Sonntag, 11. Oktober 1914
In Galizien musste die russische Armee die Belagerung der österreichischen Festung Przemysl vorläufig abbrechen.
In der Stadthalle ist heute das 5. Konzert des städtischen Orchesters unter Leitung des Herrn Kapellmeisters Sauer.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")
Freitag kamen durch die Königstraße Knaben, die angeblich im Auftrage des Friedrich-Wilhelm-Stiftes Stöcke für Verwundete sammelten. Ein Stock wurde ihnen auch in unserem Hause verabfolgt. – Da uns die Sache nicht ganz vertrauenserweckend erschien, zogen wir sofort Erkundigungen im Friedrich-Wilhelm-Stift ein. Dort wurde uns die Antwort zuteil, daß das Friedrich-Wilhelm-Stift keineswegs einen solchen Auftrag erteilt habe, die Sache also Schwindelei sei. Auch gestern früh kamen wieder Knaben an unsere Haustüre, baten im Auftrage ihres Lehrers an der Remigiusschule um Stöcke, die sie für die Verwundeten in der Beethovenhallen sammeln wollten. Einer der Knaben hatte eine schwarz-weiß-rote Schleife vorgesteckt.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Eingesandt ")
Der Fall Antwerpens ist, wie wir schon Samstag schrieben, in Bonn mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Nachdem nunmehr die Meldung kam, daß sämtliche Forts von Antwerpen gefallen sind, wehen in den Straßen Fahnen bei Fahnen und die Bürger gehen nach dieser gelösten Spannung mit größerer Freude an ihre tägliche Arbeit. Seit gestern ist wiederum einmal die warme Welle der Begeisterung und das vaterländische Glücksgefühl, heller als sonst, über uns gekommen, und mit noch größerer Zuversicht und auch mit noch größerer Geduld wollen wir den Dingen, die mit eiserner Notwendigkeit ihren Gang gehen, entgegensehen. Jedem Schwätzer aber und Besserwisser und auch der erbärmlichen Sorte der Flaumacher wollen wir ernst entgegentreten, wenn dunkle Gerüchte und Mutmaßungen unbestimmter Herkunft unser Ohr treffen. – Die Fahnen wehen von Haus zu Haus, und wiederum hatten wir einen festlich frohen Tag.
Wie der Fall Antwerpens aufgenommen wurde, darüber geht uns folgendes Stimmungsbild zu:
Ich suchte gerade meinen dunklen Garten mit der Lampe nach gefallenen Birnen ab, als durch die Stille meines Hausfriedens (ich wohne ziemlich „da draußen“) mit einem Male die Glocken erklangen. Die Luft war voll Brausen erfüllt, so festlich volltönend, wie man das nur von Weihnachten her in Erinnerung hat. Wie ich noch überrascht dem ungewohnten Geläute zu dieser Stunde lausche, höre ich gleichzeitig ein weit über die Stadt kommendes vielhundertstimmiges Geschrei. Soll Antwerpen…? Schon sitze ich auf dem Rad, durchsause die stillen Straßen, die sich, je mehr ich auf die Stadt zukomme, mit immer größeren Menschenmassen beleben, die ebenso hastig wie ich dem „General-Anzeiger“ zueilen. Roter Dunst liegt über der Stadt. Der Scheinwerfer läßt über das Dächergewirr seine grellweiße Suchspur im schwarzen Himmel spielen. Feiner Taunebel spritzt ins Gesicht. Immer mehr Menschen füllen die Straßen, eilen der Zeitung zu und im Weitereilen hört man Fragenrufe: Stimmt’s? Ist Antwerpen gefallen? Und hastige Antwort der Entgegenkommenden und Vorwärtsstürmenden: „Jawohl, jawohl, Antwerpen ist unser.“ Je näher der Zeitung, um so größer das Menschengewoge und ein Brausen und ein Hurrarufen über die dunklen Häuser hinweg. Auf der Bahnhofstraße, vor dem General-Anzeiger: Köpfe, nichts als Köpfe, von den elektrischen Bogenlampen rot beleuchtet. Und über dieser wogenden Menschenmenge lautes Rufen, Hurraschreien und abgerissene Gesangsworte: Heil Dir im Siegerkranz, Die Wacht am Rhein. Die Sonderausgabe der Zeitung wird den Verteilern fast entrissen und ein lebensgefährliches Gedränge ist vor der Eingangstür der Zeitung. Dazu donnert ein Zug nach dem andern mit
Truppentransporten durch die Bahnhofshalle. Unsere Feldgrauen, die in Feindesland ziehen. Einer fängt den Ruf auf: Antwerpen ist gefallen! und der Krieger wirft mit einem jubelnden Ruf die Meldung wie einen Spielball weiter den Zug entlang und dann erdröhnt ein vielhundertstimmiges Hurrageschrei durch den Bahnhof und fauchend schnaubt der Zug in die dunkle Nacht. Ueber dem Jubel und Brausen der erregten Menschenmauer aber schwingen und dröhnen die Glocken mit ehernem Klang die frohe Siegesbotschaft von dem ersten glücklich beendeten Kapitel dieses gewaltigen Völkerringens über die Dächer und Giebel der Stadt und tragen sie weiter und wecken die Schläfer in ihren Stuben.
Unsere Schuljugend hatte am Samstag morgen aus Anlaß der Eroberung von Antwerpen einen schulfreien Tag. Nach einer kurzen patriotischen Feier, bei der die Lehrerschaft auf die Bedeutung des Tages hinwies, wurden die Kinder entlassen. Mit lautem Hurra stürmten Knaben und Mädchen, ihre Schulsachen über dem Kopf schwingend, aus dem Schulgebäude.
Ein Sonderzug der Straßenbahn von drei Wagen beförderte gestern nachmittag eine Anzahl Verwundeter nach Godesberg.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Dum-Dum-Patronen. Die amtlich beglaubigen Aussagen zweier englischer Offiziere über die Lieferung von Dum-Dum-Patronen an die englischen Truppen sind vervielfältigt worden. Ein Abdruck der Schriftstücke ist im Schaufenster unserer Geschäftsstelle ausgehängt.
In den 9 Sammelfässern von Holz wurden bis jetzt vorgefunden 7065 Zigarren, 6252 Zigaretten und Mark 1308,90 bar. Abgeliefert sind bis heute 33 065 Zigarren und 15639 Zigaretten, außerdem Kautabak, Pulswärmer, Strümpfe, Pfefferminz und Kleinigkeiten. Von siebenjährigen Buben und Mädchen der Karlsschule wurden Mark 8,50 und aus Hanna’s Sparbüchse 80 Pfg. gestiftet. Diese schönen Beispiele verdienen Nachfolger. Ein Labsal für die im Felde stehenden Truppen ist eine Zigarre, Zigarette oder etwas Tabak. Wer wüßte das besser, als Männer, die an’s Rauchen gewöhnt sind. An alle Raucher ergeht deshalb die ernste Bitte, sich in jeder Woche zum Besten unserer Helden im Felde das kleine Opfer eines rauchfreien Tages aufzuerlegen. Dieser rauchfreie Tag soll während der ganzen Kriegszeit der Montag jeder Woche sein. Möge es jeder Raucher als Ehrensache ansehen, an diesem Tage das Rauchen zu unterlassen und den gesparten Verbrauch den Sammelfässern zuzuführen. Allen Gebern herzlichen Dank.
Schulfrei. Der Unterricht in den Schulen fiel gestern aus Anlaß der Eroberung Antwerpens aus. Die Kinder hatten daher um so mehr Anlaß und Gelegenheit, sich mit den Erwachsenen des Sieges zu freuen. Daß auch in ihnen ein echtes deutsches opferwilliges Herz sitzt, bewiesen sie gestern am Vormittag, als sie von der Schule nach Hause geschickt wurden. In ganzen Scharen eilten sie nach dem Bahnhof und boten ihre Butterbrote den durchfahrenden Soldaten an, die mit besonderer Freude und Anerkennung von dem Anerbieten der Kinder dankbar Gebrauch machten.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)