Montag, 4. März 1918

   

Schulfrei. Auf Befehl des Kaisers hat der Kultusminister angeordnet, daß wegen des Friedensschlusses mit Rußland der Unterricht in den Schulen der Monarchie am heutigen Montag oder, wo die Durchführung in der Kürze der Zeit nicht möglich ist, am morgigen Dienstag ausfällt.

Im zweiten vaterländischen Vortragsabend im Stadttheater besprach gestern Handelskammersyndikus a. D. Ragoczy aus Berlin die wirtschaftliche Kraft Deutschlands im Vergleich zu der Englands und Frankreichs. Er nannte als eine der wichtigsten Errungenschaften dieses Krieges die Selbsterkenntnis, daß wir in den meisten Dingen unseren heutigen Feinden weit überlegen sind. Diese Selbsterkenntnis fehlte den Deutschen früher. Im Ausland schätzte man uns Deutsche wegen unserer Tüchtigkeit, man fürchtete unseren Wettbewerb, aber man liebte uns nicht. Das sind die Deutschen selbst schuld; denn wie kann das Ausland uns achten, wenn es sieht, daß wir selbst das Wesen anderer Völker höher stellen als unser eigenes? Das stolze Selbstbewußtsein, das uns vor dem Kriege gefehlt hat, muß uns hinfort dauern erfüllen. Der Redner zeigte an zahlreichen, in Lichtbildern vorgeführten graphischen Darstellungen die Ueberlegenheit Deutschlands über England und Frankreich auf vielen Gebieten, in der Bevölkerung, dem Volksvermögen, den Bodenschätzen der Landwirtschaft, dem Verkehrswesen; er zeigte ferner den ungeheuren Aufschwung der deutschen Industrie und des deutschen Handels, der England neidisch machte und zum Kriege führte, Die starke wirtschaftliche Kraft unseres Landes befähigt uns, auch in den ferneren Nöten dieses Krieges durchzuhalten bis zu siegreichen Ende. Am Schluß des mit großem Befall aufgenommenen Vortrages sangen die Besucher Deutschland über alles. [...] Kgl. Musikdirektor Sauer [...] hatte eine ganz besondere Ueberraschung: Er gab die Nachricht vom Frieden mit Rußland bekannt und brachte ein Hoch auf den Kaiser sowie Hindenburg und Ludendorff aus.

Wissenschaftliche Vorträge. Morgen abend, 6½ Uhr, spricht der vlämische Dichter Dr. René de Clercq über seine politischen Erlebnisse in Tat und Lied. Der rühmlichst bekannte Vlame steht im Vordergrund des Kampfes für ein freies Flandern. Zuerst, wie fast alle seine Landsleute, ein Gegner Deutschlands, ist er durch die allseitige Gerechtigkeit der deutschen Regierung in Belgien und das vlamenfeindliche Verhalten der belgischen Regierung in Le Havre zu einem ausgesprochen Deutschfreunde geworden, so daß er letzteren den Krieg ansagte mit den Worten:

Mit Gauklerkniffen komme uns keiner,
Herren von Havre, merkt es euch gut!
Wir sind Germanen, keine Lateiner,
Offene Herzen, ehrliches Blut!
Hab’ ich kein Recht, hab’ ich kein Land;
Hab’ ich kein Brot, ich hab’ keine Schand!
Flandern, Flandern, mit Herz und Hand
Steh’ fest für dein Recht ich,
Für dich fecht’ ich!

Von diesem hervorragenden Vorkämpfer Flanderns und seinem bedeutendsten lebenden Dichter eine Schilderung vlämischer Zeit und Kulturgeschichte zu erhalten, dürfte ein auserlesener, seltener Genuß sein.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

   

Der Volksverein für das katholische Deutschland veranstaltete gestern abend im Bürgerverein eine große vaterländische Kundgebung, der die Bürger unserer Stadt so zahlreich zugeströmt waren, daß kein Stehplätzchen im Riesensaal mehr frei war. Mit herzlichen Worten wies Kaplan Rembold die stattliche Versammlung willkommen; er wies auf die großen Aufgaben des Volksvereins hin. Das gesunkene sittliche Bewusstsein zu heben, soziale Aufklärung in alle Schichten des Bürgertums zu tragen, das feste Zusammenhalten der Katholiken herbeizuführen, das sei nach dem glücklichen Frieden anzustreben. Reichstagsabgeordneter Pieper sprach fast zwei Stunden lang über den „Kampf zum Siege“; er rollte die deutsche Frage auf, die durch die Jahrhunderte gezogen; er erinnerte an unsere schmachvollste Zeit, da unser Elend und unsere Not keinen milden Sieger gefunden. An ein starkes Rußland nach dem Kriege würden unsere Kinder mit Schrecken gedacht haben; wie eine böse Wetterwolke würde es über unsere Nachkommen geschwebt haben. Dem hätte unser gutes Schwert vorgebeugt. Der hauptsächlichste Krieg werde im Westen um den Absatz unserer Waren und unserer Erzeugnisse geführt; darum müsse er auch dort zu einem guten Frieden gebracht werden. Redner mahnte zum Aushalten und Durchhalten; es gelte jetzt auch den Endkampf siegreich zu bestehen, nicht allein an der Front, sondern auch im Lande. Nicht durch Arbeitseinstellungen kämen wir zum guten Ende; die belebten nur die Ausdauer unserer Feinde. Die Streikbewegungen würden Deutschland zugrunde gerichtet haben; auf sie hätten unsere Feinde ihre ganze Hoffnung gesetzt. Die wollten nur das junge einige Deutschland zugrunde richten. Das habe schon Bismarck manch schlaflose Nacht gekostet. Das Volk müsse mit dem Heere aushalten und durchhalten, dann würde der Sieg unser sein. Unter jubelndem Beifall konnte der Redner hier den Abschluß des Friedens mit Rußland bekannt geben. Dechant und Oberpfarrer Böhmer mahnte zu Einigkeit und Treue; es gelte jetzt mehr wie vor Jahrhunderten, das Wort des Heilandes hoch zu halten: Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist. In dem schweren Kriege dürfe das Vertrauen auf Gott und auf den Kaiser durch nichts erschüttert werden. Das Vertrauen helfe uns durchhalten und siegen. Und zum Zeichen des höchsten Vertrauens forderte Redner das Kaiserhoch, das begeistert dreimal den weiten Saal durchbrauste. Ein würdiger Schluß der eindrucksvollen Veranstaltung.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Jugendfürsorge. Man schreibt uns: Eine der wichtigsten Aufgaben nach dem Kriege ist eine neue Reglung der Jugendfürsorge. Hat doch die Zügellosigkeit der heranwachsenden Jugend z. T. erschreckende Zustände gezeitigt. Die Zahl der jugendlichen Bestraften stieg von 51.520 im Jahre 1914 auf 116.141 im Jahre 1916 und 70.397 im ersten Halbjahr 1917. Wir sehen auch auf unseren Straßen manches widerliche Gebaren dreister halbwüchsiger Bübchen und Mädchen mit noch kurzen Kleidchen und langen Zöpfchen. Der Ortverein zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit verdient daher Dank, daß er Gelegenheit bietet, heute abend im Katholischen Vereinshause sich über diese so wichtige Frage zu äußern. Denn wie unsere Jugend wird, so wird unsere Zukunft.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Rheinprovinz. Bonn“)