Mittwoch, 6. März 1918

   

Mit der zunehmenden Verwilderung der Jugend beschäftigte sich Montag abend eine vom Ortsverein Bonn zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit einberufene Versammlung. Der Vorsitzende, Pastor D. Weber, erwähnte einleitend die ungeheuren Aufgaben, die der öffentlichen Jugendfürsorge jetzt und nach dem Kriege gestellt sind; wir haben in Preußen etwa eine Million Waisenkinder, 80.000 Fürsorgezöglinge, eine halbe Million Kinder in der Armenpflege und eine Million armer unehelicher Kinder. Sehr viel ist schon geschehen, ungeheuer viel aber noch zu leisten. Die erwerbstätige Jugend, die sich jetzt eine Tagesverdienstes bis zu 25 M. erfreuen kann, denkt nicht daran, daß nach dem Kriege ein gewaltiger Rückschlag kommen muß, und verschwendet das Geld in leichtsinniger Weise. Dagegen können vielleicht Sparzwang, Beaufsichtigung der Jugendlichen auch außerhalb der Arbeitsstätte durch die Arbeiterausschüsse, Aushändigung des Arbeitsverdienstes an die Eltern helfen. Seit Monaten wird in Bonn über das unerhörte, wilde allabendliche Treiben der Jugendlichen auf der Remigiusstraße geklagt, ohne daß sich in dieser Beziehung etwas dauernd gebessert hat. Diesem Treiben müsse endlich einmal ein Ende bereitet werden. Eine Anzahl Redner und Rednerinnen teilten ihre Beobachtungen über dieses Treiben mit. Kinder sowie halbwüchsige Burschen und Mädchen bewegen sich dort in der freiesten Weise, rempeln nicht nur Gleichaltrige, sondern auch Erwachsene flegelhaft an. Polizei ist nicht zu sehen. Schreitet ein Erwachsener gegen einen jugendlichen Rüpel ein, so nehmen sofort das junge Volk und leider auch zahlreiche Großjährige gegen ihn eine bedrohliche Haltung ein. Die gleiche unangebrachte Parteinahme für jugendliche Taugenichtse ist auch sonst allgemein zu beobachten. Erwähnt wurde ein Fall, daß ein Aufsichtsbeamter der Straßenbahn die Namen mehrerer junger „blinder Passagiere“ feststellen wollte; der Beamte wurde sofort von den Umstehenden beschimpft und bedroht. Es wurden verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Mißstände angereget: die Schulen sollten allgemein den Kinder verbieten, abends durch die Remigiusstraße zu gehen, die Behörden sollten Damen und Herren, die sich freiwillig dafür melden, mit gewissen polizeilichen Rechten ausstatten. Endlich wurde beschlossen, die Stadtverwaltung und Polizeibehörde noch einmal dringend zu bitten, den Zuständen in der Remigiusstraße dadurch ein Ende zu machen, daß Polizeibeamte abends regelmäßig die Straße begehen. Es wurde als die Pflicht jedes anständigen Bürgers bezeichnet, an seinem Teil für Zucht und Ordnung auf der Straße zu sorgen und alle dahin gerichteten Bestrebungen zu unterstützen. Auch an die Kirchengemeinden sollen Eingaben gerichtet werden, in geeigneter Weise gegen die Verwilderung der Jugend vorzugehen. […]

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)