Freitag, 22. November 1918

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 22. November 1918Ernste Tage für Bonn und die Rheinlande.
Die Stadt prangt im Flaggenschmuck, die Fahnen, die unsern Feldgrauen ihre Grüße zugewinkt haben, als sie mit heller Begeisterung hinauszogen aus der Heimat, um eine Welt von Feinden von unsern Grenzmarken abzuwehren, die die Häuserzeilen unserer alten Gartenstadt zierten, als sich mit den Namen Hindenburg, Mackensen, Beseler, Linsingen und der vielen andern Großen unserer deutschen Heere die Nachrichten über siegreiche Kämpfe verknüpften, sie wehen auch jetzt wieder. Zur Heimkehr unserer Truppen. Ein wehmütiges Gefühl erfüllt die Brust, wenn man jetzt das schwarz-weiß-rote Fahnentuch im Winde flattern sieht, wenn die glitzernde Novembersonne diese helleuchtenden Flaggen in ihren Farben noch stärker hervortreten läßt. Nicht Sieg künden uns diese Fahnen, deren Anblick uns im Verlaufe des Weltkrieges so oft erfreuten, als sie uns die Sprache des Erfolges redeten. Nun können sie nur noch ein Gefühl verdolmetschen, wenn die endlosen Karawanen von Gespannen schwer bepackt ihre Kolonnenstraße zur Rheinbrücke ziehen, Lastautos und sonstige Kraftfahrzeuge von der Westfront kommend hier durchlaufen, um ihren Weg weiter ostwärts zu nehmen, - den Weg jenseits des Rheins, nur das eine Gefühl des Dankes, unverlöschlichen Dankes für all das, was diese verstaubten, gebräunten Männer im feldgrauen Kleide uns in all den Jahren gewesen sind: Eine lebendige Schutzwehr, eine Wehr, die mit ihrem Körper, mit der zähen Energie und dem unbesieglichen Mute des deutschen Soldaten auch gegen die stärkste Uebermacht standhielt, unbesiegt bis zum letzten Augenblick, bis zu der Stunde, wo die Feder ihnen Halt gebot. Es ist viel in der Heimat herumerzählt worden von der schlechten Moral der Truppen und ihrer Verwahrlosung im Charakter. Die Tausende von Soldaten und ihre Offiziere, die bisher hier durch kamen und im Quartier lagen, haben durchweg durch ihr Verhalten, durch ihr ganzes Wesen bekundet, daß man offenbar Einzelfälle verallgemeinert hatte, denn die Leute zeigen nichts weniger als Aeußerungen der Verwilderung. Die meisten freunden sich mit unserer Kinderwelt an und zeigen trotz der Strapazen der tagelangen Fahrten und Märsche namentlich im Verkehr mit der Jugend gemütvollen deutschen Humor. Da die Fronttruppen bisher nur in kleineren Partien hier durchkamen und die großen Armeekörper erst erwartet werden, so darf man in Erinnerung an die stramme Selbstzucht, die unsere kämpfenden Armeen in den großen Abwehrschlachten bekundeten, hoffen, daß ihr Rückmarsch sich in der gleichen Ordnung vollzieht, wie das bisher bei den durchziehenden Truppen beobachtet werden konnte.
   Im Gegensatz zu dem guten Verhalten unserer Truppen zeigt ein gewisser Teil der weiblichen Bürgerschaft unserer Stadt Bonn nicht jene Würde, die dem Dichter einst die Worte ablockten: Willst Du wissen, was sich schickt, kehr nur bei edlen Frauen ein. Eine gleichfalls bedauerliche Erscheinung ist es, daß viele Eltern ihren Kindern erlauben, unsere tapferen Feldgrauen mit Luftschlangen und Konfetti zu begrüßen, just als ob es Karneval sei. Glücklicherweise hat der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat beschlossen, daß die Bonner Geschäftsleute, die offenbar die Zeichen der Zeit verkennen, derartigen Krimskrams nicht mehr verkaufen dürfen.
   Dem bitteren Ernst, der den Durchzug einer mächtigen Heeressäule von Hunderttausenden von Soldaten begleitet, werden anfangs Dezember noch ernstere Wochen und Monate für jeden deutsch-national empfindenden Mitbürger folgen. Es gilt, dieses furchtbare Schicksal mit ruhiger Würde zu ertragen und die Bitterkeit des Empfindens nicht gegenüber der zu erwartenden feindlichen Besatzung zu äußern. Auch die feindlichen Soldaten und Offiziere erfüllen für ihr Vaterland nur ihre Pflicht. Ihnen achtungsvoll, wenn auch zurückhaltend zu begegnen, scheint uns an sich und auch im wohlverstandenen Interesse unserer Vaterstadt das einzig Richtige zu sein. Daß in Einzelfällen auch während der Besatzung Personen beiderlei Geschlechts versuchen werden, sich mit den fremden Offizieren und Soldaten anzubiedern, und ihre Sprachbrocken zu verwerten, läßt sich wohl kaum verhindern. Aber von der Bürgerschaft im Ganzen darf man zweifellos mit aller Bestimmtheit erhoffen, daß sie das nationale Unglück, das uns betroffen hat, auch in den Zeiten, wo es uns durch die fremde Besetzung besonders augenfällig zum Bewußtsein kommt, mit jener Ruhe und Würde tragen werde, die uns der Tatsachen wert erscheinen läßt, daß wir als Angehörige der ersten Kulturnation der Welt gelten.

In der gestrigen Sitzung des ABS-Rates machte ein Hauptmann der 18. Armee die Mitteilung, da die Fronttruppen dieser Armee erst in 5 – 6 Tagen hier eintreffen. Zwei Regimenter werden am 24. oder 25. d. M. erwartet, um den Sicherheitsdienst in der Stadt zu übernehmen. Vorerst werden die Versprengten gesammelt und abtransportiert. Außer den Truppen der 18. Armee würden voraussichtlich auch noch Teile der 7. Armee mit schätzungsweise 200.000 Mann hier durchmarschieren. Bis jetzt seien nur Rekrutendepots durchgekommen. Der Abtransport der Truppen werde über eine bestimmte Kolonnenstraße gehen. Es sind drei Straßen dafür bestimmt: je eine für Kraftwagen, für Fußtruppen und für Fahrzeuge.
   Oberbürgermeister Spiritus begrüßt es, daß das Generalkommando Vorsorge für die Sicherheit und Ordnung in der Stadt Sorge trägt, befürchtet aber, daß unsere schmale Rheinbrücke nicht ausreichen würde, um die Heeresmassen, wenn sie noch durch die Truppen der 7. Armee vermehrt werden, ohne erhebliche Schwierigkeiten abzutransportieren. Er ist der Auffassung, daß diesem Umstande durch die Errichtung weiterer Brücken Rechnung getragen werden müsse. Von anderer Seite wurde mitgeteilt, daß vorgesehen sei, bei Hersel oder Obercassel eine zweite Brücke über den Rhein zu schlagen. Außerdem sollen noch die Fähren oberhalb unserer Stadt sowie Schiffe zum Abtransport der Truppen mit herangezogen werden.
   Die Auskunftsstelle der 18. Armee befindet sich im Nordischen Hof an der Poppelsdorfer Allee, die Versprengten-Sammelstelle in der Infanterie-Kaserne an der Ermekeilstraße.
   Wie Herr Rentner Essingh mitteilte, bereitet der Abzug der Versprengten große Schwierigkeiten, da es den Leuten anscheinend in Bonn zu gut gefalle. Der ABS-Rat möge darauf hinwirken, daß in der Kaserne eine Kontrolle ausgeübt werde. Ein gemischter Ausschuß wird der Sache näher treten. Herr M. Schmitz ersucht die Bürgerschaft, nur solche Mannschaften als Quartiergäste aufzunehmen, die sich durch Quartierbillette ausweisen können.
   Vorsitzender Dr. Krantz schlägt vor, eine Verordnung zu erlassen, die den Verkauf von Luftschlangen, Konfetti und Explosivkörper verbietet, damit der karnevalistische Anstrich beim Truppendurchzug in Wegfall komme. Das Verbot soll erlassen werden. Der Vorsitzende verlas ein Schreiben, in dem der ABS-Rat ersucht wurde, dafür Sorge zu tragen, daß junge Mädchen sich bis abends 10 Uhr ungestört auf der Straße aufhalten können. Der Vorsitzende und mit ihm die Versammlung waren jedoch der Ansicht, daß es besser sei, wenn junge Mädchen in den späten Abendstunden möglichst zu Hause blieben. Es ginge nicht an, daß man jedem Mädchen einen Sicherheitsposten mitgeben könne. (Man beobachtet schon tagsüber junge Mädchen in großer Zahl, die sich den Soldaten gegenüber recht frei benehmen.) Es wurde ferner darauf hingewiesen, daß alles aufgeboten werden müsse, um unsere Jugend von den Fahrzeugen und Pferden der durchziehenden Truppen fernzuhalten. Unbeschadet der Vorliebe unserer Jungens für das Militär müsse streng darauf geachtet werden, damit nicht Unfälle passieren, wie schon einige zu verzeichnen seien.
   Von mehreren Seiten wurde darauf hingewiesen, daß Pferde sowohl aus den Kasernen wie auch aus den Schulen, die mit Einquartierung belegt sind, von Zivilpersonen gestohlen werden. Ja, aus den Kolonnen der durchmarschierenden Truppen wurden am hellichten Tage Pferde gestohlen. Es sind Fälle bekannt geworden, wo hier und in der Umgegend Pferde zu 50, 60 und 100 Mark verkauft worden sind. Es gebe Personen, die gewerbsmäßig Sachen und Lebensmittel von den Soldaten kaufen und sie zu Wucherpreisen absetzen. Man beschloß, gegen dieses Vorgehen energisch einzuschreiten und berufsmäßige Aufkäufer sofort verhaften zu lassen.
   Die nächste Sitzung ist Samstag.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Die Wehrpflichtigen des linken Rheinufers. Staatssekretär Erzberger sandte an das hiesige Ersatzbataillon 160 ein Telegramm, wonach, wie nochmals betont sei, nach dem 11. November vorschriftsmäßig entlassene Soldaten auf dem linken Rheinufer nicht Gefahr laufen interniert oder gefangen zu werden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)

Lengsdorf:
Die Grippe
war hierselbst und in Röttgen so stark aufgetreten, daß in beiden Gemeinden die Schule seit dem 24. Oktober geschlossen war, und am 19. November der Unterricht wieder aufgenommen werden konnte. Am schlimmsten war es hier in lengsdorf. Am Sonntag den 3. November wurden hier sieben Beerdigungen gehalten, und bei diesen Todesfällen war fast nur die Grippe der Anlaß. Dagegen sind in Ippendorf und Duisdorf auch viele Grippeerkrankungen vorgekommen, aber keine mit tödlichem Ausgange.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Lengsdorf“)