Donnerstag, 4. November 1915

    

Die Kostüm-Sammelstelle Baumschul-Allee 45a bittet auch in diesem Winter wieder um Zuwendungen von Gesellschafts- und Straßenkleidern, Futtertaillen, Blusen, Spitzen, Blumen und anderen Dingen, die die Wollsammlung nicht gebrauchen kann, die aber vielen Schauspielerinnen hochwillkommen sind.

Der Vaterländische Frauenverein Stadtkreis Bonn veranstaltet am morgigen Freitag von 5 Uhr ab einen Kriegs-Strickabend. Er hofft auf recht zahlreiches Erscheinen, weil die Weihnachtsgaben für unsere tapferen Soldaten im Felde besprochen werden sollen, eine Liebesarbeit, an der die Bonner sich gewiß auch in diesem Jahre wieder gerne beteiligen werden.

Eifelverein. Die Bonner Ortsgruppe führt ihre Mitglieder am kommenden Sonntag auf aussichtsreichen Wegen in das Vulkangebiet des Herchenberges und des Bausenberges. Abfahrt ab Bonn 8.32 Uhr nach Niederbreisig (mit Sonntagskarte Brohl); Rückkunft 6.27 oder 8.13 Uhr.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

    

Anzeige im General-Anzeiger vom 4. November 1915Die Lebensmittelteuerung stand gestern abend in einer vom Liberalen Bürgerverein ein­berufenen Versamm­lung zur Verhandlung. Der Vorsitzende, Prof. Dr. F. A. Schmidt, wies daraufhin, daß der Plan unserer Feinde, uns auszuhungern, mißlungen sei. Leider sei aber die Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel durch außerordentliche Teuerung den wirtschaftlich Schwachen sehr erschwert. Die Höhe der Preise lasse sich nicht rechtferti­gen. Handelskammer-Syndikus Dr. Uhlitzsch gab dann ein eingehendes Bild über die Ge­staltung der Nahrungsmittelpreise seit dem Kriege, ausgehend von der Ansicht eines russi­schen Nationalökonomen, daß das deutsche Reich wirtschaftlich zusammenbrechen müs­se, wenn es in einen größeren Krieg verwickelt werde. Dieser Ansicht habe auch Eng­land gehuldigt. - Die Rechnung aber war falsch. Etwas knapp seien zwar die Nahrungsmit­tel ge­worden, aber wir könnten unseren Widerstand voll aufrecht halten. Alle Kriege führ­ten Teue­rung im Gefolge und alle Länder, selbst die neutralen, litten schwer unter Teue­rung. Zuge­ben werde man müssen, daß bei den hohen Preisen die Ernährung der Minder­bemittelten sehr erschwert sei. Diesen Familien beizustehen sei die höchste Pflicht.
  
Es sei festgestellt durch Erhebungen in 200 deutschen Städten, daß bei Beginn des Krie­ges im Mittel eine Familie von 4 Köpfen 25,12 Mk. wöchentlich für den Unterhalt nötig hat­te. Im August 1915 habe dieselbe Familie aber schon 39,30 Mk. für ihren Unterhalt benö­tigt. 77 Prozent des Einkommens müßten in der Rheinprovinz für Ernährung einer mittle­ren Fa­milie aufgewendet werden. Vielen Familien ist es nun gelungen, in der einen oder ande­ren Weise einen Ausgleich herbeizuführen durch Sparen an anderer Stelle. Leider habe auch der starke Verdienst in den benachbarten Orten zu Preistreibereien geführt.
   Einer Unterernährung der Bevölkerung vorzubeugen, sei aller Berufenen Pflicht. Dies sei schwer bei den überaus gesteigerten Preise, die bei Schweinefleisch eine Verdoppelung gebracht und bei Milch, Butter, Fetten ganz enorm seien. Zu unterscheiden sei zwischen Preistreiberei und Teuerung; jeder Preistreiberei sei mit allen Mitteln entgegen zu treten; die gehöre an den Pranger. Doch könne von allgemeiner Preistreiberei keine Rede sein. Auch im Kriege blieben die Preise von Angebot und Nachfrage abhängig; damit müsse man sich abfinden.
   In Rumänien und Holland lagerten große Mengen Vorräte, die die von deutschen Händlern gekauft und bezahlt seien, die aber durch Ausfuhrverbote und Transporthindernisse zurück­gehalten würden. Deutsche Händler hätten sich vielfach bei Ankäufen in Preisen überboten, um nur Waren zu bekommen.
   Unser Glück sei, daß wir im Inland selbst den größten Teil unseres Bedarfs erzeugten. Die hohen Preise erklärten sich zum Teil aus dem verringerten Angebot, die Erstehungskosten seien gestiegen; Futtermittel sein teurer geworden.
   Es wäre aber alles nicht so in die Höhe getrieben worden, wenn Händler und Verbraucher nicht durch übermäßige Nachfrage dazu Veranlassung gegeben. Maßhalten in der Nachfra­ge; Einschränkung, Selbstzucht im Verbrauch, sich nicht auf Vorräte stürzen, wür­den die Preise niedriger halten. Den Handel treffe nicht die Schuld allein. Die Wohlhaben­den hätten durch Einlegung großer Vorräte mit die Preise in die Höhe getrieben; sie hätten um jeden Preis gekauft; mehr gezahlt, als gefordert wurde. Auch die großen Ankäufe der Militärver­waltung und der großen Städte hätten zu Preistreibereien geführt. Zur Zeit, als die Kartof­feln auf 3,50 M. standen, habe eine Großstadt durch Anschlag auf dem Lande einen Preis von 4 Mark geboten. Hier seien doch zweifellos die Käufer die Treiber.
  Anzeige im General-Anzeiger vom 4. November 1915 Redner geht dann näher auf die Maßregeln ein, mit denen die Regierung der Teuerung ent­gegen arbeitet und gibt hierbei den Richtpreisen den Vorzug vor Höchstpreisen. Auch von der Preisprüfungsstelle erhofft Redner recht ersprießliches, wenn sie mit rechten Män­nern arbeite, und wenn diese nur recht energisch eingreifen würde.
   Die Gemeinden hätten durch geeignete Einrichtungen dafür zu sorgen, daß es den Minder­bemittelten ermöglicht werde, ihren Bedarf in den wichtigsten Nahrungsmitteln zu de­cken.
   Nach dem Muster der Brotkarte müsse schnell und energisch auf allen Gebieten eingegrif­fen werden. Mit der Brotkarte habe das deutsche Volk eine gewaltige wirtschaftliche Schlacht gewonnen. An eine Aushungerung sei nicht mehr im Entferntesten zu denken.
   Der von wohltuender eingehender Sachlichkeit getragene Vortrag des Redners fand bei al­len Rednern und Rednerinnen in der nun folgenden Diskussion im allgemeinen Zustim­mung.
   Die Diskussion gestaltete sich nun sehr lebhaft. Aus allen Ständen traten Redner auf, die in lebhafter Weise zu dem Thema des Abends Stellung nahmen. Alle aber ohne Ausnah­me verurteilten aufs Schärfste den Lebensmittelwucher und alle forderten mit warmen Worten genügende Fürsorge für die wirtschaftlich Schwachen, aber auch für das Porte­monnaie des Mittelstandes. Sehr krasse Fälle von Preistreibereien wurden dabei ans Licht gezogen und Kriegsgewinne bekannt gegeben, die über das Maß gingen. Im Schlußwort konnte Herr Dr. Ulitzsch feststellen, daß alle Redner sich mit den Hauptzügen seines Vortra­ges und einer „Ent­schließung zur Frage der Lebensmittelteuerung“, die zur Besprechung stand, einver­standen erklärten. Vor allem mahnte aber der Redner auch hier zur Selbst­zucht, zur Be­schränkung.
   Der Besuch der Versammlung war sehr stark; vielleicht stellten die Bürgerinnen den größ­ten Teil. Aus ihnen stand auch eine recht resolute Rednerin auf, die in der Besprechung das Treffen des Kernes der Sache vermißte.
   Die Versammlung nahm folgende Entschließung an:

   Die an Nahrungsmitteln vorhandenen Vorräte reichen vollständig aus, um die Bevöl­kerung vor Schaden zu bewahren. Nur ihre Verteilung und die Gestaltung der Preise vermag Sorge zu bereiten. Soweit die Verteuerung der wichtigsten Nahrungsmittel auf künstliche Preistrei­berei und gewissenlose Profitgier zurückzuführen ist, muß strengs­te Verfolgung und schärfste Bestrafung platzgreifen, um diesem ehrlosen und un­patriotischen Verhalten Ein­halt zu gebieten. Zur Begegnung der unvermeidlichen Teuerung müssen sich alle Kräf­te des Volkes vereinigen, um die Preise auf einem er­träglichen Maße zu erhalten. In erster Li­nie sollte, soweit irgend angängig, die Be­schlagnahme und Verbrauchsregelung der wich­tigsten Lebensmittel von Seiten des Staates nach Art die Brotkarte erfolgen.
   Alle Lebensmittel, die zur Einfuhr aus den neutralen und verbündeten Staaten gelan­gen, sollen staatlicherseits zu angemessenen Preisen übernommen und dem Verbrau­cher zuge­führt werden.
   Die Gemeindeverwaltungen müssen fortfahren in dem Vertrieb von Nahrungsmitteln, na­mentlich an die minderbemittelte Bevölkerung und in der freien Abgabe an besonders be­dürftige Kreise, sich auch den Ausbau von öffentlichen Speiseanstalten angelegen sein las­sen.
   Die Verbraucher aber in ihrer Gesamtheit ohne jeden Unterschied sollten sich in dem ernst­lichen Willen vereinigen, sich zu Gunsten der Kranken, Schwachen und Kinder sowie der schwer arbeitenden Bevölkerung in dem Verbrauch aller derjenigen Lebensmittel mög­lichst zu beschränken, die in weniger reichlichem Maße vorhanden sind.
   Durch Selbsthilfe und Selbstzucht kann die gesamte Bevölkerung selbst den größten Ein­fluß auf die Preisstellung ausüben und dazu beitragen, daß die großen, die ganze Welt mit Bewunderung erfüllenden Errungenschaften des deutschen Volkes sowohl in militärischer, wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht verdunkelt werden. Klagen und Streit führen nicht zum Ziele; nur gemeinsames Zusammenstehen und der unbeugsame Wille zum Durchhal­ten verbürgen den Erfolg.

Der Gedankenleser Labero gab gestern in den Bonner Lichtspielen seine erste Gastspielvorstellung. Ein überaus starker Besuch kennzeichnete das Interesse für das Können Laberos. Es handelt sich um einen jungen Mann von offenbar besonderer seelischer Reizsamkeit und Willensstärke. Inwieweit ihm der „sechste Sinn“ des Gedankenlesens zu eigen ist, wurde durch Experimente dargetan, bei welchen es sich um sog. Gedankenübertragung handelt. Wenn Labero die Fähigkeit besitzt, die aus seinen Experimenten hervorleuchtete, so erscheint er als ein Phänomen, auf das Hamlets Wort zutrifft, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von welchen sich unserer (medizinische) Schulweisheit nichts träumen läßt. Vielleicht interessieren sich unsere Nervenärzte und Vertreter der jungen Wissenschaft der experimentellen Psychologie für Labero, der sich Aerzten, wie überhaupt wissenschaftlichen Kreisen gerne zur Verfügung stellt.

Die Butter wird billiger. Nach einer Bekanntmachung des Oberbürgermeisters ist der Höchstpreis für 1 Pfund Butter für den Kleinhandel im Stadtbezirk Bonn auf 2,55 Mark festgesetzt worden. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

    

Im Naturheil-Verein spricht am Donnerstag abend im Dreikaisersaal Herr P. Schirrmeister über das Thema „Der Krieg, unsere Nerven und Gesundheitsschutz“.

Zum Fleischverbot. Am 1, November ist die Verordnung über die Verminderung des Fleisch- und Fettgebrauchs in Kraft getreten. So hatten denn am Allerheiligentage die hiesigen Wirte bereits ihre „fettlosen Speisekarten“ ausgelegt. Die sämtlichen Metzgerläden Bonns waren am vorgestrigen Tage geschlossen, viele hatten sogar die Rolladen herunter, was jedoch nicht durch die Verordnung ausdrücklich bestimmt ist. Vielfach herrscht über die Verordnung große Unklarheit, wie die aus zahlreichen Briefkastenanfragen hervorgeht. Hierzu können wir bemerken, daß Buttergeschäfte nicht zu schließen sind. Wohl unterliegen jedoch bezüglich des Fleischverbrauchs am Dienstag und Freitag Gastwirtschaften, Schank- und Speisewirtschaften, sowie Pensionate und Vereinswirte der Verordnung. Also diese dürfen ebenfalls kein Fleisch abgeben. Ausführliche Bestimmungen sind noch nicht herausgekommen, werden jedoch in den nächsten Tagen erscheinen.

Bauernregeln für den November. November viel Schnee, gibt viel Frucht und Klee – Im November Morgenrot, dann Regen droht. – Martinstag (10. November) trüb, macht den Winter mild und lieb. Ist er hell, so macht er das Wasser zu Schell (Eis) – Der den Martinstag betracht, und hab dann wohl Acht, kommt er naß in’s Land, so folgt ein Winter mit Unbestand. Wenn aber die Sonne scheint wohl, ein harter Winter folgen soll.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)