Montag, 27. Juli 1914

Noch bevor am 28. Juli die offizielle Kriegserklärung Österreichs an Serbien erfolgt, ist der Krieg für die Bonner Presse schon ein Faktum. Die Reichszeitung titelt „Der Krieg zwischen Oesterreich und Serbien", der General-Anzeiger lapidar „Krieg" und die Bonner Zeitung etwas zurückhaltender „An der Schwelle des Krieges". 

 

Wie man in Bonn die österreichisch-serbischen Meldungen aufnahm. Der österreichisch-serbische Konflikt, der die Welt in Aufregung hält, hat auch in unserer Stadt große Spannung hervorgerufen, die durch die letzten Nachrichten noch gesteigert wurde. Ohne Zweifel, man stand vor wichtigen Ereignissen, deren Tragweite man ahnen, aber noch nicht voraussehen konnte. Von 6 Uhr abends ab (dem Zeitpunkt des Eintreffens der Antwortnote an Österreich) sammelte sich das Publikum vor unserer Geschäftsstelle an der Bahnhofstraße. Die Menschenmenge vergrößerte sich zusehends. Mit fieberhafter Spannung erwartete man das Eintreffen weiterer Nachrichten. Das Telephon rasselte ununterbrochen. Zeitweise klingelte es auf vier Leitungen zu gleicher Zeit. Nicht allein aus Bonn kamen Anrufe, sondern aus unserm ganzen Verbreitungsbezirk und darüber hinaus. Inzwischen wurde das erste Extrablatt herausgegeben. Danach hatte es den Anschein, als ob Serbien den österreichischen Forderungen nachkommen würde. Das Extrablatt wurde verhältnismäßig kühl entgegengenommen. Nach den Mienen und Äußerungen des Publikums schien es sogar, als ob man etwas enttäuscht sei und etwas ganz anderes erwartet habe. Inzwischen aber hatte uns der Draht ganz andere Nachrichten übermittelt. Danach hatte Serbien eine ungenügende Antwort auf die österreichische Note erteilt, die diplomatischen Beziehungen waren abgebrochen und die Mobilisierung bekannt gemacht worden.

Das Publikum hatte sich in immer größerer Menge vor unserer Geschäftsstelle angesammelt. Damen und Herren, die unsere Expedition aufsuchen wollten, hatten Mühe, durchzukommen. Die fieberhafte Spannung wuchs, als bekannt wurde, daß ein zweites Extrablatt gedruckt werde. Als dann die ersten schmalen Extrablätter zur Austeilung kamen, war das Gedränge beängstigend. Die obere Bahnhofstraße war trotz des grauen Regenhimmels dicht mit Menschen besetzt, die die Extrablätter hastig an sich nahmen. Begeisterte Hochrufe erschollen. Es war, als ob die plötzliche – wenn auch verhängnisvollere – Wendung der Dinge sympathischer und befriedigender aufgenommen werde. „So ist’s recht, so muß es kommen, endlich mal Klarheit!“ So schwirrten die Meinungen durcheinander. Nicht allein von jüngeren Leuten, sondern auch von gereiften Männern aus allen Kreisen wurde dieser Meinung Ausdruck gegeben. Es gab natürlich auch Leute, die den Kopf schüttelten und von schwerer Zeit redeten. Dazwischen wurde „Deutschland, Deutschland über alles“ gesungen und Hochrufe ausgebracht. Um die Extrablätter schneller zur Verteilung zu bringen, wurden die Blätter packweise vom ersten Stockwerk unserer Geschäftsstelle herab geworfen.

Der Straßenverkehr war überaus lebhaft. Überall bildeten sich Gruppen, die, unser Extrablatt in der Hand, eifrig diskutierten. In den Wirtschaften war bis spät in die Nacht hinein reges Leben. Die Ereignisse mussten besprochen werden, ans Nachhausegehen dachte so leicht keiner. Auf dem Kaiserplatz veranstalteten Studenten vor dem Kaiser Wilhelm-Denkmal eine patriotische Kundgebung. Unsere Telephonleitungen wurden bis spät in die Nacht hinein in Anspruch genommen.

Aus allem aber hörte man die herzliche Brüderschaft, die Sympathie, die uns mit Österreich verbindet und das „Einigsein“ mit seinen Schritten wohltuend heraus.

In den Kreisen der Bürgerschaft äußerte sich am gestrigen Sonntag nach der Kenntnisnahme unserer Sonderausgaben eine Stimmung, wie sie sich ähnlich 1870 bei der Kriegserklärung gegen Frankreich kundgab. Der alte von Loe, der nachmalige Generalfeldmarschall, der 1870 unseren Königshusaren ein tapferes Vorbild war, erzählte in seinen Erinnerungsblättern mit besonderer Vorliebe von jenen ernst-erhebenden Bonner Tagen vor dem 70er Feldzug, wo unsere akademische Jugend sich mit heller Begeisterung freiwillig den Regimentern einreihte und mit den jungen Gelehrten darin wetteiferte, die von den Lehrstühlen und aus den Kliniken eilten, um der Sache des Vaterlandes ihre Kräfte zu leihen. Und auch in der übrigen Bürgerschaft Bonns lohte damals die Begeisterung hoch auf, als nach der denkwürdigen Szene zu Ems die Kriegswürfel gefallen waren und aus allen Ständen und Berufen die waffenfähigen Söhne zu den Fahnen eilten. Noch ist es heute nicht so weit, noch haben die Kanonen nicht gesprochen. Aber was sich beispielsweise gestern in der Poppelsdorfer Allee abspielte, wo die Menge nach den Klängen des Trompeterkorps, eben der alten „Lehm ops“, die „Wacht am Rhein“, das Preußenlied und die österreichische Nationalhymne sang, war ein würdiger Auftakt für die Stimmung, die uns erfüllen muß, wenn wir uns als Bonner unserer Väter würdig zeigen wollen.

Nicht minder erhebend wirkte es, als eine große Schar von Studenten vor das Haus des Universitätsrektors Geheimrat Schulte und vor die Villa unseres Herrn Oberbürgermeisters Spiritus zog, um hier ebenso wie vor dem Kaiser Wilhelm-Denkmal und dem Arndt-Denkmal und auf dem Markte Kundgebungen zu veranstalten, die von einer patriotischen Begeisterung unserer Jugend Zeugnis ablegten. Auch in den öffentlichen Lokalen zeigte sich eine österreich-freundliche, bundesbrüderliche Stimmung.

 (Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Vaterländische Kundgebungen fanden am Samstag und am Sonntag wie in anderen Städten auch in Bonn statt. Samstag abend zogen nach dem Bekanntwerden der Nachricht, daß Serbien die österreichische Note ungenügend beantwortet habe, Gruppen durch die Straßen und sangen die deutsche und österreichische Nationalhymne sowie die Wacht am Rhein. Eine Anzahl von Studenten zog vor das Kaiser-Wilhelm-Denkmal, andere zogen vor die Wohnung des Universitätsrektors, Geheimrat Schulte, der eine kurze Ansprache an die Studenten hielt. Auch bei dem gestrigen Promenadenkonzert in der Poppelsdorfer Allee kam es zu begeisterten patriotischen Kundgebungen.

Städtisches Gymnasium: Der Literarische Verein am Städtischen Gymnasium veranstaltetMittwoch Nachmittag ½ 7 in der Aula einen Unterhaltungsabend.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

 

Die Kriegsnachrichten halten ganz Bonn seit Samstag abend in Aufregung und Spannung. In der Nacht zum Sonntag wurden die Straßen nicht leer, die größeren Gasthäuser waren bis zum Morgen geöffnet und von nichts anderem wurde gesprochen, als von den Nachrichten aus Wien und Budapest, die die Extrablätter der Zeitungen verbreitet hatten. Vor dem Hause der Deutschen Reichszeitung warteten am Samstag abend bis spät in die Nacht und den gestrigen ganzen Tag eine nach Hunderten zählende Menschenmenge auf die neuesten Depeschen. An vielen Stellen kam in patriotischen Liedern die allgemeine Sympathie für Oesterreich zum Ausdruck. In der Sonntagnacht wurde in den Gasthäusern und auf der Straße die deutsche und österreichische Nationalhymne und „Die Wacht am Rhein“ gesungen. Eine große Anzahl Studenten zog zum Kaiser-Denkmal und zum alten Zoll. Einer der Studenten hielt am Kaiser-Denkmal eine Rede, die in ein Hoch auf den deutschen und den österreichischen Kaiser ausklang, auf dem alten Zoll sangen die Studenten das Arndt’sche Freiheitslied: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte. Später zogen sie auch vor die Wohnung des Universitätsrektors. Auf die Ansprache eines Studenten erwiderte der Rektor mit einer kurzen Rede.

Auch bei dem Promenadenkonzert, das jeden Sonntag in der Poppelsdorfer Allee von einer Militärkapelle ausgeführt wird, kam es gestern mittag zu begeisterten patriotischen Kundgebungen. Als die Musik zum Schlusse „Heil Dir im Siegerkranz“ spielte, sangen viele Hundert mit und als die Nationalhymne geendet, brach die Menge spontan, wie aus einem Munde in eine dreifaches Hoch auf den Kaiser aus.

In Siegburg mußte die Pionierkapelle, die im „Herrengarten“ ein Konzert gegeben hatte, auf Wunsch der Zuhörer zum Marktplatz ziehen. Hunderte folgten ihr in langem Zuge und sangen zu den Klängen der Musik die österreichische Nationalhymne „Gotte erhalte Franz den Kaiser“ und „Die Wacht am Rhein“.

Auch in der vergangenen Nacht war es in den Straßen Bonns lebhafter als sonst. Gewitterschwüle liegt in der Luft, jeder spürt, daß ein großes Ereignis der Weltgeschichte seinen Anfang genommen hat.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)