Dienstag, 12. November 1918

   

Der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat trifft bis auf weiteres täglich im Rathause zu Sitzungen zusammen. In der Leitung der Sitzungen wechseln sich die drei Vorsitzenden ab: am Sonntag führte Herr Kuhnert, gestern Herr Dr. Krantz den Vorsitz. Heute wird ihn Herr Schmitz haben. Die Sitzungen sollen um 9 Uhr vormittags beginnen; um 8 Uhr tritt der Vorstand des Rates zusammen, um Tagesordnung usw. vorzubereiten. Der Arbeiter-, Bürger- u Soldatenrat beschloß gestern auf Antrag des Mitgliedes Vins, daß die Sitzungen insofern öffentlich sein sollten, als die Presse zugelassen wird und ohne jede Beschränkung eigene Berichte geben kann. Die Zeitungen wurden von dem Beschluß sofort benachrichtigt, sodaß ihre Vertreter dem letzten Teil der Sitzung beiwohnen konnten.
  
In der Sitzung am Sonntag nahm der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat (dessen Namen wir fortan „A.B.S.“ abkürzen werden), die Berichte der einzelnen Ausschüsse entgegen. Er faßte u.a. folgende Beschlüsse:
   Den Bäckern, Kolonialwarenhändlern usw. wird es streng verboten, auf noch nicht gültige Marken im voraus Lebensmittel abzugeben.
   Die in Bonn lagernden Vorräte der Reichsbekleidungsstelle, insbesondere die innerhalb der Bürgerschaft gesammelten 3000 Anzüge, werden für die Bonner Einwohnerschaft beschlagnahmt.
   Der Bonner A.B.S. arbeitet vollständig unabhängig vom Kölner Arbeiter- und Soldatenrat.
   Auf eine Anfrage des Oberbürgermeisters Spiritus wird beschlossen, daß die Geschäfte der Stadtverwaltung und der übrigen Behörden in der bisherigen Weise vom Oberbürgermeister usw. weiterzuführen sind, jedoch in dem Rahmen, der sich durch die Einrichtung des A.B.S. ergibt. Die bisherigen städtischen Ausschüsse bleiben bestehen. Neugewählt wird ein vereinigter Finanz- und Verfassungsausschuß, dem die drei Vorsitzenden, sowie die Herren Wellmann, Rossberg. Rowold, Kolaß und Vollmar, ferner als beratende Mitglieder Oberbürgermeister Spiritus sowie die Beigeordneten Bottler und Piehl angehören.
   Aus der gestrigen Sitzung ist hervorzuheben:
   Es soll eine Bürgerwehr eingerichtet werden. Mit der Organisation und der Leitung wird Hauptmann Arimond beauftragt, der zugleich zum Bürgerwehrkommandanten gewählt wird. Die Mitglieder der Bürgerwehr erhalten angemessene Vergütung. Herr Witkugel hat mitteilen lassen, daß er krankheitshalber in der Bürgerwehr und dem Sicherheitsdienst überhaupt nicht mitwirken könne. An seine Stelle wird Herr Burckhardt zum polizeitechnischen Berater der Bürgerwehr bestimmt. Oberbürgermeister Spiritus widmete den bisherigen Polizeiinspektor Witkugel warme Worte der Anerkennung und des Dankes für seine langjährige Tätigkeit im Dienste der öffentlichen Sicherheit der Stadt Bonn.
   Zum Punkt „Notstandsarbeiten“ berichtete Beigeordneten Dr. v. Garzten, daß Dienstag nachmittag 5 Uhr im Bonner Bürgerverein eine Versammlung der Arbeitgeber abgehalten werden solle.
   Der A.B.S. beschließt, daß Kinos, Theater usw. ihren Betrieb fortsetzen können, jedoch um 8 Uhr abends schließen müssen.
   Auf eine Anregung aus der Mitte des Rates wird beschlossen, da jeder Geschäftsmann usw. verpflichtet ist, Zinsscheine der Kriegsanleihe als gesetzliche Zahlungsmittel auch in Zahlung zu nehmen. Der Sicherheitsausschuß wird eine entsprechende Bekanntmachung erlassen. Dabei soll der Einwohnerschaft eingeschärft werden, daß es gewissenlos ist, das Geld zurückzuhalten anstatt dem Verkehr zuzuführen.
   Auf eine Anregung wird mitgeteilt, daß nach einem Beschluß des Sicherheitsausschusses Kinder nach Eintritt der Dunkelheit sich nicht mehr auf den Straßen aufhalten dürfen.
   Ueber das Auftreten der Matrosen wird von verschiedenen Seiten geklagt. Es wird beschlossen, die letzten in der Stadt noch anwesenden Matrosen so bald wie möglich zu entwaffnen und aus der Stadt zu entfernen. Hauptmann Arimond wird mit den notwendigen Maßnahmen beauftragt.
   Es wird mitgeteilt, daß im Hamburger Hof Sonntag abend um 11 Uhr noch Zechgelage gehalten worden sind. Die Angelegenheit wird dem Sicherheitsausschuß überwiesen.
   Auf Anregung des Beigeordneten Piehl wird beschlossen, je einen Vertreter des A.B.S. zur hiesigen Bahnhofskommandantur, zum Proviantamt, zum Proviantdepot und zur Garnisonsverwaltung zu entsenden. Ferner wird beschlossen, auf der Bahnstrecke Bonn-Jünkerath die Verpflegungstransporter im Einvernehmen mit Euskirchen zu überwachen. Es wird auch eine Verordnung beschlossen, daß alles in Bonn noch lagernde Getreide sofort auszudreschen ist.
   Zur Einquartierungsfrage berichtet Beigeordneter Schultze: Für Bonn sei eine ganz bedeutende Einquartierungslast vorgesehen gewesen, man hätte alle Schulen und Säle belegen und doch noch Bürgerquartiere in Anspruch nehmen müssen. Jetzt sei jedoch nur noch mit kleineren Einquartierungen zu rechnen, und da sich auch die Universität bereit erklärt habe, Einquartierungen aufzunehmen, werde man vielleicht mit einigen Schulen, Sälen, den Universitätsräumen und Kasernen auskommen, sodaß die Einwohnerschaft voraussichtlich von Einquartierungen befreit bleibe. Auf Antrag des Herrn Vins soll ein Ausschuß sofort darüber bestimmen, welche Schulen gegebenenfalls zu schließen sind.
   Auf Anregung des Beigeordneten Piehl wird die Metallmobilmachung in Bonn für beendet erklärt.

Eine recht wichtige Sache! Der vierte Punkt der von uns angenommenen Waffenstillstandsbedingungen besagt: Räumung des linken Rheinufers. Es erhebt sich jetzt überall die Frage, ob auch diejenigen wehrpflichtigen Deutschen, die infolge Entlassung vom Militärdienst, Reklamation oder aus sonstigen Gründen augenblicklich nicht bei den Waffen stehen, ebenfalls das linke Rheinufer verlassen müssen. Es ist dies eine Frage von weitreichender Bedeutung, die schleunigst geklärt werden muß. Und zwar umso mehr, als die feindlichen Besatzungstruppen bereits in den nächsten Tagen einrücken dürften.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

   

Jetzt und in den nächsten Wochen keinerlei Entlassung von Arbeitern.
Der Kgl. Gewerbeinspektor schreibt uns: Es ist unabweisbare vaterländische Pflicht aller Arbeitgeber, sämtliche Arbeite zunächst irgendwie weiter zu beschäftigen, auch wenn die Rüstungsarbeiten plötzlich aufhören sollten. Eine große Arbeitgeber-Versammlung in Köln am 9. ds. Mts. hat sich einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß die Ehrenpflicht aller Arbeitgeber, groß und klein, ist, und das die Kostenfrage in der jetzigen Zeit dabei keine Rolle spielen darf. Arbeitsvermittlung und Rohstoffbezüge sollen geregelt werden. – Ein Vertreter der Gewerkschaften hat in der Versammlung die Erklärung abgegeben, daß auch keinerlei Arbeitseinstellung seitens der Arbeiter erfolgen werde.
   Arbeitgeber und Arbeitnehmer, haltet in der Not des Vaterlandes zusammen! Denkt an die gemeinsamen Interessen! Nur wenn Ihr Hand in Hand arbeitet, ist der Wiederaufbau des deutschen Wirtschaftslebens möglich!

Sicherheitsdienst. Die Arbeiter des Elektro-Stadtwerks in Dottendorf – 45 Mann – haben sich zur unentgeltlichen Mitwirkung beim Sicherheitsdienst zur Verfügung gestellt. In der heutigen Nummer unseres Blattes werden die Bürger der Stadt Bonn nochmals dringend ersucht, sich sofort zum Eintritt in die Bürgerwehr zu melden. Amtsgerichtsrat Arimond ist zum Kommandanten der Bürgerwehr bestellt.

Ein hiesiger Universitätslehrer beging gestern aus Gram über das schwere Geschick, das Deutschland getroffen hat, in seiner Wohnung Selbstmord.

Geschlossen. Der „Hamburger Hof“, Bahnhofstraße und das damit verbundene Weinrestaurant Cassiusgraben 11 sind gestern auf Anordnung des Sicherheitsausschusses geschlossen worden.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Die sozialdemokratische Versammlung am Sonntag war sehr stark besucht. Der Vorsitzende Kolaß teilte mit, der Redner, Reichstagsabgeordneter Dr. Quark, sei wegen der Verkehrsschwierigkeiten nicht eingetroffen. Er gab dann ein Bild der Lage in Bonn. Herr Kuhnert, einer der drei Vorsitzenden unseres Arbeit-, Bürger- und Soldatenrates, führte u.a. aus: Wir haben als Volk uns zu lange beeinflussen lassen, und auch heute ist ein sehr großer Teil unserer Mitbürger noch nicht so weit, die errungene Freiheit auszunutzen; das Strammstehen und Zusammenklappen vor einem „großen Tier“ ist dem deutschen Michel nun einmal in Fleisch und Blut übergegangen. Als Rüpel braucht man sich selbstverständlich auch nicht zu benehmen. Nun haben im ganzen Reich die Arbeiterschaft und das aufgeklärte Bürgertum die Herrschaft an sich gerissen. Kaiser Wilhelm hat endlich eingesehen, daß auch für ihn ein Zylinderhut vorhanden ist. Bis vor wenigen Tagen war die bisher herrschende Kaste willens, unsere gesamte Flotte mit Mann und Maus in einer großen Schlacht gegen England zu opfern. [...] Die Matrosen haben diese Machtpolitik nicht mitgemacht, sie sagten sich, Deutschland habe schon genug Blut geopfert, durch einen solchen Gewaltstreich würden die Friedensbedingungen nicht gebessert, wohl aber die ruhige wirtschaftliche Fortentwicklung Deutschlands infrage gestellt. Das war die Ursache der jetzigen Bewegung, die sich über ganz Deutschland fortgepflanzt hat. Auch an der Front sollen in den letzten Tagen Verbrüderungen zwischen deutschen und feindlichen Soldatem stattgefunden haben, und auch in Frankreich sollen sich die Dinge ähnlich wie bei uns entwickeln, es soll auch da mit den Kriegshetzern aufgeräumt werden. Wenn das richtig ist und wir durch die Völkerverbrüderung zu einem Frieden kommen, so wird es ein Dauerfrieden sein. Der Redner ging dann auf die Aufgaben des Bonner Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates ein. [...] In Bonn hat auch das Bürgertum bei der Neuordnung der Dinge seine ausgiebige Vertretung erhalten, sodaß keiner Ursache hat, der Bewegung Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Der Vorsitzende Kolaß verlas die bis dahin noch nicht bekannten Waffenstillstandsbedingungen, wobei er durch vielfache Pfuirufe unterbrochen wurde. Er berichtete, er habe in Köln die Angaben, da sich die Soldaten an der Front verbrüderten, bestätigt erhalten. Man könne so doch noch die Hoffnung haben, daß es zu einem gerechten Frieden ohne Ansprüche auf beiden Seiten komme. [...] In der nun folgenden Aussprache wurde zum Teil eine recht scharfe Tonart angeschlagen. Ein Redner wollte Wilhelm von Hohenzollern als den Urheber des Weltkrieges an den Galgen haben; ein anderer bezeichnete als die drei Feinde des Volkes Feudalismus, Kapitalismus und Ultramontanismus. Frau Dr. Wegscheider sprach für das Wahlrecht der Frauen. Gegenüber dem Vorwurf eines Redners, daß man in Bonn nicht einen Arbeiter- und Soldatenrat, sondern einen Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat habe, erwiderte Herr Kuhnert: Während in anderen Städten die Arbeiterschaft die übergroße Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, zählt sie in Bonn nicht einmal 35 Prozent der Gesamtbevölkerung. Es wäre nicht demokratisch, wenn wir unter diesen Verhältnissen das Bürgertum ausschalten wollten. Wir sind durch die Zusammensetzung des Rates nicht enttäuscht worden. Wir werden die Interessen der Arbeiter, die mit denen der Gesamtheit identisch sind, vertreten, und sollte uns das in der Zusammenarbeit mit den Vertretern des Bürgertums nicht möglich sein, so werden wir den bürgerlichen Herren den Stuhl vor die Tür setzen. Der Redner bat, dem Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat Vertrauen entgegenzubringen, er gebrauche es besonders in Hinblick auf die harte Arbeit, die sich aus den Waffenstillstandsbedingungen ergebe. Diese Bedingungen stellten das Schwerste dar, was je einem Volke zugemutet worden sei, sie würden aber hoffentlich durch die demokratische Bewegung in den gegnerischen Ländern erträglich gemacht werden. Gegenüber einem Tadel wegen der Anordnung, daß Plünderer sofort zu erschießen seien, betonte der Vorsitzende Kolaß, es solle nicht blindlings in die Volksmenge geschossen werden. Da aber aus den Gefängnissen und selbst aus dem Zuchthause in Rheinbach auch die schlimmsten Verbrecher befreit worden seien, müßten scharfe Maßregeln angekündigt werden. Die Versammlung erklärte sich zum Schluß mit allen gegen acht Stimmen mit der Zusammensetzung des Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates einverstanden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)