Montag, 15. November 1915

    

Anzeige im General-Anzeiger vom 15. November 1915Der erste Schnee dieses Winters fiel in Bonn vorige Nacht. Da sich auch Frost einstellte, waren die Reste des Schneefalles heute vormittag noch auf den Straßen, noch mehr in den Gärten zu sehen.

Vortrag. Heute abend um 6½ findet im Bürgervereinshause der erste diesjährige Wintervortrag des Bonner Sprachvereins statt. Herr Prof. Dr. Imme aus Essen, ein feiner Kenner unserer Muttersprache, wird über „Humor in der deutschen Soldatensprache“ reden. Der Stoff dürfte für alle Mitglieder und Freunde des Sprachvereins von größtem Interesse sein.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 15. November 1915Freie Vaterländische Vereinigung. Eine Ortsgruppe Bonn und Umgebung dieser Vereinigung ist vorgestern (Samstag) hier gegründet worden. Die recht gut, u. a. auch aus Godesberg, Hersel und Euskirchen besuchte Versammlung der Mitglieder gab sich eine Satzung und einen Vorstand. In diesen wurden gewählt die Herren Geh. Justizrat Prof. Dr. Landsberg als Vorsitzender, Justizrat Notar Dr. Rud. Meyer und Oberlehrer Grube (Godesberg) als stellevertretende Vorsitzende. Jeder dieser Herren nimmt Beitritts-Anmeldungen zu der Ortsgruppe und damit zu der Gesamtvereinigung gerne entgegen.

Stadttheater. Der kleine braune Vogel der Leina Andersen kam am Sonntag auch zu uns geflogen. Wir hörten ihn trillern und zwitschern, jubeln und schluchzen und mit seinem zarten Stimmchen den Stimmungsgehalt der von Georg Kiesau erzählten Märchen melodisch wiedergeben. Die Künstlerin verfügt über eine Geigentechnik von erstaunenswerter Sicherheit, zartester Modulationsfähigkeit und kraftvollem Ausdruck. Wie uns die Tanzkunst einer Isadora Duncan durch Rhythmus, Beleuchtungseffekte und Kostüme scharf geprägte Stimmungen wachrief, so versetzt und Leina Andersen durch dieselben künstlerischen Mittel und durch den Zauber ihres Geigenspiels, das durch die treffliche Klavierbegleitung des Herrn Walter Berégy unterstützt wurde, in ferne Zeiten und phantastische Umgebungen. Kindlicher Gefühle erwachen in uns, wir denken an die trauliche Kinderstube und an die Spannung, die uns erfüllte bei dem Anfang jedes Märchens: Es war einmal ...
  
Diese kindliche Erwartungsfreude beseelte auch das Publikum des gestrigen Abends. Wir hörten die alte persische Melodie des Liedes der Scheherezade, das Märchen vom Rattenfänger und seiner schaurigen Rache, und er fing uns selbst mit dem Zauber seiner Geige (Larghetto von Carl Maria von Weber). Das Märchen vom geigenden Tod legte sich uns als dunkler Schatten auf die Seele. Doch der Schatten verflog unter den lustigen Klängen des Märchens von der kleinen Prinzeß (Menuett von G. F. Händel) und des Märleins von der Spieluhr (Altholländische Weise aus dem 17. Jahrhundert). Besonders diese Darbietung zeigt die Künstlerin als meisterhafte Beherrscherin der Flagelottechnik. Die melancholische Geschichte des einsamen Pierrot, der sich auf der Geige mit seiner fernen Geliebten zu unterhalten scheint, mit ihr tändelt und lacht, und die Biedermeier-Phantastereien der kleinen Wiener Komteß beendeten den genußreichen Abend.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)