Dienstag, 10. Oktober 1916

     

Anzeige im General-Anzeiger vom 10. Oktober 1916Die Lebensmittelversorgung in Bonn
Durch die Sicherstellung des Bedarfs an Speisefetten und die Sicherstellung des Milchbedarfs für die Bevölkerung wird nun auch an eine der schwierigsten aller kriegswirtschaftlichen Aufgaben, an die Zuteilung von Milch herangetreten. Spätestens bis zum 1. November muß die Milchkarte eingeführt werden. Im Frieden wurde ein großer Teil des Fettbedarfs durch Einfuhr von Fetten aus dem Auslande und dann vor allem durch unsere Schweine gedeckt, zu deren Mästung ausländische Gerste und andere Futterstoffe in außerordentlichem Umfange bezogen wurden. Auch die Einfuhr von Stoffen für die Margarinebereitung spielte eine große Rolle. Obgleich die deutsche Technik und Wissenschaft sich durch Nutzbarmachung aller möglichen Fettquellen mit Erfolg bemüht hat, ist es doch schwer, die entstehende Lücke auszufüllen, und so muß, obgleich inzwischen der Seifenverbrauch schon scharf eingeschränkt ist, nun auch das Milchfett herangezogen werden. Für die städtische Bevölkerung, soweit sie bisher noch einigermaßen mit Vollmilch versorgt war, bedeutet die notwendige Neuregelung eine unwillkommene Abkehr von alten Gewohnheiten; denn um weitere Butter zu beschaffen, muß der Vollmilchverbrauch wesentlich eingeschränkt werden. Die Milch entzieht sich in noch viel stärkerem Maße als alle anderen Nahrungsmittel der Regelung. An unzähligen Stellen erzeugt, muß sie dem sofortigen Gebrauch zugeführt werden, weil ihre Haltbarkeit von allergeringster Dauer ist. Eine Zuteilung an die Bevölkerung, die bei fast allen anderen Nahrungsmitteln möglich ist, läßt sich bei der Milch nur in bescheidenem Umfange durchführen, denn wegen ihres Eintagslebens sind der Möglichkeit, sie von Orten des Ueberflusses an Orte des Bedarfs zu bringen, feste Grenzen gesetzt.
   Die Auffassung darüber, für welche Bevölkerungsgruppen Vollmilch zur Ernährung unentbehrlich erscheint, ist eben so geteilt, wie die Auffassung über die Milchmengen, die den einzelnen Gruppen zu gewähren sind. Die neuen Verordnungen haben zur Regelung dieser Frage einen Weg eingeschlagen, der von einer Reihe anerkannter Größen auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Praxis für richtig gehalten ist. Es wird der Begriff der Vollmilchversorgungsberechtigten geschaffen, und zu ihnen gehören:
1. Kinder im 1. und 2. Lebensjahr, soweit sie nicht gestillt werden, mit 1 Liter,
2. stillende Frauen für jeden Säugling mit 1 Liter,
3. Kinder im 3. und 4. Lebensjahr mit ¾ Liter,
4. schwangere Frauen in den letzten 3 Monaten vor der Entbindung mit ¾ Liter,
5. Kinder im 5. und 6. Lebensjahre mit ½ Liter,
alle Mengen auf den Tag gerechnet.
   Weiter wird den Kindern vom 7. bis 14. Lebensjahre ein Vorrecht auf Zuweisung von Vollmilch, soweit sie nach Deckung des Bedarfs der Vollmilchversorgungsberechtigten noch vorhanden ist, eingeräumt. Was nach Zuteilung der Milchmengen dann noch übrig bleibt, soll als Vollmilch entrahmt und die dadurch entstehende Magermilch der übrigen Bevölkerung zugeführt werden. Sämtlich Milch darf nur gegen Milchkarten verabfolgt werden. Dadurch wird der städtischen Verwaltung wieder eine sehr schwere Aufgabe zugewiesen, eine Aufgabe, die infolge ihrer Wichtigkeit äußerste Aufmerksamkeit und gewissenhafteste Arbeit erfordert. [...]
   Die Bürgerschaft wird auch bei dieser neuen Regelung einsehen, daß die neuen Eingriffe in das Wirtschaftsleben notwendig sind, um unser Volk vor sicherer Not zu bewahren und es in den Stand zu setzen, in dieser harten Zeit durchzuhalten.
   Nach Einführung der Zuweisung besonderer Lebensmittel an Kranke, in erster Linie von Fleisch, Fett, Butter, Milch usw., haben die Anträge auf Zusatz- und Ersatznahrungsmittel in letzter Zeit einen ungeheuren Umfang angenommen. Obgleich die städtische Verwaltung alle derartigen Anträge in ernster Weise prüft und den größten Teil auch noch dem Aerzteausschuß unterbreitet, kann unter diesen Umständen unmöglich allen Gesuchen Rechnung getragen werden. Es sei daher erneut darauf hingewiesen, daß nur in wirklich dringenden Bedarfsfällen Ersatz- oder Zusatznahrungsmittel im Interesse einer geordneten Volksernährung verschrieben werden dürfen. Es darf nicht das Wünschenswerte, sondern nur das durchaus Notwendige verordnet werden. Die Aerzte und die Bürgerschaft werden gebeten, im Interesse der ganzen Lebensmittelversorgung die städtische Verwaltung auch hierin aufs nachhaltigste zu unterstützen.
Die Kartoffelversorgung
Anzeige im General-Anzeiger vom 10. Oktober 1916geht infolge der mangelhaften Lieferung durch Provinzkartoffelstellen Stettin und Magdeburg noch immer nicht so, wie sie sein müßte. Die Beschaffenheit der Kartoffeln ist jetzt durchaus gut. Nur die Mengen sind nicht groß genug, daß auf den Tag und den Kopf der Bevölkerung 1 ½ Pfund abgegeben werden können. Ob dies auch später unter den obwaltenden Umständen möglich ist, erscheint zurzeit sehr fraglich. Auf alle Fälle muß in erster Linie der Bedarf für die große Allgemeinheit gesichert werden, und aus diesem Grunde wird auch vorläufig dem Antrage auf Einkellern der Kartoffeln in den Haushaltungen nicht stattgegeben. Die betreffenden Haushaltungen werden rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt, wenn mit dem Einkellern begonnen wird. Voraussichtlich wird dies kaum vor Ende des Monats geschehen können.
   Durch die Belieferung mit ausländischem Fleisch mußten diesmal die Preise für Fleisch wiederum um 10 Pfg. erhöht werden. Es ist jedoch anzunehmen, daß diese Erhöhung nur von ganz kurzer Dauer sein wird. Dagegen ist der Bevölkerung mit dem Verkauf billiger Blutwurst zum Preise von 40 Pfg. für das Pfund weiter entgegengekommen worden. Damit nun diese Blutwurst nicht nur in die Gast-, Schank- und Speisewirtschaften wandert, ist ihre Abgabe an diese Wirtschaften überhaupt verboten worden. Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß die einzelnen Abschnitte der Reichsfleischkarte zum Bezuge einer Höchstmenge an Fleisch mit eingewachsenen Knochen von fünfundzwanzig Gramm und an Blut- und Leberwurst von 50 Gramm berechtigen.
   Die Zahl der Teilnehmer an den Kriegsküchen, die nach der notwendigen Preiserhöhung gesunken war, steigt neuerdings wieder, sie beträgt diese Woche 2500. In weiten Kreisen der Bürgerschaft herrscht noch immer ein ganz unberechtigtes Vorurteil gegen die Kriegs-Massenspeisung, daraus erklärt sich wohl die verhältnismäßig geringe Benutzung dieser Einrichtung. In den ersten Wochen, als die Sache noch neu war, mag der Küchenbetrieb manchmal zu wünschen übrig gelassen haben, und mit den Klagen ist damals ja auch in der Presse nicht zurückgehalten worden; seit längerer Zeit aber sind diese Klagen vollständig verstummt. In der Kriegsküche an der Sandkaule beispielsweise hat es, wie wir aus eigener Anschauung feststellen können, seit wenigstens drei Wochen nicht ein einziges Mal ein nicht schmackhaftes oder gar ungenießbares Essen gegeben, die Speisen waren im Gegenteil alle Tage durchaus gut. Die mit den Küchen verbundenen Speiseräume haben auch bereits ihren festen Stamm regelmäßig wiederkehrender Mittagsgäste, vor allem aus den Kreisen, die man früher in den Speisewirtschaften mit mittleren Preisen finden konnte.
Die Brotversorgung
In Bonn konnte wieder etwas verbessert werden: hoffende Frauen können jetzt schon vom Beginn des fünften Schwangerschaftsmonats ab, also zwei Monate früher als bisher, die wöchentliche Zulage von einem halben Brot bekommen.

Vertreter von Zeitungen des neutralen Auslandes, die zurzeit eine Rundreise durch Deutschland unternehmen, haben Sonntag von Köln aus auch Bonn besucht. Sie kamen mit der Rheinuferbahn an und kehrten mit einem Dampfer nach Köln zurück.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

      

Anzeige in der Deutschen Reichs-Zeitung vom 10. Oktober 1916Godesberg, 9. Okt. Eine Eingabe der hiesigen Bürgerschaft an das Kriegsernährungsamt in Berlin wegen regelmäßiger Zuteilung von Butter und Fett ist zurzeit in der Buchhandlung Jung zur Ansammlung von Unterschriften ausgelegt und hat folgenden Wortlaut:
   „Nachdem sämtliche Bemühungen, auch von Seiten des hiesigen Bürgermeisteramtes, bei den Behörden ohne Erfolg geblieben sind, bitten wir Unterzeichneten Sie hierdurch ergebenst für die Folge endlich eine gleichmäßige wöchentliche Zuteilung von Butter und Fett für die Gemeinde Godesberg veranlassen zu wollen. Unser Ort, welcher seine Zufuhren aus der Umgegend erhalten hat und unter seinen Einwohnern eine große Anzahl älterer Leute hat, welche Fett dringend bedürfen, leidet unter dem beinahe gänzlichen Mangel an Butte rund Fett ganz außerordentlich. In den letzten 4½ Wochen konnte von der hiesigen Gemeindeverwaltung wieder keine Butter verabfolgt werden, obwohl die Produkte der Molkereien schon seit Monat August beschlagnahmt worden sind und zum Teil der Bevölkerung hätten zukommen müssen. Die Einwohner von Godesberg beanspruchen ebenfalls eine gleichmäßige wöchentliche Zuteilung eines wenn auch kleinen Quantums Butter und eine Gleichstellung mit den Städten der Rheinprovinz und wünschen keine Ausnahmestellung mehr einzunehmen. Eine sofortige Abhülfe ist dringend erforderlich, damit die bereits seit längerer Zeit vorhandenen Unzufriedenheit und hochgradige Verstimmung, welche alle Schichten der Bevölkerung erfaßt hat, keine weitere Ausdehnung erfährt.“ (Folgen die Unterschriften)

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Von Nah und Fern.“)

      

Röttgen 7. Okt. Bei der gestrigen Gemeinderatsversammlung, der auch der Landrat, Herr v. Nell, beiwohnte, wurde auf sozialem Gebiete ein gewaltiger Schritt vorwärts getan. Zunächst wurde beschlossen, eine Suppenküche für die Schulkinder ins Leben zu rufen. Wie verlautet, soll dafür ein hiesiger Saal gemietet werden, die Einrichtung der Suppenküche wird von Duisdorf geliefert. Fener soll zu Zwecken der Jugendpflege ein Jugendheim erbaut werden. Darin soll auch eine Kleinkinder-Verwahrschule Platz finden, der eine Schwester vorstehen wird, die sich zugleich der heranwachsenden weiblichen Jugend widmet, u. welche die der Schule entwachsenen Mädchen in allen Handarbeiten weiter bilden soll. Zu den entstehenden Kosten wurde ein erheblicher, staatlicher Beitrag in Aussicht gestellt.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Von Nah und Fern“)