Dienstag, 27. Juni 1916

    

Der Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose in Bonn hat gestern nachmittag unter dem Vorsitz von Geheimrat Doutrelepont seine Mitglieder-Versammlung abgehalten. (...) Dem vom Schriftführer, Dr. v. Gartzen, erstatteten Bericht entnehmen wir folgendes: Auch im zweiten Kriegsjahre setzte der Verein, wenn auch in beschränktem Umfange, seine Tätigkeit in der bisherigen Weise fort. Durch Verbesserung der Wohnungs- und Ernährungsverhältnisse, durch Unterbringung von Kranken und Gefährdeten in Heil- und Erholungsstätten konnte der Verein in zahlreichen Fällen eingreifen und viele Kranke, vorwiegend aus Arbeiterkreisen, aber auch Beamte, Handwerker, Geschäftsleute und Studenten wirksam unterstützen. (...) Beigeordneter Dr. v. Gartzen, teilte noch mit, daß alle Bemühungen, im Johanniterkrankenhause Friedrich-Wilhelm-Stift eine Station für Tuberkulosekranke einzurichten, erfolglos geblieben sind. Dagegen hat die Stadt Bonn in ihrem Pflegehause eine Abteilung für weibliche Lungenkranke eingerichtet, eine Abteilung für männliche Lungenkranke soll so bald wie möglich folgen. Die Tageserholungsstätte in Grau-Rheindorf ist der Militärbehörde für nervenkranke Kriegsteilnehmer zur Verfügung gestellt worden, doch waren im zweiten Kriegsjahre wieder genügend andere Lungenheilstätten im Betrieb.

Die mehrfachen Felddiebstähle, die in letzter Zeit vorgekommen sind, haben die Polizei veranlaßt, die Felder unter besondere Aufsicht zu stellen. Bei einer in den letzten Nächten abgehaltenen Streife wurden fünf Gemüse- und Kartoffeldiebe auf frischer Tat ertappt und zur Anzeige gebracht. Derartige Diebstähle, besonders von Kartoffeln, die jetzt erst im Wachsen begriffen sind, sind verwerflich.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

Duisdorf, 26. Juni. In der Nacht von Sonntag auf Montag wurden dem hiesigen Althändler Philipp Häseling etwa 100 Quadratmeter frühe Kartoffeln ausgemacht und gestohlen. Die Heranziehung des Polizeihundes „Hexe“ aus Bonn war ohne Erfolg, da der Hund infolge des Regens keine Spur aufnehmen konnte. Ueber den Täter konnte auch weiter nichts ermittelt werden.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Rheinland und Nachbargebiete“)

    

Lebensmittel- und Warenkarten. Am morgigen Mittwoch und an den folgenden Tagen findet im Stadtkreis Bonn durch Beauftragte des städtischen Lebensmittelamtes eine Personenstandsaufnahme statt. Sie dient dem Zweck, anstelle des bisherigen Brotbuches, die am Freitag im Stadtrat beschlossenen Lebensmittel- und Warenkarten zur Verausgabung zu bringen.

Die „Studentenmutter“ als Wahrsagerin. In den Ruf einer tüchtigen Wahrsagerin kam eine vormalige „Stundentenmutter“ aus Bonn, deren Pension infolge der Einziehung der bei ihr wohnenden Studenten zur Fahne einging. Darauf arbeitete die 48jährige Frau bei der Geschoßfabrik in Siegburg, wo ihre Mitarbeiterinnen aus Bonn und Köln viel über die Prophezeiungen von Wahrsagerinnen sprachen, die sie in jenen Städten aufgesucht hatte. Einmal ging die Frau auch mit einer Kameradin nach Bonn zu einer solchen „weisen Frau“ und ließ sich gleichzeitig mit der Arbeitsgenossin die Karten legen. Auf dem Heimweg sagte sie zu der Kameradin: „So gut wie die kann ich selbst die Karten legen.“ Und um das zu beweisen, legte sie auch tatsächlich aus Scherz jener die Karten. Das sprach sich rund und ohne ihr eigenes Zutun kam die Frau in den Ruf einer Wahrsagerin, die denn auch, angeblich ohne ihren Willen, öfters von Frauen und Mädchen besucht wurde und diesen schließlich auch auf ihre Bitten die Karten legte und ihnen alles mögliche Schöne, manchmal auch Schlimmes prophezeite, je nachdem es sich traf. Einzelne der Besucherinnen hatten der Frau auch dann wohl 50 Pfg. oder 1 M. auf den Tisch des Hauses gelegt, ohne daß jene eine Vergütung gefordert hätte. Sie kam aber in den Verdacht, gewerbsmäßig die Dummheit solcher, die nicht alle werden, durch ihr Wahrsagen auszunützen, und wurde von ihrer Arbeitsstelle in der Fabrik einstweilen entfernt. Jetzt hatte sie sich zudem vor dem Außerordentlichen Kriegsgericht für den Bereich der Festung Köln wegen verbotenen Wahrsagens zu verantworten. Die Schilderung der Angeklagten, wie sie zur „weisen Frau“ geworden war, löste sogar bei den strengen Herren des Gerichtshofes gelinde Heiterkeit aus; das Gericht faßte den Fall milde auf, und erkannte auf eine Geldstrafe von 20 M., da immerhin ein Verstoß gegen die Verordnung des Gouverneurs vorliege.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

    

Die ersten Kriegsküche der Stadt Bonn wurde heute vormittag im Gebäude des städtischen Fuhrparks an der Ellerstraße eröffnet.
  In diesem Satze ist ein Ereignis ausgedrückt, dessen vorgültige Würdigung heute noch nicht einmal andeutungsweise ausgesprochen werden kann. Erst wenn von diesem Anfange aus sich die Gemeinschaftsspeisung auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt haben wird, wenn alle Kreise, die auf diese Art der Verpflegung Anspruch erheben, ihren Wunsch erfüllt sehen, wird sich einigermaßen übersehen lassen, welch’ bedeutungsvolle Schöpfung heute ihren Anfang genommen hat. Wenn die Zeit des Krieges einmal vorüber ist und auch die wirtschaftliche Lage unseres Vaterlandes sich wieder in nahezu geregelten Bahnen befinden wird, werden die Männer, welche in der Gemeinschaftsspeisung einen wichtigen Faktor zur Vereitelung der Aushungerungspläne unserer Gegner erblickt haben, als die Generäle im Wirtschaftskriege die verdiente Anerkennung finden. Heute führt der Soldat den Kampf mit der Waffe, wir alle aber haben teilzunehmen an der Ausfechtung des Wirtschaftskrieges. Wir sind mit Streiter geworden. Unsere Waffe ist nicht das Schwert, sondern die richtige Erkenntnis von dem Ernst der Lage, das Ausharren in Geduld, das Ueberwinden von persönlichen Unannehmlichkeiten, die Ausübung der Tugenden der Entsagung, des Opfergeistes, die Ueberwindung kleinlicher gesellschaftlicher Gesichtspunkte, ein fester Gemeinschaftlichkeitssinn. Alle diese Eigenschaften müssen sich gründen auf das feste Fundament der Vaterlandsliebe. Denn wir alle müssen heute mithelfen, unser Vaterland zu retten und jeder kann es, wenn er zu gegebener Zeit eine jener Tugenden praktisch betätigt. In dem Wirtschaftskampfe bildet die Speisegemeinschaft einen derart wichtigen Faktor, daß man der Stadtverwaltung vollste Anerkennung aussprechen muß, da sie nunmehr dieses wichtige Kampfmittel im Aushungerungskrieg geschaffen hat; sie darf des Dankes der Bürgerschaft gewiß sein.
   Die heute dargebotene Speise, es war Wirsing mit Kartoffeln und Speck, war aufs beste zubereitet und mundete vorzüglich. Einer Reihe von Ehrengästen, Stadtverordneten, Vertretern der Presse war Gelegenheit geboten, sich heute Sonderkarten zu lösen, um sich von der Güte der dargebotenen Speise zu überzeugen. Das übereinstimmende Urteil ging dahin, daß das Gericht gut und die Menge ausreichend sei. Wenn erst die Kartoffelknappheit überstanden sein wird, so wird es noch besser werden. Der morgige Speisezettel weist „Weiße Bohnensuppe“ auf und die Karteninhaber werden sich gewiß nach der heute gemachten Erfahrung schon auf morgen mittag freuen, da ihnen eine kräftige Speise dargeboten wird.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)