Freitag, 30. Oktober 1914

 

Liebigs Fleischextrakt, ein englisches Erzeugnis. Die Pharm. Ztg. Nr.77, 1914, bringt folgende, dem Matin entnommene Notiz: „Die Liebig Co. Bringt zur öffentlichen Kenntnis, daß sie eine 1865 zu London unter der Firma ‚Liebigs Extract of Meat Company, Ltd’ gründete englische Gesellschaft ist. Sie versorge gegenwärtig die französischen und englischen Truppen und deren Sanitätspersonal mit Fleischextrakt, Fleischkonserven und Oxo-Buillon.“ Die Schlussfolgerung für die deutschen Verbraucher ergibt sich von selbst.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Oktober 1914Ein Straßenbild. Eine alte, einfach gekleidete Frau mit einem Reisekörbchen hält mich auf der Straße an: Ob ich ihr das Reserve-Lazarett Nr. … zeigen könne? „Gewiß kann ich das“, und da ich gleichen Weg habe, gehen wir zusammen durch die regennassen Straßen. Wir kommen ins Gespräch. „Na, Mutter, wollen Sie ihren Sohn besuchen?“ Ja, das wollte sie, und erst stockend und dann allmählich warm werdend, erzählt mir das Mütterchen, daß sie seit vorgestern unterwegs ist, um ihren Sohn, ihren Jüngsten, zu besuchen. Er sei bei … (Sie spricht den französischen Namen in der Schreibweise aus) verwundet worden, aber wie, das wisse sie nicht. Hoffentlich sei es nicht gefährlich. Sie komme aus der Eifel (Sie nannte ein traumstilles Restchen hinter Malmedy), und sei zunächst nach Königswinter gefahren, weil dort ihr Sohn , der bei den Jägern stehe, im Lazarett liegen solle. Dort sei ihr bedeutet worden, ihr Sohn liege in Köln. Aber auch dort habe sie ihn nicht gefunden, und so sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als hier in Bonn ihr Glück zu versuchen. Ob ihr das Reisen nicht beschwerlich sei, frage ich. „Mit 77 Jahren sei es nicht gerade angenehm, aber sie besuche ja ihren Sohn, und da komme man gern.“ Ob sie nur den einen Sohn habe? Sie erzählt, daß sie drei Söhne im Felde hat. Von dem Aeltesten habe sie seit einem Monat nichts mehr gehört, der zweite, setzt sie mit zittriger Stimme hinzu, ist gefallen. – Wir gehen schweigend weiter. Dann spricht sie leise für sich hin: „Ja, der Krieg, sein Elend ist groß wie das Meer. Die Frauen wissen das am besten.“ Aber dann guckt mich das einfache Mütterchen mit dem verschrumpften lieben Gesicht nd den welken Händen von der Seite an: „Aber mein Jüngster ist für das Eiserne Kreuz vorgeschlagen.“ In ihrer Stimme liegt freudiger Stolz. „Wissen Sie“, sagt sie dann, „das läßt mich das andere leichter ertragen.“ Und dann erzählt sie mir noch viel von ihrem Jüngsten, der als Freiwilliger ins Feld gegangen sei, weil er es als Jagdhüter in den stillen Wäldern nicht aushalten konnte.“
   Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Oktober 1914Mittlerweile sind wir am Lazarett angekommen und ich frage nach dem Sohn der Mutter. „Ja, der sei da, leicht verwundet, Streifschuß am Arm.“ – „Gott sei Dank“, das ist alles, was die alte weißhaarige Frau sagt, aber man fühlt, wie ihr mit diesem „Gott sei Dank“ eine Zentnerlast vom Herzen fällt. Ich verabschiede mich von der alten Frau und gebe ihr den Rest meiner Zigarren für ihren Jüngsten. Sie drückt mir beide Hände und bedankt sich umständlich. Dann sehe ich, wie sie mit ihren alten Beinen schnellfüßig wie ein Kind die Steintreppe hinaufeilt, zu ihrem Jüngsten, der für das Eiserne Kreuz vorgeschlagen ist.

Gedenket der Armen im Winter. Im Interesse der Armen wird auf folgende zweckmäßige Einrichtung der städt. Armenverwaltung aufmerksam gemacht. Diese verkauft: Gutscheine für 1 Zentner Briketts zu 0,75 Mk., für 10 Portionen kräftiger Suppe zu 1 Mk., für 10 Fläschchen Schulmilch zu 0,60 Mk., ferner Gutscheine für Lebensmittel (Brot, Reis, Gerste, Haferflocken). – Das Verabfolgen dieser Gutscheine anstatt Geld bietet dem Wohltäter die sicherste Gewähr, daß die Armen diejenige Unterstützung, die ihnen am meisten hilft, auch tatsächlich erhalten, und aß das zu diesem Zweck etwa gegebene Geld nicht für geistige Getränke und andere unnütze Zwecke verausgabt wird.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

„Kriegslügen“? Wenn Verwundete erzählen, ihr Truppenteil sei völlig ausgerieben, mehr als die Hälfte der Kameraden sei gefallen, sie seien umzingelt gewesen, die Engländer hätten einen Damm gesprengt und viele Soldaten seien ertrunken – und nachher stellt sich heraus, daß das alles nicht wahr ist, dann hat der Verwundete noch lange nicht immer bewußt die Unwahrheit gesagt. Die erschütternden Erlebnisse auf dem Schlachtfeld haben viele Soldaten in einen Depressionszustand versetzt, für den solche Urteilsfälschungen typisch sind. Die Phantasie arbeitet bei ihnen – wie Prof. Willy Hellpach im „Tag“ ausführt – fast durchgehend stärker und üppiger, als in gewöhnlichen Tagen. Durch das Ungewohnte des Erlebnisses erregt – so sagt Prof. Hellpach weiter – überwuchert sie leicht die kritische Verarbeitung der Eindrücke – wie es schon in allen stark erregten Situationen des Lebens im Frieden der Fall ist. Sie schafft sich gern, was sie glaubt, und sie glaubt gern, was sie glauben möchte. Für die breiten Massen ist das gewissermaßen stets der Fall. Auffallend wird aber, wie die ausschmückende und leichtgläubige Phantasie im Kriege auch von den sonst viel kritischer gestimmten Gebildeten Besitz ergreifen kann. Alle, auch die abenteuerlichsten Gerüchte finden da Chancen, geglaubt zu werden, und erweisen sich einer kritischen Widerlegung unzugänglich. Die gleiche Phantasie aber, die sie begierig aufnimmt, vergrößert und schmückt sie unbewußt wieder selbst weiter – und nach einer Art seelischen Schneeballsystems verwandelt sich durch den Mund weniger Menschen hindurch irgendeine aufgeworfene Vermutung in eine abenteuerliche Behauptung, die sich jeder Korrektur unzugänglich zeigt.

Anzeige im General-Anzeiger vom 30. Oktober 1914Kathol. Frauenbund (Zweigverein Bonn). In der sehr gut besuchten Mitgliederversammlung im großen Saale des Bürgervereins erstattete die Vorsitzende, Fräulein Boettrich-Godesberg, Bericht über die Kriegsarbeit des Zweigvereins. Gleich zu Anfang des Krieges schloß sich der K. F. B. an den Vaterländischen Frauenverein an und stellte seine Mitarbeit im Rahmen der allgemeinen Kriegshilfe zur Verfügung. Dem K. F. B. fiel an erster Stelle die Kinderfürsorge zu, die er ja auch in Friedenszeiten in seinen vier Kinderhorten in umfassender Weise ausübt. Da jetzt aber drei dieser Horte zum Teil zu militärischen Zwecken belegt werden mußten, sah man sich gezwungen, nach neuer Unterkunft zu suchen. Nach vieler Mühe und Arbeit konnte man zwei leerstehende Häuser in der Thomasstraße zu diesem Zweck einigermaßen wohnlich herrichten. Die doppelte Anzahl Kinder wurde dann in den Horten von 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends verpflegt, insgesamt 400 Kinder. Zu den erheblichen Unkosten werden städtischerseits Zuschüsse geleistet. – Ferner übernahm der K. F. B. in seinem Geschäftszimmer Martinstraße 3 eine allgemeine Auskunftsstelle und die Eintragung von Arbeitswilligen. Täglich morgens und nachmittags (auch jetzt noch) sind dort Sprechstunden. In den ersten Kriegswochen ließen sich 1066 Frauen und Mädchen eintragen. Aus der neueingerichteten Nähstube des K. F. B. wurden 300 Deckenbezüge als Geschenk des K. F. B. an das Lazarett des Vaterländischen Frauenvereins abgeliefert. Alten und kränklichen Personen wurde Krankenkost verabfolgt, Bedürftige erhielten Brotmarken und Suppen. Der K. F. B. beteiligte sich ferner an der Einrichtung eines Speisehauses für bürgerlichen Mittagstisch und an der Bildung einer Kommission für hauswirtschaftliche Kriegshilfe. Belehrende Vortragsabende, Näh- und Flickabende sollen noch veranstaltet werden. Der Vorstand bittet besonders alle jene Frauen und Mädchen, die infolge des Krieges einen Teil des Tages unbeschäftigt sind, sich seiner Arbeit zu widmen. – Allen Vermittelten ruft der K. F. B. zu: Gebt unseren Frauen Arbeit, nicht Almosen! Unendliche sittliche Werte werden unserem Volke erhalten, wenn unsere Frauen selbsterarbeitetes Brot essen.
  
Zur Deckung der erheblichen Geldmittel, die die Tätigkeit des K. F. B. erfordern, steuerten die Mitglieder des Zweigvereins annähernd 1000 Mark aus freiwilligen Beiträgen bei. (…) Die Stadt Bonn leistete einen Zuschuß von 300 Mark und ebenso die „Kriegshilfe“. Vom Roten Kreuz und von privater Seite gingen namhafte Aufträge und größere Mengen Stoff ein. Um die Arbeitsvermittlung, die wichtigste Aufgabe des K. F. B., aufrecht erhalten zu können, bittet der Vorstand um Aufträge einfacher Näharbeiten, um Stoffreste und Nähzeug und um Zuwendung von Barmitteln. Am Sonntag, den 15. November, sollen im Arbeitszimmer, Clemensstraße 3 nützliche Gegenstände, die durch die Arbeitsvermittlung angefertigt wurden, verkauft werden. Möchten viele an diesen Tag denken und ihren Bedarf dort decken. (...)

Anzeige in der Deutschen Reichs-Zeitung vom 30. Oktober 1914Kriegsbrot. In Befolgung der von sachverständiger Seite erteilten Ratschläge, die dringende Sparsamkeit beim Verbrauch von Roggen empfehlen, haben verschiedene Städte und Kreise Versuche mit der Beimischung von Kartoffeln zum Roggenbrot gemacht. Das mit Kartoffelmehl vermischte Brot zeigte mancherlei Mängel. Dagegen hat das Brot, dem eine Prozentsatz von gekochten Kartoffeln zugesetzt wurde, nicht nur einen ausgezeichneten Geschmack, sondern auch eine gute Haltbarkeit. Es ist deshalb verschiedentlich die Einführung dieses „Kriegsbrotes“ beschlossen worden. Die Polizei achtet darauf, daß nicht mehr als 25 Prozent Kartoffeln zugesetzt werden. Wesentlich ist auch, daß ein sog. 50-Pfennigbrot mit Kartoffelzusatz nur 45 Pfg. kostet.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Kinderschutz. Die Kinder werden jetzt seitens der Schule zum fleißigen Stricken für die Soldaten angehalten. Der hierdurch entstehende praktische, und mehr noch der erzieherische Nutzen ist gewiß sehr zu begrüßen. Wenn man aber bedenkt, daß die Gesundheit eines beträchtlichen Teiles unserer Volksschüler viel zu wünschen übrig läßt, ferner daß durch die stetig steigenden Anforderungen der Schule die Kräfte der Kinder voll in Anspruch genommen werden, so grenzt dieses anhaltende Stricken bis in die Nacht hinein doch hart an gesundheitsschädliche Ueberanstrengung, die man nicht ohne dringende Not fordern oder dulden sollte. Warum opfert man nicht auf dem Altare des Vaterlandes ein minder wichtiges Lehrfach oder erläßt den Kindern die häuslichen Schularbeiten, um die nötige Zeit zum Stricken zu gewinnen? Gegen die Ausbeutung durch die Eltern schützt die Kinder das Gesetz, wer aber schützt sie vor der drohenden Ausbeutung durch die Schule? K.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus dem Leserkreise“)