Samstag, 27. November 1915

  

Anzeige im General-Anzeiger vom 27. November 1915Die Frage der Krieger-Heimstätten im Liberalen Bürgerverein. Die auf Donnerstag abend in das Hähnchen berufene Versammlung des Liberalen Bürgervereins wurde von dem Vorsitzenden, Herrn Professor Schmidt, mit dem Hinweis eröffnet, daß der Liberale Bürgerverein sich wiederholt schon mit der Frage der Kriegsbeschädigten und ihrer Arbeitsfähigkeit beschäftigt habe und nun eine andere wichtige Zukunftsfrage für unsere Krieger und unser ganzes Volk behandeln wolle: wie den aus dem Felde heimkehrenden Kriegern, auch den gesunden, im deutschen Vaterlande eine glückliche Zukunft bereitet werden könne, so daß sie an dem von ihnen so tapfer verteidigten Vaterlande auch ihre ungetrübte Freude haben könnten. Diese Aufgabe solle durch die Bestrebungen der Kriegerheimstättenbewegung gelöst werden.
   Der Hauptredner des Abends, Herr Pfarrer Strauß, legte sodann in seinem etwa anderthalbstündigen, außerordentlich fesselnden Vortrage die Entwicklung und die Ziele der Heimstättenbewegung dar. Er führte etwa aus: Schon vor Jahresfrist habe ein inzwischen gefallener Krieger in einem Briefe an seine Mutter die Frage aufgeworfen, ob unser gutes tüchtiges deutsches Volk dasselbe wieder erleben solle, wie nach den Freiheitskriegen vor hundert Jahren und nach dem Kriege 1870/71, daß wieder die Familieväter an dem Heimatboden, für den sie kämpften, keinen Anteil haben sollten. Das sei des Deutschen Reiches Schicksalsfrage nach dem Kriege.
   Die Wohnungsnot ergab sich schon vor dem Kriege aus der Ueberfüllung der Wohnungen, die es mit sich bringt, daß viele Personen einer Familie und sehr häufig noch Schlafburschen in kleinen Wohungen von oftmals nur einem Raum zusammengepfercht sind, daß diese Wohnungen unverhältnismäßig teuer sind, so daß gerade die kleinsten Leute ein Viertel bis ein Drittel ihres Jahreseinkommens für Wohnungsmiete ausgeben müssen, aus der berüchtigten Frage nach der Kinderzahl und dem Zusammenwohnen vieler Menschen (in Berlin durchschnittlich 75) in einem Hause. Wohnungsnot entspringt nicht nur aus der Ueberfüllung der Stuben, sondern auch aus der Art des Wohnens. Die Wohnungsnot begünstigt die Seuchen, vor allem die Tuberkulose, sie beeinflußt ungünstig die Kindererziehung, da die Kinder gleichsam auf der Straße aufwachsen müssen, und fördert die Unsittlichkeit. So ist die Wohnungsfrage tatsächlich eine Frage der Gesundheit, Sittlichkeit und Wehrkraft und damit wirklich die Schicksalsfrage des deutschen Volkes nach dem Kriege. (...)
   Durch die Bestrebungen der Heimstätten-Bewegung soll nun den beiden großen Gefahren der Wohnungsnot in den Städten und der Entvölkerung des Landes begegnet werden. Es soll durch Reichsgesetz jedem Krieger ermöglicht werden, eine Heimstätte zu erhalten, die außer dem Wohnhaus einen Nutzgarten, einen gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Betrieb umfaßt. Als bestes Vorbild könnte die Gesetzgebung in Serbien dienen, wo bisher ein Morgen Land für Wohn- und Wirtschaftsgebäude sowie fünf Morgen Ackerland unverkäufliches und unpfändbares Eigentum jeder Bauernfamilie waren. Bei uns in Deutschland müßte geeignete Siedlungsgelände aufgeteilt und jedem Bewerber, in erster Linie den Kriegsbeschädigten sowie den gesunden Kriegern und den Kriegerwitwen, ein Stück überwiesen werden. (...)
Anzeige im General-Anzeiger vom 27. November 1915   Die Kriegerheimstättenbewegung hat im deutschen Volk großen Beifall gefunden. Nachdem auf Anregung Damaschkes und des Bundes der Bodenreformer im März d. J. sich 28 Vereinigungen zusammengeschlossen hatten, gehören jetzt schon dem Hauptausschuß für Kriegerheimstätten 2100 Vereinigungen an, darunter der Reichsverband der deutschen Klein- und Mittelstädte, große wirtschaftliche Verbände wie der Verband der mittleren Post- und Telegraphenbeamten, der Verband evangelischer Arbeitervereine, auch katholische Arbeiterorganisationen, in Bonn die evangelischen Bürgervereine Eintracht und Bonn-Süd. Aerzte, Erzieher und Volkswirte befürworten den Plan aufs Wärmste. Auch von den Kriegern selbst, ihren Angehörigen und den Verwundeten wird er freudigst begrüßt, allerdings hegt man in diesen Kreisen starke Zweifel an der Durchführbarkeit. Aber gerade diese Tatsache, daß die kleinen Leute nicht mehr daran zu glauben wagen, es könnte für sie so etwas geschaffen werden, sollte ein besonderer Ansporn sein. (...)
   Der Vortragende regte dann den Anschluß auch des Liberalen Bürgervereins an die Kriegerheimstättenbewegung an. Auch in Bonn seien die Wohnungsverhältnisse nicht einwandfrei, auch in Bonn sei die Frage nach der Kinderzahl üblich. Daß hier ein dringendes Bedürfnis nach guten Wohnungen bestehe, beweise ja die Bewerberzahl der Gartenstadtgesellschaft. Es gehe aber nicht um Bonn allein, sondern um unser ganzes deutsches Volk. (...)
   Der Vortrag wurde mit großem Beifall aufgenommen. Die sich anschließende Aussprache eröffnete der Vorsitzende, Herr Professor Schmidt, der die Bonner Wohnungsverhältnisse als durchaus nicht rosig bezeichnete. Es herrschten auch hier in ganzen Straßen und Stadtvierteln gesundheitlich traurige Verhältnisse. Wenn, wie er als Schularzt wisse, eine große Anzahl der Bonner Kinder an Blutarmut und Rachitis leide, so liege das zum großen Teil an den kümmerlichen Wohnungsverhältnissen in manchen Teilen der Altstadt. (...)

Das Schauturnen des 25. Bonner Turnlehrerinnen-Kursus, das Donnerstag und Freitag in der Turnhalle der Nordschule stattfand, nahm einen äußerst anregenden Verlauf. Nachmittags um 5 ¼ Uhr traten die Turnerinnen in bequemer, kleidsamer Tracht an, um zunächst Aufstellung zu gemeinsamen Freiübungen zu nehmen. In der Anordnung der in ruhiger, langsamer Bewegung ausgeführten Uebungen fanden die Grundsätze der deutschen und schwedischen Methode Berücksichtigung. Nach einer Laufübung folgte das Geräteturnen. Um einen Wechsel in der Beschäftigung herbeizuführen und den Körper allseitig zu üben, wurden Uebungen an den verschiedenen Geräten vorgenommen. Das mit großer Sicherheit ausgeführte Geräteturnen zeugte von hoher turnerischer Leistungsfähigkeit der Kursistinnen. Den Schluß der Veranstaltung bildete ein reizender und in prächtiger Weise ausgeführter „Schiffertanz“. Die zahlreich erschienenen Zuschauer brachten den gesamten, unter Leitung des Turninspektors Schroeder stehenden Darbietungen ein allseits reges Interesse entgegen und spendeten am Schlusse lebhaften Beifall.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 27. November 1915Die Stadtverordneten hatten gestern schon wieder mal Gelegenheit, zwei Schenkungen in die Obhut der Stadt zu nehmen. Ein gefallener Bonner Offizier hat im Feldzuge erblindeten Soldaten aus Bonn und in Not geratenen Bonner Familien gefallener Soldaten 3.000 Mark vermacht und ein Kölner Wohltäter die städtischen Armen mit 3.000 Mark bedacht. Den edlen Spendern wurde warmer Dank zuteil. – (...) – Etwas spät zwar, aber doch nicht zu spät, erhält Bonn sein Kriegsmal. Die Versammlung stellte ihm seinen würdigen Münsterplatz zur Verfügung, der, weil er vom Hauptverkehrsstrom umflossen, auch gewiß viele Opferfreudige dem Mal zur Nagelung zuführen wird. Die Petroleumnot hat unserer Gasfabrik so viele Freunde erworben, daß sie ihnen nicht allen Gasmesser zuwenden konnte. Ihr Verbrauch wird mit einer billigen Pauschalsumme, der ein Erfahrungssatz zu Grunde liegt, vergütet, bis wieder Messer zur Verfügung stehen. – Ihr soziales Empfinden bekundeten Verwaltung und Versammlung wieder dadurch, daß sie den städtischen Arbeitern trotz einer im April erfolgten Lohnerhöhung von 10 Prozent jetzt noch wöchentliche Teuerungszulagen zusprachen, die den Stadtsäckel mit der sehr erheblichen Summe von 52.000 Mark jährlich belasten werden. Ein Stadtverordneter schnitt bei dieser Gelegenheit die in allen Zweigen des Baugewerbes herrschende Erwerbslosigkeit an und bat um oberbürgermeisterliche Aufmunterung derjenigen Bürger, die irgendwie Bauhandwerker beschäftigen könnten. – Unserer Freunde im Orient, der tapferen Bulgaren, gedachte die Versammlung, indem sie dem Bulgarischen Roten Kreuz 2.000 Mark überwies.

Verhandlungen der Stadtverordneten am Freitag den 26. November.
(...)
Kartoffelversorgung der Stadt.
Beigeordneter Piehl gab hierzu interessante Aufschlüsse, wie die Stadt der Kartoffelnot entgegen getreten ist. Die Versorgung der Bonner Bürger mit Kartoffeln sei bis zur nächsten Ernte gesichert. In der Zeit vom 8. bis 23. November seien im ganzen 89 Waggons zu 200 Zentner verkauft worden; davon allein im Kleinverkauf 1.606 Zentner, die in Mengen von 10 – 20 Pfund ausgewogen worden sind. 2.472 Familien hatten sich an dem Bezug des zentnerweisen Verkaufs beteiligt, außerdem sieben klinische Anstalten und Truppenverbände. Der Kleinverkauf auf dem Markt und in den Verkaufsstellen in der Stern- und Stockenstraße, der durch die Gartenbauverwaltung und ehrenamtliche Verkäuferinnen geschehe, habe allein 6.077 Zentner umgesetzt. Zu dem höheren Selbstkostenpreis von 4 Mark seien 442 Zentner abgesetzt worden. Arbeiter und Angestellte der Stadt, sowie Angestellte unter 3000 Mark Einkommen hätten 5.100 Zentner abgenommen. Unterstützungsbedürftige und Kriegerfamilien 2.610 Zentner. Als der zentnerweise Verkauf begonnen habe, sei der Kleinverkauf merklich zurück gegangen.
   Der Großverkauf ist nie zum Stocken gekommen. Nur an zwei Tagen im November habe von 10 – ½12 Uhr morgens der Kleinverkauf ausgesetzt werden müssen, weil der Andrang der Käufer gerade um diese Zeit so ungeheuer groß gewesen sei, daß nicht rechtzeitiger Nachschub herangebracht werden konnte. Die Käufer müßten sich mehr dazu herbeilassen, schon am frühen Morgen zum Kartoffelkauf zu kommen.
   Um den Schwierigkeiten im Kleinverkauf noch weiter zu begegnen, wird in der nächsten Woche im Verwaltungsgebäude in Poppelsdorf eine neue Verkaufsstelle eingerichtet und, wenn nötig, werden noch weitere eröffnet. (...)

Bonner Wochenmarkt. Der gestrige Markt war im allgemeinen auffallend schlecht beschickt. Besucht wurden vorwiegend die Reihen der Gemüsebauern. Die Verkäufer klagen in letzter Zeit vielfach über sehr schlechten Verkauf. Viele äußerten sich sogar, daß sie, wenn der Verkauf nicht flotter werde, den Markt den Winter über nicht mehr besuchen wollten. Außer beim städtischen Verkauf waren auch gestern wieder auf dem ganzen Markt keine Kartoffeln zu haben. Dagegen werden jetzt wieder unmittelbar vom Land Kartoffeln an die Verbraucher mit Fuhrwerk ans Haus gebracht.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Mehr Druck. Es wird in den allerletzten Tagen vielfach bemerkt, daß in den oberen Etagen der Häuser die Gasbeleuchtung bis abends 8 Uhr so schwach ist, daß es unmöglich ist, bei dem Lichte zu arbeiten oder zu lesen. Erst wenn um 8 Uhr die Geschäfte die Gasbeleuchtung löschen, wird die Beleuchtung eine normale. Um dringende Abhülfe bitten Mehrere Bewohner der Altstadt

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Stimmen aus dem Leserkreis“)