Freitag, 2. Juli 1915

  

Anzeige im General-Anzeiger vom 2. Juli 1915Vaterländischer Frauenverein. Gestern fand im Reservelazarett III in der Beethovenhalle die staatliche Notprüfung von zehn Schwestern des Vaterländischen Frauen-Vereins Stadtkreis Bonn unter dem Vorsitz von Herrn Regierungs- und Geheimen Medizinalrat Dr. Rusack von der Königlichen Regierung zu Köln statt. Sämtliche Schwestern haben die Prüfung bestanden.

Gegen die hohen Zuckerpreise. Die Stadtverwaltung in Solingen hat einen größeren Posten Zucker angekauft und überlassen ihn den Lebensmittelgeschäften mit der Verpflichtung, den Zucker zu einem bestimmten Preis zu verkaufen. Veranlassung hierzu gibt die Tatsache, daß einzelne Geschäfte wegen des zurzeit geringen Zuckerangebots eine ungerechtfertigte Preissteigerung haben eintreten lassen.
   Auch in Bonn ist der Zucker um etwa 50 v. H. im Preis gestiegen, er wird dazu nur in ganz kleinen Mengen abgegeben. Maßnahmen der Stadtverwaltung gegen diesen Mißstand wären auch hier angebracht, um so mehr als doch immer wieder empfohlen wird, möglichst viel Beeren und Obst zu Mus einzukochen und die „Einmachzeit“ immer näher rückt.

Freie Rheinschiffahrt für Verwundete. Die Verwaltung der Köln-Düsseldorfer Rhein-Dampfschiffahrts-Gesellschaft hat sich bereit erklärt, an 3 Tagen der Woche Verwundete in Verbänden bis zu 40 Personen, die von den Lazarettverwaltungen zu bestimmen sind, auf Ausflügen kostenlos zu befördern.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

  

Kriegssommersemester in Bonn
Eine federfrohe und scharfäugige Tochter unserer alma mater schreibt uns:
   Die herrlichen Anlagen vor dem alrehrwürdigen rheinischen Universitätsgebäude sehen nicht mehr nach „Kunstgärtnerei“ aus. Das sproßt, blüht und wuchert nach Herzenslust auf dem sonst „englisch“ geschorenen Rasenteppich. Blauer Ehrenpreis und giftiger Schier­ling, rot­blühender Klee und goldäugige Marienblümchen, gelbe Ranunkel und späte Ver­gißmeinnicht, - die richtige, prachtvolle Sommerwiese. (Inzwischen ist das urwüchsige Bild der diessommerlichen Hofgartenwiese durch fleißige Mäher rasiert worden. Red.) Lachen­der Morgen­sonnenschein wirft durch das dichte Blättergewirr der breitästigen Bäume gol­dene Lichter auf den dunklen schattigen Weg, der längs der alten Stämme zur alma mater führt.
    Kriegssommersemester! Es ist doch noch andersartiger, als das vergangene Studienhalb­jahr, das auch schon im Zeichen des Krieges stand. Im Winter waren die Einberufungen noch nicht so allgemein. Mit der vorrückenden Zeit aber und mit der zunehmenden Zahl der Feinde vertauschen die einstmals unter „ungedientem Landsturm“ eingereihten, waf­fenfähigen Männer, einer nach dem andern, Kolleg, Studentenkonvent, das bunte Bur­schenband mit Exerzierplatz, Mannschaftsstube und Farbe Feldgrau, und so geschieht es, daß in manches Dozenten Vorlesung überwiegend weibliche, manchmal sogar nur ein oder zwei Studienbeflissene männlichen Geschlechtes sitzen. Ja, der historisch bedeutsa­me Augenblick kam, da der Leiter des physikalischen Instituts einrücken mußte und – o große Stunde – eine F r a u seinen Platz ausfüllte. Heute haben sich die entrüsteten Dok­toranden längst damit ausgesöhnt und friedlich arbeitet man unter weiblicher wissen­schaftliche Leitung dem Ziele entgegen.
   Und die deutschen „Barbaren“?

   In den Hörsälen sitzen Feldgraue, sonn- und luftgebräunt, in Uniformen, denen man die mitgemachten Stürme ansieht, hinter ihren Kollegienheften. Wenn draußen die schrille Klingel durch die langen Korridoren gellt, dann sind gerade sie wohl gern die Allerletzten. Aber das kommt daher, weil es sich auf Krücken und am Stock noch nicht wieder so eilig gehen läßt... Natürlich besteht ein eifriger schriftlicher Verkehr zwischen dem Seminarleiter und seinen ins Feld gerückten Hörern; ein Studiosus der Philologie hat sogar eine mathe­matische Aufgabe für das Uebungsseminar gesandt, die laut Begleitschreiben bei dürfti­gem Laternenschein auf Feldstallwache ausgetüftelt wurde.
    Es ist leer geworden in der Poppelsdorfer Allee, was das studentische Element anbelangt. Weitaus die Mehrzahl unserer diesjährigen Abiturienten, der Fuchsennachwuchs, hat sich in flammender Vaterlandsliebe als Kriegsfreiwillige gemeldet. Deshalb überwiegt in Bonn die feldgraue Farbe. Auch auf den Terrassen des „Königshof“, zu deren Füßen schmucke weiße Dampfer rheinauf- und abwärts fahren. Leise fluten die Klänge von „Isoldens Lie­bestod“ vom Konzertpodium drinnen über die Tische hin. Damen in hellen Sommerkleidern stricken und nähen so eifrig, als sähen die im Geiste die sehnsüchtig nach der heimatli­chen Sendung ausspähenden Soldatenaugen....
   Viele kriegsverwundete Offiziere sind da, deren Quarten und Terzen in dem braungebrann­ten Gesicht garnicht mehr auffallen. Wie ernst doch die Farbe Feldgrau wirkt, bemerkt man erst jetzt, wenn man das fröhliche Bunt der Studentenmützen und Stürmer auf der sommerlichen Rheinterrasse des vorigen Jahres im Geiste danebenhält. Die helle Lustigkeit des rheinischen Straßenbildes hat sich auch um viele Schattierungen abgetönt. Selbst in dem blühenden Junitag am Rhein stehen schwarze Schatten von den Kämpfen draußen. Ein Feldgrauer mit der Binde über dem linken Auge führt sorgsam einen kriegsblinden Kameraden; ein Freiwilliger wohl, dem blassen, jungen Gesicht nach zu urteilen. Für einen Augenblick verstummt unwillkürlich das Geplauder an den Tischen, da die Beiden vorübergehen, und in manches Frauenauge kommt ein heißer Schein des Mitglieds. Aber wie anderorts bei derartigem Anblick auch tönt es dazwischen mehr oder minder leise aus unbedachtem Munde: „Ach, wie schrecklich! Ein blinder Soldat! Der Arme!...“
    Aber der Feldgraue hat das oft Vernommene diesmal wohl überhört und er fordert, da sein Begleiter mit dem Kellner spricht, vergnügt eine Bonner Ansichtskarte.
    „Weißt, für den Zwenger Aloys,“ sagt er in unverfälschtem bayerischen Dialekt zu seinem Kameraden gewandt, „dem schreib i nach der Iser a Karten, damit daß er sieht, was i hier schon g'lernt hab!“ Und dann lacht er sein junges Lachen, das auf den Gesichtern der Na­hesitzenden einen hellen Widerschein gibt. Aber noch etwas, wie Betroffenheit, malt sich auf ihren Zügen. Was muß ein Mensch gelitten haben, ehe er zu dieser heiteren Ruhe kommt!....
   Ist es nicht eine Sünde, wenn wir unsere Kriegsbeschädigten durch taktlose Bemerkungen immer wieder daran erinnern, daß ihr stolzes Opfer für uns und das Vaterland sie zu Invali­den gemacht hat? Ein furchtbarer Begriff: Invalide .....

So sollte der Dank der Daheimgebliebenen an unsere Helden nicht aussehen.M.R.

Anzeige im General-Anzeiger vom 2. Juli 1915Die Kriegs-Heuernte auf der Hofgartenwiese ist nunmehr auch im Bilde festgehalten worden. Ein Photograph hat die Mäher und Recherinnen aufgenommen und man wird also in der nächsten Zeit Bilder und Ansichtskarten von der Kriegs-Heuernte 1915 erhalten können. Bis jetzt wurde bekanntlich der Grasaufwuchs der großen Hofgartenwiese immer mit der Mähmaschine abgemacht und zwar hatte man das Bestreben, einen schönen kurzen Rasen zu erhalten; auf das Ernten von Heu legte man kein Gewicht. Das Kriegsjahr, das so viele Neuerungen hervorgebracht hat, hat also auch darin Wandel geschaffen. Man ist eben praktischer und wirtschaftlicher geworden. Uebrigens ist es nicht das erste Mal, daß das Heu auf der Hofgartenwiese geerntet worden ist. Aber nur die ganz alten Bonner können sich dessen erinnern. Vor etwa 50 Jahren hatte der damalige Besitzer des Hotel Royal, Herr Ermekeil, den Grasaufwuchs in der Hofgartenwiese gepachtet und ließ auch mehrere Jahre lang das gewonnene Heu in seine Stallungen einfahren. Man sieht, Ben Akiba hat Recht, alles ist schon dagewesen.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

Anzeige im General-Anzeiger vom 2. Juli 1915Sir Edward Grey muß vernagelt werden. Geheiligten italienischen Egoismus kennen wir Deutsche nicht, aber wohl geheiligte Treue, geheiligte Liebe und – „geheiligten Haß“. „Geheiligten Haß“ hat auch wohl dem Einsender des Vorschlags in Nr. 9038 des General-Anzeiger, den Sir Edward Grey auszuhauen und den Bonner zum Besten der Kriegshilfe zum Vernageln vorzuführen, die Feder geführt. Dieser Vorschlag ist so sympathisch, daß nur ein guter urdeutscher Geist denselben erdenken konnte. „Geheiligten Haß“ für den Mann, der die Hauptschuld an dem großen Weltkrieg, mit all seinem Elend und Jammer, mit all seinem Leid und Weh von Millionen von Menschen trägt, und geheiligte, werktätige Liebe zum Besten der Kriegshilfe. Unser „geheiligter Haß“ soll bei jedem Nagel und Hammerschlag in den hölzernen Leib mit hallendem Echo dem Mann jenseits des Kanals in die umdüsterte Seele dröhnen. Aber nicht allein hier in Bonn, sondern auch in jeder deutschen Stadt sollte ein hölzernes Ebenbild Sir Greys zur Vernagelung aufgestellt werden. „Bonna“, erhebe dich! Gehe mit gutem Beispiel voran, und zeige den deutschen Städten den Weg, wie man dem „geheiligten Haß“ eines jeden Bürgers gegen den „Mann ohne Gewissen“ wenigstens symbolisch Ausdruck verleihen und dabei in weitgehender Weise der gebenden Liebe für die Kriegshilfe gerecht werden kann. Wie die Treue und Liebe zu Kaiser und Vaterland beim ganzen deutschen Volke in nie dagewesener Art zum Ausdruck kam, so sollte auch unser „geheiligter Haß“, bei dieser Gelegenheit, gegen den König aller Kriegshetzer in hehrer würdiger Weise der ganzen Welt in bleibende Erinnerung gebracht werden.
   „Geheiligten Haß dem Briten wir weihen,
   Geheiligte Liebe der Kriegshilfe in Teuen.“
Ein deutscher Mann.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)

  

Beurlaubung älterer Schulkinder für die Obsternte. Durch einen Erlaß des Herrn Ministers der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten ist verfügt worden, daß ältere Schulkinder auch für die Obsternte auf Antrag beurlaubt werden. Diese Verfügung dürfte wesentlich dazu dienen, durch die Mithilfe der Schulkinder die Ernte der verschiedenen Obstarten in sachgemäßer Weise durchzuführen, da das Obst in diesem Jahre für unsere Volksernährung von größter Bedeutung ist.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

Vielleicht dürfte die Anregung angebracht sein, der zur Vernagelung aufzustellenden Holzfigur die Darstellung Sir Eduard Greys zu geben, damit dieser bis ins Herz hinein vernagelt werden kann.
Ein deutscher Schmied.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Stimmen aus dem Leserkreis“)