Donnerstag, 15. Juli 1915

   

Die Preise für Gemüse und Beerenobst werden auch in Bonn immer ungeheuerlicher. Obwohl die diesjährigen Erträge der Felder und Gärten hinter denen anderer Jahre ganz gewiß nicht zurückbleiben und täglich große Mengen auf die hiesigen Märkte gebracht werden, sind die Preise für alle Waren doch durchweg doppelt so hoch als sonst. Ja, je weiter die Ernte fortschreitet und je mehr die Erzeugnisse infolgedessen vorhanden sind, desto höher werden die Preise. Jeden Mittag gegen 1 Uhr kann man sehen, daß die Verkäufer und Verkäuferinnen große Körbe voll unverkaufte Waren vom Markt wieder fortfahren, ein Beweis, daß von einer Knappheit nicht die Rede sein kann. In einer Zeit, in der das Brot jedem einzelnen zugemessen wird, Fleisch, Eier, Butter, Fett und viele andere Lebensmittel für die Wenigerbemittelten unerschwinglich teuer sind, dürften doch die Früchte, die zum Brotaufstrich eingekocht werden sollen, und das Gemüse, das das Fleisch ersetzen soll, nicht durch gewissenlose Spekulationen und Preistreibereien ebenfalls noch in so unerhörter Weise verteuert werden. Auch die Milch ist in den letzten Tagen wieder aufgeschlagen, obwohl doch jetzt im Sommer Futter genug vorhanden ist. Es wäre höchste Zeit, daß auch in Bonn (wie es schon in anderen Städten geschehen ist) die Stadtverwaltung Maßregeln gegen diesen gewissenlosen Lebensmittelwucher ergreifen würde.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

    

Anzeige im General-Anzeiger vom 15. Juli 1915Stadtverwaltung und Nahrungsmittelteuerung. Ein angesehener Bonner Bürger bittet uns um die Wiedergabe nachstehender Zeilen: „In der jüngsten Zeit zeigt sich in Bonn eine auffallende Steigerung der Preise auf dem Wochenmarkt und anderer Nahrungsmittel. Die Gründe dieser Erscheinung scheinen mir nicht einwandfrei festzustehen. Zum mindesten fehlt es an genauen amtlichen Ermittelungen über die Ursache des raschen Emporschnellens der Preise. Der Umstand, daß viele rheinische Städte und auch die Stadtverwaltungen in anderen preußischen und süddeutschen Provinzen dazu übergegangen sind, durch die Einrichtung eigener Verkaufsstellen nicht nur für Fleischwaren, sondern auch für den Verkauf von Gemüse und Obst regelnd auf die Preisbildung einzuwirken, erscheint mir als ein gewisser Beweis dafür, daß anderwärts die Kommunalverwaltungen die Auffassung gewonnen haben, daß die Preissteigerungen die natürliche Grenze überschritten haben und ein behördlicher Eingriff in die wilde Preisbildung erforderlich ist. Ich gehe nicht so weit, ohne weiteres von einer wucherigen Ausbeutung der durch den Krieg ohnedies bedrückten mittleren und ärmeren Bevölkerung Bonns zu sprechen. Ich glaube aber, daß die Stadtverwaltung es als eine heilig Pflicht betrachten muß, getreu ihrer bisherigen opferbereiten Betätigung zu Gunsten des Gemeinwohls auch in dieser Frage mit ihrer starken Hand einzugreifen. Zunächst möge die Stadtverwaltung Sachverständige durch Referat und Gegenreferat gutachtlich hören. Nötigenfalls mögen dann zu Gunsten der Volksernährung möglichst durchgreifende Maßnahmen städtischerseits getroffen werden. Aber es möge dies in den allernächsten Tagen geschehen, damit die Bürgerschaft fühlt, daß sie in sicherem Schutz ist.“

   Über den Bonner Wochemarkt schreibt uns eine Kriegerfrau: „Verschiedentlich war ich Zeuge, wie Bonner Marktfrauen in sehr lobenswerter Weise ganze Körbe mit Früchten in die vorbeifahrenden Verwundeten-Wagen schütteten. Was würden aber wohl unsere lieben Krieger sagen, wenn sie einmal von den Wucherpreisen hörten, die sich auf dem Markte breit machen. Forderte man vergangene Woche für 1 Pfund Kartoffeln 6 Pfg., so stiegen sie in einigen Tagen bis zu 11 und 12 Pfg. Bohnen, Erbsen, Wirsing, alles stieg um ¼ bis ½ des früheren Preises, von Obst schon gar nicht zu reden. Ist es bei diesen Preisen für eine Kriegerfamilie möglich, sich Gemüse und Obst zu kaufen? Muß sie doch schon seit langem auf das Fleisch verzichten und nun soll ihnen durch diese hohen Preise auch noch Obst und Gemüse entzogen werden. Der Stand der Ernte ist doch mit diesen Preisen in gar keinen Einklang zu bringen. Ich appelliere an das gute Herz unserer Marktfrauen, den Kriegerfamilien durch diese hohen Preise nicht auch noch die unseren Kindern so nötige Gemüse- und Obst-Nahrung zu entziehen.“

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

  

Wohin gelangt das rheinische Obst? Aus Mainz wird dem Berl. L.-A. gemeldet: Die trotz der reichen Ernte fortgesetzte Verteuerung des Obstes in der unteren Rheinebene hat dazu geführt, daß die Verwaltungen der großen Städte sich näher mit den Vorgängen auf dem Obstmarkt befaßten. Dabei wurde festgestellt, daß fremde Händler die Obstgebiete im hessischen und preußischen Rheingau und an der Bergstraße bereisen und an Obst aufkaufen, was sie bekommen können, und daß große Mengen Obst mit Schiff und Bahn nach Holland ausgeführt werden. Da nun aber Holland schon in Friedenszeiten kein Obst aus Deutschland bezieht, vielmehr solches ausführt, so liegt der dringende Vedacht vor, daß diese Obstsendungen ins feindliche Ausland gelangen, vor allem nach England, das von jeher ein großer Abnehmer von rheinischem Obst gewesen ist, vor allem Steinobst. Eine Nachprüfung, ob England durch Neutrale aufkaufen läßt, scheint der Sachlage nach durch die berufenen behördlichen Stellen dringend erforderlich.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)