Samstag, 16. Oktober 1915

    

Anzeige im General-Anzeiger vom 16. Oktober 1915Stadtverordneten-Sitzung. Zu Beginn der gestrigen Stadtverordneten-Sitzung teilte Oberbürgermeister Spiritus mit, daß Stadtverordneter Geheimrat Cosack mit Ablauf dieses Jahres sein Amt als Stadtverordneter niederlegen werde. Er gab den Stadtverordneten sodann zwei Schenkungen bekannt: Gutsbesitzer F. A. Engels von Marienforst hat der Stadt 500 Mk. zur Milchversorgung Bedürftiger überwiesen, Frau Alfred Mannesmann geb. v. Mosengeil in Bonn hat der Stadt Bonn einen Kranken-Anhängewagen mit Inneneinrichtung gestiftet. Die Versammlung bewilligte für Badewäsche des Schulbrausebads der Poppelsdorfer evangelischen Schule 300 Mark, für eine Sirene, die die Einwohnerschaft beim etwaigen Herannahen feindlicher Flieger warnen soll, 2000 M., für warme Unterkleider deutscher Kriegsgefangener in Rußland 8000 M., als Anteil der Stadt Bonn an dem Hilfswerk des Regierungsbezirks Köln für den ostpreußischen Kreis Neidenburg 40.288 M. Der Schlachthauszwang für Hausschlachtungen in den Vororten wurde nicht, wie mehrere Stadtverordnete beantragt hatten, aufgehoben, dagegen beschlossen, daß die Schlachttiere auf städtischen Fuhrwerken unentgeltlich zum Schlachthof befördert werden sollen. Auf eine Anfrage des Stadtverordneten Henry machte Beigeordneter Dr. v. Gartzen ausführliche Mitteilungen über die bisherigen und noch geplanten Maßnahmen der Stadtverwaltung zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung. Er teilte u. a. mit, es würden Maßnahmen getroffen, um Kriegerfamilien und Unterstützungsempfängern Kartoffeln zu 3,50 M. den Zentner zu liefern. Den Kriegerfamilien sollen Vorschüsse gewährt werden, damit sie sich einen größeren Kartoffelvorrat einkellern können. Die Stadt werde auch sonst der wenigerbemittelten Bevölkerung genügende Kartoffelmengen zu mäßigen Preisen zugängig machen. Der städtische Fleischverkauf solle fortgesetzt, die Hülsenfrüchte sollten durch die Händler verkauft, die Verkaufspreise aber streng beaufsichtigt werden. Die Abgabe des der Stadt Bonn zur Verfügung stehenden Petroleums solle mittels Petroleumkarten geregelt werden. Unter Mitwirkung einer Anzahl Fischhändler werde die Stadtverwaltung auch einen städtischen Fischverkauf einrichten. Die Milchanstalt der Stadt sei nach wie vor in der Lage, Kindern und Kranken die nötige Milch zu liefern, für einen etwaigen Notfall habe die Stadt noch große Mengen kondensierter Milch auf Lager. Ueberhaupt verfüge die Stadtverwaltung noch über ein reichhaltiges großes Lager von allen möglichen Lebensmitteln, so daß sie für die nächsten Monate gesichert sei. Eine Schwierigkeit bilde allerdings zurzeit die Fettbeschaffung.

Anzeige im General-Anzeiger vom 16. Oktober 1915Aus dem Feldpostbrief eines Bonners. Die schwerste Zeit vom ganzen Feldzuge haben wir glücklich hinter uns. Die Franzosen wollten überall durchbrechen, sind aber auf der ganzen Front von unseren braven Truppen zurückgeschlagen worden. Wir hatten 14 Tage lang ein schreckliches Artilleriefeuer auszuhalten, welches nur wenig Schaden angerichtet hat. Leider ist ihm von unserer Kompagnie ein Kamerad zum Opfer gefallen, ein Vater von vier Kindern. Das Abends um ½ 12 Uhr haben wir mit einem Feldgeistlichen ihn in die fremde Erde gelegt. Wie da die Kameraden mit einfachen Kränzen um die Gruft standen und der Geistliche der Hinterbliebenen gedachte, selbst der gefühlloseste Mensch hätte dabei weinen müssen. Jetzt ist hier wieder alles ruhig. Nur die Flieger sind viel in Tätigkeit. Ein Flieger ist von einem unsrer Kampfflieger heruntergeschossen worden, beide Franzosen, die darin waren, sind verbrannt. Wir stimmten in eine kräftiges Hurra ein. .. Aber sehr vie Ungeziefer haben wir hier, an Schlafen ist bald nicht mehr zu denken, so hungrig ist das Sauzeug. ... Um 10 Uhr gehen wir zum Feldgottesdienst, und da haben wir Gelegenheit zum Beichten. Das müßtest Du einmal sehen, wie alle Feldgrauen in einer fast ganz zerschossenen Kirche zum Tisch des Herrn gehen, der Küster ein Feldgrauer und die Chorjungen auch zwei alte Pioniere. Wenn Du sehen könntest, wie andächtig da gebetet wird! Natürlich, es gibt einen Gott, sonst wären wir nicht so lange beschützt worden und hätten wir nicht so viele Siege gehabt. Es ist uns auch ein großer Trost, daß unsere Lieben zu Hause noch von den Schrecken des Krieges verschont geblieben sind...

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

    

Das Außerordentliche Kriegsgericht verurteilte am Donnerstag ein ausländisches Ehepaar, dem das Verlassen von Godesberg verboten war, und das sich trotzdem mehrmals nach Bonn begeben hatte, zu einem und zwei Tagen Gefängnis. – (...) Unter Ausschluß der Oeffentlichkeit wurde ein Photograph aus Godesberg, der bei Lannesdorf ein Flugzeug photographiert hatte, zu einem Tage Gefängnis verurteilt. (...)

Anzeige im General-Anzeiger vom 16. Oktober 1915Oeffentliche Sitzung
der Stadtverordnetenversammlung vom 15. Oktober 1915.
(...)
Interpellation wegen der Lebensmittelversorgung der Stadt Bonn.
Nach Erschöpfung der Tagesordnung bat Stadtverordneter Henry um Auskunft darüber, was die Stadt auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung ihrer Bevölkerung in Aussicht genommen habe und um eine Uebersicht über das bisher Geschehene. Es habe sich in der Bürgerschaft eine gewisse Erregung gezeigt, die zweifellos durch Aufklärung von berufener Stelle beseitigt werden könne.
   Beigeordneter v. Gartzen war bereit, die Anfrage sofort zu beantworten. Er führte aus: In der jetzt dringendsten
Frage der Kartoffelversorgung
habe der verstärkte Unterstützungsausschuß beschlossen, einstweilen eine abwartende Haltung einzunehmen. Die Kartoffelernte sei sehr reichlich. Sie übertreffe noch das gesegnete Kartoffeljahr 1913 um ein Bedeutendes. In Aussicht genommen habe der Unterstützungsausschuß eine eiserne Reserve einzulegen, die 14 Tage für die nicht kartoffeleindeckenden Bürger reiche. Die Kartoffeln könnten an Kriegerfamilien und Armenunterstützungsberechtigte für 3,,50 Mark den Zentner geliefert werden. Es würden Gutscheine für einen halben und einen ganzen Zentner ausgegeben; der Verkauf geschehe durch Vermittlung der Händler. Den Kriegerfamilien wolle man den Betrag für 10 – 15 Zentner vorschießen und in kleineren Raten von den Unterstützungen einhalten. Der Preis von 3,50 Mark könne für sechs Monate an Minderbemittelte aufrecht erhalten werden. Für Nichtunterstützungsbedürftige sollen auch Gutscheine aber nur zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. Beigeordneter v. Gartzen ist der Ansicht, daß die Kartoffelpreise, die in den letzten Tagen, vielfach veranlaßt durch Angsteinkäufe, etwas angezogen hätten, wieder sinken würden, sobald die großen Massen der jetzt eingeernteten Kartoffeln auf den Markt kämen. Er gab allen, die es können, den dringenden Rat, den Kartoffelvorrat freihändig einzukaufen. Die Stadt könne für diese Bürger nicht sorgen.
Die schwierigste Frage für die Verwaltung sei
die Versorgung mit Fleisch und Fett.
Mit gutem Erfolg habe die Stadt bis jetzt Speck und Fett verkauft. Die jetzigen Vorräte gehen mit dieser Woche zu Ende. Doch ist Vorsorge getroffen, daß weitere Vorräte dreimal in der Woche zum Verkauf gelangen können. Die Stadt habe noch große Mengen Pflanzenfett auf Lager, das sie für 50 Pfennig abgeben kann und das jetzt im Handel 1,10 Mark kostet. Vier bis fünf Monate lang kann sie täglich einen Zentner abgeben. Speisefett ist auch in großen Mengen beschafft worden. Doch werden damit nur Anstalten versorgt.
Hülsenfrüchte
erhält die Stadt durch die Zentralversorgungsanstalt in Berlin. Sie gibt diese an die hiesigen Geschäfte ab und schreibt den Preis zum Einzelverkauf vor. Große Bestände an Reis werden bald der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Bis jetzt hat de Unterstützungsausschuß 130.000 Poritionen Hülsenfrüchte, Reis, Gerste, Haferflocken usw. ausgegeben und ferner noch 80.000 Brote. Hierfür und an baren Unterstützungen wurden bis jetzt 4.200.000 Mark aufgewendet. Der Stadt stehen an
Petroleum
20 Prozent des Verbrauches vom Oktober 1913 zur Verfügung. Sie wird Karten nur an diejenigen Bürger ausgeben, die nicht Gelegenheit haben, Gas, elektrisches Licht oder Spiritusglühlicht zu brennen. Vom September stehen noch 5000 Liter zur Verfügung und vom Oktober noch 7000 Liter. Sobald diese überwiesen sind, werden die Petroleumkarten ausgegeben. Beigeordneter v. Gartzen wies dann noch auf das Spiritusglühlicht als Lichtquelle hin; die Brenner würden in hiesigen Geschäften geführt.
Der Fischverkauf
wird städtisch organisiert, soll aber durch Händler geschehen. Auf Kohlen werden, wie in früheren Jahren, Gutscheine gegeben.
   Die Barunterstützungen sind sehr erheblich gestiegen, da die Sätze in Anbetracht der Teuerung erhöht worden sind. Bis Ende September sind 1.044.000 Mark ausgegeben worden. Nach Abzug des staatlich und sonstig zu leistenden Ersatzes verblieben für die Stadt monatlich 50.000 Mark. Während im Januar die gesamte Barunterstützung noch 50.000 Mark betrug, ist sie im September auf 150.000 Mark gestiegen. Da die Beschaffung von Lederschuhen große Schwierigkeiten verursache, habe man Schuhe mit Holzsohlen ausgegeben und, da sehr viele Reparaturen für Schuhe beantragt wurden, habe die Stadt eine städtische Schuhreparaturwerkstätte eingerichtet.
   Die Städtische Milchanstalt sei in der Lage, noch für kleine Kinder, an Kranke und Arme in genügendem Maße
Milch
liefern zu können; die Ausgabe von Schulmilch habe dagegen eingestellt werden müssen. Für eventuelle Notstände sei kondensierte Milch eingelagert worden. Die Milchproduktion werde sich aber auch zweifellos in nächster Zeit wieder heben, da den Landwirten staatlicherseits Getreide und Kartoffeln zur Viehfütterung überwiesen würden. Die Stadt unterhalte noch
reichhaltige Lager an Kaffee und Zucker
und sei hierin für die nächsten Monate gesichert. Der Unterstützungsausschuß, der sich täglich versammle, habe gestern seine 361. Sitzung abgehalten.
   Stadtv. Chrysant hielt die Ausführungen des Beigeordneten v. Gartzen für außerordentlich wichtig. Aus ihnen ergebe sich, daß die Verwaltung das Menschenmögliche geleistet. Hierfür gebühre dem Unterstützungsausschuß und dem Vorsitzenden, Beigeordneten v. Gartzen, der rastlos gearbeitet, warmer Dank der ganzen Bürgerschaft. Die Ausführungen würden beruhigend auf die ganze Bürgerschaft wirken und besonders
die Kartoffelangsteinkäufe hintenanhalten.
Er fragte weiter nach dem Preis des neuen Fleisches, ob bei dem Fischverkauf auch Heringe in Aussicht genommen seien und wies hin auf die Besohlung der Schuhe mit Linoleum. Solche Sohlen kosteten nur 2 Pfennig.
   Dr. Krantz wies auf das große Interesse, welches die Ausführungen des Beigeordneten v. Gartzen erweckten, hin. Leider habe er die Eier vermißt. Das sehe er sich veranlaßt, auf getrocknete Eier hinzuweisen. Im übrigen solle jeder Haushalt, der irgendwie in der Lage sei, sich freihändig seine Bedürfnisse verschaffen. Die Stadt könne nicht in allen Fällen helfen.
   Beigeordneter v. Gartzen erwiderte, daß die Fischhändler den Fischverkauf in die Hand nähmen und daß auch der Verkauf von Heringen geplant sei. Der Preis für Schinkenspeck und Speck würde auf 2,00 Mark zu stehen kommen. Allerdings müßte die Stadt Zuschüsse leisten. Auch wegen der Beschaffung von Eiern seien Unterhandlungen geführt worden. (...)

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

    

Die Viktoria-Lichtspiele werden in den Tagen von Samstag bis Dienstag ihre Besucher mit einem ganz auserlesenen Programm erfreuen. Vor allem verdient ein Werk hervorgehoben zu werden, das unter die besten der Lichtspielkunst mit Recht gereiht werden kann. „Das Volks steht auf“, so lautet der Titel des Prachtfilms, der uns Episoden aus der Zeit der Freiheitskriege übermittelt. Gerade für die gegenwärtige Kriegszeit konnte die Spielleitung wohl keine bessere Auswahl treffen. Die herrlichen Gemälde sind nach der berühmten lyrischen Oper „Germania“ von Ludwig Illica bearbeitet und haben bisher stets den vollsten Beifall der Besucher gefunden. Mit großer Lebendigkeit und Frische werden wir in die Zeiten unseres Vaterlands versetzt, an die wir uns kurz vor Kriegsausbruch mit Stolz erinnerten und die heute eine kräftige Ermutigung bilden in den schweren Kämpfen, die unser Vaterland ausfechten muß. Die Besucher werde gewiß mit ganzer Befriedigung die Darbietung entgegennehmen.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

   

Lebensmittelpreise.
Aus unserem Leserkreise gehen uns die Aufzeichnungen eines Zeitgenossen zu, die uns veranschaulichen, wie die Lebensmittelpreise in unsrer guten Stadt Bonn sich seit Kriegsbeginn gestaltet haben. Heute soll es auch in Bonn noch Leute geben, die meinen, es sei nicht so arg, er werde „leicht“ getragen, man höre doch kaum murren. Kriegslieferer und –wucherer werden durch die Preissteigerung wohl auch weniger empfindlich getroffen werden. Außer ihnen gibt es hier aber auch noch Leute, die sie recht empfindlich spüren. Der Raum gestattet uns leider nicht, die überaus ansehnliche Tabelle vollständig zu veröffentlichen. Wir greifen nur einige der unentbehrlichsten Lebensmittel heraus.
Brot.
Das dreipfündige Schwarzbrot ist in den beiden ersten Monaten noch mit 40 Pfennig verzeichnet, im September kostete es schon 50 und im Oktober 55 Pfennig. Später kam das Brotbuch. Im Februar ist der Preis für das 3½ –pfündige Schwarzbrot mit 70 Pfennig verzeichnet. Im März kostete die gleich Gewichtsmenge 75 Pfg. das gleichschwere sogenannte Feinbrot 95 Pfg. In den Monaten April, Mai und Juni wurde das dreipfündige Feinbrot mit 85, das Schwarzbrot mit 70 Pfg. bezahlt. Seit September wiegen die Brote 3¾ Pfund; der Preis ist geblieben.
Butter
kostete noch im August wie im Juli, 1,40 Mk. das Pfund, stieg dann aber auch monatlich um 5 bis 10 Pfg.; im Juli dieses Jahres wurde schon 1,95 Mk. bezahlt; in diesem Monat stieg sie von 2,35 Mk. schon auf 3,- Mk. und darüber. Wie teuer sie noch werden wird, wissen wir noch nicht; hiesige und auswärtige Händler stellen einen Preis von 5,00 Mk. in sichere Aussicht.
(...)
Milch
kostete in den ersten Kriegsmonaten noch 20 Pfg., im Januar 22, im April 24, im Mai wurde 26 Pfg. verlangt (nur der Vertreter der Stadt erklärte in der Stadtverordnung, die Verwaltung werde, wenn der Preis weiter steige, geeignete Vorkehrungen treffen); heute kostet die Milch 28 Pfg.
Kartoffeln
wurden im Juli noch mit 35 – 40 Pfg. für 10 Pfund bezahlt; im August wurden 80 Pfg. verlangt. Im Oktober kostete der Zentner 3,30 bis 4,- M., stieg in den folgenden Monaten aber auf 4,50, 5,-, 6,-, 7,-, 8,-, 8,50 Mark. Im Mai und Juni verkaufte die Stadt den Zentner mit 5,- Mark, während die Händler 6,- M. forderten. Im Juli wurden beim Händler die ersten neuen Kartoffeln mit 15 Pfg. für das Pfund bezahlt; der Preis sank dann auf 12, 10, 9 und 8 Pfg. Die Stadt verkaufte in den Monaten August und September den Zentner für 4,50 Mark, im Oktober für 4 1/3 Mark; der Händler verlangte in derselben Zeit für das Pfd. 8½, 7½, 6½ und 5½ Pfg.
(...)
Eier,
die vor dem Kriege mit höchstens 5 Pfg. das Stück bezahlt wurden, stiegen im Monat Juni dieses Jahres von 12 auf 18 Pfg.; jetzt werden sie mit 23 Pfg. das Stück bezahlt.
(...)
Seife
wird jetzt auch ein Luxusartikel. Sogar die gewöhnliche Schmierseife, die früher 22 Pfg. kostete, muß jetzt mit 68 Pfg. das Pfund bezahlt werden. Ein Glück, daß Waschungen hier nicht vorgeschrieben sind, für die Woche „genügt“ es, wenn die Leute sich nur „abstauben“. Bald läßt sich gerade nicht mehr behaupten, daß wir ein Volk sind, das sich gewaschen hat.
––
   Jede Hausfrau wird die Aufzeichnungen unseres Gewährsmannes als gewissenhaft und vor allen Dingen als richtig anerkennen. Der Mann gehört zu den sogenannten Minderbemittelten. Aber er empfindet die Verteuerung unsreer Lebenshaltung sehr. Wie mag sie erst bei den Armen und Allerärmsten wirken! Man siehts freilich an den hungerblassen Gesichtern der Kinder, die Fleisch, das gar nicht mehr bezahlt werden kann, wahrscheinlich nur noch dem Namen nach kennen. Hier muß höherenorts eingegriffen werden, und recht bald und gründlich. Allgemein herrscht die Klage, die Stadtverwaltung versage vollständig. Das ist natürlich übertrieben. Zweifelsohne könnte aber auch hier mehr geschehen. Speck wird beispielsweise viel zu hoch im Preise gehalten. Vor dem Kriege kostete das Pfund noch 85 Pfennig; jetzt verlangt die Stadt schon 2,20 Mark, der Metzger 2,40 Mark. Die Stadt ist in ihrem Preise dem Privatbetrieb gefolgt, anstatt die Preisgestaltung zu regulieren. Der Stadt schadets doch nicht, wenn sie einmal einige tausend Mark zusetzt, wie beim Kartoffelverkauf; es ist nicht nötig, den Verlust bei andern Lebensmitteln wieder herauszuwirtschaften. Den Verlust kann die Stadt tragen; wir können uns nicht denken, daß von irgendeiner Seite Einwendungen dagegen erhoben werden. Dann herrscht auch noch vielfach die Ansicht, die Stadt könnte und müßte viel mehr leisten. Anderswo haben die Verwaltungen Petroleum angekauft, um den Bewohnern die Beleuchtung zu sichern. U.a. hat die Stadtverwaltung von Hameln durch die Vermittlung der Reichseinkaufsgesellschaft 72.000 Eier aus Ungarn erworben und auf dem Wochenmarkt zum Verkauf gestellt. Die Ware, die bei bester Verpackung und schnellster Beförderung ganz frisch eingetroffen, fand selbstverständlich großen Zuspruch. Könnte unsere Verwaltung sich nicht ebenfalls bemühen? Dann müßte es doch sonderbar zugehen, wenn es nicht gelingen sollte, irgendwoher billigere Butter zu beschaffen. Muß die Butter wieder erst einen Preis erreichen, der selbst für Besserbemittelte fast unerschwinglich ist? Die Stadt darf einen großen Markt einrichten. Alles Murren dagegen muß verstummen vor der gebieterischen Notwendigkeit, die Bevölkerung vor rücksichtsloser Auswucherung zu bewahren. Unsere Vorräte sind ausreichend. Sie werden nur zurückgehalten, um höhere Preise zu erzielen. Neulich wurde in einer Versammlung zur Gründung eines Konsumentenausschusses wieder einmal auseinandergesetzt, wie sich die Betriebs- und Erzeugungskosten für den Landwirt erhöht hätten; in der Kölnischen Zeitung versuchte der Sekretär des Rheinischen Bauernvereins den Beweis zu erbringen, wie sich die Milchwirtschaft gar nicht mehr lohne. Die angegebenen Zahlen kann ich nicht nachprüfen. Aber mir scheint in allen Fällen sind die Preise der Futtermittel für die Kühe, die jetzt erzielt werden können, eingesetzt. Täglich hören wir, daß wir jetzt alle Opfer bringen müssen. Warum nicht auch der Landwirt? Die Not erreicht bei ihm nie die Größe, wie bei den Armen in der Stadt, in den meisten Fällen kann er sich noch immer satt essen, was bei dem armen Stadtproletariat nicht möglich ist. Schließlich hörte ich kürzlich von einem Herrn, der selbst vom Lande stammt und die einschlägigen Verhältnisse sehr genau kennt: Die Bauern hätten noch nie soviel Geld gesehn wie jetzt im Kriege; nachher werde mancher Rentner spielen. Das trifft gewiß nicht auf alle zu. Aber man verschone uns endlich mit der Behauptung, der Bauer sei unschuldig an der Teuerung. Auch ihn trifft ein vollgerüttelt Maß. Urban.

(Volksmund, Rubrik „Bonner Angelegenheiten“)