Freitag, 31. Juli 1914

Am 30. Juli hatte Russland mit der Generalmobilmachung begonnen. In der Bonner Presse erwartet man nun die Mobilisierung des deutschen Heeres. Die Bonner Zeitung titelt „Auf des Messers Schneide", die Reichszeitung „Die Entscheidung steht unmittelbar bevor".

 

Die Rheinbrücke wird seit gestern abend 11 Uhr militärisch bewacht. Mannschaften des Infanterie-Bataillons stehen an beiden Seiten der Brücke mit scharfgeladenen Gewehren und begleiten jedes Fuhrwerk bis auf die andere Rheinseite. Die Brenner der Gaslaternen sind abgenommen worden, sodaß die Brücke nachts unbeleuchtet ist. Auf der Fahrbahn zwischen den Zahlhäuschen hat man schwere, eiserne Doppel-Tore angebracht, die jetzt zwar noch nicht geschlossen werden. Niemand darf auf der Brücke stehen bleiben.

Auf dem Dach des städtischen Gymnasiums steht eine starke Beobachtungsmannschaft, die mit Fernrohren bewaffnet, Ausschau über die Umgebung hält, wahrscheinlich um zu alarmieren, wenn ein feindliches Flugzeug in Sicht kommen sollte.

Die Kriegsunruhen haben eine panikartige Flucht der Kurgäste in den Bädern, sowie in den Sommerfrischen zur Folge. In Königswinter, das (wie wir berichteten) in diesem Sommer eine Rekord-Saison hatte, stehen Pensionen leer. Auch Honnef, Rhöndorf, Godesberg, nicht zuletzt Bonn selbst, hat unter der gespannten auswärtigen Lage sehr zu leiden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Vorabendausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Das Bonner Straßenbild, das schon in den letzten Tagen der politischen Krise sehr viel lebhafter bewegt war als sonst, hatte gestern alle Anzeichen einer starken allgemeinen Erregung. Kein Wunder. Als in den ersten Morgenstunden bekannt wurde, daß militärische Maßnahmen zur Bewachung der Rheinbrücke getroffen seien, mußte auch dem gemächlichsten Phlegmatiker der blutig schwere Ernst und die nahe Gefahr dieser Tage klar werden. Die Leute strömten in großen Mengen zur Brückenstraße, um das ungewohnte Bild der militärisch besetzten Rheinbrücke zu sehen. Überall fanden sich Gruppen zusammen und immer wieder wurde die politische Lage besprochen. Die Erregung stieg aufs Höchste, als kurz nach 6 Uhr durch die Extrablätter bekannt wurde, daß Russland seine Mobilmachung vervollständige. Was wird nun geschehen? Diese Frage stand in vielen Gesichtern zu lesen. Eine Frage an die Zukunft, die vielleicht schon in der nächsten Stunde in eine harte und schwere Gewißheit verwandelt sein könnte. Und eine bange Frage für alle, die sich über den Ernst dieses Tages nicht leichtfertig hinwegtäuschen. Vielen hilft der gute Humor und das leichte Blut des Rheinländers über das Schwere und Bange dieses Tages hinweg. Im Allgemeinen aber ist die Stimmung ernst. Ernst, aber gewiß nicht niedergeschlagen, und Gott sei Dank so froh, wie man sein darf, wenn man mit gutem Gewissen und festem Vertrauen zu seiner eigenen Kraft einer schweren Entscheidung entgegengeht.

Eine erhebende patriotische Kundgebung fand in der Nacht zum gestrigen Donnerstagum die zwölfte Stunde auf dem Kaiserplatz statt. Vom Dreikaisersaal aus, wo er zur Probe und zu einem kleinen Feste versammelt war, zog der Bonner Männer-Gesangverein Apollo in geschlossenem Zuge und unter Absingen patriotischer Lieder nach dem Kaiserdenkmal. Auf dem Weg über Remigiusstraße, Münsterplatz, Post- und Bahnhofstraße schlossen sich Hunderte von Passanten dem Zuge an, sodaß eine mehrere tausendköpfige Menge das Kaiserdenkmal umgab. Nach einem Gesangsvortrag des Apollo hielt dessen Vorsitzender, Landrichter Dr. Kaufmann, eine Ansprache. Er wies darauf hin, daß unser österreichisch-ungarisches Brudervolk im gerechten Kampfe stehe gegen einen frechen Störenfried, daß in diesem Kampfe Oesterreich auch deutsche Interessen, ja die Interessen der Zivilisation vertrete, .... In den Nöten der jetzigen schweren Weltlage blicke das deutsche Volk vol Liebe und Vertrauen auf seinen Kaiser, der der sicherste Hort des Friedens, aber zugleich auch der beste und berufenste Wahrer der Ehre und Würde des Reiches sei. ... Nach dem Absingen der Nationalhymne und der Wacht am Rhein ging die Versammlung in gehobener nationaler Stimmung auseinander. ... Es ist aber auch gut, wenn man draußen erfährt, wie das deutsche Volk trotz allem entschlossen ist, Blut und Leben für die Ehre Deutschlands einzusetzen.

Sie mögen sich schämen! Am Mittwoch in später Abendstunde stimmten in einer hiesigen Wirtschaft einige junge Leute, die den gebildeten Ständen angehörten, des süßen Weines voll, die Marseillaise an. Es waren keine Ausländer, es waren Deutsche die das taten! Der Stellvertreter des Wirtes schritt sofort ein und untersagte den jungen Leuten ihr unsagbar klägliches Beginnen. Sie mögen sich schämen!

Stadthalle: Das heutige, Freitag, Nachmittag in der Stadthalle stattfindende städtische Abonnementskonzert wird ausgeführt von der Musikkapelle der Bonner Königshusaren unter Leitung des Obermusikmeisters Bielefeld.

(Bonner Zeitung, Rubrik „Städtische Nachrichten“)

 

Die Rheinbrücke, die, wie bereits gestern kurz berichtet, seit Mittwoch abend 11 Uhr bewacht wird, war gestern den ganzen Tag über von dichten Menschenmengen umlagert. Gestern morgen wurden an der Bonner und der Beueler Seite schwere eiserne Abschlußtore angebracht und die telephonische Verbindung zwischen der Rheinbrücke und dem nahebei gelegenen Gebäude des städtischen Gymnasiums hergestellt, in dem die Ablösungsmannschaften untergebracht sind. Die Verproviantierung der Soldaten geschieht durch fahrbare Küchen. Eine eiserne Kette, die durch vier Mann gehalten wird, sperrt den größten Teil der Fahrbahn ab. Sämtliche Personenfuhrwerke werden einer scharfen Kontrolle unterzogen; die Insassen müssen vor der Brücke das Gefährt verlassen, während ein Soldat es besteigt und bis an das jenseitige Ufer mitfährt. Die Fahrgäste müssen den Weg über die Brücke zu Fuß zurücklegen. Die über die Brücke fahrenden Wagen der elektrischen Straßenbahnen wurden gestern gleich nach Abfahrt geschlossen. Niemand durfte sich auf dem Vorder- und Hinterperron aufhalten. Stehenbleiben auf der Brücke ist verboten. Die Brücke bleibt nachts jetzt bis auf ein Signallicht für durchfahrende Schiffe unbeleuchtet. Die Brennkörper der Straßenlaternen sind abgeschraubt. Von dieser Verordnung schienen drei Frauen, die sich gestern morgen auf der Brücke begegneten, nichts zu wissen. Sie unterhielten sich angelegentlichst über die Lage und blieben dabei mitten auf dem Fußgängerbankett stehen. Ein Offizier machten einen Wachhabenden auf die eifrig diskutierenden Frauen aufmerksam, u. als der Soldat ihnen in militärischem Ton „Weitergehen, nicht stehen bleiben“ zuflüsterte, stoben die Drei mit einem Aufschrei erschreckt auseinander. Eine Lachsalve begleitete die Frauen, die mit hochroten Köpfen das Weite suchten.

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Es ist in Berlin ein Ultimatum beschlossen worden, so heißt es in den aufgeregten Gruppen, die ein gestern abend massenhaft verbreitetes Extrablatt einer hiesigen Zeitung studiert hatten. Der Inhalt desselben lautet:

„Berlin 30. Juli. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen (das weiß jedes Kind, D.R.) aber es ist begründete Annahme (!) vorhanden, daß keine 24 Stunden ins Land gehen werden, bis daß man weiß, ob Frieden ober Krieg. Der Störenfried ist einzig und allein Rußland. Es scheint (!), daß der Zar sich von der panslawistischen Klicke hat fortreißen lassen. Jedenfalls schreitet die russische Mobilisierung vorwärts (das weiß jeder schon seit gestern. D. Red.) Man nimmt an (!), daß in dem heute in Berlin stattgefundenen Staatsrat eine Art Ultimatum an Rußland beschlossen worden ist. In Paris herrscht wenig Kriegsstimmung, eher eine ängstliche Aufgeregtheit. England scheint (!) sachte von Rußland abzurücken.“

„Begründete Annahme“, „Es scheint“, „Man nimmt an“, „England scheint“. Wenn man mit solchen „es scheint“ und “man nimmt an“ sein Renommé als „gut unterrichtet“ begründen will, wäre es besser, daß dieses in einer Weise geschähe, die unserem Mittelstand und unsern Arbeitern nicht einen so enormen Schaden zufügte. Handwerker und Geschäftsleute erhalten nämlich auf Grund dieser Alarmnachrichten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt und dem Arbeiter borgt man keinen Pfennig mehr. Wenn man nun einmal den Drang in sich verspürt, „Es scheint“-Extrablätter herauszugeben, so wäre es besser, daß man denselben in gegenteiligem Sinne, der übrigens der Wahrheit bedeutend näher kommen würde, verwertete. Eine solche „Es scheint“-Nachricht wäre nämlich die, daß Rußland, da es Serbien nicht helfen will, durch seine Mobilmachungen einen Druck auf Oesterreich versucht, damit dieses den Bogen gegen Serbien nicht zu straff spannt.

 

Eine Folge der Alarmnachrichten. Als ein ganz neuer eigenartiger Sport wird zur Zeit versucht, den Wirten und Ladenbesitzern die kleinsten Beträge von 10-15 Pfennig mit einem 50-Markschein zu zahlen, um Silbergeld heraus zu erhalten. Bei vielen Geschäftsleuten ist durch diese Zahlungsart der Vorrat an kleinerem Geld ganz erschöpft, so daß sie dem Patrioten, der so wenig Vertrauen in Deutschlands Zahlungsfähigkeit setzt, die Zigarre oder das Glas Bier schenken müssen. Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß auch das silberne 5-Markstück nur einen Silberwert von 2 Mark besitzt und daß für unser Papiergeld die Deckung in Gold bei der Reichsbank besteht.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Morgenausgabe, Rubrik „Bonner Nachrichten“)