Mittwoch, 25. April 1917
Aus dem städtischen Lebensmittelamt
Infolge der langandauernden schlechten Witterung ist die
Gemüseknappheit
noch immer groß. Wenn jedoch das Wetter, wie zu hoffen ist, nunmehr sonniger wird, so wird auch bald wieder Gemüse auf den Markt kommen. Auf Veranlassung der Reichsstelle für Gemüse und Obst werden nun auch endlich die Höchstpreise für das ganze Reich einheitlich geregelt werden. Schon in den nächsten Tagen wird eine entsprechende Verordnung für die Höchstpreise des Frühgemüses im Regierungsbezirk Köln erlassen werden. Durch diese einheitliche Regelung wird vor allem die bedauerliche Erscheinung eingeschränkt werden, daß das Gemüse aus der Stadt Bonn und ihrer Umgebung in andere Gegenden wandert, während die Bonner Bevölkerung selbst nur ungenügend versorgt wird. Die jetzige gemüsearme Zeit sollte von neuem daran mahnen, alle nur irgendwie nutzbare Stoffe auch wirklich der menschlichen Ernährung zuzuführen. Leider geschieht das noch nicht überall, und namentlich die Einführung der wildwachsenden Gemüse in unsere Küchen begegnet noch vielen Vorurteilen, obwohl viele unserer Wildpflanzen ganz vorzüglich schmecken. In erster Linie wäre in diesem Zusammenhang der gewöhnlichen
Brennessel
zu gedenken, die jetzt überall, selbst im Inneren der Stadt so massenhaft anzutreffen ist, daß sie leicht pfundweise gesammelt werden kann. Die günstigste Zeit zum Ernten des Brennesselgemüses ist jetzt. Man verachte die Brennessel nicht und lasse sich durch ihren schlechten Ruf nicht davon abhalten, sie einmal als Gemüse zu versuchen. Gelegenheit dazu wird der Bonner Bürgerschaft schon in den nächsten Tagen gegeben sein, da die Brennessel auch auf der städtischen Gemüseverkaufsstelle auf dem Markt verkauft werden soll. Es kann sich dann jeder von dem vorzüglichen Geschmack der wie Spinat zubereiteten Brennessel überzeugen, vom Spinat unterscheidet sich das Brennesselgemüse nur durch seinen billigeren Preis.
Die Milchversorgung
ist noch immer recht knapp. Es hält schwer, die Versorgungsberechtigten, also die Schwerkranken und die Kinder bis zum sechsten Lebensjahr, mit der ihnen zustehenden geringen Milchmenge zu versorgen. Bei dieser Sachlage muß es geradezu als frevelhaft bezeichnet werden, da es immer noch Familien gibt, die sich durch Durchstechereien mit den Milchhändlern ohne Milchkarte Milch verschaffen. Dieses Vorgehen kann nicht scharf genug an den Pranger gestellt werden. Die Hausfrauen sollten doch endlich einsehen, daß es in der jetzigen Zeit, in der alles von der glatten Durchführung der Ernährung abhängt, einer deutschen vaterländischen Gesinnung unwürdig ist, durch Hintertüren die gesetzliche Regelung zu durchbrechen. Dasselbe gilt von dem noch immer in lebhafter Blüte stehendem Schleichhandel mit Mehl, Butter, Fleischwaren usw.
Die Kartoffelversorgung
ist für die nächsten Wochen gesichert. Unverständlich bleibt es, daß die getrockneten Steckrüben noch immer so wenig Zuspruch finden. Die getrockneten Steckrüben werden von dieser Woche ab nicht mehr rationiert, sondern im freien Handel abgegeben werden. Es kann sich also jeder einen kleinen Vorrat für seinen Haushalt erwerben, und das zu tun wird dringend angeraten. Näheres wird noch im Laufe dieser Woche bekannt gemacht werden.
Die Teilnehmerzahl der
Kriegsküchen
hat sich mit 6500 auf der Höhe der vorigen Woche gehalten.
[...]
Um im nächsten Winter die Brennstoffversorgung der Bevölkerung und der Industrie zu sichern und zu regeln, wird in den nächsten Tagen in Bonn eine
Ortskohlenstelle
eingerichtet werden. Der Leiter der Ortskohlenstelle wird im engen Einvernehmen mit der Kriegsamtsstelle in Koblenz arbeiten und zu seiner Beratung Sachverständige aus den Kreisen des Kohlehandels und der Industrie heranziehen, er kann auch nach den Bestimmungen des Kriegsministeriums für die notwendigen Arbeiten fachkundige Hilfskräfte nach dem Hilfsdienstpflichtgesetz heranziehen. [...]
(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)
Saatkartoffeln. Bei der herrschenden Knappheit an Saatkartoffeln besteht die Gefahr, daß man auch zu Knollen greift, die von kranken Pflanzen stammen. Solche Kartoffeln sind besonders zahlreich vorhanden, weil in den letzten beiden Jahren die vererbliche Blattrollkrankheit, schwarzbraune Flecken an den Rippen und den zurückgekrümmten Blättern, geherrscht hat. Es wird deshalb dringend gewarnt vor solchen Kartoffel, die beim Durchschneiden nach der Schale einen dunkelgelben Strich zeigen. Nur gesunde Knollen geben gesunde Frucht. Dabei darf der Boden, der im vorigen Jahr mit Kartoffeln bepflanzt war, nicht wiederum mit Kartoffeln bestellt werden.
(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)
Den Zwieback-, Keks-, Honig- und Lebkuchenfabriken ist der Verkauf ihrer Erzeugnisse durch Anordnung der Reichs-Getreidestelle vom 11. April 1917 vorläufig untersagt. Die bereits im Zwischenhandel befindliche Ware darf noch weiter abgegeben werden, soweit dem nicht andere behördliche Verfügungen entgegenstehen. Bis zur neuen Ernte wird der freie Handel mit Zwieback, Keks und Lebkuchen daher voraussichtlich ausgeschaltet sein. In welcher Weise die Bestände der einzelnen Betriebe Verwendung finden sollen, ist noch nicht entschieden, wahrscheinlich werden sie durch Vermittlung der Lebensmittel-Zentralen den Kommunalverbänden zwecks Verteilung an Kinder und Kranke zugewiesen werden.
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)
Städtisches Kleingeld. Städtisches Kleingeld ist nunmehr fast in allen Städten eingeführt worden. Nur Bonn, das freilich mit der Lebensmittelversorgung so sehr gut steht, entbehrt noch dieses von allen Geschäftsleuten so sehnlichst erwartete Hilfsmittel für den Geschäftsverkehr. In der Stadtverordnetensitzung wurde vor langer Zeit darauf hingewiesen, daß die Verhandlungen mit den beiden Kreisen Bonn-Land und dem Siegkreise die Ausgabe verzögerten. Nachdem aber nunmehr auch die beiden Kreistage sich für die Ausgabe ausgesprochen und die Garantien genehmigt haben, dürfte es nunmehr an der Zeit sein, daß den dringenden Wünschen der Geschäftsleute auch nachgekommen wird. Was es übrigens mit den Vereinbarungen der drei Kreise über gemeinschaftliches Geld auf sich hat, zeigt nunmehr eine nunmehr andere in der Tat bereits geübte Gewohnheit vieler Bonner Geschäftsleute, die auf das Bonner Geld eben nicht warten konnten und aus der Not eine Tugend machten. Sie nehmen heute schon das Kölner Kleingeld gern in Zahlung. Andererseits würde dieses auch in Köln umgekehrt der Fall sein, wenn wir erst einmal das Geld hätten. Auf diese Weise hätten auch die Geschäftsleute von Bonn und Umgebung sich selber in der Tat schneller geholfen, als durch lange Verhandlungen, die die Sache doch nur in die Länge zogen und damit auch die Abhilfe. Probieren geht doch auch hier über Studieren. Athanasius
(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Stimmen aus dem Leserkreis“)