Mittwoch, 14. Oktober 1914

 

Eine größere Anzahl französischer Verwundeter wurde gestern nachmittag in Automobilen und Straßenbahnwagen von hier nach der rechten Rheinseite gebracht.

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914Beerdigung des Leutnants von Gottberg. Tiefe Wunden schlägt die Eisenhand des Krieges. Wunden, die schwer vernarben und um die sich für immer schmerzhaftes Erinnern rankt. Ein Erinnern aber auch voll demütigen Stolzes, da wir wissen, daß all das junge Blut, das die Schlachtfelder rötet, nicht umsonst fließt. Und so wird der Soldat, der für sein Vaterland den Tod der Helden stirbt, nie und nimmer vergessen. – Auch Hans Egon von Gottberg, Leutnant im 9. Rhein. Inf.-Reg. 160, starb den Heldentod. Kurz vorher ward ihm für sein tapferes Verhalten das Eiserne Kreuz verliehen. Er durfte sich nicht lange über die Auszeichnung freuen. Das tödliche Blei traf auch ihn. Gestern nachmittag wurde er zu Grabe getragen.
   Wer den Verstorbenen und sein Wirken nicht nur als Soldat, sondern auch als Hauptfeldmeister des Pfadfinder-Korps in Bonn gekannt, wußte, daß seinem Sarge viele Freunde folgen würden. Im Trauerhause Goebenstraße war eine kleine Trauerfeier, die für die Hinterbliebenen und die engeren Freunde einen erhebenden Eindruck hinterließ. Pfarrer Lorenz hatte für die Hinterbliebenen herzliche Trostworte. Er sprach vom Ernst des Krieges, der in manchem Familienkreise Lücken reißt und viel Schmerz und Weh bereitet. Dieses Weh aber werde versüßt durch den Gedanken an unser gemeinsames großes Vaterland, für das auch der Verstorbene gefallen sei.
   Unter Vorantritt der Musik setzte sich der Leichenzug nach dem Poppelsdorfer Friedhof in Bewegung. Abteilungen Husaren und Infanterie, Wehrleute und verwundete Krieges aller Waffengattungen, eine Abordnung des Vereins ehem. Artilleristen mit umflorter Fahne und die junge Schar der Pfadfinder schritten dem Leichenwagen voran. Ein Soldat trug auf schwarzem Kissen das Eiserne Kreuz, das die Brust des Verstorbenen geziert hatte. Der offene Leichenwagen war flankiert von Soldaten des hiesigen Infanterie-Regiments, dann folgten die nächsten Angehörigen, viele höhere Offiziere und eine große Schar Freunde.
   Der Sarg wurde auf dem Poppelsdorfer Friedhof beigesetzt. Die Musik spielte „Wir beten an die Macht der Liebe“ und die Soldaten präsentierten das Gewehr. Dann krachte eine dreimalige Salve über den Friedhof. Pfarrer Lorenz richtete nochmals Trostworte an die Leidtragenden und rief den Lenker der Schlachten über den Wolken an, damit er unseren Waffen den Sieg verleihe und unser schönes deutsches Vaterland schütze. Ein junger Pfadfinder legte im Namen des Pfadfinder-Korps einen Kranz mit herzlichen Widmungsworten am Sarge nieder. Viele dieser jungen Gestalten streuten mit feuchten Augen Erde in die offene Gruft. Nachdem prächtige Kränze am Grabe niederlegt waren, zerstreute sich der Leichenzug. Ueber den Gottesacker trug der Wind die Klänge der abziehenden Musik. Ich hat einen Kameraden …

Liebesgaben erbittet das 3. mobile Landsturm-Inf.-Bataillon Nr. 69, 2. Komp., Trier. Der „Bonner General“ soll helfen und ein sehr längliches Gedicht abdrucken. Aber derartige Wünsche treten jetzt so häufig an uns heran, daß wir nicht mehr in der Lage sind, alle gereimten Liebesgabenforderungen wörtlich zur Kenntnis zu bringen. Die Landstürmer, die jetzt in Libramont stehen, lassen ihren Bonner Mitbürgern durch das Dichtersprachrohr ihres Mitstreiters Aug. Esser u.a. Folgendes zututen:

Feldwach wär sonst wirklich fein,
Fehlet bloß „Schabau“ und Wein.
Kämen holde Mägdelein,
Sollte das ein Leben sein. (?!!)
Unser Feldwachkommandant
Ist den Bonnern auch bekannt:
Kofferath wird er genannt;
Kastellan sein Bürgerstand.
Feldwebel ist er als Soldat,
Revidiert uns früh und spat.
Ist ein echt Gardistenblut,
Handelt stets gerecht und gut.
Immer voll Humor und Witz,
Nebenmann, Schöpwinkels Fritz.
Pralinés und Schokolad‘
Er sonst zu verkaufen hat,
Dieses Männchen, jeder schau,
handelt jetzt mit Bohnen, blau.
Uns rasieren Luxus ist,
Bärte steh’n bei Jud und Christ.
Wie Banditen sieht, o Graus,
Jetzt der Bonner Landsturm aus.
Liebesgaben sind recht knapp,
schicket deshalb tüchtig ab.
Darum wir bitten inniglich:
Laßt den Landsturm nicht im Stich,
Der für Deutschlands Ehr und Macht
Hält in Welschland treue Wacht.
Ist es nicht ein Schabernack:
Gänzlich fehlet der Tabak,
Ebenso der Zigarrenschmach
Fehlet dem Bönnchen Landsturm auch.
Deshalb lieber „General“,
Hilf uns lindern uns’re Qual.

Wer könnte diesem Aufruf unserer wackeren Landstürmler widerstehen.

Der Bonner Liederkranz erfreute am Sonntag die verwundeten Krieger im Friedrich-Wilhelm-Stift mit einigen unter Leitung des Dirigenten Herrn Theo Kurscheidt sehr gut vorgetragenen Liedern. Ein dankbareres Publikum als die Verwundeten kann man sich nicht denken. Mit Genugtuung konnten die Sänger feststellen, daß sie erreicht hatten, was sie wollten, nämlich die Kranken aufzuheitern und kurze Zeit ihre Schmerzen vergessen zu machen. Herr E. Nestler richtete an die aufmerksamen Zuhörer eine tiefempfundene Ansprache, und einer der verwundeten Krieger dankte den Sängern für ihre Liederspenden und die Liebesgaben.

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914Der erste Deutsche Polizeihund-Verein, Zweigverein Bonn bittet um Unterstützungsbeiträge zur Ausbildung von Sanitätshunden. In allernächster Zeit sollen wieder 200 Führer und Hunde zur Front abgehen. Nach Berichten aus dem Felde bewähren sich die Sanitätshunde ausgezeichnet. Ein Hund fand in kurzer Zeit fünf Schwer- und zwei Leichtverwundete, die sich verkrochen hatten und schon seit eineinhalb Tagen auf dem Schlachtfeld lagen. Drei andere Hunde fanden zwölf Schwerverwundete im schwierigsten Gelände. Da staatliche Mittel nicht zur Verfügung stehen, ist der Verein auf die Unterstützung von Privatpersonen angewiesen, um die er von Herzen bittet. Polizeikommissar Flaccus, Bonn, Kirchallee 23, nimmt Spenden gern entgegen.

Von der Mädchenschule an der Heerstraße wurden heute wieder zwei Kisten mit Liebesgaben an der Diskonto-Bank abgegeben: Dieselben enthalten für etwa 50 Mark Tabak, Zigarren, Zigaretten, Streichhölzer, Kerzen, dann Socken, Pulswärmer, wollene Hemden, Fußlappen, eine Leibbinde, zuletzt Schokolade, Pfefferminz usw. Die Schülerinnen haben den selbstgestrickten Sachen kleine Herzensergüsse in Form von Paarreimen beigefügt. Einige davon mögen hier folgen:

Für Dich strick‘ ich so gern,
Hältst ja den Feind mir fern.

(…)

Ich habe fleißig für Dich gestrickt;
Du hast dem Feind am Zeug geflickt.

(…)

In den neuen Socken munter voran,
Du braver, treuer Landwehrmann!

Mit Freud‘ hab‘ ich für Dich gestrickt,
Du bist für mich ins Feld gerückt.

(…)

Nun hört einmal, Ihr lieben Bonner Kinder. Macht es auch so! Von jetzt an dürft Ihr keinen Pfennig mehr vernaschen. Bringt das Geld den Lehrern und Lehrerinnen! Die kaufen nützliche Sachen dafür, wodurch unsere braven Vaterlandsverteidiger erwärmt, gestärkt, erquickt, erfreut werden. Ich hoffe, daß ich mich nicht umsonst an Euch gewandt habe.
Tante Maria

(Bonner General-Anzeiger, Rubrik „Aus Bonn“)

 

Der M.-G.-V. „Sanatoria“ Bonn, dessen Mitglieder größtenteils zur Fahne einberufen wurden, diente am verflossenen Sonntag wiederum seinem schönsten Zweck, indem er vereint mit dem „Gesangverein Bonner Bäckermeister“, der sich für die Dauer des Krieges mit der „Sanatoria“ verbunden hat, den verwundeten Mannschaften und Offizieren im „Hospital der barmherzigen Brüder“ unter dem gemeinsamen Dirigenten, Herrn Konzertmeister J. Postma, mit hübschen Liederspenden einige frohe Stunden bereitete. Die Vereinigung trug zunächst im Garten des Krankenhauses einige Chöre vor und erfreute dann die wunden Krieger auf fast allen Krankensälen durch besondere Liederspenden. Die dankbaren und leuchtenden Augen der Pfleglinge und besonders der lebhafte Beifall derselben waren den Sängern der schönste Lohn für ihre geringe Mühe und wurde der Wunsch baldiger Wiederkehr des Vereins sowohl von der Hospitalleitung wie auch von den Verwundeten ausgesprochen.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Bonner Nachrichten“)

 

Beuel 13. Okt. Die Bürgermeisterei Vilich-Beuel hat am verflossenen Samstag und Sonntag allen ihren im Felde stehenden Angehörigen einen herzlichen Gruß aus der Heimat übersandt und jedem dieser Grüße eine Anzahl notwendiger Sachen in 500 Gr. schweren Feldbriefen beigefügt und zwar: 1 warmes und dabei leichtes Woll- oder Flanellhemd, ein Paar Socken, 1 Paar Pulswärmer, eine gute Pfeife mit einem Paket „Sorgenbrecher“, eine Anzahl Zigarren sowie Chokolade. Die Gegenstände wurden in Abschnitte von neuen Bonner, Beueler und Kölner Zeitungen eingewickelt, da die Soldaten im Felde sehr wenig über die deutschen Erfolge erfahren und sich daher nach dementsprechenden Mitteilungen sehnen. Infolgedessen sind annähernd 600 Pakete, nach Armeekorps usw. geordnet, von dem Bürgermeisteramte der Postverwaltung übergeben worden. Bei dem Einsammeln der Adressen hat sich ergeben, daß dieselben vielfach nur recht mangelhaft angegeben wurden, sodaß weitere Erhebungen über Armeekorps, Regiment und Kompagnie (Schwadron bezw. Batterie) erforderlich werden. Daraus kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß viele Klagen wegen Nichteintreffens von Militärpostsendungen auf mangelhafte Adressierung zurückzuführen sind. Im vorliegenden Falle darf bestimmt erwartet werden, daß der Versuch der Reichspostverwaltung, 500 Gr. schwere Feldbriefe zu befördern, für die gleichmäßig und sorgfältig verpackten und adressierten Liebessendungen der Gemeinde Vilich vollen Erfolg haben wird. Ob der demnächstige Versuch, auch bis 5 Pfund schwere Postsendungen an die Front gelangen zu lassen, gelingen wird, dürfte vielleicht weniger sicher sein, wenn große Mengen solcher Pakete aufgegeben werden.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Aus der Umgegend“)

 

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914Bis zum 1. d. Mts. hatten unsere Verwundeten auf der städtischen Straßenbahn freie Fahrt. Weil nun mit dieser Vergünstigung Missbrauch war getrieben worden, entzog die Stadt den Verwundeten die Berechtigung der freien Fahrt und sandte in jedes Lazarett Freifahrtscheine, aber in so ungenügender Zahl, daß beispielsweise einem Reservelazarett, in welchem annähernd 46 Leichtverwundete gepflegt werden, nur 5 Freifahrtscheine überwiesen wurden. Ist das der Dank der Stadt Bonn an unsere Krieger, die Gut und Blut für das Vaterland geopfert haben? Müssen denn nun, weil in einzelnen Fällen mit der Freifahrt Mißbrauch getrieben wurde, alle die Verwundeten dafür büßen? Die reiche Stadt Bonn wird wahrhaftig nicht ärmer dadurch, wenn sie die Verwundeten, hier in pflege befindlichen Krieger frei fahren lässt.
   Und unsere Pflegeschwestern, die bereitwilligst Tag und Nacht, ohne jeden Anspruch auf Entschädigung, freiwillig die Verwundeten pflegen, auch ihnen ist die Vergünstigung der freien Fahrt entzogen worden. Man sollte so etwas nicht für möglich halten.
   Und den freiwilligen Krankenträgern, die so oft aus den Vororten und aus Beuel eiligst berufen werden, Verwundete zu transportieren, die sofort dazu bereit sind und um schnell am Güterbahnhof zur Stelle zu sein, die elektrische Straßenbahn benutzen. Auch sie haben keine freie Fahrt mehr. Ist das recht? Hoffentlich nimmt sich der Stadtrat der Sache an.  Ein Veteran von 1870.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Stimmen aus dem Leserkreis“)

 

Wie dankbar unsere braven Truppen den Spendern von Liebesgaben sind, davon zeugt unter anderem eine der Firma Radermacher u. Comp., Siegburg, zugegangene Feldpostkarte. Dieselbe lautet:

(...) Schon lange wollte ich mich für die mir überlassenen 2 Dosen Preservativ-Cream bedanken, jedoch nie Zeit. Jetzt liege ich hier im Lazarett mit Schuß durch Rücken und Lunge und habe Zeit. Also ich habe bei täglichem Gebrauche, und was ich nicht vergessen will, bei Märschen bis zu 60 Kilometer pro Tag stets tadellose weiche Füße gehabt, nie eine Blase gelaufen oder sonst etwas. Auch wenn ich mir am Körper etwas aufgescheuert hatte, benutzte ich die Salbe mit gutem Erfolg. Ich kann derselben nur meine höchste Anerkennung aussprechen.
Mit freundlichem Gruß und nochm. Dank!
Res. Thiel, R. I.R. 65, 3. Komp.

Der erwähnte „Rademachers Preservativ-Cream“ leistet auch bei der jetzigen Jahreszeit den Truppen gute Dienste. Gegen Erkältungskrankheiten, verursacht durch kalte Füße, schützt sich der Soldat am besten durch Einreibung mit „Rademachers Preservativ-Cream“, welcher in Apotheken und Drogenhandlungen feilgehalten wird, und sich den Feldpostbriefen leicht beifügen lässt. Man achte jedoch beim Einkauf darauf, daß die Dose die volle Firma: Rademacher u. Co., Siegburg, trägt, da viele wertlose Fabrikate im handel sind.

(Deutsche Reichs-Zeitung, Rubrik „Geschäftliches“)

 

Im Auto mit Liebesgaben bis zur Front

von W. Kappert, Mehlem

Am 4. Oktober, morgens um 8.15, gings von Mehlem mit drei strammgefüllten Autos nach Frankreich, um unsre tapferen Soldaten durch Liebesgaben zu erfreuen. Herr Rentner Henkels aus Mehlem hatte in selbstloser Weise seine beiden Autos zur Verfügung gestellt und außerdem noch den größten Teil der Liebesgaben aus seinen privaten Mitteln gestiftet, um diese längst vorbereitete Fahrt endlich auszuführen, das dritte Auto stellte Herr Fabrikant Berger, welcher vorher schon einmal zur Front gefahren war. Unser Führer war Leutnant Jansen, z.Zt. Godesberg, welchen wir als genesen zur Front zurückbrachten. Bei unserer Anfahrt war das Wetter feucht-neblig, der Himmel düster und grau bewölkt und drohte jeden Augenblick seine Schauern herabzusenden, doch erfreulicher Weise hatte der Himmel ein Einsehen, und so konnten wir, ohne die Verdecke unserer Autos aufziehen zu müssen, unsere Reise vollenden. Die Fahrt ging über Meckenheim durchs liebliche Ahrtal, überall von den Einwohnern durch Tücherschwenken freundlichst begrüßt, eilig weiter durch die friedlichen Eifeldörfer, bis uns vor Adenau die erste kleine Panne zu einer kurzen Rast zwang, dieselbe benutzend zur Einnahme unseres ersten Frühstücks. Hinter Bittburg die zweite Panne, und nun kamen wir ohne weitere Störung glücklich um 1.15 in Trier an. In Trier aßen wir zu Mittag und traten nach einer fast einstündigen Rast um 2 Uhr unsere Weiterreise an. Um 7½ Uhr erreichten wir Diedenhofen, machten wiederum Pause, nahmen von D. einen Oberarzt sowie einen ostpreußischen Landwehrmann mit und erreichten Metz um 6½ Uhr. In Metz wurde übernachtet und am anderen Morgen nach Erhalt von Benzol aus dem Militär-Depot die Weiterreise um 11.20 Uhr angetreten.

Das erste französische zerstörte Dorf T. erreichten wir mittags um 1 Uhr. Hier machten wir Halt, um die Rückkehr eines unserer Autos, welches eine andere Richtung eingeschlagen hatte, abzuwarten. In einer Wirtschaft, dessen Inneres durch drei Granaten arg mitgenommen war und dessen Inhaber, sowie der dort zu Besuch weilende Neffe als Franktireurs erschossen waren, warteten wir auf das verirrte Auto. In dieser Pause erzähle mir ein Neuwieder Landwehrmann, daß der Schmied von I. einen bayerischen Feldwebel mit dem schweren Hammer den Schädel eingeschlagen, die wohlverdiente Strafe war denn auch an dem Orte vollzogen worden. Von I. gings um 2.10 Uhr weiter nach B., wo gerade ein verwundeter und verstorbener deutscher Soldat beerdigt wurde. In Br. hatten unsere Soldaten die dortige Pulverfabrik in die Luft gesprengt, sodann machten wir Halt in B., wo unser begleitender Leutnant das erste Gefecht mitgemacht und uns den Verlauf des Kampfes beschrieb. Hier muß ein heftiges, wütendes Gefecht stattgefunden haben, denn der Ort selbst war vollständig in Grund geschossen, dort sah ich auch die ersten Einzelgräber, hinter einem Gehöft im Baumgarten waren drei Gräber von deutschen Soldaten, gleich hinter der Mauer des Gartens befand sich das Grab eines Leutnants Marx, der Helm des tapferen Offiziers lag auf dem Grabe, im Helm war deutlich die Eingangsmündung des Geschosses zu sehen, ein Schuß in den Vorderkopf hatte den unglücklichen Offizier dahingestreckt, etwas weiter querfeldein in der Nähe von aufgeworfenen Schützengräben waren nebeneinander die Gräber von drei Offizieren: Hauptmann Keihl, Hauptmann Passauer und Leutnant Gröber. Wir ehrten die toten, tapferen Offiziere, indem wir frische Blumen auf ihre Gräber steckten, und nachdem wir noch für dieselben ein kurzes Gebet verrichtet hatten, verließen wir den Ort des Grauens, um in C., wo unser begleitender Leutnant verwundet worden war, wiederum zu halten. Alsdann ging's mit rasender Geschwindigkeit weiter, 5½ Uhr trafen wir in M., ein, hier lag viel Militär, unsere Wagen wurden umringt und hundert bittende Hände erhoben sich, um vielleicht eine Zigarre oder sonst etwas zu erhaschen, aber das Kistchen, welches ich zur Verfügung hatte, war bald leer, zudem hatten wir unser Ziel auch noch nicht erreicht.

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914Wir waren etwas zu weit rechts abgebogen und mußten seitwärts zurück über B., L. und S., alles total zerstörte Ortschaften, bis wir endlich um 7½ Uhr abends glücklich die Kompagnie unseres Leutnants in A. erreichten. Bei der Nachricht an die Mannschaft, daß wir Liebesgaben mitgebracht hätten, sahen wir zu unserer eigenen Freude, die glückstrahlenden Gesichter der Soldaten, doch leider konnte wegen der bereits eingetretenen Dunkelheit die Austeilung der Liebesgaben nicht mehr erfolgen, unsere Autos wurden in einer Scheune untergebracht, bewacht von einem Posten mit aufgepflanztem Gewehr. Hierauf lud uns der Oberleutnant Schön in liebenswürdiger Weise zu einem Glase Wein ein, bei welcher Gelegenheit wir unsere mitgebrachten Vorräte mit den andren inzwischen eingetroffenen Offizieren redlich teilten. Wir wünschten uns alsdann gute Nacht, strebten unserem Nachtlager in der alten Scheune zu, wo unsere Autos untergebracht waren; doch die Ruhe, die ich suchte, fand ich nicht. Ich stattete daher nochmals dem Kantinenmeister, welchen ich vorher kennen gelernt hatte, einen Besuch ab, der gute Feldwebel kredenzte mir noch einige Gläser französischen Kognak, sowie alten Madeira, um 11 Uhr lagen wir dann friedlich auf unserem Lager in dem Heuschober. Doch meine innere Unruhe ließ mich nicht einschlafen, ich beneidete neben mir zwei Grenadiere, welche alle zwei Stunden die Wache ablösend, sofort nach dem Hinlegen wieder in den tiefsten Schlaf fielen. Die Bemerkung des Hauptmanns, daß der Dienstag immer ein kritischer Tag erster Ordnung sei, erhöhte nur noch mehr meine Unruhe, lagen wir doch nur 3 Kilometer von den Schützengräben und nur 12 Kilometer von der Festung entfernt, so daß die Beschießung des Ortes recht wohl möglich war.

Am Morgen des 5. erhoben wir uns um 7 Uhr vom Lager, und nachdem wir notdürftig an dem Pferdetränkebrunnen Toilette gemacht, nahmen wir unseren Kaffee bei dem freundlichen Kantinenfeldwebel ein. Um 10½ Uhr verließen wir wieder A., nachdem uns der Hauptmann im Namen seines Bataillons für die erhaltenen Liebesgaben seinen herzlichsten Dank ausgesprochen hatte. Dann gings weiter über M. nach D., wo eine große Fliegerstation war, ein Flugzeug stand gerade zur Abfahrt bereit, weiter brachte uns unser Auto über B. nach B., wo in den Gräben mehrere verendete Pferde lagen, gegen 2 Uhr mittags war wir in St., hier wollten wir abbiegen nach B. Leider brach in St. an einem Auto die Kurbelwelle, so daß wir uns gezwungen sahen, den defekten Wagen zum Verladen nach der nächsten Eisenbahnstation ins Schlepptau zu nehmen, das dritte Auto trennte sich von uns und trat die beabsichtigte Weiterreise nach B. an. In der Festungsstadt M. verluden wir unseren Wagen, dortselbst waren französische Kriegsgefangene in Uniform mit Wegebau beschäftigt. Die Festung hatte sich ohne Kampf ergeben, nachdem die Franzosen den unter der Festung herführenden Tunnel in die Luft gesprengt und sich der Kommandant erschossen hatte. Sodann gings mit dem einen Auto um 5½ Uhr abends weiter und kamen wir sodann um 6½ Uhr in L. an. In L. erhielten wir unsere Nachtquartiere bei der Proviantkolonne, meistens Kölner Metzger und Bäcker. Dieselben luden uns auch zu einem ganz vorzüglichen Abendessen ein. Zu 11 Mann schliefen wir in einem Zimmer.

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914Am folgenden Morgen standen wir um 6½ Uhr auf, tranken Kaffee und unternahmen hierauf in Begleitung unseres Leutnants einen Spaziergang zu den Höhen von L. Zunächst nahmen wir dort die neue zum Teil noch im Bau begriffenen Kasernenanlagen in Augenschein. Hier oben auf der Höhe muß ein fürchterlicher Kampf stattgefunden haben. Ihre eigenen Kasernen haben die Franzosen teilweise zerstört, da sie in denselben wohl unsere Truppen vermuteten. Weiter hinter den Kasernen fand ich noch an den Waldesrändern deutsche Tornister, Helme, Waffenröcke usw., ein Bild des Entsetzens, dann kamen wir weiter an ein Massengrab, wo ungefähr 2.000 Franzosen, sowie 1.000 deutsche Soldaten beerdigt lagen, unten am Ausgange der Stadt waren 10 Gräber von Franktireurs, ein Bouquet frischer Blumen war wohl anscheinend in der Nacht auf das gemeinsame Grab der Franktireurs gesetzt, keine 5 Schritte davon ab lag einsam das Grab eines deutschen Infanteristen. Um 11.15 Uhr vormittags verließen wir L., fuhren in größter Eile durch Luxemburg und kamen um 1.30 Uhr in der Stadt Luxemburg an. Von dort fuhren wir nach kurzer Rast um 1.50 Uhr weiter, erreichten Trier um 4 Uhr, weiter gings durch die Eifel über Euskirchen, Meckenheim und erreichten glücklich und wohlbehalten gegen 11 Uhr abends Mehlem. Es war eine gefahrvolle Reise. Vor allen Dingen galt sie doch einem idealen Zwecke, nämlich unseren braven tapferen Soldaten eine Freude zu bereiten, welche Aufgabe wir auch freudig erfüllt haben.

 (Bonner General-Anzeiger)

Kriegserlebnisse eines Friesdorfers

Ein Reservist aus Friesdorf, der schon am 24. August verwundet wurde, schreibt uns über seine Erlebnisse folgendes: Wir kamen am 22. August früh näher an den Feind. Heulend durchzogen französische Schrapnells die Luft. Plötzlich bildete sich ein weißes Wölkchen, und prasselnd ergoß sich die Schrapnell-Ladung zur Erde. Uns schadeten die Kugeln nichts, unserer Artillerie recht wenig, denn die meisten Schüsse gingen zu kurz. Wir schwärmten aus, und plötzlich verließen die Franzosen unter unserem schrecklichen Artilleriefeuer ihre Stellung und liefen in voller Unordnung dem nahen Walde zu. Manchem gelang es nicht mehr, ihn zu erreichen, denn sie boten uns ein gutes Ziel dar. Der Kanonendonner schwieg nach und nach, und jeder warf sich in einem naheliegenden Kornfeld auf ein Bündel Stroh. Die meisten schliefen nach kurzer Zeit.

Andern Morgen marschierten wir um 3 Uhr ab, durchschritten ein Wäldchen und kamen auf ein großes Kornfeld. Gleich vornan lagen eine Anzahl gefallener Franzosen, aber auch zwei deutsche Jungen in ihren feldgrauen Uniformen. Weiter lagen viele Franzosen auf dem Feld in allen Stellungen, wie der Tod sie überraschte. Einer saß noch an einem Kornhaufen, wie ausruhend, der Kopf fehlte vollständig. Eine Granate hatte ihn weggerissen. Wir warfen Schützengräben aus und erwarteten jeden Augenblick den Feind. Aus einigen neben mir liegenden Tornistern waren französische Briefe an die Eltern und an eine Braut entfallen.

Nach einigem Warten teilte unser Hauptmann mit, daß die Franzosen in der Richtung auf die Grenze geflohen seien. Wir durchzogen den Wald, wo tags vorher das Hauptgefecht stattgefunden hatte. 24 Geschütze der Franzosen lagen da und wohl die meisten Bedienungsmannschaften mit den Pferden tot daneben. Der Tod muß sie geradezu überrascht haben, denn sie waren nicht mehr zum Abprotzen gekommen. Ein abgeschossenes Bein mit kunstvoll umwickelter Gamasche und eine feine schmale Hand mit goldenem Siegelring ruhen friedlich nebeneinander. Der Wald ging zu Ende und das grausige Bild war vorbei.

Anzeige im General-Anzeiger vom 14. Oktober 1914In einem naheliegenden Dörfchen war die Kirche voll gefangener Franzosen. Weggeworfene französische Tornister lagen überall, ebenso unzählige scharfe Patronen rechts und links von der Straße. Das nächste Dorf erreichten wir abends 8 Uhr. Es brannte vollständig mit Ausnahme der Kirche. In Zivil umgekleidete Soldaten hatten dort unsere Truppen beschossen. Ihre Erkennungsmarke machten ein Leugnen unmöglich. Sie wurden als Kriegsgefangene abgeführt. Der Schein des brennenden Dorfes beleuchtete geisterhaft unseren Biwakplatz. Wir erbeuteten ein Huhn, und bald schmeckte uns die Hühnersuppe nebst Kartoffeln ausgezeichnet. In kurzer Zeit lag alles wieder in tiefem Schlaf.

Am folgenden Tage marschierten wir um 6 Uhr morgens ab. Unterwegs wieder, wie Tags vorher, das trostlose Bild fliehender Dorfbewohner, die das Notdürftigste mitschleppten. Wir marschierten mit einer kurzen Pause bis 3 Uhr nachmittags. Dann kamen wir wieder ins Gefecht. Wir schwärmten aus, aber von dem Feinde war noch nichts zu sehen. Erst durch das Glas meines Gruppenführers sah ich deutlich auf etwa 2 Kilometer vor uns die feindlichen Schützengräben. Die Franzosen hatten eine hohe Bergkuppe besetzt. Der ausgeworfene graugelbe Erdwall war ein gutes Ziel für unsere Artillerie. Dann durchquerten wir in der Schützenlinie einen Wald. Plötzlich sagte unser Hauptmann: „Nun draufgehalten Leute, heute gilt es!“ Im Marsch  Marsch ging es über ebenes Gelände begrüßt von einem furchtbaren Schrapnellfeuer. Auf Befehl unseres Zugführers warf sich alles zu Boden. Plötzlich setzte unsere Artillerie ein. Es dröhnte, prasselte und knatterte ohrenbetäubend von hüben und drüben.

Jetzt ging es durch unsere Reihen: „Sprung auf – Marsch – Marsch!“ Einer brüllts dem andern zu, kaum hörte man des Nebenmannes Stimme, nur immer vorwärts eilten wir. Nur noch 800 Meter waren wir bis zu den feindlichen Schützengräben, da wurde es da drinnen auch auf einmal lebendig. Es prasselte und zischte um uns herum, doch weiter, nur weiter, Sprung auf, Marsch – Marsch! Wir sprangen über eine kleine Anhöhe, da plötzlich ein furchtbarer Knall über mir. Dann wurde es mir schwarz vor den Augen und ich sank hin.

Als ich zu mir kam, war ich schon mit meinem Verbandspäckchen verbunden, aber lange kann ich nicht bewußtlos gelegen haben, denn der Kampf war noch nicht beendet. Immer neue Schützenlinien stürzten an mir vorbei. Schrapnells platzten recht und links von mir. Ich raffte mich mit aller Kraft auf und kam glücklich aus dem Feuer. In einem Hohlweg traf ich Kameraden bei einigen Munitionswagen, die mich mit Milch labten. Kurz vor dem nächsten Dörfchen gesellte sich ein Unteroffizier mit durchschossenem Arm zu mir.

Einige Batterien Artillerie, die rasend schnell durch den Ort fuhren, wurden von Zivilisten heftig beschossen. Wir beschlossen daher, um den Ort zu gehen, aber der Blutverlust hatte mich so sehr geschwächt, daß ich nicht mehr weiter konnte und mich hinlegen mußte. Der Unteroffizier ging weiter und versprach mir, Hilfe zu schicken. Bald erschienen auch zwei Krankenträger mit einer Tragbahre und brachten mich zurück. Einer der Krankenträger aus Kessenich war mir bekannt und bemühte sich sehr um mich. Ein Arzt sah unsere Verwundungen nach und am nächsten Tage kamen wir in das nahegelegene Lazarett, von wo ich über Neufchateau-Luxemburg-Trier nach der Heimat zurückgelangt bin.

 (Bonner General-Anzeiger)