Der Kriegswinter 1916/17 in Bonn
Inhalt:
„... Fluten von Tränen umsonst geweint ...“ - Vom Kriegsgeschehen
„... einschneidende Maßnahmen bei der Brotversorgung in Aussicht gestellt.“ - Das tägliche Brot
„... eine unwillkommene Abkehr von alten Gewohnheiten ...“ - Milch und Fett
„... macht eine möglichst starke Heranziehung der Kohlrübe unabweislich.“ - Kartoffeln und Rüben
„... die Speisen waren im Gegenteil alle Tage durchaus gut.“ - Die Bonner Kriegsküchen
„Kohlenot ist Kohlebeförderungsnot ...“ - Kohle- und Brennstoffmangel
„Und wir trotzen allen Unbilden, denn der Sieg ist uns gewiss!“ - Ein Fazit
„Vergangene Nacht wurden in Bonn 18½ Grad Celsius Kälte gemeldet. Die kälteste Nacht war bisher die vom letzten Freitag auf Samstag mit 22,1 Grad“, meldet die Bonner Zeitung am 5. Februar 1917. Am selben Tag fragt die Deutsche Reichs-Zeitung: „Ist das Zufrieren des Rheines zu erwarten?“ und gibt zugleich Entwarnung: „Der immer noch recht erhebliche Wasserstand läßt bei dem starken Strom des Wassers ein Stellen und Gefrieren des Eises vorerst nicht zu. In all den Fällen, wo der Rhein einmal völlig zufror, war der Wasserstand weit niedriger.“ Dennoch: Die Lage ist bedenklich, denn der Fluss ist bereits „in seiner ganzen Breite mit mächtigen Eisschollen bedeckt“. Die Rheinschifffahrt, wichtig für den Transport ohnehin knapper Güter, ist damit zum Erliegen gekommen, die Versorgungs- und Ernährungssituation hat sich dramatisch zugespitzt.
Wenige Wochen zuvor, am 21. Dezember 1916, hatte der Bonner General-Anzeiger als nächtliche Tiefsttemperatur „4 Grad minus“ vermerkt und halb beruhigend, halb warnend ergänzt: „Aber von dem sonst um diese Zeit vielfach üblichen Schneetreiben, von Glatteis und sonstigen unangenehmen Begleiterscheinungen sind wir bis jetzt verschont geblieben. [...] Doch der eigentliche Winter fängt erst an, und der kommende Januar [...] kann uns noch mehr Winterfreuden und Winterleiden bringen, als uns bei den heutigen Verhältnissen lieb ist.“
Tatsächlich hatte nur kurze Zeit später ein eisiger Winter nicht nur Bonn, sondern ganz Europa in seinem Griff. Er ließ die Kampfhandlungen an allen Fronten ruhen und erneut in einen für die Soldaten in den Schützengräben nicht minder harten Stellungskrieg übergehen, der die Zahl der Kriegstoten für einige Wochen sinken ließ. In der Bonner Presse spiegelt sich diese Entwicklung in einer abnehmenden Menge von Todesanzeigen wider.
„... Fluten von Tränen umsonst geweint ...“
Vom Kriegsgeschehen
Ende November 1916 war die Schlacht an der Somme nach vier Monaten eingestellt worden: Französische und vor allem britische Truppen hatten in erbitterten und verlustreichen Kämpfen die Frontlinie auf 35 Kilometer Breite gerade mal 10 Kilometer nach Osten verschoben. Die Schlacht um Verdun hatte Mitte Dezember mit der Einnahme des Forts Douaumont durch die Franzosen ein Ende gefunden. Im Osten blieb im November 1916 die Brussilow-Offensive, die im Juni für die russischen Verbände erfolgreich begonnen hatte, endgültig stecken. Im Dezember 1916 war es den Truppen der Mittelmächte zumindest gelungen, das rohstoffreiche und damit für die Versorgung Deutschlands wichtige Rumänien weitgehend zu erobern und seine Truppen bis an die Moldau zurückzudrängen. Der zunächst neutrale Staat hatte sich erst am 17. August 1916 der Entente angeschlossen.
Von militärischen Fehlschlägen oder Rückzugsbewegnungen erfährt die Leserschaft der Bonner Regionalzeitungen in Zeiten der Zensur kaum etwas. Im Gegenteil: Die Lektüre der Frontnachrichten auf den ersten Seiten der Tageszeitungen – oft versehen mit Graphiken des Frontverlaufs und gezeichneten Portraits der siegreichen Feldherren, vor allem Hindenburgs -vermittelt eher den Eindruck, nach wie vor eile das deutsche Heer von Sieg zu Sieg oder wehre zumindest feindliche Angriffe heldenhaft ab. Überdies verzeichne die U-Boot-Flotte nach Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Krieges Erfolge im Kampf gegen den „Erzfeind“ England.
Von der euphorischen Stimmung der ersten Kriegsmonate, die die Lokalnachrichten in jener Zeit durchdrang, ist nun jedoch nichts mehr zu spüren. Jeder Sieg war in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn in der Stadt mit Glockengeläut von allen Bonner Kirchen, Fahnenschmuck an öffentlichen Gebäuden und Bürgerhäusern, Schulausfall, patriotischen Kundgebungen ausdauernd gefeiert worden. Davon ist nun nicht mehr die Rede; erst im Dezember 1916 gibt der „Fall von Bukarest“ endlich einmal wieder Gelegenheit für Glockengeläut und einen schulfreien Samstag zur Feier des Tages. (DRZ vom 7.12.16)
Nicht zuletzt dieser Sieg über Rumänien war der Anlass für ein „Friedenangebot“, das Reichskanzler von Bethmann Hollweg am 12. Dezember 1916 im Namen des Kaisers vor den Abgeordneten des Reichstags verkündete – eine Initiative, die von vorne herein chancenlos war. Nicht nur, dass Deutschland jede Schuld am Ausbruch des Krieges zurückwies – die Mittelmächte seien gezwungen gewesen, „zu den Waffen zu greifen“ -; Deutschland wollte auch die Bedingungen für einen Frieden diktieren und auf keinen Fall die Besetzung Belgiens und Nordfrankreichs aufgeben. Am 30. Dezember lehnten die Entente-Staaten diese Offerte ab. Die Reichsregierung und der deutsche Kaiser sahen sich jetzt in der Position, die Schuld an der Fortdauer des Krieges den Feinden zur Last zu legen und die Parole „Jetzt erst recht!“ auszugeben.
Insbesondere der Alldeutsche Verband heizte die Stimmung für einen „Siegfrieden“ an und hetzte gegen diejenigen, die zu Zugeständnissen bereit waren. Auch in Bonn war der Verband aktiv, und die Ortsgruppe lud im Mai 1917 zu einer Versammlung im Kronprinzenhof gegenüber dem Hauptbahnhof ein. Die „stark besuchte Veranstaltung“ endete mit einer Entschließung, die einstimmig angenommen wurde. Die Lokalzeitungen berichteten ausführlichst über dieses Ereignis und referierten zum Teil wörtlich den Text der Entschließung, in dem einleitend die Erfolge des deutschen Heeres gewürdigt wurden, so die Bonner Zeitung vom 17. Mai 1917: „Ja, wir haben uns nicht nur gewehrt, sondern auch weite Strecken feindlichen Landes erobert und bedrängen die Gegner mehr und mehr, daß sie in absehbarer Zeit genötigt sein werden, um Frieden zu bitten.“ Dabei müsse es sich freilich um einen „für alle Teile ehrenvollen Frieden“ handeln, damit nicht „Fluten von Tränen umsonst geweint und Ströme edlen Blutes für nichts und wieder nichts hingegeben“ worden seien. Siegfrieden bedeutete für den Alldeutschen Verband u. a.: die Abtretung der nordfranzösischen Industriegebiete an Deutschland, ein Königreich Flandern unter deutscher „Schutzherrschaft“, die Schwächung Englands, das seine Flottenstützpunkte weltweit zu räumen und seine Flotte nach Kiel zu überführen habe, darüber hinaus die Besetzung englischer Großstädte wie Glasgow und Liverpool, bis das Land seine Schulden an das Deutsche Reich bezahlt habe, die Zurückdrängung Russlands, die Einverleibung Kurlands in das Deutsche Reich und die Abtretung der afrikanischen Kolonien, die im Besitz anderer europäischen Mächte waren.
Es erscheint rückblickend gänzlich unverständlich, dass solche Forderungen als realistisch erachtet wurden und auf Zustimmung bei der Bevölkerung stoßen konnten - in einer Zeit, in der der Krieg ganz massiv an der sogenannten Heimatfront angekommen war und das alltägliche Leben von eklatantem und unabsehbarem Mangel in allen Bereichen geprägt war. Sicher oblag es auch der Presse, durch ihre Art der Berichterstattung jeglicher Form von Zweifeln am Endsieg entgegenzusteuern.
Die Blockade der Nordsee durch die englische Flotte hatte schon in den ersten Kriegsmonaten die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen in das Deutsche Reich entscheidend behindert, und auch der Handel mit den neutralen europäischen Staaten wurde im Kriegsverlauf auf Druck der Entente erschwert. Um die Versorgung der Bevölkerung unter diesen veränderten Bedingungen zu ermöglichen, vor allem auch um den stets wachsenden Bedarf des Militärs sicher zu stellen, wurden im ganzen Reich, so auch in Bonn, Maßnahmen ergriffen, die den freien Warenverkehr zugunsten staatlicher Reglementierung einschränkten. (Schröder , S. 259 ff) Diese betrafen zunächst die Sicherstellung der Brotversorgung, die ab März 1916 durch Brotbücher und Brotkarten gesteuert wurde. Um die Knappheit an Fleisch und tierischem Fett zu lindern, hatte die Stadt Bonn bereits am 20. Februar 1915 ein Ladenlokal in der Rathausgasse 27 angemietet, in dem „ein Verkauf von gesalzenem und geräuchertem Speck“ organisiert wurde. (GA vom 18.02.15) Hier gelangten ab Sommer 1915 auch Fett und Fleischwaren zum Verkauf.
Ein Jahr später fielen immer mehr Lebensmittel und Güter des täglichen Gebrauchs unter Zwangsbewirtschaftung und Rationierung. Fast alle Nahrungsmittel und Bedarfsartikel bis hin zu Kleidung, Wäsche und Schuhwerk waren schließlich nur noch über Karten oder Bezugsscheine zu erhalten, wobei es unterschiedliche Kategorien von Versorgungsberechtigten gab: Schwer- und Schwerstarbeiter erhielten ebenso Zusatzmengen von Nahrungsmitteln wie beispielsweise stillende Frauen und Kranke. Darüber hinaus waren die Preise für die Waren, die in den städtischen Verkaufsstellen angeboten wurden, gestaffelt: Menschen, die auf kommunale Unterstützung angewiesen waren und die Lebensmittelkarte A vorweisen konnten, bezahlten weniger als Inhaber der Karte B („Minderbemittelte“) und der Karte C („alle übrigen Personen“). Mit der Einrichtung von Lebensmittelämtern – das Bonner entstand im März 1916 - wurden neue administrative Strukturen geschaffen, die einen immensen Personalaufwand erforderlich machten: Bis 1918 war die Zahl der dort Beschäftigten auf 147 Personen gewachsen. (Vogt, S. 457)
Die Mitteilungen des Lebensmittelamtes – wöchentlich abgedruckt in allen Bonner Tageszeitungen - informierten die Bevölkerung regelmäßig und ausführlich über die Versorgungssituation: über Mehl- und Brotversorgung, über Kartoffel-, Fleisch-, Milch-, Fett-, Eier- und Gemüseversorgung sowie über das Angebot der Kriegsküchen. Als am 1. August 1916 in den Räumen Am Hof Nr. 14 das städtische Bekleidungsamt eingerichtet wurde, das den Erwerb von „Web-, Wirk- und Strickwaren“ gegen Bezugsscheine regelte, – „eine weitere Kriegsmaßnahme“ (GA vom 28.07.16) - wurden auch dessen Verlautbarungen einbezogen.
Die Stadtverwaltung war bemüht, die landwirtschaftliche Eigenproduktion zu steigern. Der Hofgarten wurde zur Heuwiese umfunktioniert, und den Mitteilungen des Lebensmittelamtes zufolge waren Eigentümer von Klein- und Ziergärten verpflichtet, im Jahr 1917 Acker- oder Gartenparzellen, zumindest teilweise mit Kartoffeln – nicht mit Gemüse! - zu bepflanzen. Der Androhung, anderenfalls keinen Anspruch auf die städtischen Kartoffeln zu haben, folgte die Parole: „Kein Fußbreit Boden, der sich nur einigermaßen zur Bestellung eignet, darf in diesem Jahre unbebaut bleiben.“ (GA vom 30.01.17) In vielen Haushaltungen wurden darüber hinaus Hühner, Kaninchen und ähnliche Kleintiere in Gärten und Hinterhöfen gehalten, die den Eigenbedarf decken halfen.
Die prekäre Ernährungslage und der Mangel an Rohstoffen, der alle Bereiche des Lebens umfasste, spitzte sich in der zweiten Kriegshälfte auch im vergleichsweise wohlhabenden Bonn noch erheblich zu – Vogt bezeichnet sie „als bestversorgte Stadt des Rheinlandes“ (S. 455) - und fand den Höhepunkt in jenem Hungerwinter 1916/17, der als Steckrübenwinter in die Geschichte eingegangen ist. Nicht nur Kartoffeln und Brot wurden knapp, auch das Angebot tierischer Produkte sank kontinuierlich; hier nur ein Beispiel: „Ein Ei wird morgen, Freitag, für jeden verkauft, Schwer- und Schwerstarbeiter erhalten zwei weitere Eier, also insgesamt drei.“ (DRZ vom 26.04.17) Dabei handelte es sich um die Wochenration! Immer häufiger wurden jetzt Diebstähle von Kleintieren gemeldet, wie folgende Mitteilung exemplarisch zeigt: „Zwei Ziegen, 15 Hühner und ein Kaninchen sind in einem Gehöft in Dransdorf von Spitzbuben abgeschlachtet und gestohlen worden. Die Tiere sind zusammen wenigstens 450 Mark wert.“ (DRZ vom 15.03.17) Nachrichten wie diese zeigen, dass die Nachfrage nach Fleisch zunehmend auf illegalem Wege befriedigt wurde.
Stets ist in den Lokalzeitungen von „Ernährungsschwierigkeiten“ die Rede, und betont wird „die vaterländische Pflicht jedes Einzelnen, mit den Lebensmitteln so haushalterisch wie möglich umzugehen“. (DRZ vom 17.04.17) Von Krankheiten als Folge von Fehl- und Mangelernährung oder einer erhöhten Sterblichkeitsrate erfährt die Leserschaft nichts. In einem ganz anderen Zusammenhang, nämlich der Frage, ob im heißen Juni 1917 an den Schulen nicht hitzefrei gegeben werden sollte, unterstützt eine „Hausfrau“ eine solche Maßnahme mit der Bemerkung, dass bei den Schulkindern „jetzt auch auf die Unterernährung Rücksicht zu nehmen ist“. (DRZ vom 17.06.17)
Wer Geld hatte, konnte sich natürlich auch auf dem Schwarzmarkt versorgen: Dafür gab es den „Schleich- und Schmuggelhandel“, für den eine Kleinstadt wie Bonn inmitten ländlich geprägter Gebiete und nahe der Grenze zum neutralen Holland äußerst günstig gelegen war. (Schroeder, S. 271) Aber nur wohlhabende Menschen konnten es sich leisten, die dort verlangten Wucherpreise zu bezahlen. Das konstatierte das städtische Lebensmittelamt am 9. Januar 1917 in der Bonner Zeitung und appellierte gleichzeitig an die patriotische Pflicht: „Der Schleichhandel mit Butter, Fett, Fleisch, Eiern usw. nimmt immer mehr zu. Wenn Käufer sich durch hohe Preise – bis zu 10 Mark für das Pfund Butter – nicht abschrecken zu lassen brauchen, so sollten sie doch daran denken, daß sie sich an der Allgemeinheit und damit am Vaterland versündigen.“ Und am 30. Januar 1917 mahnte diese Behörde im Bonner General-Anzeiger: „Jede Hausfrau besinne sich doch endlich auf ihre vaterländische Pflicht und überlege, daß sie durch Unterstützung eines derartigen Schleichhandels alle behördlich geplanten Rationierungen zuschanden macht.“
Chickering spricht in seiner umfassenden Monographie über „Freiburg im Ersten Weltkrieg“ von einer „patriotischen Reform der Essgewohnheiten“, die durch Einschränkungen in allen Bereichen gekennzeichnet war. Wie in Freiburg, so wurde auch in der Bonner Presse stets versucht, „dem Hunger der Kriegszeit einen Sinn zu geben“. (Chickering, S. 250) Aussagen wie „Zur Zeit bestehen die größten Ernährungsschwierigkeiten, es ist daher vaterländische Pflicht jedes Einzelnen, mit den Lebensmitteln so haushalterisch wie möglich umzugehen“ (DRZ vom 17.04.17), durchziehen die lokale Berichterstattung. Tat der Appell an die vaterländische Gesinnung, an opferwilligen Patriotismus seine Wirkung? Verzichteten die Wohlhabenden wirklich auf „unpatriotische“ Einkäufe?
Wie die Einschränkungen auf allen Gebieten des Lebens in der Bevölkerung empfunden wurden, wie die Bonner und Bonnerinnen im Alltag handelten, welche Auswirkungen die allumfassende Not auf die Stimmung an der ‚Heimatfront’ hatte – das alles erfährt man bei der Lektüre der Tageszeitungen freilich nicht. Allenfalls lässt sich aus den stets wiederkehrenden Appellen, aus den sich wiederholenden Verweisen auf die „tapferen Feldgrauen“, die an der Front viel größere Opfer bringen, schließen, dass es verbreitet Unmut gab, den es von Seiten der Presse aus zu bekämpfen und als ‚Vaterlandsverrat’ zu denunzieren galt. Die Presse war ‚auf Linie’ – und erhielt Lob für die patriotische Berichterstattung, so beispielsweise die Bonner Zeitung, die anlässlich ihres 25jährigen Jubiläums ein Dankschreiben des Oberbürgermeisters Spiritus abdruckte: „Vom vaterländischen Geiste beseelt und geleitet von lebhaftem Interesse für das Gemeinwohl hat die Bonner Zeitung in den 25 Jahren ihres Bestehens zur gedeihlichen Entwicklung der Stadt erfolgreich beigetragen, wie sie auch in der jetzigen großen und schweren Zeit unseres Vaterlandes die wichtigen Aufgaben der Presse, insbesondere hinsichtlich der Erhaltung und Kräftigung des gesunden Sinnes der Bevölkerung getreu erfüllt hat.“ (BZ vom 30.04.17; Hervorhebung v. S.H.)
Am 27. April 1917 berichtete die Deutsche Reichs-Zeitung über „Verstimmungen einzelner Kreise über die Ernährungsschwierigkeiten“. Es seien freilich „bezahlte Agenten“, die sich diese zunutze machten, und meinten, „durch ihre Wühlereien die deutsche Arbeiterschaft dazu bringen zu können, ihre Kameraden im Stich zu lassen und sie durch Einstellung der Arbeit in den Munitionsfabriken wehrlos dem feindlichen Ansturm auszuliefern“. Aber die Bevölkerung in Bonn und Umgebung sei sich ihrer „vaterländischen Pflicht“ bewusst: Zumindest in den Munitionsfabriken im Bereich des 8. Armeekorps war es wegen „der verständnisvollen Zusammenarbeit zwischen Regierung und Gewerkschaften“ durch welche „die Wünsche der Arbeiter befriedigt“ wurden, nicht zu Arbeitsniederlegungen gekommen.
Im Frühjahr 1917 hatte sich die Versorgungssituation insbesondere mit Lebensmitteln und Brennstoffen bereits etwas entspannt, wenngleich der Mangel an Rohstoffen gleich welcher Art eher zunahm und durch Beschlagnahmung und Enteignung ausgeglichen werden sollte. Diese Maßnahmen machten nicht einmal Halt vor Kirchenglocken, Kochtöpfen, Klinken an Haustüren..... Die Einsparungen reduzierten den Anspruch auf Kleidungsstücke, deren unumgängliche Anschaffung in einem „Verhör“ beim städtischen Bekleidungsamt begründet werden musste (BZ vom 19.05.17), und betrafen selbst die Toten, die doch besser „mit einem Totenhemd aus Papierstoff“ als mit dem traditionellen Sonntagsanzug bekleidet in den Sarg gelegt werden sollten. (BZ vom 21.05.17) Es gab nichts, vor dem das Sammeln von allen möglichen Materialien – oft betrieben von Schülerinnen und Schülern – Halt machte: vom Kaffeesatz – „eine Sache von großer volkswirtschaftlicher und daher vaterländischer Wichtigkeit“ (DRZ vom 21.02.17) - bis hin zu Obstkernen zur Ölegewinnung und ausgekämmten Frauenhaar. Der Mangel wurde sinnlich erfahrbar, wie Chickering in einem Kapitel unter der Überschrift „Der Krieg und die Sinne“ (S. 249ff) ausführt: Es fehlte an Seife für die Körperhygiene und die Reinigung der Kleidung; Schuhe aus Holz verursachten auf den Straßen andere Geräusche als die knapp gewordenen Lederschuhe, Leuchtreklame und Straßenbeleuchtung verschwanden aus dem Stadtbild, sodass es dunkel wurde in den Städten, die frühe Sperrstunde reduzierte nächtlichen Lärm. Was aber führte darüber hinaus zu Unterernährung und Krankheiten der Menschen und prägte vor allem jenen vielzitierten Steckrübenwinter 1916/17?
„... einschneidende Maßnahmen bei der Brotversorgung in Aussicht gestellt.“
Das tägliche Brot
Brot war eines der Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung. Bereits im Herbst 1914 hatte der Bundesrat Höchstpreise für Getreide festgelegt; der Ausmahlungsgrad für Roggen und Weizen wurde heraufgesetzt und die Streckung von Brot durch Zusatz von Kartoffeln genehmigt. Eine Bundesratsverordnung vom 25. Januar 1915 regelte die Rationierung von Getreide, das beschlagnahmt wurde, um von öffentlichen Stellen verteilt zu werden. Zeitgleich wurde die Herstellung bestimmter Bäckereiprodukte – Schwarzbrot, Zwieback, Feinbrot, Kuchen u. a. – zeitweise gänzlich verboten. Im März 1915 wurde die Einführung von Brotbüchern angeordnet, die ein gutes Jahr später durch fälschungssichere Brotmarken und –karten ersetzt wurden. (Vgl. Vogt, S. 458 und Schröder S. 260ff.)
Bis August 1917 sank die Brotration pro Kopf und pro Woche auf drei Pfund, um dann wieder sukzessive um ein Pfund zu steigen. Schwer- und Schwerstarbeitern in der Rüstungsindustrie sowie anderen Berechtigtengruppen wie schwangeren oder stillenden Frauen wurde wie auch bei anderen Nahrungsmitteln eine zusätzliche Menge zugestanden.
Wegen des allgemeinen Mangels an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln scheuten die zuständigen Ämter vor einer Senkung der Brotrationen und griffen zu anderen Mitteln, nachdem dem Brot bereits Kartoffelmehl zugesetzt worden war: das K-Brot – das Kriegsbrot - war geboren. Im Februar 1917 wurden „einschneidende Maßnahmen bei der Brotversorgung in Aussicht gestellt. Denn die Heeresverwaltung hat steigenden Bedarf zu decken“. So ergab sich die Notwendigkeit, „unverzüglich das Brotgetreide weiter zu strecken. Roggen und Weizen werden infolgedessen fortan wenigstens zu 94 v. H. ausgemahlen, während bisher der Ausmahlungssatz 80 bezw. 82 v. H. betrug“. Das stellte das Backgewerbe vor neue Herausforderungen, „denn das Brotbacken aus einem derartigen Mehl ist zunächst ungewohnt [...].“ (BZ vom 20.02.17)
Als Ende April 1917 in der Stadt das Gerücht die Runde machte, es „träte in der nächsten Zeit eine weitere Einschränkung der Brotmenge ein, ja als sei eine völlige Einstellung der Brotversorgung zu erwarten“, empörte sich die Deutsche Reichs-Zeitung am 26. April: „Es ist kaum glaublich, daß es überhaupt noch Menschen gibt, die einen derartigen Unsinn – fast hätten wir gesagt Blödsinn – als bare Münze hinnehmen. In einer Zeit, wo unsere braven Truppen in heldenmütiger Todesverachtung dem gewaltigen Ansturm der feindlichen Heeresmassen Trotz bieten, sollte in der Heimat ein derartiges gedankenloses Gerede doch wahrhaftig für unmöglich gehalten werden. Jeder deutsche Mann und vor allem jede deutsche Frau [...] sollte hier tätig mit eingreifen und unnachsichtlich diesen vaterlandslosen Gesellen das verderbliche Handwerk legen [...].“
So aus der Luft gegriffen schienen die Gerüchte indes nicht zu sein. Das städtische Lebensmittelamt ließ nur einen Tag später verlautbaren: „Die Bäcker haben strengste Anweisung, Brot für die kommende Woche erst Samstags abzugeben.“ (DRZ vom 27.04.17) Verkäufern und Käufern wurden im Falle der Zuwiderhandlung schwere Strafen angedroht; Bäckereien hatten die Schließung bis zum Ende des Kriegs zu gewärtigen.
Der Getreidemangel blieb ein Problem, zumal sich die Aussaat im Frühjahr wegen der anhaltend niedrigen Temperaturen – erst Anfang Mai wurde es frühlingshaft warm – verzögerte.
„... eine unwillkommene Abkehr von alten Gewohnheiten ...“
Milch und Fett
„Durch die Sicherstellung des Bedarfs an Speisefetten und die Sicherstellung des Milchbedarfs für die Bevölkerung wird nun auch an eine der schwierigsten aller kriegswirtschaftlichen Aufgaben, an die Zuteilung von Milch herangetreten. Spätestens bis zum 1. November muß die Milchkarte eingeführt werden“, meldete die Bonner Zeitung bereits am 10. Oktober 1916, als von Engpässen bei anderen Grundnahrungsmitteln in solcher Dramatik noch nicht die Rede war. „Für die städtische Bevölkerung, soweit sie bisher noch einigermaßen mit Vollmilch versorgt war, bedeutet die notwendige Neuregelung eine unwillkommene Abkehr von alten Gewohnheiten [...].“ Wenn weiterhin Butter erhältlich sein sollte – und die gab es bald auch nur noch zu 30 Gramm pro Woche und Kopf (GA vom 21.11.16) – dann konnte es Vollmilch nur noch für sogenannte „Vollmilchberechtigte“ und überdies in unterschiedlichen Mengen geben: Kinder mit ein und zwei Jahren sowie stillende Frauen sollten einen Liter erhalten, Kinder im Alter von 3 und 4 Jahren sowie Schwangere in den letzten drei Monaten vor der Geburt des Kindes ¾ Liter, Kinder im Alter von 5 und 6 Jahren ½ Liter – „alle Mengen auf den Tag gerechnet“. Anderen Personen sollten lediglich Magermilch gegen Milchkarte ausgegeben werden. Wenn die sogenannten Vollmilchsversorgungsberechtigten ausreichend bedient werden könnten und noch Überschüsse vorhanden seien, kamen die Vollmilchsvorzugsberechtigten in den Genuss der Vollmilch, zum Beispiel Kinder im Alter von 7 bis vierzehn Jahren und Schwerkranke. (DRZ vom 12. 11.16, BZ vom 9.12.16)
Noch am 28. November 1916 stellte die Deutsche Reichs-Zeitung fest: „Gegenwärtig nimmt wohl die Frage der Milchversorgung in Bonn am meisten die Beachtung der Einwohnerschaft in Anspruch.“ Ab dem 1. Dezember sollte Milch nur noch gegen Milchkarte abgegeben werden; außerdem wurden Höchstpreise festgesetzt, die für frei Haus gelieferte Milch 40 Pfg. betragen sollten.
Die Stadt Bonn war bemüht, Abhilfe zu schaffen. Um die Not zu lindern, hatte die Stadtverwaltung zunächst 100 Milchkühe angeschafft, die gegen Abmelkverträge bei Landwirten untergestellt wurden. Am 25. November 1916 referierte die Bonner Zeitung den Verlauf der Stadtverordnetenversammlung. Von dem zweiten Hundert Kühen, so der Beigeordnete Piehl, Chef des Lebensmittelamtes, seien schon 59 angeschafft worden. Sie erzeugten bereits „die halbe Milchmenge, die aus dem Stadtgebiet abgegeben werden könne, nämlich wöchentlich 14.000 bis 14.500 Liter“. Die Aufstockung der Anzahl der Kühe auf 200 sei angesichts der zurückgegangenen Milchversorgung wichtig, wenngleich sie hohe Kosten für die Stadt mit sich brächte.
Am 21. Februar berichtete die Bonner Zeitung über die Kühe „auf dem Gehöft des Fuhrparks an der Ellerstraße“: „Zurzeit sind 46 Kühe vorhanden, von denen 39 täglich im Durchschnitt elf Liter geben. [...] Mit dieser Anstalt hat die Stadt wieder eine neue Aufgabe übernommen, die ihr im Frieden vollkommen fern lag, für die sie glücklicherweise in Herren Rentner und Gutsbesitzer Lüps die geeigneten tatkräftigen und sachkundigen Leiter gefunden hat. [...] Herr Lüps leitet auch die städtische Schweinezucht, die jetzt in drei Stallungen 360 Tiere umfaßt [...].“
Bis zum Monat März 1919 hatte die Stadt 736 Milchkühe angeschafft, jeweils 50 in den Abmelkstellen der Stadt, die 1917 in Betrieb genommen worden waren. Das Gros war indes weiterhin bei Landwirten untergebracht, die durch Abmelkverträge verpflichtet waren, die Milch an die Versorgungsberechtigten zu verkaufen.
Um die Fleischversorgung zu verbessern, hatte die Stadt bereits im Sommer 1916 im Dottenhof eine Schweinemastanstalt für 500 Tiere eingerichtet (Schröder, S. 275f.). Die sollte nicht nur den Mangel an Fleisch kompensieren, sondern die Bevölkerung mit Fett in Form von Speck versorgen. Die Deutsche Reichs-Zeitung verkündete am 13. Juni 1917: „130 fette Schweine im Gewicht von 2 bis 3 Zentnern werden aus der Schweinemastanstalt der Stadt Bonn zum Schlachthof gebracht werden. Bei dem großen Mangel an Speck wird dies eine willkommene Bereicherung der städtischen Speckkammer darstellen, die der Bevölkerung im Winter sehr zu gute kommen wird.“ Offensichtlich glaubte man auch in diesem Bereich nicht an eine baldige Verbesserung der Ernährungssituation und dachte bereits an einen weiteren entbehrungsreichen Winter.
Trotz aller Maßnahmen: Fett blieb knapp. Die Regelungen für die Milch, die auch die Butterproduktion sicherstellen sollten, konnten den Mangel nicht beheben. Im Winter 1916/17 standen lediglich 30 Gramm Butter und 30 Gramm Margarine pro Kopf und pro Woche zur Verfügung. Und auch diese geringe Butter konnte zeitweise nicht bereitgestellt werden: „Keine Butter, sondern 30 Gramm Margarine wird diese Woche auf die Butterkarte verkauft.“ (BZ vom 20.04.17)
„... macht eine möglichst starke Heranziehung der Kohlrübe unabweislich.“
Kartoffeln und Rüben
Die Kartoffel galt neben Brot als Hauptnahrungsmittel und unterlag wie dieses ab März 1916 der Zwangsbewirtschaftung. Die Versorgungssituation war im November 1916 bereits prekär: „An das Einkellern in privaten Haushalten ist nicht zu denken.“ (BZ vom 10.11.16) Immer wieder auftauchende Gerüchte, städtische Beamten seien bevorzugt mit Kartoffeln beliefert worden und hätten gar einen Wintervorrat einkellern können, wurden in der Presse rigoros zurückgewiesen. Als Gründe für die Knappheit wurden die Streckung des Brotes mit Kartoffeln, die weggefallene Einfuhr, das ungünstige Wetter, das die Ernte verzögerte, und „die verfehlten Maßnahmen im Frühjahr bezüglich Saatkartoffeln“ angesehen. (GA vom 29.11.16)
Im Universitätshauptgebäude wurden Kartoffeln in geräumigen Kellern gelagert; zudem wurde beim städtischen Schlachthof ein großes Mietenfeld mit eigenem Eisenbahnanschluss angelegt. (Vogt, S. 458) Die Kartoffeln wurden, wie auch die meisten anderen Lebensmittel, in den 140 städtischen Verkaufsstellen gegen Vorlage der Lebensmittelkarte abgegeben. Im November wurden pro Kopf und Woche noch 7 Pfund ausgegeben. (GA vom 21.11.16) Körperlich schwer arbeitende Menschen hatten auch hier ein Anrecht auf zusätzliche Mengen.
Bereits im Dezember 1916 wurden die ersten Beschwerden über die Qualität der Kartoffeln laut: „In der Stadt wird sehr geklagt über die schlechte Beschaffenheit der in den letzten zwei Wochen verkauften Kartoffeln. Fast alle sind erfroren, mindestens die Hälfte des Gewichts ist Abfall, geeignet für Schweinefutter, wandert in Bonn aber leider in den Ascheneimer. Kochen mit Schale ist gar nicht möglich, weil alle Kartoffeln ohne Ausnahme angefault sind. [....] Es ist zu bedauern, daß der ursprüngliche Plan nicht durchgeführt wurde, wonach jeder Bürger den ganzen Winterbedarf bis Mitte April von seinem bisherigen Händler kaufen konnte“, schreibt ein „bekümmerter Bürger“, der offensichtlich die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat. (BZ vom 02.12.16) Die Bonner Zeitung zitierte zur Klarstellung den Leiter des Lebensmittelamtes, den Beigeordneten Piehl, der bedauerte, „daß die Stadt leider keinen Einfluß auf die Menge und die Qualität der Kartoffeln habe, da sie von der Reichskartoffelstelle zugewiesen werde“. Zur Klage über die Qualität der Kartoffeln merkte er an: „Im übrigen handelt es sich bei den Frostschäden um vereinzelte Fälle und wenige Tage. Die den Verkaufsstellen gelieferten Kartoffeln sind durchweg mit großer Mühe und sorgfältig verlesen worden, und wenn trotzdem hier und da eine angefrorene Kartoffel mit verkauft wird, so ist das nur ein unglücklicher Zufall.“
Bezüglich der Kartoffelversorgung war die Bonner Bevölkerung tatsächlich besser gestellt als die Bewohner anderer Städte. Schröder (S. 268) betont, dass die Bonner Stadtverwaltung sehr viel Wert auf das Verlesen und Lagern sowie auf die pünktliche Belieferung der städtischen Verkaufsstellen gelegt habe. Zudem habe die Stadt die Kartoffeln nicht aus weit entfernten und frostigeren Gebieten im Osten des Reiches bezogen, sondern aus dem nahen Rheinland.
Die eigentliche Krise stand indes noch bevor: Zu Beginn des Jahres 1917 verschlechterte sich auch bezüglich dieses Grundnahrungsmittels die Versorgungssituation entscheidend. Am 30. Januar berichtete der Bonner General-Anzeiger: „Die Versorgungsschwierigkeiten mit Kartoffeln haben in diesem Jahre ihren Grund in der schlechten Kartoffelernte. Auch die Transportverhältnisse haben sehr ungünstig mitgewirkt.“ Ab dem 5. Februar 1917, so kündigte die Zeitung an, würden an die Versorgungsberechtigten nur rund drei Pfund Kartoffeln ausgegeben. „Dieser ewige Wechsel in der Kartoffelzuteilung ist gerade für das Lebensmittelamt außerordentlich unliebsam, er ist aber leider durch die Zeit bedingt. Zuerst waren es 10 Pfund Kartoffel, dann sieben, dann fünf und jetzt drei Pfund Kartoffeln. Aber der Schwerpunkt liegt darin, daß wir bis zur Frühkartoffelernte unter allen Umständen mit den vorhandenen Vorräten haushalten können.“
Schon bald wurden alte Klagen wieder laut, die die Bonner Zeitung am 13. Februar entschieden zurückwies: „Daß städtische Kartoffeln in Kellern und Mieten erfroren seien, ist ein böswilliges Gerücht. Wenn es in den städtischen Verkaufsstellen mal erfrorene Kartoffeln gibt, dann liegt das an der mangelhaften Aufbewahrung [...].“ Zudem könne man solche Kartoffeln auch eintauschen. Der Bonner General-Anzeiger gab den Rat: „Aber auch die [die erfrorenen Kartoffeln; S.H.] können noch verwendet werden, wenn sie im gefrorenen Zustande in kaltem Wasser gewaschen und mit der Schale gekocht werden.“ (GA vom 13.02.17)
Die Kartoffelknappheit führte dazu, dass Ersatz gesucht wurde – und gefunden in der Steckrübe, auch Kohlrübe oder Erdkohlrabi genannt, ein „Gemüse“, das der Zeit des größten Hungers die Bezeichnung ‚Steckrübenwinter’ verliehen hat. Am 14. Dezember 1916 tauchte sie „als Ersatz für die knappen Kartoffeln“ (BZ vom 14.11.16) zum ersten Mal in der Bonner Presse auf. Es wurde vermeldet, dass die Stadt bereits 25.000 Zentner gekauft und eingelagert habe. Empfohlen wurde ein Merkblatt, das die Steckrübe als „leicht verdaulich“ und nährstoffreich wegen seines Gehalts an „hochwertigem Eiweiß“ anpries. Sie sei leicht und bequem zuzubereiten, lange zu lagern und unempfindlich gegen Frost. Zugleich enthalte das Merkblatt Vorschläge für die Zubereitung. An denen mangelte es in den folgenden Monaten nicht. So hieß es in der Bonner Zeitung vom 14. Dezember, die Ernährungssituation habe „den Kriegsausschuß für Volksernährung veranlaßt, eine Sammlung von wertvollen Kochvorschriften herauszugeben [...]. Die Vorschriften sind sehr leicht verständlich und werden mancher Hausfrau bei der Kartoffelknappheit wertvolle Winke geben.“
Am 14. Januar 1917 riet der Bonner General-Anzeiger: „Die Knappheit an Kartoffeln macht eine möglichst starke Heranziehung der Kohlrübe unabweislich.“ Während die Menge der zugeteilten Kartoffeln auf 3 Pfund pro Kopf und Woche reduziert worden war, stieg die Zuteilung der Steckrüben auf sechs Pfund – plus Zulagen für die hart arbeitende Bevölkerung. Der Volksmund gab am 27. Januar 1917 den Hinweis: „Es wird dringend empfohlen, den Kartoffelverbrauch jetzt schon weiter einzuschränken und dafür die Steckrübe, die fast den gleichen Nährwert hat wie die Kartoffel, zu verwenden.“ Und was kann die gute Hausfrau nicht alles mit der Steckrübe machen! Das Lebensmittelamt gab die Empfehlung: „Wer die zugeteilte Menge Steckrüben nicht verbraucht, dem kann nicht genug geraten werden, sich die übrigbleibende Menge für seinen Haushalt zu trocknen für die Zeit, wenn weder Frischgemüse noch Frischkartoffeln mehr zur Verfügung stehen. Das Trocknen kann in außerordentlich einfacher Weise über dem gewöhnlichen Herd erfolgen.“ (GA vom 30.01.17) Angekündigt wurde ein Flugblatt mit genaueren Informationen. Zudem erschienen in der Folge Broschüren über die unterschiedlichen Zubereitungsarten der Rübe. Immer wieder veröffentlichten die Tageszeitungen neue Rezepte und Ratschläge und ließen auch stets die „Hausfrauen“ mit Tipps zu Verwertung und Haltbarmachung zu Worte kommen. Darüber hinaus gab es Vorträge und Kurse, die auch allgemein das Kochen in Zeiten der knappen Ressourcen thematisierten.
Am 25. April 1917 meldete die Bonner Zeitung endlich, dass die Kartoffelversorgung gesichert sei. Aber die Engpässe waren nicht beseitigt, und es gab einen beträchtlichen Mangel an Saatkartoffeln. Am gleichen Tag berichtete der Bonner General-Anzeiger über die weit verbreitete „Blattrollkrankheit bei Kartoffeln“; die schädige die Feldfrucht so, dass sie als Saatkartoffel keine Verwendung finden dürfe. Die Kartoffelknappheit blieb auch in den kommenden Wochen ein Problem, das in der Lokalpresse immer wieder seinen Niederschlag fand.
„... die Speisen waren im Gegenteil alle Tage durchaus gut.“
Die Bonner Kriegsküchen
Bereits im Laufe des Jahres 1916 hatte sich also die Versorgungslage auch in Bonn so zugespitzt, dass die öffentliche Diskussion über „Massenspeisungen“ angestoßen wurde, wie sie schon in anderen Städten gang und gäbe waren. Um breitere Bevölkerungskreise anzusprechen, durfte ihnen allerdings nicht der Ruf der Armenversorgung anhaften, wie das bei der städtischen Suppenküche in der Engeltalstraße oder der zeitweise geschlossenen Suppenküche des Bonner Frauenvereins in der Maargasse der Fall war. Die Kriegsküchen sollten nicht nur die Ernährungssituation allgemein verbessern und eine effektivere Ausnutzung der vorhandenen Lebensmittel garantieren, sondern auch die Hausfrauen von der Last der individuellen Versorgung ihrer Familien befreien und sie so für andere Aufgaben in den Berufen, die in Friedenszeiten von Männern wahrgenommen wurden, zu befähigen. Ende 1916 waren schon fünf Einrichtungen dieser Art in Betrieb: in der Sandkaule 15, in der Maxstraße 11, in der Universität Am Hof 1, in der Clemens-August-Straße 50 in Poppelsdorf sowie in der Burbacher Straße in Kessenich. Im November war die Suppenküche des Bonner Frauenvereins wieder geöffnet worden: „Altersschwache, Kranke und Wöchnerinnen erhalten die Suppe umsonst, sonst kostet das Liter 20 Pfg.“ In der Regel wurden die Mahlzeiten in den Kriegsküchen nicht vor Ort eingenommen, sondern nur abgefüllt und zu Hause verzehrt.
Am 10. Oktober 1916 meldete die Bonner Zeitung rund 2500 Teilnehmer an den Kriegsküchen. Die Zeitung betonte, dass es „noch immer ein ganz unberechtigtes Vorurteil gegen die Kriegs- und Massenspeisung“ gebe. Es habe indes kein „nicht schmackhaftes oder ungenießbares Essen gegeben, die Speisen waren im Gegenteil alle Tage durchaus gut“. Auch der Bonner General-Anzeiger war am 16. Oktober voll des Lobes: „Der Küchenbetrieb selbst funktioniert unter umsichtiger Leitung so tadellos, als bestände er schon seit Jahren und nicht erst seit einigen Monaten als eine durch den Krieg notwendig gewordene Einrichtung.“
Von nun an ging es ständig aufwärts mit den Teilnehmerzahlen: Am 14. November gab die Bonner Zeitung 3300 Teilnehmer an, am 28. November die Deutsche Reichs-Zeitung 3700, am 12. Dezember gar 4000. Am 30. Januar war die Zahl laut Bonner General-Anzeiger erneut auf 5200 gestiegen, am 20. Februar nutzten laut Bonner Zeitung 6300 Einwohner die Kriegsküchen, insgesamt rund 5% der städtischen Bevölkerung. (Schröder, S. 278)
Die Zuwachs erklärt sich natürlich durch die prekäre Ernährungssituation im strengen Winter. Aber als sich die Ernährungssituation im Frühjahr entspannt hatte, wurden gar 6500 Teilnehmer gemeldet. ( BZ vom 25.04.17) Bis Anfang Mai war die Zahl der Bonner und Bonnerinnen, die ihre Mahlzeiten aus einer der Kriegsküchen bezogen, sogar noch weiter auf 8000 angewachsen. (BZ vom 02.05.17) Die Zunahme der Kriegsküchen-Kunden hat ihren Grund möglicherweise auch darin, dass der Kriegsalltag so viel Beschwernis mit sich brachte, dass manche Hausfrau froh war, wenn sie zumindest beim zeitaufwendigen Einkauf und bei der Zubereitung der Mahlzeiten entlastet war. Überdies waren immer mehr Frauen berufstätig und ersetzten die Männer, die als Soldaten eingezogen worden waren. So hatten sie gar nicht die Zeit für Besorgungen und Kochen.
Die Essensausgabe erfolgte auf Wochen- oder Tageskarten, die mit den Lebensmittelkarten der Versorgungsberechtigten ‚verrechnet’ wurden. So sollte missbräuchliche Nutzung verhindert werden. Die Preise für das Essen waren je nach Vermögenslage in die bereits erwähnten Kategorien A, B und C unterteilt, stiegen aber im Kriegsverlauf beträchtlich an.
Nicht alle Kunden waren zufrieden. Empört meldete der Bonner General-Anzeiger am 11. Februar 1917: „Ein junger Mann, dem das Essen am Montag anscheinend nicht mundete, schüttete den ganzen Inhalt unter die Bank. Vielleicht wird er einmal draußen im Feld recht an das Ausschütten der Suppe zurückdenken!“ Gelegentlich entspann sich eine Diskussion über die Qualität der Mahlzeiten, wie sie zum Beispiel in der Rubrik „Sprechsaal“ im Bonner General-Anzeiger ausgetragen wurde. Eine „Nudelfreundin“ hatte beklagt, dass die Nudeln zu einem Brei verklumpt waren, weil sie für die Zubereitung in einer Großküche einfach nicht geeignet waren. Darauf antwortete u.a. am 19. Januar 1917 ein „Familienvater, der 15 Monate im Felde war“: „Der sogenannte ‚Matsch’, gemeint ‚Nudelbrei’, war übrigens gut und ist von meiner siebenköpfigen Familie zwischen den Suppen als angenehme Abwechselung empfunden und gewürdigt worden [...].“ Am 16. Februar bat eine „alte Verehrerin“ in der Rubrik „Sprechsaal“ des General-Anzeigers: „Laß doch bitte das Schweinefleisch etwas länger kochen und braten. [...] Der selten schöne Genuß wird dann doppelt sein, wenn wir unsere jungen und alten Zähne etwas mehr schonen können.“
Der Bonner General-Anzeiger widmete sich am 18. Juni 1917 dem Personenkreis, der Mahlzeiten aus der Kessenicher Kriegsküche bezog: „Nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen aus den nahegelegenen Fabriken wandern zur Mittagsstunde dahin, nein, auch wirklich ‚vornehme Stadtleut’ lassen sich durch ihre Mädchen das stets bekömmliche Essen aus unseren Kriegsküchen holen.“ Aber es gab auch Menschen, die der Einrichtung mit Vorurteilen begegneten. Die Zeitung fuhr fort: „Immer noch gibt es törichte Leute, die sich genieren, mit einem Körbchen zur Küche zu gehen, um Essen zu holen. Ich trete meinen täglichen Gang zur Kriegsküche an – es war in der Stadt – da gewahrte ich zu meinem größten Erstaunen, daß man die Notentasche für Klaviersonaten als Essenskörbchen benutzte. ‚Warum holen Sie gnädiges Fräulein Ihr Essen in der Notentasche?’ fragte ich. ‚Ach, war die Antwort, die Leute schauen einen immer so an, wenn man Essen von der Kriegsküche holt.’“
„Kohlenot ist Kohlebeförderungsnot ...“
Kohle- und Brennstoffmangel
Die andauernde Kälteperiode, die im Januar einsetzte, war begleitet von zunehmendem Kohlemangel. Die Engpässe bei der Versorgung wurden damit begründet, dass die Munitionsherstellung große Kohlemengen erforderte: „Der private Kohlebedarf für Heizzwecke [...] muß wesentlich herabgedrückt werden, damit die Kriegszwecke auch in dieser Beziehung vor jeder Beeinträchtigung sichergestellt sind.“ (BZ vom 08.01.17) Natürlich würde die Bevölkerung diese Einschränkungen im Dienste einer guten Sache gerne auf sich nehmen: „Das Vaterland [...] wird sich gewiß nicht getäuscht sehen.“
Ende Januar wurden die Appelle konkreter: „Die Bürgerschaft wird gebeten, den Verbrauch an Brennstoffen dadurch einzuschränken, daß – auch bei Zentralheizungen – nur die unbedingt notwendigen Räume beheizt werden. Die Kohlehändler sollten nach Möglichkeit ihre Vorräte nur in kleinen Mengen verkaufen, damit recht weite Volkskreise auch weiterhin ihre Wohnung heizen können.“ (BZ vom 30.01.17) Vor Hamsterkäufen wurde gewarnt. Um die ärgste Not zu lindern, hatte die Stadtverwaltung bei 10 Kohlehändlern besondere Verkaufsstellen eingerichtet, in denen die ärmere Bevölkerung Briketts gegen Gutscheine erstehen konnte.
Am 13. Februar ließ das Lebensmittelamt in der Bonner Zeitung verlautbaren: „Kohlenot ist Kohlebeförderungsnot, denn bei den ungeheuren Kohlevorräten kann es Kohlenot ja eigentlich nicht geben.“ Die schlechte Versorgungslage in Bonn wurde mit den schwierigen Beförderungsverhältnissen begründet. So hatte das Treibeis auf dem Rhein zum Erliegen der Schifffahrt geführt. Eine Reihe von Kohlekähnen hatte zum Beispiel im Oberwinterer Hafen Schutz suchen müssen. Die Stadt rühmte sich, mit Hilfe des Kriegsamtes in Düsseldorf die Kohle beschlagnahmt zu haben, um sie mühsam abzuladen und mit Wagen nach Bonn zu transportieren. Außerdem sollte Braunkohle mit den Köln-Bonner Kreisbahnen herangeschafft werden. Priorität bei der Versorgung hatten Lazarette und Krankenhäuser. Für die ärmere Bevölkerung wurden 20.000 Zentner Kohle bereitgestellt, die gegen Gutscheine ausgegeben werden sollten.
Um Kohle zu sparen, mussten bereits ab dem 8. Februar nach einer Verfügung des stellvertretenden kommandierenden Gouverneurs des 8. Armeekorps „alle Theater, Kinos, Schulen, Hochschulen und Museen geschlossen bleiben. Nach dieser Verordnung sind alle Wirtschaften um 10 Uhr abends zu schließen.“ (GA vom 07.02.17) Diese Verfügung galt auch für Vergnügungsstätten aller Art. Und selbst das Victoriabad, für viele Bonner und Bonnerinnen die einzige Möglichkeit, ein Vollbad zu nehmen, wurde geschlossen.
Die Bevölkerung fror; Ablenkung vom Kriegsalltag durch Kino, Varieté, Theater entfiel, und in der Stadt war es dunkel geworden. Bereits am 13. Dezember 1916 hatte der Bonner General-Anzeiger gemeldet: „Die Einschränkung der Beleuchtung, die aus Kriegsnotwendigkeit angekündigt war, tritt nunmehr nach gestrigem Beschluß des Bundesrates mit Freitag, 15. d. M., in Kraft.“ Als Konsequenz wurde jede Art Leuchtreklame verboten: Kein Geschäft, kein Lokal, kein Kino oder Theater durfte fortan beleuchtet sein. Die Deutsche Reichs-Zeitung informierte ihre Leserinnen und Leser am 16. Dezember, dass „gestern schon alle Lokale pünktlich die Anordnung befolgt“ hätten.
Die Polizeistunde wurde zunächst auf 22 Uhr festgesetzt, dann aber zeitweise um eine Stunde auf 23 Uhr verschoben. Für Silvester wurde eine Ausnahme erlaubt (1 Uhr), ebenso für den Geburtstag des Kaisers am 27. Januar (24. 30 Uhr). Der Ladenschluss wurde auf 19 Uhr vorgezogen, eine Ausnahme sollte für den Samstag gelten (20 Uhr); außerdem sollten Geschäfte, die Lebensmittel verkauften, länger geöffnet bleiben, woraufhin sich die Diskussion entzündete, ob Tabakwaren als Lebensmittel angesehen werden dürften: Am 4. Februar 1917 berichtete der Bonner General-Anzeiger: „Der Verein aller Tabakinteressierten hatte an den Minister für Handel und Gewerbe eine Eingabe gerichtet, in der darum gebeten wurde, auch den Tabakhändlern ebenso wie den Lebensmittelhändlern zu gestatten, ihre Geschäfte bis 8 Uhr abends offen zu halten.“ Die Eingabe wurde abgelehnt. Die Regelungen der Geschäftszeiten blieben über den Winter hinaus bestehen.
Nicht nur Geschäftsleute sollten sparen. Die Bonner Zeitung appellierte am 8. Januar 1917 an alle Bonner und Bonnerinnen: „Um den Lichtverbrauch in gewünschtem Maße einzuschränken, ist aber nicht nur der durch die Bundesratsverordnung begründete Zwang, sondern auch die bereitwillige Mitwirkung aller Privatpersonen, der Hausbesitzer und des ganzen Publikums unerlässlich.“ In Privathäusern war die dauernde Beleuchtung der Treppenhäuser nach 21 Uhr seit dem 15. Dezember 1916 ohnehin schon untersagt.
Das Reisen wurde schwieriger, denn der Eisenbahnverkehr wurde zunehmend eingeschränkt. Und: „Man muß damit rechnen, daß auf langen Strecken der Personenzugverkehr ganz ausfällt. Der Verbrauch an Material, Kohle und Arbeitsleitung des Personals ist so bedeutend, da er im Interesse der Kriegswirtschaft unbedingt reduziert werden muß.“ (GA vom 16.02.17)
Der andauernde Frost verbunden mit eingeschränkten Heizmöglichkeiten zeitigte noch ganz andere Folgen. Immer wieder wurde die Bevölkerung aufgefordert, die Wasserleitungen vor Frost zu schützen: „Fenster in Räumen mit Wasserleitungen müssen geschlossen und nötigenfalls abgedichtet werden. Die Wasserleitungen sollen, soweit sie nicht frostfrei liegen, für die Nacht abgesperrt und entleert werden.“ (DRZ vom 31.01.17) Die Vorsichtsmaßnahmen, so sie denn überhaupt getroffen wurden, waren unzureichend. Am 14. Februar schrieb der General-Anzeiger über umfangreiche Wasserleitungsschäden durch den Frost: „In der Altstadt, auf dem Kaiserplatz, im Hofgarten, auf der Römerstraße und in den Vororten sind zahlreiche Arbeiter damit beschäftigt, die durch den Frost gesprengten Wasserleitungen auszuwechseln. [...] Nach Hunderten zählen die Haushaltungen, die durch das Einfrieren der Leitungsrohre stark behindert sind.“
Zur Kohleknappheit trat der infolgedessen der Wassermangel. Frauen und Mädchen, so der Bericht, schleppten Wassereimer durch die Straßen; das Wasserwerk schickte einen Sprengwagen aus, um die Wassernot zu lindern. Die Deutsche Reichs-Zeitung meldete am gleichen Tag: „Mit dem Nachlassen des Frostes stieg die Gefahr des Platzens.“ Sie empfahl zur Vorbeugung von Frostschäden, das Hauptventil abzustellen und nur morgens und abends eine halbe Stunde zu öffnen, um Wasser zu entnehmen. Die Behebung von Frostschäden, so warnte die Zeitung, sei eine langwierige Angelegenheit: „Es fehlt an Installateuren, an Material wie Bleirohren, Lötzinn, Benzin und Spiritus für die Auftauapparate [...].“
Das von der Deutschen Reichs-Zeitung vermerkte Nachlassen des Frostes führte zur Entspannung, aber nicht zum Ende des Kohlenmangels: Am 18. Februar gab die Bonner Zeitung bekannt, dass die Verfügung bezüglich der Schließungen zwar in Kraft bleibe, die Universität und die Landwirtschaftliche Akademie aber am 20. Februar wieder ihren Betrieb aufnehmen könnten. Am 22. Februar kündigte die Bonner Zeitung die Wiederaufnahme des Schulunterrichts für den kommenden Montag an. Die Volksschulen sollten indes erst am 27. Februar wieder öffnen. Geschlossen blieb allerdings vorerst das beliebte Victoriabad, wie „mehrere Freunde des Wassers und der Seife“ in der Rubrik „Sprechsaal“ des General-Anzeigers am 22. Februar beklagten: „Weil die Seife jetzt so teuer ist, ist einem ein erfrischendes Bad willkommen. Ich meine, soviel Kohlen kann Bonn doch noch liefern.“ Diese „Freunde des Wassers und der Seife“ mussten sich auf lange Entbehrungen einstellen. Und selbst „Mehrere im Felde stehenden Schwimmer“ appellierten angesichts ihres bevorstehenden Heimaturlaubs vergeblich an die Verantwortlichen: „Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns den ‚Somme- und Champagne-Dreck’ mal gründlich abwaschen, und uns als alte Schwimmer der Schwimmhalle des Viktoriabades erfreuen.“ (GA vom 23. März 1917) Am 17. April berichtete der General-Anzeiger zwar: „Das Victoriabad hat seit kurzem zwar teilweise seinen Betrieb aufgenommen, ist aber trotz der langen Pause in seinen Brausebadeinrichtungen nicht recht betriebsfähig. Die Brausen lassen kein kaltes Wasser durch. Ein Mischen des heißen Wassers mit kaltem Wasser ist also unmöglich. Natürlich ist das für die Gesundheit der Badenden recht unzuträglich.“ Aber am 4. Mai folgte die Mitteilung der Stadtverwaltung: „Betreffs des Städtischen Victoriabads besteht wegen des Kohlemangels keine Aussicht, daß die Schwimmhallen während des Sommers geöffnet werden können, dagegen werden bei zunehmender Wärme alsbald die Rheinbäder den Schwimmern zur Verfügung stehen.“
Kinos, Varieté und Operettentheater durften zumindest an Wochenenden wieder ihre Pforten öffnen; es blieb allerdings vorläufig bei der Polizeistunde um 10 Uhr. Erst am 7. März meldete die Bonner Zeitung, „daß die Verordnung des Gouverneurs, der die Polizeistunde für Wirtschaften auf 10 Uhr festsetzte und die Schließung der öffentlichen Theater, Lichtspielhäuser, Konzert- und Versammlungssäle verfügte, aufgehoben ist. Die Polizeistunde für Wirtschaften ist von heute ab wieder auf 11 Uhr festgesetzt, Theater, Kinos und Vergnügungsstätten müssen um 10 Uhr schließen.“
Auch wenn die größte Not beseitigt war, blieb die Situation prekär. Am 25. April gab die Bonner Zeitung die baldige Einrichtung einer „Ortskohlenstelle“ bekannt, um „im nächsten Winter die Brennstoffversorgung der Bevölkerung und der Industrie zu sichern und zu regeln“. Die Stadt Frankfurt verbot im April 1917 das Beheizen von öffentlichen Räumen. Vergnügungssäle aller Art durften bis auf weiteres nicht mit Brennstoffen beliefert werden, „auch Warmwasserversorgungen aller Art dürfen nicht mehr betrieben werden“. Eine solche Einschränkung, beruhigte die Bonner Zeitung am 26. April die Bonner Bevölkerung, sei für den Bereich des 8. Armeekorps nicht geplant, aber ein sparsamer Umgang mit Kohle sei unbedingt erforderlich und „ist nach wie vor vaterländische Pflicht“.
„Und wir trotzen allen Unbilden, denn der Sieg ist uns gewiss!“
Ein Fazit
Und so sehr sich die Versorgungssituation auch im vergleichsweise wohlhabenden Bonn im eiskalten Winter 1916/17 verschlechterte: Auf den Titelseiten der Tageszeitungen wurde nach wie vor und baldigst gesiegt; die Bonner Gruppe des Alldeutschen Verbands schürte nach weiterhin den Glauben an den Siegfrieden, und alle Teilnehmer unterzeichneten pflichtschuldig die entsprechende Entschließung. Die Entbehrungen, die in allen Bereichen des täglichen Lebens zu erfahren waren, tapfer zu ertragen, wurde unverdrossen als vaterländische Pflicht angemahnt, die man den „braven Feldgrauen“ schuldig sei. Die wirkliche Stimmung in der Bevölkerung lässt sich anhand der Tageszeitungen indes nur sehr indirekt erschließen. Aber manches deutet darauf hin, dass selbst Politik und Verwaltung in Bonn sich auf eine längere Dauer des Kriegs einstellten und nicht an den baldigen Sieg glaubten: Man dachte – wie auch in anderen Bereichen – bereits an einen Kriegswinter, der weitere Entbehrungen bringen könnte. Eine Einrichtung wie die Bonner Ortskohlenstelle mag ein Indiz dafür sein, ebenso wie die Einlagerung von Speck, die der Bonner Bevölkerung im kommenden Winter willkommen sein dürfte!
Sabine Harling
Literatur:
Chickering, Roger: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914-1918. Paderborn 2009.
Schröder, Stephen: „Wann mag dieses Elend enden?“ Die Versorgungs- und Ernährungssituation in Bonn während des Ersten Weltkriegs. In: Der Erste Weltkrieg in Bonn. Die Heimatfront 1914-1918. Hrsg.: Geppert, Dominik und Schlossmacher, Norbert. Bonn 2016.
Vogt, Helmut: Bonn in Kriegs- und Krisenzeiten 1914-1948. In: Geschichte der Stadt Bonn, Band 4. Hrsg. Höroldt, Dietrich. Bonn 1989.