Donnerstag, 25. Januar 1917

       

Unter überaus großer Teilnahme ist gestern nachmittag der verstorbene Dr. Emanuel Edelstein von der Leichenhalle der Universitätskliniken aus auf dem israelitischen Friedhofe beigesetzt worden. Bei der Trauerfeier in der Leichenhalle nahm zunächst Rabbiner Dr. Cohn, zugleich als Freund des Entschlafenen, das Wort. Er rühmte an Dr. Edelstein den selbstlosen Menschen und vor allem den Nationaljuden, der die zionistische Bewegung in Deutschland mit begründet, im Rheinland zu ihren bedeutendsten Führern gehört und sein ganzes Leben den jüdischen Idealen gewidmet habe. Ferner schilderte er den Verstorbenen als opferwilligen Arzt und Menschenfreund. Es sprachen außerdem Rechtsanwalt Dr. Klee aus Berlin für die zionistische Gesamtorganisation und als Freund sowie Rechtsanwalt Dr. Jonas aus Köln für die rheinischen Zionisten. Der Trauerzug, der sich dann bildete, war ungewöhnlich lang. Der Kapelle des hiesigen Ersatzbataillons folgten zahlreiche Verwundete und eine Abordnung der Kriegervereine, hinter dem Leichenwagen schritten eine Abordnung des Vereins jüdischer Stundeten, deren Ehrenmitglied Dr. Edelstein gewesen war, fast alle männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde, zahlreiche Militär- und Zivilärzte, sämtliche Aerzte und gehfähigen Verwundeten des Reservelazaetts Rolandseck, an dem der Tote zuletzt tätig gewesen war, und viele andere. Auf dem Friedhofe, wo Rabbiner Dr. Cohn noch die üblichen Gebete sprach, hatten sich auch sehr viele ehemalige Patienten des Verstorbenen eingefunden.

Fahrradbereifungen. Am 25. Januar ist eine Bekanntmachung über Höchstpreise für Fahrradbereifungen in Kraft getreten. Die in der Bekanntmachung bestimmten Höchstpreise treffen alle im Gebrauch befindlichen oder für den Gebrauch bestimmten gummihaltigen Fahrraddecken und Fahrradschläuche, die nach § 8 der Bekanntmachung über Beschlagnahme und Bestandserhebung der Fahrradbereifungen (Einschränkung des Fahrradverkehrs) vom 12. Juli 1916 enteignet werden. Da die Frist zu freiwilligen Ablieferung der Fahrradbereifungen wiederholt verlängert worden ist und noch bis zum 5. Februar läuft, so können die Besitzer der in Betracht kommenden Fahrradbereifungen nur nochmals dringend darauf hingewiesen werden, ihre Bereifungen freiwillig abzuliefern.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

     

Der Verein zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit hielt gestern abend unter dem Vorsitz des Herrn Pfarrer D. Weber im katholischen Gesellenhause eine öffentliche Versammlung ab, in welcher die Frage der Bekämpfung der zunehmenden Verrohung der männlichen und weiblichen Jugend erörtert wurde. Pfarrer Weber gab in einleitenden Worten einen Ueberblick über die bisherige Arbeit der Behörden vor und während des Krieges, und betonte, daß die Zügellosigkeit der Jugend in erster Linie auf das vielfache Fehlen des Vaters, dann auf die frühe wirtschaftliche Unabhängigkeit der jungen Leute zurückzuführen sei. Es sei deshalb unbedingt notwendig, daß bei dem jetzigen Mangel an geschulten Polizeikräften von privater Seite mit Genehmigung der Stadtbehörde an der Jugendpflege gearbeitet wird. Professor Rauschen schloß sich den Ausführungen des Vorsitzenden im allgemeinen an und betonte besonders, daß die vom Generalkommando erlassenen Verfügungen, die das Herumtreiben der Jugend auf den Straßen, das Besuchen von Lustbarkeiten usw. betreffen, gut sind, es fehle nur an Organen, die in der Lage sind, die Bestimmungen durchzuführen. Infolge der mangelnden Aufsichtsorgane solle Erziehern und Lehrern in erster Linie das Recht gewährt werden, gegen Unbotmäßigkeiten mit allen Mitteln anzukämpfen. Auch sei es notwendig, daß den jungen Leuten Gelegenheit zu Zusammenkünften und Zerstreuungen gegeben wird. I. Staatsanwalt Justizrat Schlösser hält eine dringende Zucht der Jugend für unbedingt notwendig. Für verfehlt hält er es aber, wenn die Jugend durch Polizei und Staatsanwalt geschützt werden soll, sondern der Schutz müsse den Eltern, Erziehern und Vormündern übertragen werden. Gegen Schulpflichtige solle man überhaupt nicht polizeilich einschreiten, bei den Schulentlassenen dagegen müsse eine scharfe Kontrolle stattfinden. Volksschullehrer Jung ist der Ansicht, daß die Verwahrlosung der Schuljugend auf das schlechte Beispiel der Schulentwachsenen im Alter von 14 bis 17 Jahren zurückzuführen ist. Diese wirkten auf die Kinder als schlechtes Beispiel. Zu begrüßen wäre es, wenn ein Sparzwang eingeführt werde, und es ermöglicht würde, daß die Eltern und Vormünder den Lohn der Jugendlichen in Empfang nehmen. Rektor Goch regt die Bildung von Jugendpflegeausschüssen für die einzelnen Bezirke an, auch tritt er dafür ein, daß den Lehrern ein weitergehendes Züchtigungsrecht, welches sich nicht allein auf Schüler ihrer Klasse und Schule erstreckt, eingeräumt wird.
   Aus der Versammlung wurden von verschiedenen Herren und Damen Einzelbeispiele angeführt, die auf den sittlichen Zustand unserer männlichen und besonders auch der weiblichen Jugend kein gutes Licht werfen. Besonders wurde betont, daß im allgemeinen die Bonner Bürgerschaft der Sache zu wenig Interesse entgegenbringt.
   Ergebnisse der Besprechung wurden in verschiedenen Entschließungen niedergelegt. Es soll der stellvertretende Kommandierende General des 8. Armeekorps in Koblenz ersucht werden, einen Sparzwang für die Jugendlichen und Abführung des Lohnes an die Eltern oder Vormünder anzuordnen. Dann soll an die Stadtverwaltung mit der Bitte herangetreten werden, einer Anzahl Herren und Damen, die sich zur Unterstützung der Polizei bereit erklären, an der Jugendpflege mitzuwirken, polizeiliche Vollmachten zu erteilen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)