Montag, 4. September 1916

      

In der sozialdemokratischen Versammlung Samstagabend im Volkshause sprach Redakteur Sollmann aus Köln in einem fast zweistündigen Vortrage über „Volk – Krieg – Frieden“. Er betonte, die Sozialdemokratie habe auch vor dem Kriege keine Wehrlosmachung des Vaterlandes gewollt, sie habe aber das Wettrüsten der Völker nicht als Sicherung, sondern als Bedrohung erkannt, und der Erfolg habe ihr recht gegeben. Die sozialdemokratische Aufklärung über den Imperialismus sei Sisyphusarbeit geblieben und der kapitalistische Ausdehnungsdrang habe somit notwendigerweise zu dem gewaltigen Zusammenstoß geführt. Heute sie es aber auch einem großen Teil des Bürgertums klar, daß der Weltkrieg nicht um Ideale geführt werde, sondern um große wirtschaftliche Gegensätze. Auch das stolze Gedankengebäude der Internationale liege machtlos am Boden. Die deutsche Sozialdemokratie sie, abgesehen vielleicht von einigen Splittern, einig darin, daß eine Niederlage von Deutschland ferngehalten werden müsse, da eine Zerstückelung des einheitlichen deutschen Wirtschaftsgebietes und etwa eine Kriegsentschädigung die Arbeiterklassen am allerschwersten treffen würde, und aus diesem Grunde unterstütze sie die Politik der Reichsregierung, die, wie er glaube, mit dem weitgehenden Plänen der deutschen Annektionisten nichts gemein habe. Er glaube nicht, daß der Mut der Millionen draußen an der Front durch ein Kriegsziel, wie es von eroberungslustigen Schreihälsen verlangt werde, gesteigert werden könne, helle Begeisterung würde es dagegen in den Schützengräben hervorrufen, wenn die Regierung verkünden würde, daß nach dem Kriege alle deutschen Staatsbürger gleichberechtigt sein sollten. Der Redner bekannte sich als scharfen Gegner Liebknechts, dessen Politik gefährlich, unklug und verderblich gewesen sei. Immerhin hätte das deutsche Reich aber auch einen Liebknecht ertragen können, er brauchte nicht mit Zuchthaus bestraft zu werden. Der wirkliche innere Feind, der den Krieg verlängere und den die Regierung bekämpfen sollte, sei der Kapitalismus, der sich als Wucher usw. geltend mache. Die Engländer könnten Deutschland nicht aushungern, das könnten höchstens die „deutschen Engländer“. Auf diesem Gebiete habe leider die deutsche Regierung nichts geleistet, was sich mit den unvergleichlichen Taten der deutschen Proletarier im Waffenrock und ihrer aristokratischen Führer vergleichen lasse. Der Name Hindenburg habe auch in der Sozialdemokratie den besten Klang. Ueber die Lebensmittelknappheit herrsche im Volke keine Erbitterung, wohl aber darüber, daß Leute, die noch genau wie vor dem Kriege leben, den anderen Durchhaltepredigten halten. Das beste Mittel, den Aushungerungsplan der Engländer zu bekämpfen, sie eine Beschlagnahme aller Lebensmittel und ihrer Verteilung nach der Leistung. Wenn alle Staatsbürger die einfach spartanische Suppe der Kriegsküche essen müßten, dann würden vielleicht auch die Herrschaften, denen der Krieg gar nicht lange genug zu dauern scheine für den Frieden zu haben sein. Man brauche nicht in das Geschrei gegen die Bauern mit einzustimmen; die Bauern hätten viel verdient, sie seien aber nur Stümper gegen die städtischen Großkapitalisten. Auch Krupp habe Gewaltiges geleistet, es brauche nur an das Unterseeschiff Deutschland erinnert zu werden. Alle die Riesengewinne aber brauchen nicht in die Taschen der Kapitalisten zu fließen, wenn die Munitionsfabriken usw. Staatseigentum wären. Die Sozialdemokratie erstrebe als Friedensziele die politische Unabhängigkeit, Unversehrtheit und wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit Deutschlands. Einen Frieden um jeden Preis wolle die Sozialdemokratie nicht, er würde ja die Arbeiter selbst am schwersten treffen und sie in zweierlei Knechtschaft bringen. Daß nach diesem Kriege ein dauernder Friede kommt, glaubt der Redner nicht, der dauernde Friede könne aber durch internationale Verträge angestrebt werden. Für den dauernden Frieden würden auch die ungeheuren Geldlasten und die Kriegsverwüstungen werben. Die Klassengegensätze würden, da das Kapital sich während des Krieges in ungeahnter Weise in wenigen Händen gesammelt habe, nach dem Kriege schärfer sein wie vorher. An der grundsätzlichen Haltung der Sozialdemokratie gegenüber dem Kapitalismus sei daher nichts zu ändern, welche Taktik aber eingeschlagen werde, wisse noch niemand. – Eine Aussprache fand nicht statt, da sich niemand zum Worte meldete.

Das erste „freudige Ereignis“ ist aus der städtischen Schweinezucht im Dottenhof zu berichten: ein Mutterschwein, das eigentlich gegen die Absicht der Verwaltung in den städtischen Schweinebestand geraten war, hat Samstag sechs Junge bekommen.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

     

Ueber Volk, Krieg und Frieden sprach am Samstag abend der sozialdemokratische Redakteur Sollmann aus Köln vor einer Versammlung im Volkshause auf der Sandkaule. Er wies darauf hin, daß die Sozialdemokratie am 4. August 1914 die Kriegskredite bewilligt habe. Die Sozialdemokratie wünschen den Sieg Deutschlands und tue alles, um eine militärische und wirtschaftliche Niederlage von Deutschland abzuwenden, weil sie von furchtbaren Folgen für die deutschen Arbeiter begleitet sein würden. Deutschland führe einen Verteidigungskrieg, keinen Eroberungsfeldzug. Es stehe im Kampf um seine Existenz. Die Frage einer Abtretung Elsaß-Lothringens sei indiskutabel. Deutschland verlange mit Recht die Rückgabe der deutschen Kolonien und die Freiheit der Meere. Es wünsche baldige politische und wirtschaftliche Verständigung der jetzt kriegführenden Nationen, damit nicht Europa im Frieden in zwei Heerlager gespaltet bleibe. In scharfen Worten wandte Redner sich gegen die Eroberungspolitiker in Deutschland und namentlich gegen die Kriegswucherer. Mit aller Energie verlangte er eine gleiche Ernährung für alle Deutschen durch die Kriegsküchen. Dann werde der Krieg bald beendigt sein. Zum Schluß kam Redner auf die vermutliche Entwicklung der Sozialdemokratie nach dem Kriege zu sprechen und wies darauf hin, daß nach seiner Ansicht der Kapitalismus die Schuld an dem Weltkriege trage. Er sei auch der Urheber der Annexionspläne in Deutschland, die ebenfalls dazu dienten, die Kriegsdauer zu verlängern.

Groß-Bonn. Der neu eröffnete Vergnügungspalast Groß-Bonn hatte am Samstag abend einen solchen Zuspruch, daß nach 9 Uhr die Kasse geschlossen werden mußte. Der weite Saal und das durch Umbau hinzugekommene Gastzimmer waren schon kurz nach Eröffnung dicht besetzt. Der erste Teil des Programms wurde von dem 10 Mann starken Hausorchester bestritten, das unter Leitung des Kapellmeisters Willy Menden Vorzügliches bietet; es mußte sich wiederholt zu Zugaben verstehen. Ein Prolog leitete zum bunten Teil über. Eine Liedersängerin eröffnete den Reigen der Darbietungen; ihr folgte ein Fangkünstler, früher „Jongleur“ genannt, der seine Angströhre (früher Zylinder), seine Handschuhe, seinen Spazierstock und einen Blumenstrauß durch die Luft wirbelte und mit tödlicher Sicherheit wieder auffing. Ein Verwandlungskünstler und Tonschöpfer-Darsteller sowie eine prächtige Doppel-Kugel-Vorführung fanden gleich den übrigen Vorführungen lebhaften Beifall. Große Heiterkeit rief natürlich wieder die „Rheinische Stimmungskanone“ Grete Fluß aus Köln mit ihren meist in plattkölnischer Mundart gehaltenen Vorträgen hervor. Den größten Erfolg hatte sie mit ihrem militärischen Schlager, bei dem Anwesenden die verschiedenen Waffengattungen markieren mußten und wobei auch die „dicke Berta“ eine große Rolle spielte.

Kein Pützchensmarkt. Wie Bürgermeister Breuer aus Beuel bekannt macht, findet der vom Gemeinderat beschlossene September-Jahrmarkt in Pützchen nicht statt.

Einbruch. In der Sonntagnacht wurde am Geschäftshaus von Weyrather am Münsterplatz abermals ein großes Schaufenster zertrümmert und ein Anzug aus der Auslage gestohlen. Die Spitzbuben schlugen mit einem Basaltstein, die sie in Packpapier gewickelt hatten, das Schaufenster entzwei. Es scheint sich um dieselben Diebe zu handeln, die am vergangenen Donnerstag ein anderes Schaufenster bei Weyrather zertrümmerten und ebenfalls mehrere Anzüge gestohlen hatten.

Der Schiffsverkehr auf dem Rhein war am gestrigen Sonntag nachmittag so stark, daß die am Nachmittag rheinaufwärts fahrenden Personendampfer überfüllt waren. An der hiesigen Agentur der Köln-Düsseldorfer Dampfschiffahrts-Gesellschaft wurden gestern insgesamt 3.600 Fahrkarten ausgegeben.

Die fünfte Kriegsanleihe und die Einlösung der Zinsscheine bei den Postanstalten. Zeichnungen auf die fünfte deutsche Kriegsanleihe nehmen vom 4. Sept. bis 5. Okt. auch alle Postanstalten entgegen. Die Zeichnungsbedingungen mit dem Zeichnungsschein, in den nur der gewünschte Betrag und die Unterschrift einzurücken sind, sind am Postschalter erhältlich. Zugleich wird darauf hingewiesen, daß die Zinsscheine aller Reichskriegsanleihen vom 21 des dem Fälligkeitstage vorhergehenden Monats ab bei allen Postanstalten – auch bei den Postagenturen – am Schalter in Zahlung genommen oder gegen bar umgetauscht werden. Die Einlösung der Zinsscheine ist damit den Besitzern der Kriegsanleihe außerordentlich leicht gemacht. Dies wird hoffentlich recht vielen den Entschluß zum Zeichnen der Kriegsanleihe erleichtern.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

Godesberg, 4. Sept. Die Jugendwehrkompagnie Godesberg-Plittersdorf beging gestern nachmittag auf dem Sportplatz an der Kläranlage (Plittersdorfer Aue) ein Jugendwehrfest, das eine große Zuschauermenge angelockt hatte. Die vorgeführten militärischen, turnerischen und sportlichen Uebungen zeugten von dem guten Geist, den diese Jugendwehrkompagnie beseelt. Das Publikum folgte allen Vorführungen mit großem Interesse und spendete reichen Beifall.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Von Nah und Fern.“)