Mittwoch, 9. Dezember 1914

Anzeige im General-Anzeiger vom 9. Dezember 1914Ein Brief aus einem englischen Gefangenenlager. Aus einem uns zur Verfügung gestellten Brief eines Deutschen, der in Ostende wohnte und der gegenwärtig im englischen Gefangenenlager Brixton festgehalten wird, entnehmen wir folgendes:

„Brixton, den 25.11.14. Bis gestern durften wir nicht nach Deutschland schreiben. Seit einer Woche sind wir hier und erhielten Erlaubnis, überall, nur nicht nach Deutschland und Österreich, zu schreiben. Ich will euch nun in kurzen Umrissen meine Irrfahrten schildern. Am 17. Juli, als ich nach einer mehrtägigen Reise in Ostende eintraf, wurde ich ohne weiteres unter dem Vorwande, ich sei flüchtig, festgenommen. Als ich das Gegenteil bewies, wurde mir vorgehalten, ich würde festgehalten, weil ich in der Stammrolle nicht eingetragen sei. Zum Appell müsste ich nach Gent und unterdessen brach der Krieg aus. Ich kam wieder nach Furnes und wurde nicht losgelassen. In Furnes brach ich aus, konnte aber Deutschland nicht mehr erreichen, versuchte durch Frankreich durchzukommen, oder Fühlung zu bekommen, wurde jedoch zwischen Amiens und Rennes ziemlich schwer verwundet und nach Valenciennes geschleift und später nach Dünkirchen, wurde halb geheilt, als die Deutschen näher kamen, wieder nach Belgien über Ostende nach England geschleift. Die Behandlung durch die Franzosen und Belgier ist nicht zu beschreiben, also Anzeige im General-Anzeiger vom 9. Dezember 1914haarsträubend. Wir blieben nun in England zwei Tage unter freiem Himmel, kamen dann vier Wochen in ein Militärgefängnis und sind seit dem 10. Nov. in Brixton, einer Vorstadt Londons, wo wir sehr, sehr human und anständig behandelt werden, deshalb ist es eure Pflicht und auch unser Wunsch, daß ihr die Engländer auch gut gehandelt. (In diesem letzten Satz sind im Brief die Worte „sehr, sehr human“ doppelt, wie die übrigen Worte bis zum Schluß einfach unterstrichen. Es ist klar, daß der Briefschreiber durch die Unterstreichung und durch das übertriebene Loben der Behandlung als „sehr, sehr human und anständig“, das gerade Gegenteil von dem sagen will, was er unter der Kontrolle der englischen Zensur niederschreiben mußte. Daß die Behandlung in England „gar nicht zu beschreiben, also haarsträubend“ ist, ebenso wie die durch die Franzosen und die Belgier, ergibt sich schon ohne weiteres daraus, daß er zunächst unter freiem Himmel, dann vier Wochen in einem Gefängnis gefangen gehalten wurde. D. Red.) Habe Eingabe zur Beförderung nach Griechenland gemacht. Dieselbe könnte Erfolg haben, wenn Ihr meinem früheren Chef schreibt, er möge mich reklamieren. Seine Adresse ist: Exzellenz Chakir Pascha Splendid Palace Hotel. Saloniki, wenn ich so oder durch Austausch gegen einen mit England Verbündeten nicht befreit werde, muß ich als Krieggefangener hier bleiben bis Schluß des Krieges. Mehr darf ich nicht schreiben.“ –

Interessant ist es, daß dieser Deutsche schon am 17. Juli wegen militärischer Angelegenheiten verhaftet wurde. Man wollte ihn offenbar zwingen, in das belgische Heer einzutreten.

Verabreichung von Alkohol an Unteroffizieren und Mannschaften. Wir machen auf die neuerliche Bekanntmachung des Garnisonskommandos aufmerksam, nach der es den Wirten verboten ist, Soldaten nach 9 Uhr abends Alkohol zu verabreichen.

Schwindel mit Grogwürfeln. Das Stellvertretende Generalkommando des 1. bayrischen Armeekorps gibt bekannt: Gewarnt wird vor dem Ankauf von „Dr. Oppenheims echten Grogwürfeln, Marke Südpol“. Sie sind in Feldpostbriefe verpackt und für unsere Soldaten im Felde bestimmt. Nach dem Aufdruck auf den Etiketten bestehen diese Würfel angeblich aus feinstem Rum und Zucker und sollen, in heißem Wasser aufgelöst, ein Weinglas voll Grog ergeben. Tatsächlich beträgt der Alkoholgehalt der Würfel nur 6,8 Prozent; dem Zucker ist Gelatine beigemengt, es lässt sich selbst mit Beigabe von nur geringen Mengen heißen Wassers kein grogähnliches Getränk erzielen. Das Rohmaterial für 10 Würfel kostet ungefähr 10 Pf., der Verkaufspreis beträgt 1. Mark.

Im Metropoltheater wird in dieser Woche ein vaterländisches Schauspiel „Durch Pulverdampf und Kugelregen“ vorgeführt, das das Interesse der Zuschauer bis zum letzten Augenblick fesselt. Trotz des ernsten Hintergrundes, der Weltkrieg 1914, fehlt es nicht an belustigenden Szenen. Auch dem Lustspiel „Ihre Hoheit“ folgt das Publikum mit Spannung und erfreut sich an den lustigen Streichen, die Prinzessin Viktoria (Henny Porten) vollbringt. Der übrige Teil des Programms reiht sich diesen beiden Stücken würdig an.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 9. Dezember 1914Für unsere Wirte und Cafetiers. Das Garnisonskommando hat Veranlassung, erneut auf das Verbot des Aufenthalts von Unteroffizieren und Mannschaften in Wirtschaftslokalen nach 10 bzw. 9 Uhr abends hinzuweisen. Mehrfache hier bekannt gewordene Zuwiderhandlungen lassen erkennen, daß nicht alle Besitzer bezw. Inhaber von Schankwirtschaften sich über die evtl. Folgen solcher Verstöße klar sind. Das Garnisonskommando weist daher darauf hin, daß bei wiederholten Zuwiderhandlungen eine Herabsetzung der Polizeistunde, unter Umständen sogar Schließung des betr. Lokals verfügt werden wird. In gleicher Weise wird gegen Lokale vorgegangen werden, von denen festgestellt ist, daß
1. in ihnen an Militärpersonen in übermäßiger Weise Alkohol verabfolgt ist und
2. in denen den vom Garnisonskommando befohlenen Wirtshauspatrouillen Schwierigkeiten bei Ausübung ihres Dienstes gemacht werden.

Bonner Wehrbund. Man schreibt uns: Am Sonntag nachmittag war eine zusammengesetzte Abteilung des Wehrbundes zeitig ausgerückt und hatte alle Zugänge von Friesdorf besetzt. Inzwischen hatten sich die anderen Abteilungen auf dem Exerzierplatz vereinigt, um die besetzte Ortschaft zu nehmen. Eine Abteilung machte einen Scheinangriff auf der Fahrstraße, die vom Gute Annaberg nach Friesdorf herabführt, während die größere Masse der Angreifer nach längerer Beobachtung plötzlich quer durch den steil abfallenden Wald herabbrach und die Ortschaft von der Dottendorfer Seite stürmte. Die Besatzung hatte den Hauptangriff von der Godesberger Seite erwartet. Bei der Kritik stellte sich heraus, daß die Besatzung des Ortes viel zu schwach war, um ihn halten zu können, sodaß selbst die kleinere Abteilung, die von der Annaberger Seite nur einen Scheinangriff machen sollte, wider Erwarten mit Erfolgt hereinbrechen konnte. Die Besatzung erklärte den Sieg der Angreifer angesichts einer solchen Uebermacht Anzeige im General-Anzeiger vom 9. Dezember 1914für einen „russischen Sieg“. In zwei Kolonnen marschierten Besatzung und Angreifer über Dottendorf und Kessenich nach Bonn zurück. Unter fröhlichen Marschliedern zog der Wehrbund durch das Coblenzer Tor, über den Markt und zum Kaiser Wilhelm-Denkmal, wo Herr Professor Brinkmann eine begeisternde Ansprache hielt. Nach der Nationalhymne ordneten sich die Mannschaften in neue Kolonnen, von denen die eine zum Gottesdienst in die Münsterkirche, die andere in die Schloßkirche marschierte. Bei den Gottesdiensten gingen Herr Oberpfarrer Dechant Böhmer und Herr Pastor Kremers mit erhebenden Worten auf Sinn und Bedeutung des Wehrbundes ein und legten es auch der weiteren männlichen Jugend ihrer Gemeinden warm ans Herz, soweit sie nicht bereits dem Wehrbund angehöre, diesem beizutreten, um Geist und Körper für den Dienst des Vaterlandes zu stärken. (Neue Mitglieder melden sich am besten auf der neu eingerichteten Werbestelle im Hause Thomastraße 1, Ecke Bachstraße, im ersten Stock an, wo auch die Mützen für den Wehrbund ausgegeben werden. Es werden Mitglieder im Alter von 16 bis 45 Jahren aufgenommen. Die Werbestelle ist mittags von 12 bis 1 Uhr und abends von 7 bis 8 Uhr geöffnet.)

Die Handelsgärtner-Vereinigung Bonn und Umgegend bittet die Bürger Bonns, doch ihre Gärten instandhalten und ihre Beete und Fensterkästen mit Blumen bepflanzen zu lassen. Viele Mitglieder seien fast ganz ohne Arbeit, indem manche Herrschaften nicht mehr die bisherige Sorgfalt auf ihre Gärten verwendeten. Der Verein habe schon zwei Mal dem Roten Kreuz die Blumen für die kurz nach Ausbruch des Krieges veranstalteten Blumentage unentgeltlich geliefert und auch die Lazarette der Verwundeten mit Blumen geschmückt. Die Gärtner wollten keine Unterstützung, sondern sie bäten um Arbeit und daß man ihnen ihre Ware abkaufe.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Anzeige in der Deutschen Reichs-Zeitung vom 9. Dezember 1914Die jetzige Geschäftslage in Bonn ist, wie wir von Geschäftsinhabern erfahren, den Verhältnissen entsprechend ziemlich gut. Natürlich nur – den Verhältnissen entsprechend. Als beim Kriegsausbruch mehrere große Geschäfte schlossen, dachte man an einen ungeheuren Rückgang des Geschäftslebens, der nur mit dem Friedensschluß zum Stillstand und zum neuen Umschwung kommen würde. Aber die Geschäfte öffneten nach 8 Tagen wieder ihre Läden und dann hatten viele in den Monaten September, Oktober und November einen Umsatz, wie seit Jahren nicht mehr. Die Wollwaren-, Metzger- und Zigarrengeschäfte mußten oft das Letzte ihrer Lagervorräte in Waren, die für die Soldaten im Felde brauchbar und nützlich sind, hergeben. Die riesigen Liebesgaben-Sendungen haben gewaltige Berge an Wollwaren und Tabak verschlungen. Dagegen erlitten Porzellan-, Korb-, Spielwaren- und andere Luxusartikel-Geschäfte, ja sogar Schuhwaren- und Bäcker-Läden erhebliche Ausfälle.

Weihnachtspakete. Der Kath. Frauenbund, Zweigverein Bonn, konnte Dank der Gebefreudigkeit seiner Mitglieder und freundlicher Gönner in der vorigen Woche 510 Weihnachtspakete an die Sammelstelle des 8. Armeekorps nach Koblenz schicken. Die in 18 großen Kisten verstaute Sendung trug den Vermerk „zur beliebigen Verteilung an solche, die wenig oder garnicht bedacht sind“, was gewiß der Meinung aller freundlichen Geber entsprochen haben dürfte. Ein herzliches „Vergelt’s Gott“ sei allen, die zu der schönen Spende beigetragen haben, an dieser Stelle ausgesprochen.

Anzeige im General-Anzeiger vom 9. Dezember 1914Einbruch. In der nach zum Dienstag sind Diebe in das Modehaus „Kronprinz“ in der Gangolfstraße eingedrungen und haben eine Menge Kleidungsstücke, unter anderem Ulster, Leibwäsche, Militärsachen usw. gestohlen. Die Kleidungsstücke sind mit „Modehaus Kronprinz“ gezeichnet.

Von der Notlage des Handwerks. Ein Bonner Gärtner schreibt uns: Von meinen 35 Kunden, die alljährlich um diese Zeit ihre Gärten nachsehen, bearbeiten und gründlich pflegen lassen, haben in diesem Jahre nur fünf gärtnerische Hilfe in Anspruch genommen. Die übrigen 30 lassen entweder ihre Gärten verkommen oder versuchen die Arbeit selbst zu machen. Die Einen, weil sie Pessimisten sind und fürchten, die Franzosen könnten vielleicht doch noch kommen und alles zerstören, die anderen, weil sie es für ein Unrecht ansehen, jetzt für solche Zwecke Geld auszugeben. Eine dritte Gruppe hat die Tugend der Sparsamkeit bis zum Laster potenziert. Darunter leidet aber der kleine Geschäftsmann und der Gewerbetreibende ungeheuer. Wir sind eingerichtet auf die in jedem Jahre wiederkehrende Arbeit, wir haben unseren Betrieb den Wünschen der Kundschaft angepaßt, nun werden wir boykottiert. Das bedeutet unser Ruin. – Wir wollen keine Unterstützung; damit ist uns auch nicht geholfen, aber geben Sie uns Arbeit und kaufen Sie uns unsere Ware ab. Gönnen Sie sich ruhig auch jetzt den kleinen Luxus einer Blume, das ist keine Verschwendung, sondern patriotische Pflicht. F.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)