Dienstag, 2. November 1915

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 2. November 1915Allerheiligen. In stiller Trauer wurde gestern der Gedenktag unserer Toten begangen. Zum zweiten Male haben wir nun Allerheiligen erlebt in dem Krieg, der jedem von uns den Tod und alles Leid des Abschiednehmens Tag für Tag und jede Stunde vor die Seele stellt. Dieser Krieg, der für so viele von uns eine Schule geworden ist, in der das Leben eine neue Bedeutung, einen anderen, tieferen Sinn gewinnt, ist auch eine Schule des Leides. Unsere Totentrauer ist weniger selbstsüchtig geworden. Wer könnte sich jetzt noch in seinem eigenen Schmerz vergraben, da eine Woge des Leidens und der Trauer über das Land dahingeht. „Unsere Toten“, das Wort, das auch sonst wohl an Allerheiligen gesprochen wurde, es wird jetzt erst ganz erfüllt. Ueberall im Osten und Westen und am Grunde der Meere liegen sie „unsere Toten“. Ganz und gar unser, weil sie für uns gestorben sind. Für ein Ziel, für eine Idee, für ein Gemeinsames, das so sehr mit uns verbunden, so fest und heilig in uns aufgerichtet ist, daß der Tod für dieses Gemeinsame ein Tod für uns ist. Und so denken wir nun an Allerheiligen unserer Toten. In eine tiefen, stillen, ergriffenen Trauer. Aber auch in einer stolzen Trauer. Und zugleich in dem heiligen Gelöbnis, würdig zu sein eines Opfers, das für uns gebracht worden ist. Wenn wir gestern auf den Friedhof gingen, um die Gräber unserer Lieben aufzusuchen, gedachten wir dabei auch des großen, großen Grabes, in dem unsere Helden ruhen. Und wenn wir unsere Gräber schmückten, so geschah es in dankbarer Liebe und in jenem tieferen Sinn, von dem Jean Paul Richters milde Weisheit sagt: „Der Mensch feiert seinen Geliebten ein schöneres Totenfest, wenn er fremde Tränen trocknet, als wenn er seine vergießet; und der schönste Blumen- und Cypressenkranz, den wir an teure Grabmäler hängen können, ist ein Fruchtgewinden aus guten Taten!“

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 2. November 1915Dem Gedenken der Toten. Auf die Grenze, wo der Herbst sich zu den Wintertagen neigt, hat die christliche Kirche zwei bedeutungsvolle Tage gelegt. Allerheiligen – Allerseelen. Sie sind dem Gedenken der Abgestorbenen geweiht, dem Gedenken der Toten, aller Toten, die auf den Friedhöfen ruhen. Tief ist die schöne Sitte in den Gedankenkreis, in das Herz der Menschen gedrungen. Nimmer werden die Friedhöfe leer, im ganzen Jahre nicht, Tag für Tag wandern viele nach draußen in die Gesellschaft der ewig Verstummten, deren Leiber wieder werden sollen, dem Bibelworte nach, zu Staub, von dem sie genommen. Am Allerheiligentage, zu Allerseelen wird die Einzelwanderung zur Völkerwanderung. Wohl keiner in Dorf und Stadt, den dann nicht die Sehnsucht zu den Toten trieb, auch wenn ihm keiner von allen näher stand.
   Auf elf besonderen Friedhöfen ruhen die Toten unserer Stadt; sieben davon sind seit Generationen, einige seit Jahrhunderten in Gebrauch. Ganze untergegangene Geschlechter, ganze Dorfschaften ruhen auf dem alten Friedhof von Kessenich, abgeschlossene Zeit- und Kulturperioden treten uns aus den verwitterten Grabsteinen des alten Friedhofes von Bonn und Poppelsdorf entgegen. Auf den neuen Gräberfeldern ruhen und schlummern die Menschen, die uns der Tod aus der Gegenwart entriß.
   Alle Friedhöfe standen die Tage unter Massenbesuch. Lieber Sitte mußte sich in diesem Jahre entschlagen werden; kein Lichtlein durfte dem düsteren Tod, die Auferstehung hoffnungsvoll entgegen leuchten. Doch die Liebe höret nimmer auf und reichlicher pflanzte sie auf die Gräber lebende, blühende Blumen, grünes Tannenreis, die dem unheimlichen Schnitter dasselbe sagen. Und die Gebete, die wohl bei flackerndem Kerzenschein mochten abschweifen, stiegen diesmal wohl inniger zum Lenker aller Geschicke empor. [...]
   Nicht alle, die da im schwarzen Schleier still mit gramvollem Gesicht über den Friedhof schritten, beweinten Tote, die hier in heimischer Erde ruhen. So viele ja schlummern den ewigen Schlaf in fremder Erde. Sie ruhen in Massengräbern auf den Schlachtfeldern Belgiens, Frankreichs, sie ruhen in Rußland und Polens öden Gefilden; sie verschlang die See. Wohl dem, dem kameradschaftliche Treue noch ein Kreuzlein setzen konnte. Schrecklich die, die verschollen und ungefunden, wer weiß wo, im Waldesdickicht, im Sumpf und wilder Heide vermodern.
   Stille Tränen flossen gestern besonders an den Gräbern, denen kein Mensch ein Blümlein, denen keine Liebe geschenkt seit Jahren. Hier ruhen Vergessene, Unbekannte, und zu diesen zog es so viele im schwarzen Gewand hin; hier war ein ähnliches Schicksal; möge das Grab des Teuren im fernen Lande, wo es auch sei, ein ähnliches Gedenken finden. Und denen, die nach Kampf und Tod kein Grab gefunden, wird Mutter Erde doch besonders gedenken; sie ist ja so gütig und Sonne, Mond und Sterne werden ihnen Lichter spenden zum Zeichen der Auerstehung, der Wiedervereinigung.
   Treue Liebe im Gebet, teures Andenken in Blumenschmuck und Tannenreis fanden gestern unsere Toten in herrlicher Fülle. Und auch das Licht sollte ihnen werden: Als der frühe Abend fiel, loderten an den Wegen der Friedhöfe Pechkränze auf; so ganz sollten unsere Teuren doch nicht das Zeichen der Auferstehung missen.
   Ein Volk ehrt sich selbst, das seine Toten ehrt.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

   

Eine Garnisontotenfeier fand am Sonntag nachmittag an den Kriegergräbern auf dem Nordfriedhof statt. Es hatten sich zu ihr die Spitzen der militärischen, kirchlichen und Ge­meindebehörden, Abteilungen der in Bonn befindlichen Truppen, die Militärvereine und eine ungeheure nach vielen Tausenden zählende Menschenmenge eingefunden. Die Ka­pelle des Landsturm-Infanterie-Bataillons Bonn spielte zur Eröffnung einen Trauermarsch. Nach einer kurzen Ansprache legte Herr Jansen im Namen des Kreiskriegerverbandes Bonn Stadt an den Gräbern einen Kranz nieder, Hauptmann Knickenberg im Namen des Landsturm-Inf.-Bat. Bonn, ein Hauptmann vom Inf.-Reg. Nr. 160 im Namen des Bonner Er­satz-Bat. Inf.-Reg. Nr. 160. In ergreifender Weise trug die Bonner Liedertafel „Himmels­sehnsucht“ von Lindpaitner vor. Herr Dechant Böhmer führte in einer Ansprache u.a. aus: Wenn schon in Friedenszeiten der Besuch des Friedhofes geeignet ist, bei jedem denken­den Menschen ernste Gedanken hervorzurufen, um wie viel mehr gilt dies von der heuti­gen großen und schweren Zeit, die wir durchleben. In tiefer Ergriffenheit stehen wir hier an den Gräbern unserer Helden, die in treuer Erfüllung ihres Fahneneides das größte Opfer, näm­lich das Opfer ihres jugendlichen Lebens auf dem Altar des Vaterlandes brachten. Diesen Helden gebührt eine unauslöschliche Dankbarkeit, vor allem im Hinblick auf die vielen schweren Schicksalsschläge, die diese Helden von uns abgewehrt haben. Sie sind im vollsten Sinne unsere Lebensretter geworden. Ihnen dankbar zu sein ist für uns alle eine gebieterische Pflicht. Unsere Dankbarkeit wollen wir zeigen durch mildtätigen Sinn gegen­über den bedürftigen Angehörigen der Gefallenen. Unsere Feier wäre aber nicht vollkom­men, wenn wir nicht unseren Blick hinüberrichteten ins Jenseits. Da regen sich mächtig Gedanken des Trostes und der Hoffnungsfreudigkeit, die auch den Hinterbliebe­nen ihre Schmerzen erleichtern müssen. Von all den Gefallenen dürfen wir hoffen, daß sie in Gott einen gnädigen Richter gefunden haben. Und sollten sie noch etwas abzubüßen haben, so versprechen wir ihnen, daß wir ihnen hilfreich beispringen werden. Wir wollen nicht auf­hören zu flehen: Herr gib ihnen die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ih­nen. Nach zwei der Feier angepaßten Liedern der Bonner Liedertafel und einem weiteren Vortrag der Militärkapelle hielt Herr Pfarrer Lorenz eine Ansprache über die Worte: Selig sind die To­ten, die im Herrn sterben. Die schöne ergreifende Feier fand ihren Abschluß mit dem Lie­de „Am Grabe“, womit die Liedertafel aufwartete, und dem Niederländischen Dankgebiet, gespielt von der Militärkapelle.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)