Mittwoch, 7. Juni 1916
Die Kleiderkarte kommt doch. Um den Bedarf der minderbemittelten Bevölkerung an Textilwaren sowie an denen aus ihnen hergestellten Erzeugnissen sicher zu stellen und zugleich eine einheitliche Bewirtschaftung aller verfügbaren Bestände für das gesamte Reichsgebiet herbeizuführen, hat, wie die Köln. Ztg. aus Berlin berichtet, die Reichsbekleidungsstelle den Auftrag erhalten, für den Groß- und Kleinhandel im Textilgewerbe Höchstpreise festzusetzen. Gleichzeitig soll Anordnung getroffen werden, daß Web-, Wirk- und Strickwaren im Kleinhandel und in der Maßschneiderei nur noch gegen Bezugsschein erhältlich sind. Vor Ausstellung dieser Kleiderkarte, die nur auf Antrag erteilt wird, muß der Beweis erbracht werden, daß ein Bedürfnis für die Anschaffung der gewünschten Ware vorliegt. Die Ausfertigung der Kleiderkarte soll durch die Ortsbehörde des Antragstellers erfolgen.
Die holländische Wochenzeitschrift „Toekomst“ bringt in Nr. 9 ihres 2. Jahrganges ein Gedichtchen „Vroeger ...“ (Früher), dessen Verfasser, Johny Walker, darin die lieben Landsleute ihre rasche Umwandlung von Deutschfreunden zu Deutschfeinden verspottet. Die Verse, die wir in Übersetzung untenstehend veröffentlichen, werden hier am Rhein besonderes Interesse finden.
Früher ...
Früher schwärmte er für Bingen,
Konnt’ sein Sehnen nicht bezwingen,
Sagte, daß er auf der Erde
Keine Gegend höher ehrte,
Als den deutschen Rhein bei Bingen,
Wär das schönst’ von allen Dingen.
Von dort schrieb er Ansichtskarten,
Aß die viel berühmten Torten,
Auch das Sauerkraut mit Wurst.
„Urquell“ löste ihm den Durst ...
Herrlich wär’s dort- auch das essen.
Früher las er von dem Land
Herder, Schiller, Goethe, Kant,
Auerbach und Schopenhauer,
Kellermann und Stilgebauer,
O, die deutsche Literatur
Hatte doch etwas Kultur.
Früher ... vor dem Völkerstreit
Fand er die „Gemütlichkeit“
In dem Lande der Germanen.
Dann erst –wenn die Deutschen kamen,
Kam Gesang und Fröhlichkeit.
Alles – vor dem großen Streit,
Denn jetzt sitzt er im „Central“ und liest
ganz brav
Mit viel Bewunderung den „Telegraaf“.
E.S.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Die Feldbefestigung an der Artilleriekaserne, die von heute an täglich von 4 – 8 Uhr nachmittags besucht werden kann, hat durch den Landschaftsphotographen Groß von hier eine prächtige bildnerische Darstellung gefunden. Herr Groß fand Mittel und Wege (wie sehr drastisch ein Bild zeigt), das ganze Grabensystem aus einer gewissen Höhe von oben auf die Platte zu bannen und löst sich dem Beschauer der ganze Irrgarten der Gräben auf einmal in eine sehr übersichtliche und leicht zu verstehende Gesetzmäßigkeit auf. Da läuft links der Annäherungsgraben zu den rund gewundenen Lauf- und Sammlungsgräben; in die Mitte legt sich eine Verteidigungsstelle hinein; der Graben zieht dann in scharfen Ecken zur vordersten Kampfstellung und an der rechten Seite läuft er zurück, diesmal in scharfen Kanten zickzackartig, zum Austritt. Das Bild zeigt die Schießscharten mit ihren Sandsackpackungen, die Auflagen der Gewehre so deutlich, verrät so vollständig die ganze Stellung mit all ihren Einzelheiten, daß es wohl verständlich ist, wenn draußen mit allen Mitteln angestrebt wird, Photographien von den Befestigungen aus der Vogelperspektive zu erhalten.
Neben diesem Hauptbilde hat der Photograph noch eine ganze Reihe interessanter Einzelheiten aus dem Schützengraben erhascht. Da ziehen hunderte Besucher durch die engen Gräben, da wird eine Sanitätsübung abgehalten, bei der ein „Verwundeter“ sogar in größtem Schmerz auf die Zähne beißt, da wird in einem Unterstand ein gemütlicher Skat gedroschen, die Verteidiger stehen in Erwartung des Feindes, und den Besuchern werden sogar von hilfsbereiten 160ern die Stiefel vom Schützengrabenschmutz gereinigt. Die Gräben sind, nebenbei gesagt, sehr sauber.
Herr Groß hat bei der Aufnahme dieser Bilder wiederum gezeigt, daß er den Dingen stets die richtige Seite abzugewinnen weiß. Die Bilder überraschen durch ihre Naturtreue. (Sie sind für einige Zeit in unseren Schaufenstern ausgestellt.)
Über Südtirol und die dortigen deutschen Gemeinden wird Dr. R. F. Günther morgen im Hörsaal 9 unserer Hochschule einen Lichtbildervortrag veranstalten. Den Vortrag, den wir bei früherer Gelegenheit besprochen haben, gewährt einen Einblick in die Verhältnisse der vom Welschtum bedrohten deutschen Gemeinden in dem jetzt heiß umkämpften Südtitoler Grenzgebiet.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Rechtzeitig erkundigen. Etwas mehr als 650 kriegswirtschaftliche Verfügungen, Erlasse und Verordnungen haben seit Kriegsbeginn ihren Weg in die Bevölkerung gefunden. Das bedeutet rund eine Verordnung an jedem Tag. Da wohl niemand diese Fülle von Vorschriften immer im Kopf behalten kann, ist bei vielem Vorsicht am Platze. Man erkundige sich rechtzeitig.
Am Skagerrak ist es geschehen!
Nun braust es, ihr Winde, in’s Weltall hinaus,
Tragt’s fort über Länder und Meere,
Vereint eure Flüge zu Sturmesgebraus
Und kündet die Botschaft, die hehre:
Getroffen in’s Herz ist die sinkende Macht,
Alt-Englands Flotte, wir haben’s vollbracht –
Am Skagerrak ist er geschehen!
Am Letzten des Maien das Große geschah,
Ward Hochmut zu Falle gebrochen,
Herr Vetter, dich grüße Germania,
Es kamen die Ratten gekrochen!
Sie kamen, Herr Vetter, die Ratten zur See,
Sie brachten als Gruß dir unsagbares Weh –
Am Skagerrak ist es geschehen!
Wohl hast du gelauert in gleißender Wehr,
Geborgen im sicheren Hafen,
Statt Taten nur Worte, bezwangst du das Meer
Und glaubtest, die Ratten, die schlafen!
Nun sind sie gekommen mit eisernem Zahn,
Zernagten zu Splittern den stolzesten Wahn –
Am Skagerrak ist es geschehen!
Zum Schatten erbleicht ist, gesunken ein Ruhm,
In Trümmern zerfetzt deine Fahnen,
Die Maske zerrissen vom Heldentum,
Unwürdiges Land deiner Ahnen!
„Viktoria“ hallet ein Schrei durch die Welt,
Erzittre wenn er in die Ohren dir gellt:
Am Skagerrak ist es geschehen!
Wohl hat einst ein König das Spielzeug verlacht,
Mitleidig, als Herrscher der Meere,
Er hat nicht der Wahrheit des Wortes gedacht:
„Das Ende der Last trägt die Schwere“!
Nun hüte dich, hüte dich englisches Land,
Noch hält unser Kaiser das Schwert in der Hand -
Am Skagerrak hast du’s gesehen!
Er wies seinem Spielzeug den Weg mit dem Schwert
Herr Vetter, es sei dir ein Mahnen:
Weh dem, der mit Lügen die Wahrheit entehrt,
Die Wahrheit, den Schild der Germanen!“
Erkenne dich selbst und germanische Art,
Wir halten den Schwur uns’rer Väter gewahrt –
Am Skagerrak ist es geschehen!
Bonn, den 4. Juni 1916
Hans Limberger
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)