Freitag, 23. Juni 1916
Die Fronleichnamsprozessionen in der Altstadt und in den Vororten konnten gestern, vom schönsten Sommerwetter begünstigt, in der gewohnten Weise durch die Straßen gehen.
(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)
Das Metropoltheater bringt augenblicklich ein Lustspiel „Teddy und der Rosenkavalier“ heraus. In der Art, wie die beteiligten Schauspielkräfte ihre belustigende Aufgabe erfüllen, entfaltet sich ein mimisches Können von feinsinnigster Schattierung.
Schenkung. Zur Verteilung an dürftige geschädigte Krieger oder deren Familien in Bonn hat die zuletzt in Düsseldorf, früher hier in Bonn wohnhaft gewesene Witwe Bankdirektor Jos. Schulz der Stadt 30.000 Mk vermacht.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Bismarckfeier. Anstelle des üblichen Fackelzuges fand am Mittwoch mittag an der Bismarcksäule eine schlichte Feier statt, an der Rektor und Senat und die Vertreter der Studentenschaft teilnahmen. Herr H. W. Müller (klass. Phil. Verein) gedachte in einer Ansprache der großen Verdienste Bismarcks und führte zum Schlusse aus: Auf ihn, den Heros der vergangenen Zeit und aller Zukunft, blicken wir glückerfüllt gerade heute, da wir im Flammenmeer des Weltenbrandes stehen. Heute mehr denn je ist uns sein Geist not, sein Weitblick und sein Kraftvermögen. Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts in der Welt! – Heiß steigt zu diesem Gott unser Wunsch, daß das Rauschen des Heldenadlers um uns sei, wenn Mut dazu gehört, über Kleinigkeiten hinweg das gemeinsame Große zu sehen. Ein Bismarckgeschlecht gebe er uns, das die alte Größe in Bismarcks Sinne mehre. Wir loben den Recken aus dem Sachsenwald, zu unserm Teil zu opfern, alles, bis zum Leben für des Reiches Ehre und Freiheit. Dieses Gelöbnis fassen wir in den Ruf: Bismarck! Hurra, Hurra, Hurra!
Nachdem Redner einen Kranz am Denkmal niedergelegt hatte, hielt der Rektor Geheimrat Anschütz folgende Ansprache:
Liebe Kommilitonen! Im Namen des akademischen Senates danke ich der Vertreter-Versammlung der Bonner Studentenschaft für ihre Einladung, der wir von Herzen gern gefolgt sind.
Als sich vor Jahresfrist mein Amtsvorgänger und der damalige akademische Senat mit der Studentenschaft an dieser Stelle zur kriegsmäßig schlichten Feier des Andenkens an den Reichsgründer vereinigten, hofften wohl die meisten zuversichtlich, daß vor dem 21. Juni 1916 unser Volk zusammen mit seinen Bundesgenossen sich einen ehrenvollen Frieden erkämpft haben würde.
Es ist anders gekommen.
Während wir hier versammelt sind, tobt im Westen um Verdun und Ypern, im Süden in Wälschtirol und am Isonzo, im fernen Osten am Dnjestr, am Pruth, am Styr und an der Strypa noch immer der Kampf in unverminderter Heftigkeit. Unter Ihnen befinden sich heute viele, die uns aus eigener Erfahrung berichten können, was es heißt, im schwersten Feuer der Minenwerfer, der Artillerie und Infanterie nicht nur auszuhalten, sondern zu siegen. Sie tragen ehrenvolle Narben, ehrenvolle kriegerische Auszeichnungen, stolze Erinnerungen für ihr ganzes Leben. [...]
Schon 1909 pochte der Weltkrieg an die Pforten des Reiches, allen vernehmlich, die hören wollten. Hätte uns damals die englische Flotte die Einfuhr des Chilesalpeters gesperrt, dann würde uns bei dem alle Voraussicht übertreffenden Verbrauch an Sprengstoffen, sehr bald die Möglichkeit gefehlt haben, sie darzustellen. Eine Reihe von Erfindungen: Abscheiden des Stickstoffes aus der Luft, billige Darstellung des Wasserstoffs, vor allem aber billige Vereinigung beide Elemente zu Ammoniak, das seinerseits sich leicht in Salpetersäure umwandeln läßt, ermöglichen es erst seit Kriegsbeginn Deutschland, Salpetersäure unabhängig von der überseeischen Einfuhr von Chilesalpeter künstlich ohne Schwierigkeiten zu bereiten. Damit war die Gewinnung der Schieß- und Sprengstoffe: Nitroglyzerin, Trinitrotoluol, Pikrinsäure und Schießbaumwolle in unbegrenzter Menge gewährleistet, Nur dadurch konnten wir der Welt unserer Feinde, denen der Weltmarkt offen steht, dauern siegreich widerstehen und werden sie überwinden.
Aber nicht die Waffen, nicht die Schiffe auf und unter dem Wasser und in der Luft sind es, die fechten, sondern die Männer. Mit der technischen Ueberlegenheit unserer Kriegswerkzeuge geht Hand in Hand die vaterlandsliebende Begeisterung, die todesmütige Tapferkeit unserer Helden. Den Kämpfern unter Euch, liebe Kommilitonen, bringe ich daher die Gefühle unseres Dankes und Stolzes zum Ausdruck.
In dieser weihevollen Stunde gedenken wir in hingebender Liebe und Treue Seiner Majestät des Kaisers, der Verkörperung der Reichseinheit, unseres Führers im Daseinskampf unseres Volkes, in heller Freude unserer siegreichen Armee und Flotte, in wehmütiger Trauer unserer gefallenen Helden. Über unsere Lippen aber drängt sich der zuversichtliche Ruf:
Deutschland über alles in der Welt. Hurra! Hurra! Hurra!
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)