Samstag, 1. August 1914

Am 31. Juli war die Generalmobilmachung Österreich-Ungarns erfolgt ebenso die von Belgien und die der Niederlande. Die deutsche Regierung hatte den „Zustand drohender Kriegsgefahr" erklärt und Russland aufgefordert, die Mobilmachung zurückzunehmen. Zugleich hatte sie Frankreich ultimativ aufgefordert, im Falle eines deutsch-russischen Krieges neutral zu bleiben.

Für Bonner Presse ist die Entscheidung bereits gefallen. Die Reichs-Zeitung titelt: „Vor dem europäischen Kriege“, der General-Anzeiger: „Krieg“, die Bonner Zeitung: „Deutschland im Kriegszustand". Nur der wegen seines frühen Redaktionsschlusses wenig aktuelle Volksmund versucht noch, seine Leser zu beruhigen. Am Abend erscheinen Extrablätter, die die deutsche Mobilisierung bekannt geben (GA: „Russland hat ohne Antwort den Krieg eröffnet.“; DRZ: „Mobilmachung in Deutschland.“).

 

Bewegte Tage liegen hinter uns. Größere Aufregung hat Bonn wohl noch nie erlebt. Die meist nichtssagenden Depeschen, die sich vielfach widersprachen, waren nicht geeignet, Beruhigung zu bringen. Die unsinnigsten Gerüchte tauchten auf, wurden weiter verbreitet und leider geglaubt. Die unsinnigen Umzüge der Schrei- und Brüllpatrioten dauerten an und steigerten das Unbehagen, das jeden Friedliebenden beherrschte. Zu was das? fragte man sich unwillkürlich. Wir haben doch noch keinen Krieg. Man gibt sich fortwährend Mühe, den Frieden zu erhalten. Wozu nun die Schreierei der Knaben, die noch die Muttermilch an den Lippen haben? Auf die können wir uns doch nicht stützen, wenn die Gefahr an uns herantritt. Ist das Mache? Wünschen irgendwelche doch den Krieg? Den entsetzlichen, männermordenden, wertzerstörenden Krieg? Woher kommen alle die alarmierenden Depeschen, die immer widerrufen werden müssen? Sollen sie dem Kriege auch die Widerstrebenden geneigt machen? Ist System – Absicht dabei?

Auch jetzt wieder hat sich gezeigt, welche Beunruhigung die Presse in die Bevölkerung tragen kann. Die Reichszeitung, die in den ersten Tagen auch jede Nachricht brachte, merkte doch bald, welches Unheil hervorwuchs. Sie begann vorsichtiger zu werden und versuchte beruhigend zu wirken. Sie selbst klagte über die Aufregung, die, wie ein Depeschenbureau ihr mitgeteilt, nirgendwo solche Formen angenommen, wie gerade in Bonn. Der Generalanzeiger aber rechtfertigte die Verbreitung der vielen sensationellen Nachrichten, die er selbst oft widerrufen mußte, und berief sich auf frühere Mitteilungen, die es als erstes deutsches Blatt gebracht und die sich alle als richtig erwiesen. Wir aber wissen alle, das (sic!) kein Blatt so sehr zur Beunruhigung der hiesigen Geschäftswelt und der ganzen Bevölkerung beigetragen hat, wie gerade der Generalanzeiger. Auch die Bonner Zeitung ist eine Tageblatt. Die Behandlung der vielen Nachrichten und Depeschen sollte den andern Tageszeitungen als Muster dienen. Die Redaktion dieses Blattes hat in diesen Tagen bewiesen, wie eine Zeitung interessant gestaltet werden kann, ohne der Sensation zu dienen.

Noch eine andere böse Erfahrung haben wir in diesen schlimmen Tagen machen müssen. In verschiedenen Geschäften wurden Lebensmittel nur noch zu übertrieben hohen Preisen abgegeben, ganz, als wäre die Stadt eingeschlossen und der Vorrat ginge zur Neige. Für ein Pfund Salz wurde 30 Pfennig gefordert. Auch Mehl und andere Lebensnotwendigkeiten, die besonders von der ärmeren Bevölkerung nur in kleinen Quantitäten bezogen werden, zeigten ganz unsinnige, durch nichts gerechtfertigte Preissteigerungen. Die Verkäufer huldigen jedenfalls dem Grundsatz
                       Plündere deinen Nächsten
wann, wo und wie du nur kannst. Glücklicherweise ist die Behörde schon eingeschritten. Hoffentlich wird sie in den nächsten Tagen gegen alle diese Lebensmittelwucherer vorgehen, die sich nicht scheuen, die Not der Zeit auszubeuten.

Eine weitere Kalamität, unter welcher wir leiden, ist das Papiergeld, das im Umlauf ist, das doch keiner gerne annimmt und behalten will. Eine Heidenangst herrscht vor dem Papiergeld. Auch hier wird die Behörde in irgendeiner Weise eingreifen müssen, wenn nicht der ganze Geschäftsverkehr stocken soll.

(Volksmund, aus einem mit „Urban" gezeichnetem Artikel aus der Rubrik „Bonner Angelegenheiten")

 

Anzeige im General_Anzeiger vom 1. August 1914Wir haben gestern schon hingewiesen, daß es eine große Torheit ist, Reichsbanknoten zurückzuweisen. Erstens ist die Banknote ein gesetzliches Zahlungsmittel und zweitens ist in den Goldbeständen der Reichsbank eine mehr als ausreichende Garantie gegeben. (...)

Ein weiterer Uebelstand sind Preistreibereien der notwendigsten Nahrungsmittel. Auch darauf haben wir schon hingewiesen. Es wird schließlich nichts anderes übrig bleiben, daß die Lebensmittelpreise von der Behörde festgesetzt werden. Leider haben zu der Teuerung große Ankäufe beigetragen, die wohlhabende Familien in hiesigen Geschäften gemacht haben. So kaufte eine Familie Nahrungsmittel für einen ganzen Monat ein! Das Geschäft, in dem die Einkäufe erfolgt sind, wird infolgedessen wohl bald schließen müssen. Tatsächlich mußte ein hiesiges Engrosgeschäft den Betrieb heute zeitweise einstellen, weil nichts mehr vorhanden war. Es ist das wirklich eine ganz törichte und obendrein verwerfliche Angstmeierei. Während des Siebziger Krieges ist doch kein Mensch im Lande Hungers gestorben und heutzutage angesichts der bedeutend vervollkommneten Organisation namentlich der Transportmittel, ist noch viel weniger daran zu denken, daß in absehbarer Zeit eine Kalamität eintreten könnte. Ferner weisen wir auf die Bundesratsbeschlüsse hin, daß keinerlei Nahrungsmittel ausgeführt werden dürfen. Die Einfuhr wird dagegen selbst bei einem Zweifrontenkrieg nicht gänzlich aufhören, sondern über die Schweiz weitergeführt werden.

Und überdies, wir wollen wenn je, jetzt ein einig Volk von Brüdern sein, und da ist es doch recht unbillig, wenn Wohlhabende zu einer Preissteigerung durch überdies gleich sinnlose Ankäufe beitragen. Die gute Ernte ermöglicht es sicher, daß Deutschland hinsichtlich seiner Ernährung auf eigenen Füßen stehen kann.

Schließlich richten wir besonders an die wohlhabenden Kreise, die ernste Mahnung, bezahlt Eure Rechnungen, besonders die von kleinen Leuten! Man stelle sich einmal die Gedanken eines Handwerkers vor, der ins Feld muß, Frau und Kinder zurücklässt, um dies in Sorge ist, und dabei Forderungen ausstehen hat, deren Deckung seine Familie leicht über die schwierige Zeit hinwegbringen könnte.

Darum also, kaltes Blut und ruhige Nerven! Wir haben eine schlimme Zeit durchzumachen. Aber wir haben keinen Grund, zu verzweifeln. Wir können sie durchhalten und werden sie durchhalten!

(Bonner General-Anzeiger, Leitartikel „Was not tut!“)

 

Wegen Kindesaussetzung ist gestern von der Kölner Kriminalpolizei eine Dienstmagd aus Bonn verhaftet worden. Sie war mit ihrem achttägigen Kinde in Bonn aus der Entbindungsanstalt entlassen worden, hatte sich damit nach Köln begeben und das Kind in einem Hause an Unter Sachsenhausen in einer Türnische niedergelegt. Sie wurde jedoch von Vorübergehenden beobachtet. Das Kind hat im städtischen Waisenhaus Aufnahme gefunden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Die Stadtverordneten hielten gestern eine Sitzung ab. Zu Beginn hielt Oberbürgermeister Spiritus eine Ansprache, in der er auf den Kriegszustand hinwies, zur Ruhe und Besonnenheit mahnte und ein Kaiserhoch ausbrachte. Stadtv. Simon wies darauf hin, daß die Städtische Sparkasse über reichlich flüssige Mittel verfüge, daß aber die Spareinlagen bei der Sparkasse durchaus sicher sind. Es wurde ferner betont, daß Reichsmittel ebenso sicher wie Gold sind. (...) In der geheimen Sitzung wurden die Verträge von Hofrat Beck in München und Oberspielleiter Wittmann über die Leitung des Stadttheaters genehmigt.

Fast neue Fahrräder hat eine hiesige Ehefrau zum Verkauf angeboten. Die Räder waren aber ganz neu. Mit der Bezeichnung fast neu sollte nur der Glaube erweckt werden, als ob ein Radfahrer sein Rad aus irgend einem Grunde billig verkaufen wolle. Die Strafkammer verurteilte gestern die Frau wegen unlauteren Wettbewerbs zu 3 Mk. Geldstrafe.

Bekanntmachung betreffend Befreiung vom Aufgebot bei Eheschließungen.
Aufgrund der allerhöchsten Verordnung vom 16. Dezember 1912 (Gesetzsamml. S. 229) bestimme ich für den Umfang der Monarchie folgendes:
1. Im Falle einer Mobilmachung oder einer Erklärung des Kriegszustandes (Artikel 11 und 68 der Reichsverfassung) ist zur Befreiung vom Aufgebot zum Zwecke der Eheschließung, sofern der Verlobte der bewaffneten Macht angehört und beide Verlobte Reichinländer sind, der Standesbeamte zuständig, vor dem die Ehe geschlossen werden soll.
2. (...)

Berlin, d. 11. März 1913
Der Minister des Inneren
v. Dallwitz

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten")

 

Die Deutsche Reichs-Zeitung druckt die Ansprache von Oberbürgermeister Spiritus an die Stadtverordneten- Versammlung in voller Länge ab:

Meine sehr geehrten Herren! Mir ist soeben amtlich die Mitteilung zugegangen, daß der Kriegszustand befohlen worden ist.

Meine lieben und verehrten Herren! Wir befinden uns in einer ernsten Zeit. Wenn auch durch den Kriegszustand die Mobilmachung noch nicht hervorgerufen wird, so müssen wir doch an die Möglichkeit denken, daß in unserem Vaterlande die Mobilmachung befohlen werden kann. Und da ziemt es uns als Vertreter der Bonner Bürgerschaft, Einkehr in uns selbst zu halten und Worte an unsere Mitbürger zu richten. Es sind zwei Punkte, die ich als Vertreter der Stadt hier zum Ausdruck bringen möchte. Einmal einen Appell an unsere Mitbürger, daß sie bei allem Ernst der Lage nicht vergessen sollen, daß sie Glieder eines wohlgeordneten Staatswesens sind, daß auch, wenn der Krieg über uns hereinbrechen würde, die Fürsorge des Staates und seiner Beamten, soweit Gott ihnen die Kraft und die Macht dazu gibt, nicht aufhören wird. Ich bitte meine lieben Mitbürger, was da kommen möge, Ruhe zu behalten, sich auch nicht zu übereilten Handlungen hinreißen zu lassen. Ich denke insbesondere daran, daß ein Ansturm auf die Kassen unklug ist, daß niemand sein Geld sicherer und besserer nach menschlichem Ermessen untergebracht haben kann, wie das z.B. bei öffentlichen Sparkassen der Fall ist (Sehr richtig!), daß derjenige, für sich selbst und für das Allgemeinwohl unklug handelt, der vorschnell dazu übergeht, sein Geld bei den Kassen zurückzuziehen. Ich wende mich ferner an meine Mitbürger mit der Bitte, auch im Uebrigen Ruhe zu behalten, den Anordnungen der Obrigkeit die in diesen Tagen streng durchgeführt werden müssen, freundliches Wohlwollen und nicht unnötigen Widerstand entgegenzusetzen; dann werden wir bei der Milde, die zu üben mir in meinem Amte immer als Pflicht erschienen ist, soweit es in meiner Kraft steht, gewiß im besten Einvernehmen mit der Bürgerschaft leben. (Bravo.)

Es ist noch ein anderer Gedanke, der uns mit allen Deutschen heute beseelt und den zum Ausdruck zu bringen uns allen Herzensbedürfnis ist. Wir haben einen Kaiser und König, der länger wie ein Vierteljahrhundert in segensreicher Regierung es verstanden hat, seinem Volke und, wir dürfen sagen, der ganzen Welt den Frieden zu erhalten. Wir haben einen Friedenskaiser! Wenn aber unser Kaiser und König sich genötigt sehen sollte, mobil zu machen, den Krieg zu erklären, dann wissen wir, daß das nicht leichtfertig vom Kaiser geschieht, sondern, daß ernste Erwägungen ihn und seine Ratgeber bestimmen, den Frieden mit dem Kriege zu vertauschen. Dann aber wollen wir geeint dastehen, wir in unserer Stadt und geeint in unserem Vaterlande. Wir wollen uns leiten lassen von dem schönen Wort: Wir Deutschen fürchten Gott und nichts anderes in der Welt. (Bravo!) Und wir wollen ferner uns einen unter dem Banner der Hohenzollern, das den schönen Wahlspruch trägt: Mit Gott für König und Vaterland. (Bravo!) In diesem Sinne, meine Herren, bitte ich Sie, sich zu erheben und begeistert mit mir einzustimmen in den Ruf: Unser vielgeliebter Kaiser und König er lebe hoch! hoch! hoch!

(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

Extrablatt der Bonner Zeitung vom 1. August 1914

Extrablatt des Bonner General-Anzeigers vom 1. August 1914 

Extrablatt der Deutschen Reichs-Zeitung vom 1. August 1914

Krieg!!!

Wie ist es möglich, und doch ist es wahr. Wer hätte je daran gedacht. Alles ist verändert. Die Stadt Bonn ist nicht mehr zu erkennen, sonst vornehme Ruhe und Frieden, und jetzt? Krieg! Du einfaches Wort und doch so inhaltsschwer! Wer hätte vor 8 Tagen, wie mein Namensfest gefeiert wurde, solches geahnt! Doch es ist nicht anders. Überall, wohin man blickt, Feldgraue Uniformen. Hoffentlich kommen alle bald zurück. Am Bahnhof kommt Zug fur Zug, alle 10 Minuten, mit Militär, und die Begeisterung dabei! Wie viele von diesen mögen gesund nach Hause kommen?

Attelerie, Kavalerie, Infantrie, alles mögliche fährt vorbei. Die Rheinbrücke ist bewacht. Niemand kommt ohne Paß durch. Auf dem Markt ist Etappenstation. Autos mit höheren Offizieren kommen und fahren weg. Auf dem städtischen Gymnasium ist ein Scheinwerfer aufgestellt. Alles ist verdreht und verkehrt. Alles anders. Hoffentlich ists von kurzer Dauer.

(Anna Kohns, Tagebucheintrag unter dem 1. August 1914)