufschluss über den Verlauf der Kampfhandlungen vom 30. Dezember 1914 bis zum Kriegsende geben („Quelques dates“), Hintergrundinformationen („Pour en savoir“) und Aussagen von Zeitzeugen („Témoignage“). Ungefähr auf halbem Wege befindet sich ein 20 Meter hohes beleuchtbares Kreuz, das 1936 (!) als Zeichen der deutsch-französischen Aussöhnung errichtet wurde. Ironie der Geschichte: Nur wenige Jahre später diente das Areal während des Zweiten Weltkriegs als „Übungsfeld“ für deutsche Soldaten, denn die alten Unterstände wurden zu einer Ausbildungsstätte für den Grabenkrieg umgewandelt. Ihr Befehlshaber Osswald kommandierte weiter unten im Tal eine Militärschule. 2004 wurde das Kreuz restauriert und mit einer neuen Beleuchtung versehen; 2008 erhielt es die Bezeichnung „Kreuz des Friedens in Europa“.
Am äußersten Rand des Rundwegs steht, an die schroffe Felswand geschmiegt, ein riesiges Bronzedenkmal des Kriegsbildhauers Victor-Charles Antoine, das 1921 eingeweiht wurde: das „Monument du 15-2“ im Gedenken an das 152 französische Infanterieregiment von Colmar, die bereits erwähnten „Diables Rouges“, die Roten Teufel. Man errichtete es an der Stelle, an der sich zuvor deutsche Unterstände befunden hatten. Von hier blickt man weit in die elsässische Ebene hinunter. Im Herbst 1940 sprengten deutsche Soldaten das Denkmal. Von Victoire Antoine in leicht veränderter Form rekonstruiert, wurde es 1954 wieder eingeweiht.
Alle Informationstafeln sind vollständig wiedergegeben in der neu erschienenen Publikation „Hartmannsweilerkopf 1914-1918“, herausgegeben vom Comité du Monument National du Hartmannswillerkopf. Der Rundgang ist darüber hinaus begehbar per Multimedia-Parcours mit GPS-System und einer Smartphone-App.
Am Fuß des Hartmannsweilerkopfs unweit von Mulhouse liegt der kleine Ort Uffholtz. Er war während des Ersten Weltkriegs von deutschen Truppen besetzt worden, die 1916 im Keller des ältesten Hauses, einem alten Gasthaus, eine Erste-Hilfe-Station einrichteten. 2010 wurde hier eine Gedenkstätte „Abri-mémoire“ fertiggestellt. Sie umfasst Räumlichkeiten für Ausstellungen und künstlerische Veranstaltungen und begreift sich als pädagogisches Zentrum, in dem vor allem Dokumente zum Ersten Weltkrieg gesammelt werden, die der Öffentlichkeit und Historikern zur Verfügung stehen. Geplant ist die Erstellung von Koffern, die für französische Schulen bestimmt sind. Diese Koffer, als Munitionskisten gestaltet, sollen französische und deutsche Dokumente enthalten, wie z. B. ein Soldbuch, Fotos, Karikaturen usw. Im perfekt renovierten und modernisierten Gebäude waren wir während unseres Besuchs die einzigen Gäste.
Exponate zum Ersten Weltkrieg aus der Region findet man eher im Museum Serret im weiter nord-östlich gelegenen Saint-Amarin. Es ist benannt nach General Marcel Serret, Befehlshaber der 66. Infanteriedivision während der Kämpfe am Hartmannsweilerkopf. Die überlebte er nicht: Am 29. Dezember 1915 wurde er tödlich verwundet. Das Museum, das vor allem Exponate zur Geschichte der Minen des Tals von Saint Amarin sowie zahlreiche Mineralien beherbergt, wurde 1973 im ehemaligen Gerichtsgebäude eröffnet, das während des Ersten Weltkriegs als Feldlazarett diente. In mehreren Räumen werden thematisch geordnet Exponate aus dem Leben an der Front ausgestellt. Die Schau spiegelt in der Art und Weise der Präsentation der Erinnerungsobjekte den Zeitgeist der 1970er Jahre wider. Auch der Zweite Weltkrieg wird thematisiert.
Im Vergleich zu anderen Kriegschauplätzen in Frankreich fällt auf, dass die Vogesenfront auch zahlreiche deutsche Besucher und Besucherinnen anzieht, was mit der Nähe zur Grenze, aber auch mit der reizvollen Landschaft zusammenhängen mag, die für Wanderer attraktiv ist. Der Elsässer Gilbert Wagner, Präsident eines Bürgervereins, der sich um den Erhalt des Gedenkortes Hartmannsweilerkopf kümmert, stellt fest, dass die meisten von rund 250.000 Menschen, die jährlich kommen, Deutsche sind. Während der Historiker Gert Krummeich, Mitglied der bereits erwähnten internationalen Wissenschaftlergruppe, die das erste französisch-deutsche Museum zum Ersten Weltkrieg am Hartmannsweilerkopf plant, ein gemeinsames deutsch-französisches Gedenken – vor allem in Verdun - immer noch für nicht unproblematisch hält, ist Wagner in Bezug auf die Vogesenfront optimistisch: „Jetzt ist es vorbei, die junge Generation hat da keine Probleme mehr. [...] Ich denke, was man auch dazu sagen muss: Es ist das erste Mal in der Geschichte Europas, dass man mehr als 60 Jahre Frieden zwischen Frankreich und Deutschland hat.“ (Deutschlandradio Kultur 3.7.2014)
Sabine Harling