Dienstag, 12. März 1918

    

Schuhausbesserungsarbeiten werden von jetzt ab im städtischen Bekleidungsamt auch unmittelbar angenommen, sie können aber auch weiterhin zu den Schuhgeschäften gebracht werden und von diesem dem Bekleidungsamt zugeführt werden.

Die heutige Jugend. Bei einem hiesigen Bäckermeister war in letzter Zeit vielfach in Abwesenheit der Familie gestohlen worden. Um den Dieb zu erwischen, schloß sich Sonntag nachmittag ein Wächter in die Wohnung des Bäckermeisters ein, während der Bäckermeister und seine Familie das Haus verließen. Kaum war die Familie fort, als drei Jungen aus dem selben Hause, Knirpse von fünf, neun und elf Jahren, erschienen, aber fortzulaufen versuchten, als sie den Wächter bemerkten. Der älteste Junge wurde festgehalten. Er ergriff kurzentschlossen ein Stocheisen und schlug damit dem Wächter eine klaffende Wunde ins Gesicht. Dem herbeigerufenen Kriminalbeamten gestanden die Kinder, seit mehreren Wochen schon regelmäßig bei dem Bäckermeister gestohlen zu haben.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

    

In der Deutschen Vaterlandspartei sprach am Sonntag Professor Dr. Kraeger aus Düsseldorf über Deutschlands Heer und deutsche Heimat. Der Redner wußte seine Zuhörer durch seine treffliche Darstellungsgabe und seinen warmen vaterländischen Herzenston zu fesseln. Er würdigte die Kraft unserer militärischen Organisation und den sittlichen Ernst des überwiegenden Teiles unseres deutschen Volkes, um als Kernpunkt seiner Ausführungen unsere Friedensziele zu behandeln. Er führte hierzu u. a. aus:
  
Hindenburg und Ludendorff haben bislang die Pläne unserer Feinde zusammenbrechen lassen wie ein Kartenhaus Bethmann Hollwegs, sie entscheiden auch in der Zukunft über unser Schicksal, sie müssen auch bei den Friedensverhandlungen mitreden. Wir wollen einen Frieden, der unserer glänzenden militärischen Lage entspricht, der uns die Schulden nimmt und sie denjenigen auflegt, die uns überfallen haben, einen Frieden vom Stamme Hindenburg und Ludendorff. Vielleicht hat unsere Diplomatie bei dem Friedensschluß im Osten nach dem Grundsatz gehandelt, daß erst den letzten die Hunde beißen sollen: denn es wäre schrecklich, wenn wir das Glück der militärischen Lage von der Diplomatie nicht ausgenutzt sähen und wir als Sieger nach dem Frieden doch als die Besiegten daständen. Wir brauchen neues Land, das uns Brot gibt, neue Grenzen, die uns besser schützen als die alten in Ost und West. In Belgien liegt die Gewähr für unsere Zukunft. Im Besitz dieses Landes können wir England so in Schach halten, daß die Freiheit der Meere nicht missbraucht wird, sondern für uns gewahrt bleibt. Es wird sich irgendeine Form für Belgien finden lassen, wenn wir denn dem Naturrecht des Eroberers, das wohl für andere Völker, aber nicht für Deutschland gelten soll nicht folgen. Ohne Belgien wäre uns ein noch so großer afrikanischer Besitz, den uns die Feinde großmütig überlassen würden, nichts nütze: denn England hätte dann immer wieder die Macht, unseren Kolonien dasselbe Schicksal wie 1914 zu bereiten. Ohne Belgien wären unsere Kolonien nur Scheinbesitz. Behalten wir Belgien in irgend einer Form, die zu bestimmen wir vertrauensvoll unserer Obersten Heeresleitung überlassen, dann fällt uns mit Belgien alles andere, was wir zu unserer Sicherheit gebrauchen, von selbst in den Schoß.
   Zu Ehren unserer teuren Toten, die für des Vaterlandes Ehre gefallen sind, erhob sich auf Anregung des Redners die Versammlung von den Sitzen. Geheimrat Litzmann, der den Vortragenden Begrüßt und ihm gedankt hatte, machte zum Schluß Angaben über weitere Veranstaltungen der Vaterlandspartei.

Ruski. Ein Leser schreibt uns: Sie brachten am Samstag eine Notiz aus einem Gefangenenlager in der Nähe von Köln, daß die dort untergebrachten Russen bei der Nachricht von dem Friedensschluß zwischen dem Vierbund und Rußland ihrer Freude lauten Ausdruck gegeben hätten. Ich selbst war Zeuge einer ähnlichen Szene an der hiesigen Rheinbrücke. Zwei Russen, die jeder ein Hundefuhrwerk führten, begegneten sich auch der Brückenstraße und schon von weitem schwenkte der eine seine Mütze und sang: „In der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehen!“ Sie reichten einander die Hand und einer der Ruskis zog eine Zigarettenschachtel aus der Tasche und bot seinem Landsmann eine Zigarette an. Die Hunde der Beiden schienen jedoch die Freude ihrer Führer nicht zu teilen: sie fuhren wütend aufeinander los und bellten derart, daß es den Russen nicht möglich war, sich zu verständigen. Schließlich wurde dies dem einen doch zu bunt, er schlug mit der Mütze nach seinem Hund und rief in schönstem, Plattbönnsch: „Hälst du wohl ding Muhl, du Schweinhond.“

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

    

Über Wahrsager, Weltverbesserer, Nerven- und Geisteskrankheiten im Kriege hielt Herr Prof. Dr. A. H. Hübner einen Vortrag, der als Heft 26 der Deutschen Kriegsschriften bei A. Marcus und E. Webers Verlag, Bonn (Dr. jur. Albert Ahn) erschienen ist. (Preis M. 1,50) Mit seinen interessanten, allgemein verständlichen Ausführungen verfolgt der Verfasser, dem wir bereits ein ausgezeichnetes Handbuch der forensischen Psychiatrie verdanken, einen dreifachen Zweck: Bezüglich des Aberglaubens zeigt er, daß ebenso wie die Religiosität auch der Glaube an geheimnisvolle Kräfte verschiedenster Art im Kriege zugenommen hat. Er weist darauf hin, daß diejenigen, welche den Aberglauben zu Erwerbszwecken ausbeuten, zum mindesten sozial anrüchige Existenzen sind. Ein anderer Zweck des Aufsatzes geht dahin, das Publikum vor kritikloser Parteinahme für manche Weltverbesserer und Phantasten und vor dem Auftreten bestimmter Hochstapler zu warnen, die sich jetzt gleichfalls unangenehmer bemerkbar machen als zu Friedenszeiten. Bezüglich der Geistes- und Nervenkrankheiten, welche der Krieg hervorruft, wird dargetan, daß das Leben im Felde zwar vorübergehende Schäden am Nervensystem nicht selten verursacht, daß jedoch die Zahl der infolge von Kriegsbeschädigungen dauernder Anstaltspflege bedürftigen Geisteskranken voraussichtlich nur gering sein wird. Zum Schluß weist Hübner darauf hin, daß viele Kranke gar nicht geheilt werden wollen, sondern es vorziehen, ihren Lebensunterhalt als Bettler, Ansichtskartenverkäufer und Orgelspieler sowie durch Erregung von Mitleid zu erwerben. Durch die im hohen Maße zur Aufklärung geeignete Schrift wird das Publikum vor unbegründetem Wohlwollen und Mitleid vor dieser Art Bettlertum gewarnt. Aufklärung in diesem Sinne ist aber zum Segen der Kranken, der wieder arbeiten lernen soll, und zum Segen des Volkes, damit die ohnehin schon große Zahl der Almosenempfänger verringert wird, dringend erforderlich.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)