Samstag, 17. Juni 1916
Die neuen Richtpreise für Gemüse hatten gestern zunächst die Wirkung, daß verhältnismäßig wenig Gemüse auf den Markt gebracht wurde. Obwohl die Richtpreise reichlich hoch festgesetzt worden sind, sind sie den durch die Wucherpreise der letzten Wochen verwöhnten Gemüsezüchtern nicht hoch genug, und viele von ihnen gaben ihrem ganz unberechtigten Unmut über die Preisregelung dadurch Ausdruck, daß sie kein oder weniger Gemüse auf den Markt lieferten. „Kocht Höchstpreise!“ riefen einige Landfrauen den Stadtfrauen zu, wenn diese nach dieser oder jener Gemüsesorte fragten. Die Gemüsezüchter aus den Stadt- und Landkreisen Bonn und Köln werden sich aber an die neuen Richtpreise gewöhnen müssen; denn da in allen vier Kreisen die gleichen Preise festgesetzt sind, müssen sie ihre Erzeugnisse wohl oder übel zu diesen Preisen verkaufen, und bei ruhiger Ueberlegung werden sie wohl bald zu der Einsicht kommen, daß die neuen Preise ihnen noch genug Nutzen lassen, sind sie doch durchweg doppelt so hoch, wie die Preise vor dem Kriege waren. So wird die durch die Richtpreise entstandene Gemüseknappheit hoffentlich nur wenige Tage anhalten.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Der Bonner Wochenmarkt war gestern im allgemeinen schlecht beschickt. Grüngemüse, wie Wirsing, Spitzkappus, Schneidgemüse, Spinat und Rübstiel, war auf dem ganzen Markt kaum zu haben. Ebenso war das Angebot in Spargel und Kopfsalat auffallend klein gegen die Vortage. Der festgesetzten Höchstpreise für Gemüse wegen bringen die Gemüsebauern ihre Erzeugnisse einfach nicht mehr auf den Markt, was denn auch gestern an der großen Leere des oberen Teils des Marktes deutlich wahrzunehmen war. Im allgemeinen wurden die Höchstpreise streng innegehalten, was einen ausnahmsweise flotten Verkauf der Waren hervorrief, besonders Erbsen, Erdbeeren und Kirschen fanden riesigen Absatz. […]
Der Großmarkt auf dem Stiftsplatze hatte gestern ebenfalls der festgesetzten Höchstpreise wegen fast gar keine Zufuhren. Grüngemüse war kaum zu haben. Was an Waren vorhanden war, wurde von den Verkäufern vielfach als bestellt oder bereits verkauft bezeichnet. Sowie ein Fuhrwerk mit Gemüse usw. ankam, wurde es von den hiesigen und auswärtigen Händlern gestürmt. Unter diesen Umständen war es sehr vielen Händlern überhaupt nicht möglich, irgend welche Waren aufzukaufen.
Der städtische Verkauf auf dem Wochenmarkt war gestern wieder recht flott. Außer Kartoffeln wurde nur Ingelheimer Spargel das Pfund zu 35 Pfg. verkauft, der reißenden Absatz fand.
Auf dem Wochenmarkt kam es gestern im Laufe des Vormittags noch wiederholt zu erregten Auseinandersetzungen zwischen Verkäuferinnen und den Hausfrauen. Immer wieder wurde die Marktpolizei zur Schlichtung der Meinungsverschiedenheiten herbeigeholt. Eine Marktfrau verkaufte billigeres Schnittgemüse als Wirsing, andere konnten sich nicht zu dem behördlich festgesetzten pfundweisen Verkauf verstehen; wieder andere behaupteten einfach, alles schon verkauft zu haben. Ausdrücke, die man vergebens in Knigge’s Umgangsbüchlein suchen würde, fielen auf die Häupter der Verkäuferinnen, aber auch diese waren nicht wählerisch in ihren Ausdrücken, die sie über die „verrückte neue Einrichtung“ vom Stapel ließen. „Freßt Brennessele on Dudestele, wenn Uech et Gemös ze düer eß“ rief eine Bauersfrau in größter Erregung, während eine andere erklärte, lieber alles „zetrampele“ zu wollen, ehe sie das Gemüse einen Pfennig billiger verkaufe. Mehrere erklärten, am Samstag nicht mehr auf den Markt zu kommen, sie würden ihre Ware schon zu Hause los werden. Aehnliche Szenen haben sich bekanntlich auch auf dem Kölner Wochenmarkt abgespielt, wo die Richtpreise bereits einige Tage früher festgesetzt waren. Inzwischen haben sich dort schon die Gemüter beruhigt und die Marktfrauen sind zu der Einsicht gekommen, daß es keinen Zweck hat, „gäge eine heeße Backovve anzejappe“. Auch unsere Marktfrauen werden sich wohl auf die Dauer dieser gesunden Logik nicht verschließen können.
Die Richt-, richtiger die Mindestpreise, die seit gestern unsere Märkte beherrschen, hatten – wie man uns berichtet – heute noch trostlosere Zustände wie gestern auf den Gemüsemärkten herbeigeführt. Auf dem Stiftsplatz waren sage und schreibe 15-20 Gemüsezüchter oder Verkäufer erschienen. Man sah ihre Ware nicht auf dem weiten Platz. Heute mußten auch große Händler mit leeren Körben wieder abziehen. Und dabei stand der Samstagsmarkt dem Freitagsmarkt sonst kaum nach.
Auf dem alten Markt schien eine etwas bessere Zufuhr gegen gestern eingetreten zu sein, aber auch nur scheinbar. Sah man sich die Sache etwas näher an, so schrumpfte die Anfuhr der Gemüsezüchter zu winzigen Vorräten zusammen. Die Acht-Uhr-Züge brachten dann noch einiges, aber dies besserte das Bild auch nicht. So weit die Landleute.
Die Händler, die auf dem alten Markte vor den Schranken sitzen, boten dagegen in allem gute Auswahl. Sie hatten sich zu versorgen gewußt.
Diese Zustände auf den Gemüsemärkten hatten böse Begleiterscheinungen. Die bürgerlichen Käufer mußten an Hohn und Spott und Schimpfereien einstecken, was man in diesen ernsten Kriegszeiten, wo doch Tod und Not an jede Tür anklopfen, nicht für möglich halten sollte.
Stehende Redensarten sind: „Nichts mehr müßte auf den Markt gebracht werden!“ In der Welschnonnenstraße schrie ein ergrauter Verkäufer: „Wir lassen uns durchaus nicht ‚krauen‘. Ihr und Euere Höchstpreise machen uns nicht geck!“
Es wurde gesprochen von eher unter die Füße vom Vieh treten lassen, als auf den Markt bringen und vom Verhungern lassen. Und das bei solchen Preisen, die doch dem Verkäufer guten Gewinn versprechen, vom Bürger aber kaum zu erschwingen sind.
Die Höchstpreise für Speise- und Backöl, die mit dem gestrigen Tage für Bonn in Kraft getreten sind, haben den Erfolg gehabt, daß im Stadtkreise Bonn von den Geschäften das Oel durchweg aus dem Handel gezogen wurde. Wo man auch hinkam, erhielt man die Antwort, daß kein Oel mehr vorhanden sei. Da aus bestimmten Gründen angenommen wurde, daß vorhandene Vorräte an Speise- und Backöl verheimlicht oder nach höchstpreisfreien Orten geschafft wurden, ist polizeilicherseits eine Untersuchung eingeleitet worden. In der jüngsten Zeit war der Preis für Speiseöl in Bonn bis auf 15 Mark gestiegen, hervorgerufen durch Preistreibereien, die die Behörde schließlich veranlaßt haben, den Preis des Speiseöls auf 6 Mark pro Liter festzusetzen. Die Behörde beruft sich gegenüber den Händlern, die heute das Speiseöl aus dem Verkehr gezogen haben, auf die Bestimmungen über den Aushang der Preisverzeichnisse, wonach bei Barzahlung der Verkauf der Vorräte unter Strafandrohung nicht verweigert werden darf. Diejenigen Händler, die beim Einkauf des Oels mehr bezahlt haben als der jetzige Höchstpreis beträgt, sind natürlich dadurch in der üblen Lage, ihre Vorräte an Speiseöl mit Verlust zu verkaufen.
[…]
Kordel hatte ein Arbeiter einer hiesigen Firma in größeren Mengen gestohlen und sie einem auf dem Markt tätigen Manne verkauft. Der Käufer hatte eine Quittung gefälscht, um über die Herkunft der Kordel zu täuschen. Die Strafkammer verurteilte den Dieb gestern zu drei Monaten und den Hehler zu 4 Monaten Gefängnis.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Für das Rote Kreuz verkauften vor einiger Zeit zwei Damen aus Köln in unserer Stadt Ansichtskarten. Sie sollten für das Stück 20 Pfg. verlangen. Die Damen gingen nun dazu über und sammelten einfahc ganz unabhängig vom Verkauf oder der Anzahl der gekauften Karten Geld für das Rote Kreuz. Das Schöffengericht in Bonn hatte sie wegen Betrugs zu je einer Woche Gefängnis verurteilt. Die Verurteilten legten Berufung ein und erklärten an der Strafkammer, sie hätten im besten Glauben gehandelt. Alles eingesammelte Geld hätten sie abgeliefert, auch die nicht abgenommenen Karten. Die Strafkammer schenkte ihrer Einlassung Glauben und verurteilte sie nur wegen Veranstaltung einer polizeilich nicht erlaubten Geldsammlung zu je zehn Mark Geldstrafe.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Marktpreise und Marktbesucher.
Der Oberbürgermeister hat Richt- und Höchstpreise für Obst und Gemüse festgesetzt, die doch sicher nicht zu niedrig sind. Manche Hausfrau wird aber aufgeatmet und sich gesagt haben, nun sei einigermaßen zu wirtschaften, wenn auch jetzt noch alles teurer sei wie vordem, in Friedenszeiten. Der Oberbürgermeister hat die Preise aber ohne die frommen und patriotischen Bauern gemacht, die noch immer als die Stützen von Thron und Altar gelten, weil ihnen bisher niemals ein Opfer zugemutet wurde. Nach dieser Preisfestsetzung blieben sie dem Markte einfach fern, brachten nichts zur Stadt, die ihretwegen weiter hungern kann, ja hungern soll. Die Vaterlandsliebe dieser Staatsstützen liegt im Geldbeutel, mit dem sie fällt oder steigt, je nachdem er sich füllt. Hier haben wir wieder einmal den Beweis, daß nicht der Zwischenhandel allein die Preise gesteigert, sondern der Bauer in seinen Forderungen immer unverschämter geworden ist. Es genügt ihm nicht mehr, in diesen schweren Zeiten, die den Zusammenbruch so vieler Existenzen herbeiführt, nur zu verdienen, was so vielen überhaupt nicht mehr möglich ist, nein, er will viel verdienen, mehr als je, er will Truhen und Kasten füllen, gut leben, sich besser kleiden als je zuvor – mag es kosten, was es will – er will auch noch für den einen und andern, für den Drickes und den Bätes, das Grietchen und Stinchen was zur Sparkasse bringen, er will mit einem Wort, sich bereichern, und dazu ist ihm die jetzige Zeit gerade gut genug. Das ist natürlich nicht der Bauer, wie er uns geschildert wird und wie wir ihn uns naiverweise vorstellen, aber es ist der Bauer, wie ihn die Wirklichkeit in einer ganz erstaunlichen Menge ausweist. Zwar gibt es noch Ausnahmen, die sich mit einem geringeren Verdienst bescheiden und ihre Erzeugnisse auch jetzt noch zu Markt bringen. Die sind aber weiter geringer an Zahl, und selbst unter den Weingen, die den Markt besuchen, gibt’s noch einige, die nur irgend einem Zwange folgten, nicht eignem Triebe, weil sonst ihre Ware verdarb. Ueber die Auftritte auf dem Markte wollen wir schweigen. Aber jeder, der irgendwie angeflegelt, beschimpft oder übervorteilt wird, sollte sofort Anzeige erstatten. Die Marktpolizei wird schon Ordnung schaffen.
Ein Fehler wars, bei den Bauern vaterländisches Interesse vorauszusetzen. Die fügen sich nur dem Zwange. Inzwischen hat der Landkreis auch Höchstpreise festgesetzt, die Verkäufer sind also darauf angewiesen, ihre Bodenerzeugnisse irgendwo abzusetzen. Besser wäre es noch gewesen, die Verwaltung hätte vorher eine Verständigung mit allen umliegenden Kreisen, bis nach Köln, getroffen, wir hätten dann nicht das Nachsehen gehabt. Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß höheren Orts ganz energisch eingegriffen wird. Die Stadtverwaltung denkt schon daran, wie wir hören, in allernächster Zeit der Gemeinschaftsküche näher zu treten. Damit kämen wir schon einen Schritt weiter. Wir werden Gelegenheit haben, auf die Gemeinschaftsküche noch zurückzukommen.
(Volksmund, Rubrik „Bonner Angelegenheiten“)