Mittwoch, 30. Dezember 1914

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Dezember 1914Die Weihnachtsfeier im Reservelazarett III (Beethovenhalle). Ein Verwundeter sendet uns den folgenden Bericht über die Weihnachtsfeier im Lazarett in der Beethovenhalle: Die Weihnachtsfeier am Heiligen Abend verlief sehr stimmungsvoll. Kein Wunder, denn der Chefarzt, Herr Professor Dr. Schmidt, sowie die Aerzte des Lazaretts, die Schwestern unter ihrer Oberin Fräulein Pohl, die Helferinnen, die Wärter sowie eine ganze Reihe von Einwohnern Bonns, sie alle waren eifrig bemüht gewesen, den Verwundeten der Beethovenhalle durch eine recht gelungene Weihnachtsbescherung die Trennung von den Angehörigen am Christfeste vergessen zu machen, das war schon tagelang vor dem Fest ein Raunen und Flüstern, ein Hin und Her unter Schwestern und Wärtern. Galt es doch, die Ausschmückung de Halle vorzubereiten, die geheimen Wünsche der einzelnen Krieger in Erfahrung zu bringen, die Körbchen mit den Gaben zu füllen. Zu der Feier prangte die Halle im Festschmuck. An jedem Pfeiler prangten künstliche Rosensträuße, die miteinander durch Tannengrün verbunden waren. Die Betten waren mit Tannenzweigen und mit kleinen Fahnen in den verschiedensten Farben geschmückt. In der Mitte des weiten Raumes aber und auf der Galerie erfüllten die Kerzen an zwei mächtigen Tannen die Halle mit hellem Lichterglanz. Der Schülerinnenchor der Klostermannschen Privatschule trug zur Einleitung der Feier das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ vor. Dann hielt Herr Prof. Dr. Schmidt eine Ansprache an die Verwundeten. Er wies zunächst auf den eigentlichen Zweck der Beethovenhalle hin, schilderte dann in großen Zügen die glänzende Entwicklung Deutschlands und ging dann kurz auf den Anlaß zum Kriege ein. Mit herzlichen Wünschen zum Fest schloß der Redner seine Ansprache. Ein jeder der Verwundeten wurde herzlich bedacht und stimmte gewiß im Innern von Herzen den Dankesworten zu, die der Chefarzt zu Schluß an alle diejenigen richtete, die das schöne und unvergessliche Fest den Kriegern bereitet hatten.

Anzeige im General-Anzeiger vom 29. Dezember 1914Das Metropoltheater steht in dieser Woche wieder unter dem Zeichen des Krieges. „Iwan Koschula“ heißt der Fim, der den Zuschauer auf den galizischen Kriegsschauplatz versetzt und ihn teilnehmen läßt an mancher packenden Szene des Krieges. Auch der zweite Schlager, „Fifi, der Liebling der ganzen Garnison“, verfehlt seinen Eindruck auf die Besucher nicht.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

 

Chronik der Stadt Bonn für das Jahr 1914.
Wie hat das große Welterlebnis, das heute die ganze Menschheit gepackt hält, wie hat der Krieg auf den Gang der Dinge in Bonn gewirkt? Was ging in Bonn der Mobilmachung voraus, was folgt ihr? Das zu zeigen ist die Aufgabe dieser Chronik:

   Das Attentat von Sarajewo löste wie überall, so auch in Bonn große Erbitterung aus. Eine unheimliche Stille befiel die zeit zwischen diesem und der Stellung des Ultimatum Oesterreich-Ungarns an Serbien. Am 25. Jul verbreiteten sich die ersten Kriegsgerüchte und ganz Bonn lebte in Erwartung und Spannung. Die Haltung Rußlands bringt endlich die Erklärung des Kriegszustandes, aber niemand ist zufrieden damit, das Volk verlangt den Krieg.
   „Wir sind ein einziges Volk.“ In unser sonst so friedliches Bonn brachten schon die ersten Kriegsnachrichten viele Aenderung. Bürger und Studenten schlossen sich allabendlich zusammen, zogen zum Kaiserdenkmal, und gelobten dem Kaiser ewige Treue. Die Studenten vereinigten sich vor der Wohnung ihres Rektors, und auch hier hörte man das Treue-Gelöbnis aus tausend frischen Kehlen. So war unsere ganze Stadt bereit. Daß die Lage ernst war, sah man an der Bewachung der Brücke zunächst noch durch die Polizei, der Heimkehr der beurlaubten Truppen in ihre Garnisonen. Die Erklärung des Kriegszustandes brachte die Bewachung der Bahnen und der Brücke durch Militär mit scharfer Waffe. Nur wer genügend Ausweis hatte, konnte passieren. Das Publikum aber begann etwas Unsinniges, den Sturm auf Sparkasse und Bank, die Auskaufung aller Vorräte der Lebensmittelgeschäfte, sodaß hier in einem Tage eine Teuerung entstand, die ganz unberechtigt war. Nur dem vereinten Bemühen der Stadt, der handelskammer, der Zeitungen, gelang es schließlich, der Preissteigerung ein langsames aber sicheres Ende zu machen. Der Verkehr auf den Straßen war in den Abendstunden geradezu gefährlich. Menschen wogten auf und nieder, standen vor den Zeitungen, erwarteten neue Telegramme. Nur Neues, neues. Das Neueste war nicht neu genug. So erlebte man denn am 1. August in den Nachmittagsstunden das Bekanntwerden der Mobilmachung. Die Menge wurde furchtbar ernst. „Fest steht und treu die Wacht am Rhein“, man hörte es von morgens bis abends, und „Dem Kaiser Wilhelm haben wir’s geschworen“, sangen die eingezogenen Reservisten und Landwehrmänner. Der Verkehr wurde gewaltig. Die Eisenbahnzüge kamen mit großer Verspätung hier an, alle überladen mit Zurückkehrenden, mit Soldaten, Regel brachte hier erst die Einführung des Kriegsfahrplanes. Die Stadt selbst glich einem großen Kriegslager. Soldaten und immer wieder Soldaten. In allen Straßen Einquartierung. Junge Leute, alte Leute strömten zu den Regimentern, dem Bezirkskommando, um sich freiwillig zu melden. Wie viele kamen mit traurigen Gesichtern zurück, sie kamen zu spät, mußten warten. Dann gab es andere Arbeit. Hin gings zum roten Kreuz, zur Krankenträger-Kolonne, zum Freiw. Hilfsausschuß; hier konnte man Leute brauchen. Junge Damen meldeten sich als Krankenschwester, als Pflegerin, aber auch hier war der Andrang so groß, daß eine Menge abgewiesen werden mußte. So setzte denn nun alles ein, was im Frieden organisiert, und was sich jetzt im Ernstfalle so wunderbar bewährt hat; Verpflegung der Truppen am Bahnhof, Einrichtung von Lazaretten, Errichtung einer Erfrischungsstation usw. Die Stadtverwaltung brachte Mehl und Salz zum Verkauf u. Kartoffeln, richtete eine Kriegs-Beratungs- und Auskunftsstelle ein, gab Brot ab an die Angehörigen der im Felde stehenden Soldaten, kurzum, es geschah alles Mögliche zur Linderung der augenblicklichen Not. Der Vaterl. Frauenverein, der Verein vom Roten Kreuz und der Freiw. Hilfsausschuß erließen einen Aufruf an die Mitbürger, man brauchte Geld, Geld. Aber auch lebensmittel usw. wurden gewünscht. Und wie betätigte sich da der Opfersinn der Bewohner Bonns. Schon am 7. August konnte der Oberbürgermeister im Stadtrat bekanntgeben, daß in Bonn so reichlich und viel gesorgt worden sei, wie in keiner anderen Stadt. Auch kämen Preistreibereien nicht mehr vor. Die Zeit kam, wo alles wieder, wenn auch allmählich, in geregeltem Geleise ging.
  Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Dezember 1914 Die ersten Verwundeten kamen, darunter auch Franzosen, sie wurden alle gut versorgt in den bereiteten Lazaretten. Später nach dem kriege, wird man erst bemessen können, welche Verdienste unser Bonn als Lazarettstadt hat. Die Stadt hatte noch eine Aufgabe, zu sorgen für die Armen, die doppelt zu leiden hatten, zu sorgen für Frau und Kinder des im Felde stehenden Vaters. Auch hier war sie vorbildlich wie überall. Aber man brauchte immer noch Geld und andere Sachen. So erließ denn der Oberbürgermeister einen Aufruf der Sammlung „Kriegshilfe“, es gab eine solche für das bedrängte Ostpreußen, für Elsaß-Lothringen, eine Haus-Wollsammlung wurde veranstaltet; man brauchte nur zu verlangen, ganz Bonn gab, klein und groß, arm und reich. Man denke nur an die „Liebesgaben“. Kleider, Wolle, Bücher, Stärkungsmittel usw. alles vereinigte sich zur freudigen Ueberraschung. In Bonn allein wurden 18 Millionen für die Kriegsanleihe gezeichnet.
   Pflege des Vaterländischen Geistes, das ar das Motiv, welches die Vaterländischen Reden und Vorträge ins Leben rief. Sie wurden gehalten von Gelehrten, Kaufleuten und Künstlern. Auf diese Weise sorgte man für den Sinn des Ausharrens während der Kriegszeit bei den Zurückgebliebenen. Zur Vorbereitung auf die Militärzeit gründete man den Wehrbund. Er beschäftigte Jünglinge und Männer von 16 Jahren ab mit militärischen Uebungen.
   Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Dezember 1914Auf das künstlerische Leben Bonns hat der Krieg selbstredend auch seine Wirkungen gehabt. Das Theater sollte der Meinung vieler nach geschlossen bleiben. Nach Erwägung der Zustände war man schließlich doch für eine Oeffnung , im Hinblick darauf, daß Vorstellungen, dem Ernste der zeit angepaßt, gegeben, auf das Publikum nur erbauend wirken könnten. So eröffnete man für drei Monate, dehnte aber später die Zeit auf die üblichen sechs Monate aus. Die Gesellschaft für Literatur und Kunst arbeitete ebenfalls mit einem wesentlich kleineren Programm. Die Populär-wissenschaftlichen Vorträge, die Volkshochschulkurse, gaben ein Kriegs-Programm. Konzerte hatten wir weniger, und die, die stattfanden, waren meistens der Wohltätigkeit gewidmet.
   Wie wirkte der Krieg auf das Leben unserer Stadt, das zu zeichnen war die Aufgabe dieser Kriegs-Chronik. Man hat gesehen, daß Bonn überall, wo es Not tat, geholfen hat, daß nicht nur Pflicht erfüllt wurde, sondern daß das Herz ein großes Wort mitgeredet hat. Und so wird es weiter sein, so lange der Krieg dauert.
(...)

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)