100 Jahre Waffenstillstand – ein letztes Mal an die Westfront!

   

Am 11. November 2018 jährte sich die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im Wald von Compìegne zum 100. Mal. Wir wollten sehen, wie sich belgische und französische Erinnerungsorte auf diesen Jahrestag eingestellt hatten, und so bereiste eine Gruppe von Mitgliedern der Bonner Geschichtstatt vom 1. bis zum 4. November den Süden Flanderns und Norden Frankreichs. Da anlässlich des Kriegsendes eine Fülle von Ausstellungen gezeigt wurde, mussten wir uns in knapper Zeit bei der Auswahl unserer Ziele stark beschränken.

  

Ostbrabant/Belgien:

Leuven

Gedenktafel an einem nach 1914 wiederaufgebautem HausUnsere erste Station, die Universitätsstadt Leuven im belgischen Ostbrabant, war von deutschen Truppen am 19. August 1914 auf dem Vormarsch nach Frankreich besetzt worden, nachdem die Soldaten der belgischen Armee befehlsgemäß die Stadt verlassen hatten. Leuven wurde darauf zum vorläufigen Hauptquartier der 1. Armee erklärt. Die Zivilbevölkerung wurde gewarnt: Wer eine Waffe mit sich führe, müsse mit Erschießung rechnen. Hinter dieser Ankündigung stand die Furcht der deutschen Soldaten, die entsprechend dem Schlieffen-Plan völkerrechtswidrig in das neutrale Belgien eingefallen waren, sie könnten Opfer von sogenannten franc-tireurs, Freischärlern oder Partisanen, werden. Diese Furcht führte immer wieder zu panikartigen Reaktionen bei ungewohnten Ereignissen.

So sahen sich auch am 25. August die deutschen Soldaten Angriffen ausgesetzt, die ihrer Ansicht von Partisanen ausgingen. Möglicherweise waren die Deutschen aber auch unter eigenen Beschuss geraten, der seine Ursache in der panischen Angst vor eben jenen Freischärlern hatte. Der Kunsthistoriker Ulrich Keller hat mit seiner Publikation „Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914“ 2017 die These vertreten, dass es tatsächlich belgische Franktireurs waren, die die Besatzungstruppen angriffen. Die hätten sich dagegen somit zu Recht verteidigt. Seine Darstellung hat in deutschen Historikerkreisen seit Erscheinen des Buches heftige Diskussionen für und wider ausgelöst.

Aber auch Keller verkennt nicht, dass die deutsche Antwort unverhältnismäßig hart war: Geiselnahmen, standrechtliche Erschießungen und Deportationen waren an der Tagesordnung. Zwischen dem 25. und dem 28. August wurden an die 2000 Gebäude - darunter auch Teile der gotischen Sint-Piterskerk - zerstört, nachdem etwa 10.000 Menschen auf Befehl des örtlichen Kommandanten die Stadt verlassen mussten. Die berühmte Universitätsbibliothek mit ihren Sammlungen alter Bücher und mittelalterlicher Handschriften ging in der Nacht vom 25. auf den 26. August in Flammen auf, über 200 Einwohner wurden von den deutschen Truppen getötet. Rund 1500 Einwohner wurden in Viehwagen in das Truppenlager Munster in der Lüneburger Heide deportiert. Das spätgotische Rathaus von Leuven blieb unzerstört, diente es doch als Hauptquartier für die deutschen Offiziere.

Die Zerstörung Leuvens und die Tötung von Zivilisten lösten ein großes Echo aus. Was von deutscher Seite als gerechtfertigte Vergeltungsnahmen dargestellt wurde, galt bei den Alliierten, aber auch in vielen neutralen Staaten als eines der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und festigte in der Propaganda das Bild der Deutschen als barbarischen „Hunnen“. 1919 wurde die Universitätsbibliothek nach ihrem Wiederaufbau mit vorwiegend amerikanischen Geldern eröffnet, um im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Bombenangriffe erneut stark beschädigt zu werden.

Ausstellun Leuven nach 1918Heute bietet die Universitätsstadt den Besuchern und Besucherinnen ein schön restauriertes, studentisch geprägtes Stadtbild. Auffallend sind die grauen Steine in den Fassaden über den Häusereingängen, die die Jahreszahl 1914 und ein Schwert in Flammen zeigen. Sie markieren die Gebäude, die in jenen Augusttagen in Flammen aufgingen: So entstand ein schlichtes und beeindruckendes Denkmal, das die Erinnerung an die Ereignisse von 1914 wach hält.

Eine bis zum 11. November laufende Ausstellung in einem modernen Bankgebäude (Cera Gebouw) mit dem Titel „Herleven - Leuven na 1918“ brachte mit ausgewählten Exponaten und zahlreichen Schriftstücken insbesondere die Wiederaufbauzeit in Erinnerung. Natürlich wurden auch die Ereignisse vom August 1914 thematisiert: Für die Ausstellungsmacher steht dabei zweifelsfrei fest, dass die Zerstörung der Stadt nicht durch belgische Widerstandshandlungen ausgelöst wurde, sondern allein das Ergebnis unprovozierter deutscher Übergriffe war.

    

Pas-de Calais/ Frankreich:

 Lille

Ausstellung im Rathaus LilleUnsere nächste Station, das nordfranzösische Lille, wurde im Oktober 1914 von deutschen Truppen besetzt. Bereits im November 1914 richteten die Bonner Vaterländischen Vereinigungen mit Unterstützung der Militärbehörde die sogenannte Verband- und Erfrischungsstelle „Prinzessin Victoria“ im Nordbahnhof Lille ein. Diese Einrichtung diente vor allem der ärztlichen Erstversorgung der auf den nahe gelegenen Schlachtfeldern verletzten Soldaten. Die Verband- und Erfrischungsstelle war häufig Gegenstand der lokalen Berichterstattung und ist deshalb wiederholt auf dieser Website dokumentiert: Immer wieder reisten Bonner Honoratioren nach Lille, um dieser Einrichtung einen Besuch abzustatten und die sogenannten Liebesgaben zu überbringen. Leider hatten wir keine Zeit, um uns auf die Suche nach möglichen Spuren dieser Verband- und Erfrischungsstelle zu begeben.

Bis zum 11. November wurde die Ausstellung „Charles, Léontine, Marcel, Rose ... Des Lillois dans la Grand Guerre“ im örtlichen Hotel de Ville gezeigt, einem eindrucksvollen Gebäude im Art déco Stil. Eine Fülle von Fotos, Film- und Textdokumenten – überwiegend aus dem örtlichen Stadtarchiv - gab einen guten Einblick in das Leben unter deutscher Besatzung. Lille lag nur 20 Kilometer von der Front entfernt und wurde so zu einem „Erholungsort“ für die Frontsoldaten, die in der Stadt in Kinos, Casinos, Theater, Schwimmbädern Ablenkung vom Kriegsalltag finden sollten, während die Bevölkerung in der ohnehin durch Artillerieangriffe schwer betroffenen Stadt große Entbehrungen erleiden musste. Schwerpunktmäßig wurde – wie der Titel der Ausstellung bereits verhieß - eine ganze Reihe von Einzelschicksalen in Bild und Text vorgestellt. Das Los der hier vorgestellten Menschen steht beispielhaft für die Bevölkerung von Lille: Männer, die als Geiseln nach Litauen geschickt wurden, Familien, deren Besitz für die Besatzer requiriert wurde, Frauen und Männer, die man der Spionage bezichtigte, kranke und unterernährte Kinder, die in Holland Aufnahme fanden, um nur einige Bespiele zu nennen. Erst am 17. Oktober 1918 wurde Lille befreit.

   

Notre-dame-de-Lorette

Ring der Erinnerung und Nationalfriedhof auf den LorettohöhenDer westlich von Lens auf einem Hügel gelegene französische Nationalfriedhof Notre-Dame-de-Lorette gilt als einer von neun Orten, die 2014 vom französischen Verteidigungsministerium zu „hohen nationalen Erinnerungsorten“ erklärt wurden. Deshalb gehörte dieser Friedhof auch zu den Gedenkstätten, die der französische Präsidente Macron auf seiner Reise anlässlich des Kriegsendes vor 100 Jahren besuchte.

Schon lange vor 1914 stand auf diesem Hügel die Kapelle Notre-Dame-de-Lorette, die im 18. Jahrhundert von einem Maler aus der Pfarrgemeinde Ablain-Saint-Nazaire in Erinnerung an eine Pilgerreise zum italienischen Wallfahrtsort Loreto und aus Dankbarkeit für seine dortige Wunderheilung errichtet worden war. Von 1914 bis 1918 verlief zwischen Arras und Lens die Front: Die Lorettohöhe und die nahe gelegene Höhe von Vimy, die wir auf einer früheren Exkursion besucht hatten, waren 1914 in der Hand von deutschen Truppen und immer wieder Schauplatz heftiger Kämpfe, zunächst im Dezember 1914. Während von deutscher Seite die Höhe von Vimy auch in der zweiten Schlacht im Artois im Mai 1915 gehalten wurde, konnten französische Truppen nun die Lorettohöhen (auch Höhe 165 genannt) zurückgewinnen. Vimy sollte erst im April 1917 in der dritten Schlacht von Artois von Kanadiern zurückerobert werden. Die gesamte Region wurde während der Kampfhandlungen schwer in Mitleidenschaft gezogen, die Anhöhe von Loretto mit der Kapelle bald völlig verwüstet. Ganze Ortschaften verschwanden von der Landkarte. Allein in der zweiten Schlacht im Artois im Frühjahr 1915 wurden, um 20 km² zu erobern, 104.000 französische Soldaten getötet, als vermisst gemeldet, verwundet oder gefangen genommen. Um die Stellung von Vimy zu behaupten, hatte die deutsche Seite 75.000 Tote, Verletzte oder Gefangene zu beklagen, so die Broschüre „Der französische Nationalfriedhof von Notre-Dame-de-Lorette“, herausgegeben vom Präsidenten de la Communauté d’Agglomération de Lens-Lievin.

Bereits 1915 wurde auf dem Hügel ein kleiner Soldatenfriedhof angelegt, der nach dem Krieg erweitert und zu einer nationalen Nekropole ausgestaltet werden sollte. Die sterblichen Überreste der Soldaten von mehr als 150 Friedhöfen aus dem nördlichen Kampfgebiet wurden exhumiert und hier beigesetzt, so dass der größte französische Nationalfriedhof entstand. 20.000 Soldaten wurden in Einzelgräbern bestattet, die Überreste von weiteren 22.970 nicht identifizierten Leichen ruhen in insgesamt acht Beinhäusern. Ein muslimischer Bereich umfasst ungefähr 550 Gräber, hinzu kommen circa 60 Gräber russischer Gefallener und einzelne Gräber für Angehörige verbündeter Nationen.

Der Friedhof wird überragt von einem 52 Meter hohen Laternenturm, der im Rohbau1927 fertiggestellt wurde; die Ausstattung mit reichhaltigen Verzierungen innen und außen zog sich bis in die 1930er Jahre hin. In der Krypta sind die Särge von 32 unbekannten Soldaten des Ersten Weltkriegs aufgestellt. Aber auch anderer Opfer soll gedacht werden. 1950 wurde hier ein unbekannter Soldat des Zweiten Weltkriegs beigesetzt. 1955 fand eine Urne mit der Asche von Franzosen, die in deutsche Lager deportiert worden waren, ihren Platz in der Krypta. In den 1970er und 1980er Jahren wurden zwei unbekannte Soldaten an diesem Ort bestattet; mit dem einen sollen die Opfer des Algerienkriegs, mit dem anderen die Gefallenen während des Indochinakonflikts geehrt werden. Die Spitze des Laternenturms wird von einem rotierenden Scheinwerfer gekrönt, der in einem Umkreis von 70 Kilometern sichtbar sein soll. Im 1. Stock ist eine kleine Ausstellung zu sehen, die über die Kämpfe auf der Lorettohöhe und die Geschichte des Erinnerungsortes informiert. Vis à vis des Turms wurde die Kapelle im römisch-byzantinischen Stil wiedererrichtet, deren Grundstein zusammen mit dem des Laternenturms 1921 in Anwesenheit von General Petain gelegt wurde. Am Rand des Areals wurde 1925 ein Denkmal für General Maistre errichtet, der huldvoll auf einen unter ihm stehenden Soldaten blickt. Maistre wurde 1914 zum Generalmajor befördert und stand an der Spitze des 21. Armeekorps, das bei den Kämpfen im Mai 1915 die Loretto-Höhen zurückeroberte. Das Denkmal steht nahe dem einstigen Befehlsstand des Generals.

Dokumentationszentrum Lens 1914-18Anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs wurden zwei Großprojekte in unmittelbarer Nähe vollendet: Neben dem Friedhof wurde der sogenannte Ring der Erinnerung geschaffen und am 11. November 2014 eingeweiht. Der ellipsenförmige Ring mit einem Umfang von 328 Metern, der auf fast 50 Metern frei über dem Abhang schwebt, wird durch 125 dunkle Betonpfeiler gebildet, auf denen 500 Edelstahlplatten angebracht sind. In die sind in alphabetischer Reihenfolge die Namen von 580.000 Soldaten aus aller Welt eingraviert, die im Pas-de-Calais während des Kriegs umgekommen sind. Das zweite Großprojekt war der Bau des Dokumentationscenters „Lens’14-18 – Centre d’Histoire Guerre et Paix“ in der am Fuße des Loretto-Hügels gelegenen Ortschaft Souchez.

Dieses Gebäude besteht aus grauen Betonquadern, ist durch eine breite Fensterfront zum Teil von Licht durchflutet. Das Museum ist in sieben unterschiedliche Themenbereiche unterteilt, die die verschiedenen Abschnitte des Kriegs in dieser Region durch vielfältige Exponate, rund 400 Fotos, Textdokumente und an die 20 Archivfilme dokumentieren: Bewegungskrieg, Stellungskrieg in den Schützengräben, die Offensiven in den ersten Kriegsmonaten, die Besetzung des Nordens, die Offensiven von 1918 sowie Zerstörung und Wiederaufbau in der „Hölle des Nordens“. Auf interaktiven Landkarten können die Besucher und Besucherinnen die verschiedenen Truppenbewegungen nachvollziehen. Besonders beeindruckte uns, wie die Situation der Bevölkerung in den besetzten Gebieten Nordfrankreichs dargestellt wurde.

Kunstprojekt Wool War OneIn der Zeit unseres Besuchs wurde die Dauerausstellung ergänzt durch einen Zug von handgestrickten Figuren, die Soldaten aller am Krieg beteiligten Nationen darstellen. „Wool War One” heißt das Projekt der Künstlerin Délit Maille, die in Zusammenarbeit mit 500 Mitwirkenden aus aller Welt 781 Figuren gestrickt hat, die bis Mitte November dort zu sehen waren. Die Objekte konnten gegen eine Spende für „Ärzte ohne Grenzen“ erworben werden, aber leider hatten schon alle Wollsoldaten einen Abnehmer oder eine Abnehmerin gefunden.

Das Gebäude ist umgeben von sorgfältig gestutzten immergrünen Hecken, die einen Ort der Meditation bilden sollen; zur Zeit unseres Besuches führte der Weg zum Eingang entlang von großformatigen Fotografien, die das Leben an der Front und in der Etappe dokumentierten.

  

Béthune

Fassaden am Grand Place in BéthuneZurück nach Lille fuhren wir über Béthune, einer nahe gelegenen Kleinstadt. Im Oktober 1914 wurde der Vormarsch der deutschen Truppen acht Kilometer vor Béthune gestoppt. So blieb die Stadt von der Besetzung verschont, wurde jedoch während der Frühjahrsoffensive 1918 durch deutschen Artilleriebeschuss in Schutt und Asche gelegt.

Béthune ist eine Station auf den „Wegen der Erinnerung“, die durch die sogenannte rote Zone führen und damit durch Gebiete, die während des Kriegs vollständig zerstört wurden. Vier Tage stand die Stadt im Mai 1918 in Flammen; zerstört wurde der Grand Place; übrig blieb lediglich der Belfried, wenngleich als Ruine.

Bereits im Oktober 1918 begannen die Räumungsarbeiten. Mit der Rekonstruktion des Grand Place wurde der Architekt Jacques Alleman beauftragt, der bei dem Wiederaufbau der Häuser mit dem Problem konfrontiert war, dass die Parzellengrößen äußerst klein waren. Die Fassadenbreite betrug zum Teil nur knapp drei Meter. Alleman wollte gleichsam ein „Freilufttheater“ erschaffen, in dem die Häuser eine Art Bühnenbild darstellten. So entstanden schmale Häuser mit hohen Giebeln, verziert mit einem vielfältigen barocken Dekor aus Sonnen, Masken, Weinranken. Kein Haus gleicht dem anderen. Bei Beginn der Dämmerung werden die Fassaden, das Rathaus und der Belfried überdies effektvoll angestrahlt.

In der dortigen Chapelle Saint-Pry war bis zum 18. November 2018 die Ausstellung „Les artistes de la Grande Guerre“ zu sehen. 90 Zeichnungen, Stiche, Plakate und Karikaturen von rund 50 Künstlern – allesamt Zeitzeugen des Krieges - zeigten die Leiden der Zivilbevölkerung, die Gräuel der Schlachten, den Kult um die gefallenen Helden. Einen Großteil der Exponate bildeten großformatige Plakate, die deutlich machten, dass die Propaganda gegen den Feind – hier gegen die Deutschen - sich bei den kriegsführenden Nationen nicht sonderlich unterschied.

   

Flandern/Belgien:

Am nächsten Tag reisten wir zurück nach Belgien, zunächst nach Mesen – Messine mit französischem Namen – nahe der Grenze nach Frankreich, eine Stadt, die sich stolz „the smallest town in Belgium“ nennt. Anschließend fuhren wir nach Kemmel in der Gemeinde Heuveland, nach Passchendaele in der Gemeinde Zonnebeke, und nach Wagerem. In diesen drei Gemeinden wurden Sonderausstellungen zur Geschichte des letzten Kriegsjahres in der jeweiligen Region gezeigt und dazu eine gemeinsame Broschüre veröffentlicht (1918. The Final Offensive. 2018). Jede dieser Ausstellungen beleuchtete einen Aspekt der letzten Kriegsmonate, wobei die Endoffensive sich als roter Faden durch alle Ausstellungen zog.Dieses Ausstellungsprojekt ist nur ein Beispiel für die vielen Aktivitäten, die in den vier Jubiläumsjahren in nahezu allen Orten Belgiens und insbesondere Flanderns stattgefunden haben.

Mesen (Messine)

Denkmal für den WeihnachtsfriedenIm Frühsommer 1917 plante der britische General Haig eine Offensive in Flandern, die sich auf den sogenannten Wytschaete-Bogen südlich von Ypern konzentrieren sollte. In diesem Bereich lag auch Mesen. Die Offensive wurde am 7. Juni 1917 mit einer Abfolge von 19 gewaltigen Minenexplosionen eingeleitet, die riesige Krater entstehen ließen und bis zu 10.000 Soldaten das Leben kosteten. Vor allem englische und walisische Bergleute hatten in monatelanger Arbeit in 15 bis 30 Metern Tiefe Stollen unter die deutschen Stellungen gegraben und an die 30 Minen mit insgesamt 500 Tonnen Sprengstoff platziert. Die Explosion der Minen bei Mesen galt als die bis dato lauteste der Geschichte, die angeblich sogar in der Londoner Downing Street No. 10 zu vernehmen war.

Unter den darauf folgenden Angriffen von neun britischen Divisionen, die von Panzern unterstützt wurden, brach die vordere deutsche Linie zusammen. Die Briten rückten bis zu fünf Kilometer vor, verzichteten dann aber auf weitere Vorstöße und setzten sich auf der südlich von Yper verlaufenden Hügelkette fest. In Mesen veranstalteten sie eine Siegesfeier, bei der sogar der britische König George V. zur Gratulation anwesend war.

Im Zentrum von Mesen ist im ehemaligen Rathaus ein Touristeninformationszentrum eingerichtet worden, das die Geschichte des Ortes vor allem während des Ersten Weltkriegs erzählt. Die Exponate und Fotos, die von der kompletten Zerstörung der Stadt zeugen, sind in einem sogenannten Dunklen Raum untergebracht, während der Weiße Raum die heutigen Sehenswürdigkeiten der Region präsentiert.

Ein Denkmal vor dem Gebäude, das einen deutschen und einen britischen Soldaten zeigt, die sich über einen Fußball gebeugt die Hand geben, erinnert an den Weihnachtsfrieden von 1914. Ungefähr 100.000 Männer hatten am 24. Dezember unautorisiert die Waffen ruhen lassen, Briten und Deutsche hatten sich spontan verbrüdert, Geschenke ausgetauscht und Fußballspiele veranstaltet. Ausgelöst worden war diese Begegnung durch deutsche Soldaten, die – so heißt es - Weihnachtsbäume auf den Rand der Schützengräben stellten und Weihnachtslieder anstimmten. In Mesen wurde im Rahmen eines „Flanders Peace Project“ der alte Fußballplatz, in dessen Nähe einst die Front verlief, zu einem Gedenkplatz, auf dem nicht nur die Bewohner des Ortes kicken können, sondern auch Freundschaftsspiele zwischen den einst verfeindeten Parteien stattfinden sollen.  

Am Fußballfeld entlang führt der Weg zum irischen Friedenspark; katholische Soldaten der 16. Irischen Division kämpften Seite an Seite mit protestantischen Truppen von der 36. Ulster Division. Wie die am Eingang angebrachte Texttafel wissen läßt, soll der Friedensturm inmitten des Parks dieser Eintracht gedenken und die Hoffnung auf Aussöhnung symbolisieren. Der Turm hat die Form eines traditionell irischen „round towers“ und wurde teilweise aus Steinen errichtet, die einem irischen Armenhaus in Mullingar entstammen. Denkmäler erinnern an die gefallenen irischen Soldaten. Um die Hoffnung auf Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten, Iren und Briten zu bekräftigen, wurde der Turm am 11. November 1998 in Anwesenheit der irischen Präsidentin, der britischen Königin und des belgischen Königs eingeweiht. An jedem 11. November wird hier der Toten gedacht.

An die neuseeländischen Soldaten wird mit einem Denkmal im Zentrum des Ortes erinnert. Es zeigt einen Uniformierten der New Zealand Division, die ebenfalls an der Schlacht vom Juni 1917 beteiligt war. An ihren Beitrag erinnert auch ein weißer Steinobelisk inmitten eines nahe gelegenen Parks, das New Zealand Memorial, das bereits 1924 vom damaligen belgischen König Albert I. enthüllt wurde. Seit 1975 ist Mesen Partnerstadt der neuseeländischen Stadt Featherston, wo die meisten neuseeländischen Soldaten für den Einsatz im „Great War“ ausgebildet wurden.

   

Kemmel

Besucherzentrum KemmelDas Besucherzentrum Het Heuvelland in Kemmel zeigt in einer Dauerausstellung „Landschaft und Krieg: Das Heuvelland 1915 – 1918“ das Kriegsgeschehen rund um den Kemmelberg, an dem 1914 die deutsche Offensive zum Stehen gebracht wurde. Interessant und für uns neu hier vor allem die Dokumentation des Minenkrieges in Filmen und in anschaulichen Modellen. Die deutschen Truppen nahmen fast alle Höhen in der Region ein, der Kemmelberg blieb indes immer in den Händen der Alliierten.

Die Sonderausstellung „100 Jahr – de Slag um de Kemmelberg“ widmet sich den letzten Kriegsmonaten: Während der letzten deutschen Offensive im April 1918 war der Kemmelberg für kurze Zeit von deutschen Truppen zurückerobert worden. Nachdem Hunderttausende US-Soldaten die alliierten Truppen verstärkt hatten, rückten deren 27. und 30. Division auf den Frontabschnitt zwischen Yper und Kemmel vor. Den Briten gelang es, den Kemmelberg im September 1918 erneut einzunehmen, die Amerikaner befreiten das nahe gelegene Voormezele.

  

Zonnebeke/Passchendaele

Belgischer Memorial Garden in Passchendaele klRund um Passchendaele tobte 1917 die dritte Schlacht von Ypern. Etwa 600.000 Opfer forderte die Kämpfe zwischen dem 31. Juli und dem 10. November, die den Alliierten einen Geländegewinn von acht Kilometern brachte.

Mitglieder der Geschichtswerkstatt hatten das dortige zentrale Museum - in einem weitläufigen Parkgelände gelegen - bereits im Jahr zuvor besichtigt. So beschränkten wir uns in diesem Jahr auf einen Besuch der bereits erwähnten Wechselausstellung in der nahe gelegenen Villa Zonnedaele, die sich ebenfalls der letzten großen Offensive widmet und vor allem den Beitrag von belgischen und französischen Truppen in der zweiten Phase ab Mitte Oktober 1918 würdigt.

Im Anschluss machten wir einen Rundgang durch die neu angelegten Memorial Gardens, die im Rahmen eines „Legacy of Passchendaele“ Master Plans angelegt wurden. Voraussetzung für das Projekt war die Zusammenlegung der beiden Schlossparks, die seit 1960 getrennt waren. In dem zusammenhängenden, neu geschaffenen Areal sind seit 2014 bereits sieben Gärten entstanden, die von jeweils einem der am Krieg beteiligten Länder individuell gestaltet werden konnten. Auch einen deutschen Garten gibt es. Eine Texttafel informiert: Jeder Garten hat die Form einer poppy, einer Mohnblume, die für die Briten das Symbol für den Ersten Weltkrieg ist, so wie für die Franzosen die Kornblume. In jedem kommenden Jahr soll ein neuer Garten hinzukommen. Die individuellen Gärten sind umgeben von roten Metallstäben, die die Umrisse einer Mohnblume andeuten.

   

Langemarck

Friedhof LangemarckAuf dem Weg zur letzten Station der Ausstellungs-Trilogie machten wir einen Abstecher nach Poelkapelle, um dem dortigen deutschen Soldatenfriedhof Langemarck einen Besuch abzustatten. Den hatten wir bereits auf unserer ersten Flanderntour 2011 besichtigt; wir wollten sehen, ob hier in den letzten vier Jahren anlässlich der 100. Jahrestage Veränderungen stattgefunden hätten.

Im November 1914 hatte ein Kommuniqué der Heeresleitung verkündet, dass „junge Regimenter unter den Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles’ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen“ vorgerückt seien und sie eingenommen hätten. Der „Mythos von Langemarck“, demzufolge junge Studenten ihr Leben tapfer und patriotische Lieder schmetternd für Deutschland opferten, war geboren. Zwar stimmte es, dass an dieser ersten Flandernschlacht sehr viele junge und schlecht ausgebildete Kriegsfreiwillige teilnahmen, aber heroisch war der ihnen befohlene Ausbruch aus den Schützengräben sicher nicht. Sie gerieten sofort unter das Maschinengewehrfeuer der Briten – eine ganze Kompanie wurde niedergemäht. Das geschah indes noch nicht einmal im markant und teutonisch klingenden, an Bismarck erinnernden Langemarck, sondern einige Kilometer weiter westlich, wo sich die deutschen Truppen im Stellungskrieg gegen Briten und Franzosen verschanzt hatten.

Der deutsche Soldatenfriedhof Langemarck entstand 1915 aus einer kleinen Gräbergruppe, den letzten Ruhestätte von rund 3.000 Gefallenen der ersten Flandernschlacht. Insgesamt sind hier 44.304 deutsche und zwei englische Soldaten beerdigt; von ihnen sind rund 24.917 Leichen im sogenannten Kameradengrab beigesetzt – nicht identifizierte Soldaten aus ganz Belgien. Diese Kriegsgräberstätte ist eine von vieren in Westflandern. Oft wird er fälschlicherweise dem Langemarck-Mythos zufolge als „Studentenfriedhof“ bezeichnet, obwohl nur 15 Prozent der Kriegsfreiwilligen in der ersten Flandernschlacht Studenten waren. Steine deutscher Studentenkorporationsverbände, die gemeinsam mit anderen Traditionsverbänden 1930 eine Neugestaltung des Friedhofs und die Patenschaft übernahmen, erinnern noch heute daran.

2015 wurden Friedhof und Zugangsbereiche erneut von Grund auf renoviert, sodass er heute nicht mehr einen so düsteren Eindruck macht wie bei unserem ersten Besuch.

Denkmal „Trauernde Soldaten“Am Parkplatz stimmt eine Skulpturengruppe die Gäste auf den Besuch ein, darunter ein großer Berg von vor sich hin rostenden Mohnblumen, mittendrin eine einzige weiß glasierte poppy. Auf dem Weg zum Friedhof wurde ein Tunnel aus schwarzem Beton angelegt: Auf der dem Friedhof abgewandten Seite informieren Filme auf sieben Bildschirmen über die Flandernschlacht und die Geschichte des Ortes. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man durch schmale Öffnungen, die Schießscharten gleichen sollen, auf den Friedhof blicken. Den erreicht man über eine Allee aus Kopfweiden, die an der Friedhofsmauer entlang führt.

Im wuchtigen Torgebäude am Eingang befinden sich zwei Räume rechts und links des Durchgangs. Im sogenannten Ehrenraum auf der rechten Seite stehen auf Eichenpaneelen die Namen der 6.313 identifizierten Soldaten, die 1930 bei einer frühen Neugestaltung des Friedhofs auf dem tiefer gelegenen Teil bestattet wurden. Darüber ist auf einer Inschrift zu lesen: „Ihren Kameraden und Kommilitonen - Die deutsche Studentenschaft“. Im linken Raum blickt man auf eine Holzwand mit einer Landkarte, die alle deutschen Soldatenfriedhöfe einschließlich der aufgehobenen anzeigt. Besucher können sich hier in ein Gästebuch eintragen und sich über den Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge informieren. Im Oktober 2015 wurde im Rahmen einer Gedenkfeier der erste „Digitale Friedhof“ eröffnet. Seit dieser Zeit können die Besucher und Besucherinnen per App Informationen herunterladen, die an den jeweiligen Stationen ausgelöst werden.

Auf dem Friedhof selbst wurden die Grabsteine neu verlegt, die Wegeflächen saniert, die Vegetationsflächen instandgesetzt. Am zentralen Gemeinschaftsgrab gibt es jetzt eine freie Fläche. Hier steht jetzt wie ursprünglich wieder die Figurengruppe „Trauernde Soldaten“ von Emil Krieger.

    

Waregem

Ausstellung „Hippo War“Waregem war die letzte Station unserer Rundreise und der dritte Ort der gemeinsamen Wechselausstellungen der belgischen Gemeinden. Die Stadt ist bekannt für ihre Pferderennbahn. Was also lag näher, als dem Pferd, das zum letzten Mal in einem europäischen Krieg eine bedeutende Rolle spielte, eine Dauerausstellung unter dem Titel „Hippo War“ zu widmen, und zwar im weiträumigen, zweiten Geschoss des Tribünengebäudes am Rande der Rennbahn? In dieser Ausstellung werden verschiedene Aspekte dargestellt: die Vorbereitung der Pferde auf das Kampfgeschehen, der Transport in das Kampfgebiet, ihre Funktion im Krieg ob beispielsweise als Transport- oder als Reitpferd, in der Etappe oder in der Schlacht, Gefahren durch Verwundungen oder durch Krankheiten: Da ist tatsächlich ein ganzes Pferdespital aufgebaut, aus deren Türöffnungen ausgestopfte Pferdeköpfe herausschauen. Und natürlich: das Pferd als Held und guter Freund seines Herren. Nicht selten, so heißt es, entstand eine enge Verbindung zwischen Soldat und Pferd, die bisweilen den Krieg überdauerte.

Da die Amerikaner bei der Befreiung der Stadt eine entscheidende Rolle spielten, ist ihnen eine zweite Dauerausstellung hier vor Ort gewidmet. Sie stellt anschaulich die Vorgeschichte und Geschichte der amerikanischen Soldaten in Flandern dar: Die Vorbereitung auf den Einsatz in der Heimat, die Propaganda für den Kriegseintritt, die Kämpfe „vor Ort“. Waregem ist der einzige Ort in Belgien, an dem sich ein amerikanischer Soldatenfriedhof befindet. So widmet sich die Ausstellung auch den Lebensläufen derer, die hier begraben sind.

In der Sonderausstellung unter dem Titel „The Yanks are coming“ wird sehr anschaulich und ausführlich mit Bild- und Text- und Tondokumenten die wechselvolle Geschichte der Stadt im Krieg in 16 Kapiteln dargestellt: Im Oktober 1914 wird die Waregem von deutschen Truppen besetzt. Das Leben der Menschen wird eingeschränkt. Ab 8 Uhr abends gilt die Sperrstunde. Überall werden deutsche Soldaten einquartiert, die auf Kosten der Bevölkerung versorgt werden wollen. Das Wirtschaftsleben kommt zum Erliegen, Männer werden als Zivilarbeiter zwangsverpflichtet. Der Schulunterricht wird eingeschränkt.

Erst im Herbst 1918 nähert sich das Ende der Besatzung – allerdings auf sehr tragische Weise. Deutsche Truppen ziehen sich auf Waregem zurück. Am 21. Oktober sprengen sie den Bahnhof und unterbrechen damit die Bahnlinie Kortrijk – Gent. Die Stadt steht unter schwerem Artilleriebeschuss; um eine Angriff von Norden zu erschweren, fluten die Deutschen die Felder, aber der Schwerpunkt des Angriffs kommt vom Süden. Franzosen überqueren die Leie, und am 23. Oktober erreicht das 133. französischen Infanterieregiment die Ortsgrenze von Waregem. Die Deutschen sehen sich zum weiteren Rückzug gezwungen, und die Einwohner beginnen schon, die Befreiung zu feiern, als die Deutschen nun ihrerseits mit Artilleriebeschuss auf die von ihnen verlassene Stadt beginnen, der von französischer Seite beantwortet wird: Fotos zeigen eindrucksvoll die Zerstörungen. Am 29. Oktober gelingt es den Franzosen, weiter in die Stadt einzudringen, aber die Deutschen können die Angriffswelle fürs erste stoppen, bis die Offensive mit der Ankunft der 37. und 91. amerikanischen Division fortgesetzt und der deutsche Widerstand in Waregem gebrochen werden kann.

In der Dunkelheit erreichten wir Brüssel, wo unser Interesse am nächsten Tag einmal nicht dem Kriegsgeschehen galt – natürlich gab es auch hier mehrere Ausstellungen zum Krieg und seinen Folgen –, sondern den zahlreichen Kunstmuseen der Stadt.

Sabine Harling