Samstag, 10. April 1915

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 10. April 1915Soziale Fürsorge und deutscher Siegeswille. Ueber dieses Thema sprach am Donnerstag der Präsident des Reichsversicherungsamtes, Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. Dr. Kaufmann. Ausgehend von der zugleich großen und schweren Schicksalsstunde, in der Deutschland den gewaltigen Kampf um den Fortbestand der „Deutschheit“ im Sinne Fichtes kämpft, zeigte der Redner, welche bedeutende Aufgabe in diesem Entscheidungskampf die deutsche soziale Fürsorge zu erfüllen hat und auch erfüllt. Nicht die Kriegskunst allein, nicht die Menschenmassen, die sie in ihren Dienst stellt, nicht der tote Besitz entscheiden in diesen Kämpfen. Der Wille zum Sieg gibt den Ausschlag. Die Stärke und Festigkeit der Seelen, die in langer Vorbereitung errungene innere Zucht sind letzten Endes doch die entscheidenden Mächte, die Sieg oder Niederlage bestimmen. Was unsere soziale Fürsorge geleistet hat für die körperliche und seelische Gesundheit unseres Volkes, das wird jetzt offenbar, da die Kräfte Deutschlands vor die entscheidende Probe gestellt sind. Die soziale Fürsorge, eines der köstlichsten Güter, die uns nach 1870 beschert wurden, hat die große Tat vollbracht, zugleich mit den sozialen Umschichtungen und Wandlungen, die in der Entwicklung unseres wirtschaftlichen Lebens und unserer Produktionsformen verbunden waren, eine neue Klasse von Arbeitern zu schaffen, neue Lebensformen für diese Arbeiter zu gewinnen und so die sozialen Härten unseres neuen wirtschaftlichen Lebens zu mildern und die Entwicklung in Bahnen zu lenken, die segensreich für unser Vaterland wurden. Der Redner wies das nach an einem groß aufgezeigten Entwicklungsgang unserer sozialen Fürsorge. Von der Botschaft Kaiser Wilhelm I., der zum ersten Mal in der Weltgeschichte die christliche Nächstenliebe als soziale Pflicht des Staates verkündete, bis zu den sozialen Erlassen Kaiser Wilhelms II. und dem vollendeten Ausbau unserer sozialen Fürsorge. Besonders betonte der Redner dabei die Bedeutung des Versicherungszwanges, ohne den das Problem der sozialen Versicherung unlösbar geblieben wäre. Und wie der Versicherungszwang den Sparsinn der Arbeiter anregte, so wurde die Selbstverwaltung der Kassen zu einer Schule deutscher Zucht und Organisationskraft. Die Arbeiterversicherung wurde zu einem Grund- und Eckpfeiler unserer Wohlfahrtspflege. So schuf unsere Sozialversicherung die innere Einheit, die wir von den Tagen der Mobilmachung an erlebt haben, so schuf sie auch den über das Daseinsmindestmaß gehobenen Arbeiter, der nun einig und treu und zielbewußt mithilft, die deutsche Arbeit zu schützen. Geheimrat Kaufmann tritt mit warmherziger Entschiedenheit dafür ein, daß die Versicherungsfürsorge nach dem Kriege weiter ausgebaut werde. Er zeigt weiterhin, wie die für die Kriegsbereitschaft so bedeutungsvoll gewordene soziale Fürsorge auch im Kriege tätig ist und außerdem ihre Geldmittel als treffliche Waffe gegen die Kriegsnot nutzbar zu machen versteht. Besondere Bedeutung besitzen die Ausführungen, die der Vortragende über die Gestaltung unserer inneren politischen und sozialen Verhältnisse nach dem Krieg machte. (Wir kommen hierauf nochmals zurück. D. Red.)
   In Stunden der Entscheidung wird dem Volke die Siegespalme zuteil, das am stärksten vom kategorischen Imperativ durchdrungen, im Kampf gegen menschliches Elend die größten Erfolge aufzuweisen hat. Von dieser politischen These ausgehend wies er Vortragende im Schlußteil seiner Rede auf Deutschlands „Ewigkeitsberuf“ hin, um mit Schillers prophetischem Wort zu schließen: „Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte; der Tag der Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit.“

Die Baumblüte beginnt. In der Stadt und Umgebung sieht man die Pfirsiche ihre ersten Blüten erschließen und auch die Aprikosen stehen kurz vor der Blüte.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Aus den Städtischen Nachrichten“)

   

Anzeige im General-Anzeiger vom 10. April 1915Vereinslazarettzug K. 1. Bonn. Unser Bonner Lazarettzug trat am Montag, den 29. März, abends am Güterbahnhof seine siebente Reise über Lüttich, Charleroi (wo ein halber Tag Aufenthalt stattfand) nach Chauny an, wo am Mittwoch Morgen 227 deutsche und 6 französische Verwundete geladen wurden. Die Schneelandschaft des Morgens wich bald den Strahlen der Sonne, und herrliches Frühlingswetter begleitete die Rückfahrt über Lüttich, Köln und den Rhein entlang bis Frankfurt – ein Genuß für die Leichtverwundeten, von denen viele, besonders Norddeutsche, den Rhein zu erstenmale sahen. In Frankfurt wurde abends in 1½ Stunden ausgeladen.
   Die erbetene zweite Wäscheausstattung ist dank der vielen gütigen Gaben jetzt zusammen. Für die nächste Zeit sind besonders erwünscht Zigarren, Schokolade, Gemüse- und Obstkonserven in Blechbüchsen, überhaupt Lebensmittel aller Art (Dauerwaren), da der kürzlich auf das äußerste beschnittene staatliche Verpflegungszuschuß nur eine sehr bescheidene Küche gestattet.
   Überhaupt haben die Ausgaben für den Zug in letzter Zeit eine erhebliche Steigerung erfahren, einmal weil die Preise für die meisten Gegenstände gestiegen sind, sodann aber auch, weil für Vieles, was im Laufe der viermonatigen Benützung des Zuges abgebraucht worden ist, jetzt Ersatz beschafft werden muß. Wir richten deshalb an alle Kreise der Bonner Bürgerschaft die Bitte, das Unternehmen durch Zuwendung weiterer Geldbeträge tatkräftig zu unterstützen. Einzahlungen bitten wir auf der Bonner Zweigstelle der Deutschen Bank zu machen. Lebensmittel und dergleichen werden Bahnhofstraße 40 dankend entgegen genommen.
(Es folgt eine Liste der Spender)

Anzeigen im General-Anzeiger vom 10. April 1915Das erste deutsche Rauchverbot für Knaben. Der Weltkrieg hat bewirkt, daß die Staatsgewalt auf den wichtigsten Gebieten der Gütererzeugung und Güterverteilung die staatliche Regelung an die Stelle der wirtschaftlichen Freiheit hat treten lassen. Angesichts dieser Entwicklung wird ein Eingriff in die persönliche Freiheit, zu dem sich die Hansestadt Lübeck entschlossen hat, weniger auffallen, als das sonst der Fall wäre. Der Senat Lübecks hat nämlich durch das Gesundheitsamt für den Lübeckschen Freistaat ein Verbot erlassen, das Personen unter sechzehn Jahren untersagt, Tabak, Zigarren oder Zigaretten zu rauchen. Für die Befolgung dieses Verbotes sind auch die zur Beaufsichtigung der jugendlichen Personen Verpflichteten, in erster Linie also die Eltern, verantwortlich. Ferner wurde verboten, an Personen unter sechzehn Jahren Tabakspfeifen, Tabak, Zigarren oder Zigaretten zu verkaufen oder im Gewerbebetriebe abzugeben. Zuweiderhandlungen werden mit Geldstrafe oder 14 Tagen Haft bestraft. – Damit ist der Lübecker Senat einem Beispiel gefolgt, das von ausländischen Staaten schon seit geraumer Zeit gegeben ist.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

Teuerungszulage. Straßenbahner und sonstige Angestellte der Stadt haben schon die Teuerungszulage erhalten. Davon, daß auch die Aushilfsangestellten in den städtischen Schreibstuben, die doch meistens verheiratet sind, auch eine Zulage erhalten sollen, ist noch keine Rede, und sie sind doch ebenso bedürftig wie alle anderen Angestellten. Ein Unparteiischer.

 (Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Sprechsaal“)

   

Damen, die verwundete Krieger in den Lazaretten in der Herstellung von geeigneten Fröbelarbeiten, Handarbeiten und ähnlichen leichten Beschäftigungen während der Nachmittagsstunden unterweisen wollen, werden gebeten, sich bis zum 15. April, vormittags zwischen 10 und 11 Uhr, bei Frl. Betty Günther, Hohenzollernstraße 9, zu melden.

Kriegsbriefe einer Frau. Die Schriftstellerin Frau Leonore Niessen-Deiters (Bonn) hat unter diesem Titel im A. Marcus und E. Webers Verlag (Bonn) eine Broschüre erscheinen lassen, die sicherlich mit zu dem Besten gehört, was deutsche Frauen in diesem Kriege gesagt und geschrieben haben. Ihre flammende Anklage gegen England ist umso bemerkenswerter, als sie selbst eine deutsche Frau englischer Abstammung ist. Wir kommen auf diese Schrift noch zurück.

Vorräte an Verbandsstoffen, die mehr als 50 Klg. Betragen, müssen jetzt sofort bei der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums Berlin W., Leipzigerplatz 17, angemeldet werden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

    

Gold im Überflusse
Scheint beim hiesigen Oberbergamt vorhanden zu sein: die Aufschrift und die eisernen Gitterstäbe am Oberlicht und vor der Glasfüllung der Haupteingangstür am Alten Zoll protzt und blitzt in strahlendem Gold. Hatten wir wirklich nötig, unser Gold nach der Reichsbank zu schleppen? Hier ist doch wahrhaftig Überfluß! – Gemach, lieber Freund, das Gold, Anzeige im General-Anzeiger vom 10. April 1915das du dort glänzen siehst, ist nur äußerlich, die Rosetten und Stäbe sind innen aus massiven Eisen. Nur eine (hoffentlich nur vorübergehende) Geschmacksverirrung konnte auf den Protzgedanken kommen, dieses Eisenwerk vergolden zu lassen. Selbst der Harmloseste steht und empfindet hier die aufgeklebte Lüge. Eisen in seinem schlichten Naturkleide wirkt viel natürlicher und darum schöner. Eisen ist heute auch ein Edelmetall, das nur düsterer, ernster ist, wie Gold. Braucht es einen Schutz vor dem Wetter, dann soll es in entsprechende Farben gehüllt werden. Aber nicht in flunkerndes Gold, das seinen wahren Charakter verbirgt. Der Goldaufwand an der Eingangstür zum Oberbergamt ist hoffentlich nur eine vorübergehende Erscheinung. Sie wirkt, besonders in der Jetztzeit, protzenhaft und daher unschön. Mehr: direkt häßlich. Wers nicht glaubt, sehe sich die Tür nur einmal an, und stelle sich vor, wie einfach und erhaben das schmucklose Eisenwerk in seiner ursprünglichen Naturfarbe wirken müßte. Jeder Wahrheitsfreund wird mir zustimmen, daß hier auf Kosten der Natürlichkeit arg gefrevelt worden ist. Urban

(Volksmund, Rubrik „Bonner Angelegenheiten“)