Sonntag, 13. Dezember 1914
Vaterländische Reden und Vorträge. Am Mittwochabend spricht Herr Dr. Hermann Cardauns in der Aula des Städtischen Gymnasiumüber den Krieg und die Presse. Die Vorträge beginnen auf vielfachen Wunsch von jetzt ab eine Viertelstunde später, also um ½9, indes dann auch pünktlich ohne akademisches Viertel.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Die Kriegsfreiwilligen vor Ypern.
Ein Ruhetag im Felde.
Man weiß gar nicht, was man mit der vielen freien Zeit anfangen soll. Mann für mann hat bereits sein Gewehr geputzt, auch der Anzug ist wieder in einigermaßen menschliche Form gebracht, aber damit ist auch das Tagewerk getan, und nun schaut jeder zu, was wohl der andere beginnt, um sich die Zeit zu vertreiben. Man kann doch nicht den ganzen lieben, langen Tag essen, trinken, schlafen und noch mal schlafen, trinken und essen. Zur Besichtigung der näheren Umgebung ist das Wetter zu schlecht und vom ewigen Skatspielen ist man schon halb „dämlich“ geworden. Da kommt, kaum trauen wir unseren Augen, quer über das matschige Feld ein kleiner Trupp Soldaten, Musikinstrumente unter den Armen. „Adolf“ ist’s, der Liebling der Berliner, der schneidigste Kapellmeister aus dem „Clou“, dem „Zoo“ und anderen Stätten großstädtischer Vergnügungen. Freundliche lächelt er zu uns herüber, der elegante blonde Schnurrbart ist in einen nicht minder eleganten Backenbart übergegangen und die Brust ziert das schwarz-weiße Ehrenband des Kreuzes von Eisen. Alles staunt! Ja was will den „Adolf“ hier? Darüber sollen wir nicht lange im Unklaren bleiben. Wie im Lustgarten in Berlin ordnet der Musikdirektor seine Scharen, sodaß sie rings im Kreise um einen gewaltigen – Misthaufen stehen, und oben auf dem Haufen nimmt der Dirigent Platz und dann geht’s los. Musik erfreut des Menschen Herz! Nie habe ich die Wahrheit dieses Sprichwortes besser gesehen, als an diesem Ruhetage im Felde. Ringsum standen die Feldgrauen, einträchtig zusammen mit den schnell herbeigeeilten neugierigen Belgiern, und als dann „Deutschland, Deutschland über alles“ und „Die Wacht am Rhein“ ertönte, da haben wir alle kräftig mitgesungen. „Lieb’ Vaterland magst ruhig sein!“ Da standen unsere braven Jungens, und das Schluchzen erstickte fast den Gesang und die Tränen liefen über die bleichen, eingefallenen Wangen und es war keiner, der sich ihrer schämte.
Die Pfadfinder.
Und noch ein seltsames Zusammentreffen hatten wir an diesem Tage. Wir saßen vor unserer quietschnassen Strohhütte und hatten über einem schwelenden, beizenden Feuer gerade mit mehr Hingebung als Kaffeebohnen einen „Mokka“ gekocht, da krauchte durch den Lehm am Weidengebüsch eine Schar kleiner Menschen heran, aus denen wir so recht nicht klug werden konnten. Einen breitrandigen Südwester auf dem Kopf, das Seitengewehr an der Seite, einen schweren Revolver in der Tasche und das Gewehr über der Schulter., so kamen sie zu uns herüber und baten uns um etwas Kaffee, „sie kämen gerade vom Requirieren“. Pfadfinder waren es, richtige deutsche Jungen aus Coblenz, die schon seit Wochen im Felde stehen und manchen wichtigen Dienst geleistet haben. Lebensmittel haben sie requiriert, Lazarett-Transporte und Verwundete geführt, Pferde gehalten und – die Augen leuchten, wenn sie davon erzählen – den Soldaten in der vordersten Feuerlinie haben sie Munition gebracht. „Auf dem Bauche sind wir am hellen Tage mit 1500 Patronen auf dem Rücken in den Schützengräben gekrochen, einige waren zu dreist und sind aufrecht gegangen, die sind gefallen, ein paar von uns haben schon das Eiserne Kreuz, - die haben aber nicht mehr getan, als wir!“ Ei, wie herrlich ist doch dieser quittegelbe Neid unserer deutschen Jungen und die Furcht, daß etwa einer tapferer gewesen sein könnte, als der andere. Die Tätigkeit der Pfadfinder hat nun auch ein Ende; der Kriegsminister hat verboten, sie weiterhin in Feindesland zu verwenden. Aber alle Hochachtung vor diesen 14-15jährigen Burschen! Wir haben früher manchesmal gelacht über das Solddatenspiel, doch die Jungen haben mehr geleistet, als je von ihnen erwartet werden konnte. Einer von ihnen brachte uns auch das Neueste mit: das „Meniner Tageblatt“, neue Folge der „Bapaumer Zeitung am Mittag“. Das ist ein [??? ???] einseitiges Blättchen, das in kurzer knapper Form täglich die neuesten Depeschen des Hauptquartiers bekannt gibt und, soviel ich weiß, von dem Schauspieler Carl Cluwing herausgegeben wird. Hier erfuhren wir, daß Hindenburg 29000 Russen gefangengenommen hatte.
Rückmarsch zur Front.
Der Abend nahte und mit ihm der Abmarsch zur Front. Brote und Liebesgaben wurden verteilt, die fällige Löhnung ausgezahlt, die Patronentasche neu mit Munition versehen und der Tornister gepackt. Nun noch schnell ein Brief oder ein Kartengruß an die Heimat, und dann tritt die Kompagnie feldmarschmäßig an. Einige Kranke und Leichtverwundete, die zurückbleiben bis zum nächsten Male, haben sich eingefunden: „Auf Wiedersehen!“ – „Halt Dich dran!“ – „Sieh zu, daß Du wiederkommst!“ so schwirrt es durcheinander und dann stimmt einer dieses bitterernste Lied an, das einem das Mark erstarren läßt:
„Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod!“ Ich kann mir im Felde kein furchtbareres Lied vorstellen, deshalb furchtbar, weil es so manchem die Wahrheit sagt.
Nun geht’s hinaus ins Ungewisse! Und dennoch bleibt die Stimmung gut. Ein paar dralle Mädel, die am Grabenrande stehen und uns freundlich zuwinken, ermutigen einen Kameraden zu einem zwar falsch, ab er herzlich gesungenen: „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“. Witzworte fliegen hin und her, und als auf der Chaussee das „Tatütata“ eines Autos ertönt, singt die ganze Kompagnie die belgischen Uebersetzung dieses Signals:
„Nous sommes perdus, les Bosch sont lá!“ „Les Bosch“ sind wir, die Deutschen. - ....
Und wieder liegen wir im gelben Lehm flandrischer Erde. „Die Kompagnie liegt in zweiter Reserve, etwa 1200 Meter hinter der Front!“ – Na schön, denken wir, da können wir wenigstens schlafen, soweit hinter der Front kann uns wenig passieren. Aber der Mensch denkt, – und die Engländer schießen.
Buddelei beim englischen Kanonendonner.
Weiß der Teufel, warum sie es gerade auf unsere Reserve abgesehen hatten, aber kaum hatten wir es uns etwas bequem gemacht, da ging die Schießerei schon los; zunächst einmal mit Schrapnells. Wir legten uns also lang in den schönen gelben Lehm und warteten ab. Nach etwas zwanzig Minuten hörte das Geknalle auf und schon kam eine Ordonanz gelaufen. „Die Kompagnie soll jeden freien Augenblick benutzen, die Unterstände zu befestigen und die Schützengräben auszubauen und durch Laufgräben miteinander zu verbinden.“ In stockdunkler Nacht ging nun ein emsiges Arbeiten los. Nie werde ich diese Buddelei, nie diesen Befehl vergessen, denn beide retteten mir das Leben. Auf dem Bauche krochen wir durch die nassen Rübenfelder in das nahe Dorf, zu dreien, zu vieren kamen wir zurück. Schwere Balken, feste Türen, Stühle und Tische, alles wurde aus dem ganz zerschossenen Dorfe herangeschleppt, die Gräben fester und gemütlicher zu gestalten. Unser Loch für sechs Mann war etwas fünf Meter lang und einen Meter breit. Zwei Meter davon mußten zu Beobachtungszwecken oben offen bleiben, die anderen drei Meter wurden bedeckt. Zuerst wurden drei Querbalken gelegt, darüber eine schwere eichene Tür und dann wurde das Ganze etwas 25 Zentimeter hoch mit Lehm beworfen, der dann noch mit Rübenkraut bedeckt wurde. Eine dicke Lage Stroh sollte uns vor Kälte schützen. So ließ es sich schon aushalten in unserem Graben, aber die „Gentlemen“ hatten es anders beschlossen. Sie mußten wohl in der Nähe unserer Gräben unsere Artillerie vermuten, denn, hatten sie vorher mit Feldgeschützen und Schrapnells geschossen, so arbeiteten sie jetzt mit Schiffsgeschützen und großen Granaten. So ging es zwei Stunden lang, Schuß auf Schuß, Granate auf Granate und darunter mancher Treffer Und wieder, wie schon so manches Mal, lagen wir stundenlang mit dem Bauch auf dem nassen Stroh und starrten gedankenlos vor uns hin, den Augenblick herbeisehnend, da dieses gräßliche Feuer ein Ende nehmen würde. Aber dieses Mal sollte auch uns die Stunde schlagen.
Der Granatschuß. – Die Schaufel als Lebensretterin.
Es war gegen den frühen Morgen. Das englische Feuer war schwächer geworden, dauerte aber immer noch an. Wir lagen unter unsrer Eichentür und hofften gerade, uns bald erheben zu können, als plötzlich unmittelbar vor unserer kleinen Erdfestung ein ungeheurer Krach die Erde erzittern machte. Mein Gewehr, das an der Wand gelehnt hatte, fiel um, ich fühlte einen furchtbaren Schlag gegen das linke Bein und dann ... war alles aus. Als ich erwachte, hatten meine Kameraden mich gerade unter den eingestürzten Balken, der Tür und dem Lehm hervorgebuddelt. Ich blutete an den Händen und im Gesicht aus zahlreichen ganz geringfügigen Kratzern, fühlte aber einen starken stechenden Schmerz im linken Oberschenkel. Meine Kameraden hatten mir bereits das Beinkleid aufgeschnitten, und da stellte sich dann heraus, daß die schwere Eichentür und meine Schaufel meine Retter gewesen waren. Ein Granatsplitter war durch die Tür geschlagen und auf meiner Schaufel gelandet. Das starke eiserne Blatt der Schaufel war ganz verbogen, ich aber hatte eine lange und ziemlich breite, blutunterlaufene Prellung am Oberschenkel, die weiter nicht gefährlich war, aber fürchterlich schmerzte. Ich mußte also in Lazarett. Die Kameraden, von denen einer noch dazu zwei Finger der rechten Hand verloren hatte, trugen mich aus dem Graben zu den nicht weiter davon tätigen Sanitätern. Wie behutsam und wie freundlich doch alle diese rauhen Menschen sein konnten, so leicht, so vorsichtig wurde ich aufgehoben und niedergelegt., als seien Krankenschwestern bei der Arbeit und nicht harte Soldaten. Nur auf meine schönen langschäftigen Stiefel hatten sie’s abgesehen. Immer wieder maßen sie aus, ob sie nicht doch wohl paßten; da aber Mutter Natur mich mit einem ziemlich kleinen Fuß gesegnet hat, so blieb ich im Besitz meiner Langschäftigen.
Ins Feldlazarett von Menin.
In einem Automobil auf einer etwas unbequemen Tragbahre legte ich jetzt die altbekannte Chaussee in einem Viertel der Zeit zurück, als sonst. Neben mir lag ein gefangener und kranker Engländer, der vor Rheumatismus kein Glied rühren konnte. Er stöhnte in einem fort und erzählte mir in hartem nordenglischen Dialekt, daß er nun seit vierzehn Jahren Soldat sei, daß er in Indien und Südafrika und auf Ceylon gefochten habe, aber daß alle diese Kämpfe Kinderspiel gewesen seien, gegen diesen entsetzlichen Krieg und gegen die Strapazen dieses Krieges. An einem Tage hätten sie mit vollen 56 Pfund (engl.) Gepäck gar 26 Kilometer laufen müssen, das sei denn doch zu viel. Was hätte der rheumatisch-steife Gentleman wohl gesagt, wenn er, wie unsere Leute, mit weit schwererem Gepäck vier oder fünf Tage lang hintereinander täglich 50-55 Kilometer hätte marschieren müssen.
Im Feldlazarett in Menin wurden wir freundlich aufgenommen. Krankenwärter und belgische Schwestern nahmen sich unser an und wir wurden sofort untersucht. Und da der Stabsarzt kopfschüttelnd, außer meiner Prellung noch Herzkrämpfe feststellte, so wurde ich für den Heimtransport vorgemerkt. Von dieser Fahrt durch ein ganzes, weites Land voll uneingeschränkter Mildtätigkeit und Barmherzigkeit mag mein letzter Brief berichten. Fr. W. F. jr.
(Bonner General-Anzeiger)
Ein sonderbares Paar stand heute morgen vor der Bonner Strafkammer. Er ist verheiratet, Rangierer von Beruf und wohnte in Duisburg. Sie war Dienstmädchen in Duisburg. Dort lernten sie sich kennen. Der Rangierer verließ im vorigen Sommer seine Frau und zog mit dem Mädchen mittellos von Stadt zu Stadt. Sie gaben sich in den Wirtschaften, in denen sie übernachteten, als Eheleute aus, erbrachen dann nachts in den Gasthäusern Zimmer, Schränke und Kästen und verkauften die gestohlenen Sachen bei Althändlern für wenig Geld. Davon lebten sie sorgenlos eine Zeit lang. So kamen sie nach Bonn. In Wirtschaften in der Lang- und Stiftsgasse verübten sie denselben Schwindel und Diebstahl, wurden aber, als sie zum zweiten Male wiederkamen, festgenommen. Man glaubt, daß beide in der Absicht von Duisburg fortgegangen sind, ihren Unterhalt durch den Erwerb aus einem unsittlichen Lebenswandel zu bestreiten. Das Gericht verurteilte den Mann, der schon vorbestraft ist, zu einem Jahr Gefängnis, das Mädchen, das wahrscheinlich ganz willenlos unter dem Einfluß des Mannes stand, zu drei Monaten Gefängnis.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)